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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 26.02.2012

Predigt zu Lukas 22:24-32, verfasst von Anders Kjærsig

 

Thema: Öffnet die Kirche - das hilft gegen das Böse

Es gibt ein Gedicht des dänischen Dichters Christian Richardt (1831-1892) mit dem Titel „Das Böse". Es handelt von der Erkenntnis, die sich der Mensch vom Bösen als von einer Realität macht, die einen mit dämonischer Kraft trifft, anfangs als eine Fiktion, später als Wirklichkeit. Die Bewegung von Fiktion zu Wirklichkeit ist in den zwei Strophen des Gedichts der Übergang vom Kind zum Erwachsensein. Das Gedicht lautet so:

Ich glaubte, als ich noch klein war,

das Böse gäbe es nicht,

es sei nur alter Tage

drohendes Schattenspiel:

Kain war böse und Judas war böse,

und alle Heidenhunde; -

aber schlug ich nur meine Bibel zu,

dann schloss ich auch das Böse aus.

 

Jetzt weiß ich, da ich alt bin

und mich vor Finsternis nicht mehr fürchte:

sehe ich mich selbst im Spiegel,

dann sehe ich das Böse zugleich!

Kain bin ich und Judas bin ich,

im tiefen Grunde der Seele; -

am besten schlage ich meine Bibel auf,

das hilft gegen das Böse.

 

Wenn man das Evangelium aufschlägt, schließt man das Böse aus. Wenn man das Evangelium öffnet, setzt man dem Bösen Widerstand entgegen. Das muss die kurze und knappe Pointe des Gedichts sein; eine Pointe, die man bestätigt finden kann, wenn man sich selbst im Spiegel anschaut. Hier wird man sich wenigstens darüber klar, dass das Böse nicht nur in der Bibel zu finden ist. Dafür könnte man aber die Frage nach dem Guten stellen. Gibt es das außerhalb der Bibel?

Ich glaube nicht, dass man besonders alt sein muss, um diese Erfahrung zu machen und zu erleben, dass der Spiegel anfängt, Probleme zu schaffen. Was man als Kind für Fiktion gehalten hat, wird einem paradoxerweise zu Wirklichkeit, wenn man erwachsen ist. Die Erzählungen von Kains Neid und Judas' Verrat trifft plötzlich einen selbst. Man findet dasselbe bösartige Verhalten bei sich selbst. Wir wissen sehr wohl, dass dem Einfallsreichtum keinerlei Grenzen gesetzt sind, wenn es darum geht, andere Menschen zu verletzen und ihnen Schaden zuzufügen. Wir sind Experten darin, andere zu beleidigen; sogar die, die wir lieben, beneiden und beleidigen wir. Deshalb können wir mit einer gewissen Selbstkritik Richardts Worte wiederholen:

 

Kain bin ich und Judas bin ich,

im tiefen Grunde der Seele; -

am besten schlage ich meine Bibel auf,

das hilft gegen das Böse.

 

Wir wollen der Aufforderung Richardts folgen und die Bibel aufschlagen. Hier liegt der Samen, der fortgesetzt dem Bösen und Lebensfeindlichen Widerstand entgegensetzt. Der Tonfall und die Sprache, deren sich das Evangelium bedient, stehen immer in krassem Gegensatz zu allem, was das Lebendige in seiner Entfaltung hemmen will. Das gilt sowohl von der Bosheit, die wir in den Erzählungen finden, als auch draußen in der Wirklichkeit.

Der amerikanische Autor John Steinbeck hat einen ganzen Roman über Kain und Abel geschrieben; dessen deutscher Titel ist „Jenseits von Eden". Er handelt von zwei Brüdern mit Namen Aron und Cal. Wir können schon hören, dass ihre Namen mit denen Kains und Abels verwandt sind. Cal oder Kain. Aber Cal steht auch für Kalifornien, wo die Geschichte spielt.

An einer Stelle des Romans reflektiert Steinbeck über das Gute und das Böse, und er kommt zu dem Schluss, dass sich das Böse immer erneuern muss, wohingegen das Gute immer dasselbe bleibt:

„Wir haben nur eine Geschichte. Alle Romane, alle Gedichte bauen auf dem nie entschiedenen Kampf in uns, dem Kampf zwischen Gut und Böse auf. Und es kommt mir der Gedanke, dass sich das Böse immer erneuern muss, während das Gute, die Tugend, unsterblich ist. Das Laster hat immer ein neues Angesicht, während die Tugend ehrwürdig ist wie nichts sonst in der Welt."

So weit Steinbeck.

Hierin hat es seinen Grund, dass wir jedes Mal, wenn wir die Verkündigung hören, an Gottes Liebe erinnert werden. Hier wird uns erzählt, was wir uns nicht selbst sagen können, wir werden entlarvt, aber wir finden auch Vergebung. Selbst in unserer Bosheit werden wir entlarvt. Auch in der Bosheit, die wir als Güte einpacken und verbergen.

 

Kain bin ich und Judas bin ich,

im tiefen Grunde der Seele; -

am besten schlage ich meine Bibel auf,

das hilft gegen das Böse.

 

Wir wollen darum die Bibel aufschlagen. Grundtvig konnte dasselbe sagen. Aber er wollte an die Stelle der Bibel die Kirche setzen. Wenn wir die Kirche aufschließen, schließen wir das Böse aus. In diesem Zusammenhang macht es nachdenklich, dass einige Pröpste in Dänemark geradezu mehr als bereit sind, Kirchen zu schließen. Sie sind auch bereit, Kirchen zu allen möglichen und unmöglichen Zwecken zu verwenden. Von Fitness bis Wellness. Offenbar ist das die neue Religion. Die Theologie des Körpers. Ob sie das Böse auf Abstand halten kann? Ich habe meine Zweifel.

Lasst uns stattdessen Kirchen aufmachen. Durch Lieder, Bekenntnisse und Rituale leisten wir dem Bösen nämlich Widerstand. Einmal wöchentlich führen wir geradezu ein kultisches und kosmisches Drama auf, das mit dem Leben als Einsatz allem entsagt, was nicht die Liebe und das Lebendige fördert.

- Hier hören wir die Erzählung von Gottes Sohn, der die Finsternis des Grabes sprengt, auf dass der Tod nicht das menschliche Tun und Treiben zerstört;

- hier essen wir sein Fleisch und trinken wir sein Blut, lassen wir seinen Leib unserem Leib Stärke und Mut sein;

- hier taufen wir die kleinen Kinder, um sie wiedergeboren werden zu lassen im Namen des Herrn und unter seinem Schutz;

- hier trauen wir die Glücklichen in einer Liebe, die alles duldet und alles erträgt - sogar eine Scheidung;

- hier beerdigen wir unsere Verstorbenen in der Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben;

- hier werden wir nicht durch die Medaillen gerechtfertigt, die wir uns an die Brust hängen können, ebenso wenig wie wir verdammt sind durch das Hemd, das uns kaum gehört.

- hier glauben wir daran: wenn das Glück auch kurz und man selbst keineswegs vollkommen ist, so ist es doch das ganze Leben wert.

Der dänische Dichter Nis Petersen hat ein Gedicht mit dem Titel Kain geschrieben. Damit wollen wir schließen:

 

Kain -

du, der du reiner bist als ich,

gib mir deine Hand hier in der Finsternis,

wo niemand es sehen kann,

und sag, du verstehst.

 

Riecht es säuerlich?

Nur Blut, Kain, von Menschen

geschaffen, wie du weißt in SEINEM Namen,

aber von Geburt an bestimmt,

in Scherben zu zerfallen.

 

Verweiger' es mir nicht -

du, der du gejagt bist wie ich

- der gemordet hat wie ich,

und der wie ich Striemen trägt

von der Peitsche der Reue.

 

Kain!

Erinnerst du dich Abels?

Weißt du, dass Abel, dein Bruder,

bekannt geworden ist

im wortlosen Zeichen der Fische?

 

Und wurde ermordet wiederum

- und wird ermordet wiederum

an einem wackelnden Kreuz

an jedem Tag, den Gott werden lässt,

im lieben langen Jahr.

 

Denn wir lieben ihn, Kain,

- und wir krönten sein Haupt mit Dornen

- und durchbohren seine Hände

- zertrümmern seine Arme und Schenkel.

 

Doch empörtest du dich,

und dein Hass war so rot

wie das lodernde Feuer,

woher Abels Rauch stieg zu Gott.

 

Aber wir -

Kain - du bist besser als wir -

und ich verberge mein Gesicht im Dunkel

vor bebender Scham

und strecke nur die Hand aus.

 

Jawohl - sie ist klebrig von Blut

von Brüdern, die in Scherben fielen

- aber gib mir dennoch, Kain,

ehe ich dem Tag entgegengehe

- gib mir deine Hand hier im Dunkel,

wo niemand es sehen kann,

und sage, du verstehst.

Amen

 



Pastor Anders Kjærsig
DK-5792 Årslev
E-Mail: ankj@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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