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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 08.07.2007

Predigt zu Lukas 14:25-33, verfasst von Matthias Riemenschneider

Vor Nachfolge wird gewarnt

1) Das Befremden über die Nachfolge

Liebe Gemeinde,

das sind ungewohnte, ja unerhörte Worte Jesu. "Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht Vater, Mutter, Frau und Kinder..., der kann nicht mein Jünger sein." Und:  "Wer sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein."
Mich machen solche Sätze betroffen. Um Nachfolge geht es doch in diesen Versen bei Lukas, um Nachfolge, d.h. um die Folgen, die mein Glaube in meinem Leben, im Alltag haben sollte. Zur Nachfolge sollte doch eingeladen werden, nicht abgeschreckt. Glaube kann nicht ohne Nachfolge bleiben, weil sich erst in der Nachfolge die Bedeutung, die Wirksamkeit, aber auch die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens herausstellt.

Von "Nachfolge und Selbstverleugnung" steht in meiner Bibel als Überschrift über diesem Text. Wenn ich diese Sätze so wörtlich verstehe, müsste es doch besser heißen: "Vor Nachfolge wird gewarnt".

Ich denke, diese ungewohnten, unerhörten, befremdlichen Worte Jesu, sie sollten wir sehr ernst nehmen, wenn wir im Glauben nachfolgen wollen. Von der Nachfolge kann man nicht reden, man kann sie nur leben. Und darin steckt gerade die Tücke, das merken wir bei diesen Worten sehr deutlich. Nachfolge zu leben, so wie Jesus sie versteht, das bedeutet einen sehr tiefen Einschnitt in unserem Leben, in unsere bürgerliche Existenz. Wir sollten uns also sehr davor hüten, allzu leichtfertig von Nachfolge zu reden.

Und noch mehr sollten wir uns davor hüten, diese Worte Jesu so lange zu drehen und zu wenden, abzuschwächen und zu verkleinern, zu verallgemeinern und zu entleeren, bis daraus ein gangbarer Weg für mich und für andere wird. ‚Nachfolge light' - das ist entweder eine Dummheit oder eine Lüge. Und weil Jesus dies so deutlich sagt, darum sind seine Worte so ärgerlich, so befremdlich, so fremd!

Liebe Gemeinde,

keine frohe Botschaft, kein Evangelium in der Predigt heute? Nein -  jedenfalls nicht vordergründig! Auch der Glaube verlangt mehr von uns als nur schöne Sonntagsreden. Auch das Evangelium gibt es nicht  in der ‚light'- Version, als Schonkost in unserer modernen Zeit. Auch im Evangelium gibt es ärgerliches, an dem wir uns reiben und fremdes, an dem wir uns stoßen können.

Ich denke, das ist auch gut so. Wir brauchen diese Fremdheit des Fremden, um uns selber wahrnehmen zu können. Sonst finden wir in der Bibel doch nur uns selber wieder, unsere Wünsche und Gedanken, die kleinen Ausflüchte und Notlügen unseres Alltags. So kann und so muss Glaube, Evangelium immer auch notwendig eine Infragestellung, eine Korrektur, eine "fremde" Hilfe zu unserem Leben sein. 

2) Nachfolge als fremde Hilfe zum Leben

Als Annäherung an diese Hilfe zum Leben, die sich ihren fremden Charakter bewahrt hat, möchte ich zwei Geschichten erzählen, die aus dem Leben des Franz von Assisi berichtet werden.

Die erste Ordensregel, die Franziskus für sich und seine Freunde aufgestellt hat, besteht einfach aus Bibelzitaten, in der unser heutiger Predigttext eine zentrale Rolle hat.

Die Zeit an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, in der Franziskus lebte,  weist sehr viele Ähnlichkeiten mit unserer modernen Welt auf. Eine Welt, die dieser legendäre Heilige mit seiner Forderung nach radikaler Armut kritisiert. Unsere moderne Gesellschaft und Wirtschaftsweise hat ihren Anfang gerade in den Stadtrepubliken Oberitaliens an der Wende zum 13. Jahrhundert genommen. Die Kennzeichen dieser Entwicklung sind eine enorme Ausweitung des Handels, eine ständige Modernisierung der handwerklichen Techniken, die Bildung von Handelsgesellschaften, wie z.B. die der Fugger mit einer großen Kapitalkonzentration. Und für diese Zeit ist kennzeichnend, dass die alte, traditionelle Lebensweise mit seiner festgefügten ständischen Ordnung begann sich aufzulösen, dass durch die Beobachtung der Naturgesetze die Anfänge unserer Naturwissenschaften sich herausbildeten und den Lebens- und Arbeitsalltag der Menschen stark veränderte.  Die Entwicklung der Geldwirtschaft führte ebenfalls zu einer Veränderung der Lebensbedingungen, die vor allem das Leben einfacher Menschen noch schwieriger machte. Was auf der einen Seite als wirtschaftliche Entwicklung zu Reichtum und Wohlstand führte war gleichzeitig für viele Menschen Ursache von Armut, Entwurzelung und Not. Das späte Mittelalter ist deshalb von einer ganzen Reihe von Aufständen und Krisen geschüttelt worden.

Mit dem aufstrebenden Bürgertum und ihrer tiefen Faszination für Geld und Besitz, Erfolg und Aufstieg bricht Franziskus, indem er mit seinem Vater bricht. Er übernimmt nicht das Erbe des reichen Tuchhändlers.

Mit dem Wechsel der Lebensform vom Reichtum zur Armut tauscht Franziskus die leitenden Werte seiner Umwelt. Folgerichtig bedeutete Armut für Franziskus den völligen Verzicht auf jeden privaten Besitz.

Der Bischof von Assisi, an den Franziskus sich öfter wandte, um sich beraten zu lassen, sagte ihm einmal: „Euer Leben erscheint mir hart, und nichts irdisches zu besitzen ist schwer." Darauf antwortete Franz: „Herr, wollten wir etwas besitzen, so müssten wir auch Waffen zu unserer Verteidigung haben. Daher kommen die Streitereien und Kämpfe, die so mannigfach die Liebe Gottes und der Mitmenschen behindern. Darum wollen wir nichts zeitliches besitzen." [Cornehl/Steffensky, S. 33]

‚Wollten wir etwas besitzen, so müssten wir auch Waffen zu unserer Verteidigung haben.' Waffen zur Verteidigung, wohlgemerkt, nicht zum Angriff! Franziskus hat hier etwas sehr wahres gespürt, was heute wohl noch mehr gilt als früher. Wo es Besitzende gibt, gibt es gleichzeitig auch Besitzlose. So entsteht ein Unterschied zwischen den Menschen, ein Unterschied der trennt in Arme und Reiche. Dieser Unterschied zieht beide - Arme und Reiche -  in ihren Bann und überzieht sie quasi wie mit einem bösen Fluch. Der Besitzlose möchte auch etwas von dem besitzen, was er nicht hat. Der Besitzende wiederum lebt in Sorge um sein Eigentum. Er kann es nicht mehr sorgenfrei verwenden, sondern er wird sich Sicherungen einfallen lassen, neue Anschaffungen vornehmen, um sich und seinen Besitz zu schützen. So wird der Besitz schließlich zum Herren über seinen Besitzer; Totes wird lebendig und diktiert einem Menschen, was er zu tun und wie er sich zu verhalten habe. Und noch etwas geschieht: Durch die Sorge um seinen Besitz wird er noch weiter von seinem Mitmenschen getrennt. Er kann ihm gar nicht mehr als Bruder gegenübertreten, dem seine Liebe und Fürsorge zu gelten habe, sondern nur noch mit Misstrauen. Misstrauen, das uns gefangen nimmt und unser Denken korrumpiert.

Eine weitere Geschichte, die vordergründig ebenfalls von der Frage des Besitzes handelt, aber tatsächlich von menschlichen Beziehungen erzählt, ist die zweite, sehr beeindruckende Geschichte.

Ein Novizenbruder des Ordens, der Psalmen lesen konnte, erhielt von dem Generalminister die Erlaubnis, ein Psalterium, ein Psalmbüchlein zu besitzen. Weil er aber gehört hatte, dass Franziskus nicht wollte, daß seine Brüder begierig seien nach Wissenschaft und Büchern, wollte er es nur mit Erlaubnis des Heiligen Franziskus besitzen. Der Novize sagte zu ihm: ‚Vater, es wäre mir ein großer Trost, ein Psalterium zu besitzen. Der Generalminister hat es mir zugestanden. Aber ich will es nur mit der Einwilligung deines Gewissens besitzen.'

Franziskus antwortete ihm: „Viele Heilige und Helden lebten für die Ausbreitung des Glaubens in Schweiß und Mühe bis zum Tod. Und die Märtyrer sind im Kampf für Gott gefallen. Heute jedoch gibt es viele, die allein durch die Erzählung dessen, was jene vollbracht haben, zu Ehre und Menschenlob gelangen wollen. So gibt es auch unter uns viele, die nur durch Vorlesung und Verkündigung der Werke, die die Heiligen vollbracht haben, Ehre und Lob empfangen wollen.

Und wenn du erst ein Psalterium hast, dann wirst du begehrlich werden und ein Brevier besitzen wollen. Und wenn du ein Brevier hast, dann wirst du auf dem Katheder sitzen wie ein großer Prälat und zu deinem Bruder sprechen: Bruder, bring mir das Brevier!" [Cornehl/Steffensky, S. 31f.]

Es ist da also einer, der ein Psalmbuch haben will, für sich allein. Und dies in der lautersten Absicht: Er will beten. Aber diese lautere Absicht will er durchsetzen mit dem Mittel, daß er etwas für sich allein hat. Wir kennen das, und es ist manchmal schön, etwas zu haben, das mir allein gehört. Es schafft eine Heimat, etwas zu besitzen, das für mich einzigartig ist. Soweit ist dagegen nichts zu sagen. Aber Franziskus lässt dem Novizen das Brevier dennoch nicht. Das, was der Novize allein hat, das trennt ihn auch von den anderen.

Und noch etwas anderes sieht Franziskus voraus. Er sagt: Wenn du erst das Psalmbüchlein hast, dann willst du auch das dickere Brevier. Das Brevier will zum Psalmbüchlein. Geld will zu Geld, sagen wir. Besitz hat die Eigenschaft sich zu vermehren und zu verselbständigen. Der Besitz will plötzlich alles werden, alles in Allem. Der Besitz beginnt ganz langsam uns zu beherrschen. Die Menschen sind allmählich nicht mehr Subjekte in diesem Prozess, sie können nicht mehr selbst bestimmen, sondern werden bestimmt.
Geld will zu Geld. Das Geld will etwas; der Lebensstandard verlangt etwas. Das Haus will unterhalten sein. Das Auto will gepflegt sein. Etwas, das doch eigentlich tot ist, bekommt plötzlich einen eigenen Willen. Das Tote, das doch keine Stimme hat, greift in unser Denken und Handeln ein. Es wird mächtig und diktiert unsere Beziehungen.

So sagt es Franziskus voraus: Wenn du erst einmal ein Psalterium hast, dann willst du auch ein Brevier. Und dann sagst du zu deinem Bruder wie ein großer Prälat: Bruder, bring mir mein Brevier. Das Eigentum, hat dich nun ermächtigt: ‚bring mir mein Brevier' zu sagen. So bist du getrennt von deinem Bruder. Er ist nicht mehr dein Bruder, sondern er ist der Überbringer deines Breviers. Er ist Funktion für dich geworden. Die Welt stirbt um dich her, und du belebst sie mit toten Gegenständen, mit Seelenlosem: mit Geld, mit Eigentum, mit Macht!

3) Das Fremde in uns - Nachfolge als Beunruhigung zum Leben

Liebe Gemeinde,
im Horizont dieser Erzählungen über Franz von Assisi bekommt unser Predigttext für mich einen anderen Klang. In erster Linie geht es in der Nachfolge, in die uns Jesus Christus ruft, um menschliche Beziehungen, darum, daß wir unseren Mitmenschen als Bruder und Schwester erkennen und wertschätzen. Nachfolge im Sinne Jesu ist mehr als auf Besitz zu verzichten, auf Familienangehörige und Bekannte. Nachfolge will nicht trennen, sondern verbinden. In der Nachfolge werden wir befreit von allem, was uns von uns selbst und unseren Mitmenschen abschneidet. Nachfolge will befreien zu einem menschenwürdigen Umgang miteinander, zu einer Begegnung auf Augenhöhe.

Die Bemerkung, daß man sich selber oder seine Familie ‘hassen' soll, ist dazu kein Widerspruch. „Sich Hassen" ist in diesem Zusammenhang als ein „loslassen" zu verstehen, sich selber nicht so wichtig zu nehmen. Und vor allem soll man auch seine eigenen Interessen und die von Verwandten nicht über die Bedürfnisse von anderen Menschen stellen.

Als Christen sind wir dazu eingeladen, unseren Glauben in der Welt zu leben. Die Absonderung von der Welt, der Rückzug ins Kloster, das ist ein monastischer Sonderweg, der nicht die Regel für das christliche Leben sein kann. Aber wie wir auch leben, im Zusammenleben mit anderen Menschen hat sich unser Glaube zu bewähren. Seinen Glauben leben heißt in der Nachfolge Jesu Christi leben.

Entsetzen, Ärgernis, Unruhe - diese Wirkungen gehen von den Worten Jesu aus. Ein Ärgernis, dass sich bei näherer Betrachtung zu einer fremden Hilfe für ein gelingendes Leben entpuppt. Wenn wir nach dem Ziel des Glaubens, dem Sinn unseres Lebens fragen, dann kommen wir nicht darum herum, danach zu fragen, was wir von uns aus dazu beitragen können, glaubwürdig und gerecht zu leben. Glaubwürdig sind wir in Beziehungen, im Kontakt mit anderen Menschen, nicht in der Sorge um tote Gegenstände.
„So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein."

Vor Nachfolge wird gewarnt - sie wird auf jeden Fall unser Leben verändern.

 

Amen

 

Lied: EG 640, 1-3, Für Christus leben, sterben für ihn

Oder: EG 351, 1-2 + 5 + 7, Ist Gott für mich

  

Literatur:

GPM 61/2007, Heft 3, S. 311ff., Angela Rinn-Maurer (Bearbeitung zu Lukas 14, 25-33)

Peter Cornehl/Fulbert Steffensky, Franziskus in Assisi, Seveso und anderswo. Hamburger Universitätsgottesdienste 1982, Hamburg 1982.

 

Fürbittgebet

I.       Gott, du Quelle und Ziel unseres Glaubens,

wir danken dir, dass du uns immer wieder Zeit gibst,

darüber nachzudenken, wer wir sind,

worauf unser Leben hinaus will.

Wir danken dir,

dass du selber nach uns fragst,

uns immer wieder neu einlädst, dir zu folgen.

So wagen wir es, vor dich zu bringen,

was uns beschäftigt und unser Herz beschwert:
.................   (Pause)

Gemeinsam rufen wir zu dir:     Gemeinde Kyrie 178.11

 

II.       Gott, du Quelle und Ziel unseres Glaubens,

du kennst unseren Glauben,

wie schwer und verkrampft er mitunter ist,

wie wenig Freude und Vertrauen hinter unserem Beten steht.

Wir bitten dich:

Löse die heimliche Angst unserer Herzen,

Hilf uns, unsere Selbstbezogenheit aufzugeben.

Laß durch deinen Geist dein Wort in uns lebendig werden,

das uns stärkt und begleitet in unserem Alltag.

Gemeinsam rufen wir zu dir:     Gemeinde Kyrie 178.11

I.       Gott, du Quelle und Ziel unseres Glaubens,

lass uns nicht an der Ungerechtigkeit

und der Gewalt in dieser Welt verzweifeln.

Hilf uns, dass wir in deinem Geist leben und die Kraft haben,

die Waffen, mit denen wir unseren Reichtum verteidigen

umzuschmieden in Werkzeuge,

die helfen, ein ausreichendes Auskommen

für alle Menschen auf dieser Erde zu schaffen.

Gemeinsam rufen wir zu dir:     Gemeinde Kyrie 178.11

 

II.       Gott, du Quelle und Ziel unseres Glaubens,

wir bitten dich für alle Menschen,

die nichts mehr vom Leben erwarten,

die alle Hoffnung für sich selbst verloren haben.

Lass sie Menschen finden,

die sie mit ihrem Zynismus nicht allein lassen,

sondern sie mit deinem Wort stärken und aufrichten.

Wir bitten dich für alle Kranken, Elenden und Einsamen;

Tröste sie mit deiner Gegenwart.   Für alle,

die dem Tod nahe sind: Laß sie in deiner Nähe erfahren,

daß ihr Sterben nicht das Ende,

sondern der Beginn eines neuen Lebens ist.

Gemeinsam rufen wir zu dir:     Gemeinde Kyrie 178.11

 

Vaterunser:

Alle unsere Gedanken wollen wir mit den Worten vor Gott bringen, die Jesus Christus uns selbst gelehrt hat

und sprechen miteinander:

Vater unser ...

 



Matthias Riemenschneider
Waiblingen
www.ev-michaelskirche.de
E-Mail: ma.riemenschneider@gmx.de

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