Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 08.07.2007

Predigt zu Lukas 5:1-11, verfasst von Johannes Værge

Was geschieht hier eigentlich mit Simon, dem Fischer, den wir später als den Jünger Petrus kennenlernen? Er fiel auf die Knie und nannte sich einen Sünder, das klingt fromm und schön und kontrolliert - aber es war keineswegs von einem kontrollierten Frömmigkeitsgestus die Rede. Nein, es war stark, übermächtig, was da mit ihm geschah; es warf ihn um. Wie da steht: "Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle die, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten." Schrecken. Daher auch sein Worte: "Herr, gehe weg von mir!" Hier war etwas im Schwange, etwas womit er nichts zu tun haben konnte.

             Es war m.a.W. etwas ganz Anderes geschehen, eine ganz andere Ordnung, als wenn die Fischer nach ihrer Arbeit auf dem See freudig zueinander sagen konnten: Das war aber ein ordentlicher Fang heute! Ja, auch wenn es ein Tag gewesen wäre, an dem sie nachher hätten sagen können: So viel haben wir noch nie gefangen - vielleicht sogar: Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem ganzen Leben bei einem so großen Fang dabeigewesen zu sein! - selbst wenn es ein Tag gewesen wäre, an dem man so hätte reden können, wäre es völlig anders gewesen. Es hätte dann eine Stimmung großer Zufriedenheit geherrscht, eine Stimmung fachlichen Stolzes, alles ganz richtig gemacht zu haben, sicher auch eines Bewusstseins, dass so etwas auch eine Portion Glück verlangt. Aber von Erschütterung, von Schrecken wäre nicht die Rede gewesen. Es wäre nicht etwas gewesen, wovon man sich hätte weghalten müssen. Im Gegenteil: man hätte sich sicherlich eine Wiederholung gewünscht: einen großen Fang, der aus ein bisschen Glück und dem Sachverstand entstanden war, wo und wie die Netze auszuwerfen waren, überhaupt Fischertalent und -geschick.

             Aber dieser Fang - das war ein Fang, dessen sich kein Mensch auch nur im Geringsten hätte rühmen können. Hier war ein Geschehnis aus den Angeln geraten, nichts Alltägliches und Handliches war mehr übrig. Dazu war das Ereignis allzu übermächtig, ekstatisch und explosiv. Riesige Schleusen hatten sich geöffnet, die Tiefe hatte explosiv so viel von sich gegeben, dass menschliches Denken es nicht für möglich gehalten hätte.

             Zu anderen Zeiten würde unser Verständnis von Simons Reaktion, sein Erschrecken, anders unmittelbar sein, als sie es für uns ist. In unserer Zivilisation haben wir einen anderen Abstand zur Natur gewonnen, wir leben respektlos gegenüber der Natur, und überhaupt leben wir auf so mancherlei Weise grenzen-los: Was können wir Menschen denn nicht bewältigen? Das Gegebene ist nicht gegeben. Nahezu alles lässt sich verändern; unsere Wirklichkeit ist in hohem Maße von Menschen geschaffen und ohne Grenzen. M.a.W.: die Vergöttlichung des Menschen, denn das Grenzenlose ist die Domäne des Göttlichen.

             In anderen Zeitaltern erlebte man die Welt anders. Der Mensch war auf andere Weise ausgesetzt, als wir es uns in unserer gewöhnlichen Blasiertheit einbilden.

             Woher kommt solch ein Ereignis wie das auf dem See Genezareth? Wenn wir nun Zeugen eines solchen Erlebnisses wären, würden wir dann nur blasiert mit den Achseln zucken? Nicht einmal das konnten sie - und vielleicht waren sie keine Spur dummer als wir.

             Die Frage musste sein: War das Zauberei, dämonisches Blendwerk? Oder war es der heilige Gott? Unter allen Umständen war es etwas ohne Grenze und ohne Maß, nichts für einen begrenzten Menschen; der musste sich davon weghalten. "Geh weg von mir!"

             Es war der Zimmermannssohn aus Nazareth, der frühmorgens am Ufer des großen See Genezareth aufgetaucht war. Mehrere Leute waren aus verschiedenen Gegenden zusammengeströmt, eine Schar von Leuten hatte sich um ihn versammelt, es gab ein Gedränge. Er konnte dann einen der Fischer, eben Simon, dazu bewegen, sein Boot vom Ufer abzustoßen; wenn er nun von da zu der versammelten Schar sprechen würde, würden sie ihn hören können. Die Fischer, die die ganze Nacht draußen gewesen waren, waren müde und brachten ihre Netze in Ordnung: sie hörten vielleicht nur mit halbem Ohr zu. Und da geschah es dann, dass Jesus zu Simon sagte: "Fahre hinaus, wo es tief ist!"

             Aber wozu sollte das gut sein? "Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen" - warum sollte es jetzt besser gehen, müde wie sie waren, und - wie alle Fischererfahrung besagt - zu einem völlig verkehrten Zeitpunkt die Netze auszuwerfen? Aber irgendetwas, was mit Vernunft nichts zu tun hatte, bewegte sie denn doch dazu, noch einmal mit den Booten hinauszufahren. "Dorthin, wo es tief ist" - ja, dorthin waren sie gekommen, das zeigt sich nun: Wirklich da, wo es tief ist. Auch als sie erschüttert wieder an Land gekommen waren: sie waren immer noch dort, wo es tief ist, sie waren erschüttert. Der Abgrund. "Geh weg von mir!"

             Eine Begegnung mit dem Heiligsten. Dort, wo keine Wahrscheinlichkeit herrscht, und keine Harmonie zwischen Arbeitseinsatz und Belohnung. Keine Möglichkeit, dem zu entsprechen, was gegeben wurde. "Geh weg von mir!" Hier ist Abstand vonnöten.

             Aber die Antwort an Simon war das Gegenteil: Du sollst nicht im Abstand von diesem explosiv Freigebigen sein. Du sollst mit dabei sein. Gott ist der überwältigende Schöpfer, der aus der Tiefe Gaben für dich ruft. Nimm sie, gib sie weiter.

             Du sollst mit dabei sein.

             Ja, welcher Mensch kann Gott entsprechen? - Als erste Lesung haben wir heute den Bericht in Jesajas Buch über Jesajas Berufung zum Propheten gehört. Das Ereignis fand in all seiner ekstatischen Merkwürdigkeit im Tempel in Jerusalem statt, ging daraus hervor. Jesaja hat eine Vision, wo das, was in angemessenem Abstand in der himmlischen, unsichtbaren Welt sein sollte, ihm plötzlich im Tempel erscheint. In einem gewaltigen Ruck ist Gott, der Unbegreifliche, aus der Unzugänglichkeit des Himmels vor einen Menschen hingetreten - die Vision von Gott dem Herrn auf einem hoch erhabenen Thron, mit einem Saum, der den ganzen Tempel füllte. Serafim, Himmelsgestalten, deren Flügel zugleich zur Bewegung und zur Verdeckung dienen, umringten Gott auf dem Thron, und der Gesang erscholl von ihnen: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Herrlichkeit voll." Und mit dem Wort Herrlichkeit ist die heilige, lichtvolle Macht gemeint, die vom Angesicht des Heiligen Gottes strahlt, das Lebenslicht hinter dem Licht in der Welt, und die Schwellen bebten, als das Haus eine Zeitlang all diese überwältigende Überirdischheit in sich bergen sollte, und der Tempel war voller Rauch.

             Eine ekstatische Erfahrung, erschütternd - und der Rauch wohl der Schonung wegen, ein notwendiger Schleier, damit das Licht nicht zu direkt schien, hier, wo das, was ein Mensch nicht fassen kann, vor einem begrenzten Menschen hintrat. "Weh mir, ich vergehe", ruft Jesaja erschüttert, ja voller Angst.

             Aber dann erhielt er himmlische Hilfe, wie wir gehört haben: Einer der Serafim flog zu ihm mit einem Stück glühender Kohle vom Altar des Tempels, berührte Jesajas Mund damit, eine Reinigung, wie Feuer reinigt - und damit ist er dienstbar gemacht, kann er gesandt werden, kann Gottes Bote sein, besondere Worten sagen. - In der Zwischenzeit hat sich die ekstatische Erscheinung aus dem Tempel wieder entfernt, so müssen wir es verstehen - und gab es überhaupt andere als Jesaja, die sie gesehen haben, andere als ihn, der sie nötig hatte? Nun ist das übrig, was alle sehen können. Übrig sind Worte. Botschaften, mit denen man hinausgehen kann, geboren aus dem Licht hinter dem Licht. Übrig sind Worte.

            

"Am Anfang war das Wort," heißt es in einem anderen Zusammenhang. Das Wort, das das Licht hinter dem Licht enthielt, das alles in Bewegung gebracht hat, die Tiefe und Bestimmung in allen Dingen. "Am Anfang war das Wort." Und jetzt - in besonderen Worten wird das Ursprüngliche gespiegelt, kommt neuer Anfang, neue Öffnung und Anknüpfung an die Schöpfung aller Dinge in der Tiefe. Was in der Tiefe verborgen ist, wird hervorgerufen. Erneuernd. Die Bestimmung. Gaben von der Tiefe.

             So kann Gott bei ausgewählten Gelegenheiten das, was wir als die Wirklichkeit verstehen, aus den Angeln gehen lassen, eine neue Wirklichkeitsöffnung hervorbringen, Menschen berufen, eine Bewegung in Gang setzen. Nicht jedesmal auf dieselbe Art und Weise - Abraham, Mose, Jesaja, diese alttestamentlichen Giganten machten Erfahrungen mit Feuer und Licht aus einer anderen Welt, jeweils auf verschiedene Weise. In der Weihnachtsnacht - als die Fülle der Zeit gekommen war - wiederum auf eine neue Art und Weise: die Herrlichkeit des Herrn leuchtete über den Hirten, Erschütterung, aber "Fürchtet euch nicht!" Und der Ostermorgen, der Morgen der Auferstehung: Das Licht, das Gott Jesus anvertraut hatte und in ihm hatte leuchten lassen, das Licht, das Glaube, Hoffnung und Liebe hervorleuchten ließ, das Licht wälzte den Stein vom Grab und öffnete die Tür, und für die erschütterten Zeugen des leeren Grabes erklangen die Worte: "Fürchtet euch nicht!" - jetzt können wir das Muster wiedererkennen! Und zurück in den Tagen, als Jesus mit seinen Jüngern umherzog: die Lichtwirkung in seinen Worten in der Begegnung mit Menschen, enthüllend, aufrichtend, auf irgendeine Weise Bewegung wendend - auch der frühe Tag am See, wo es für Simon explodierte und für die, die bei ihm waren, die Fischer, die so zu den ersten Jüngern Jesu wurden, zu Jüngern des WORTES, neuen Wort-Führern: Simon Petrus, Jakobus, Johannes. Einbezogen in die Gemeinschaft mit Gott in seinem Wort, Verbindung zu dem Wirklichkeitspunkt, wo alle Dinge geschaffen und erneuert und vereint werden sollen.

             "Geh weg!" ist Petrus' Reaktion. "Kommt, fürchtet euch nicht!" ist die Antwort. In das Licht, in neue Bewegung gebracht, verbunden mit der Schöpfung und Bestimmung aller Dinge. Eine Berührung von Gottes verborgener Welt, aber "furchtet euch nicht", eine Berührung, geboren aus heiliger Liebe - ein barmherziger Wink, dass große Gaben für dich in der Tiefe verborgen sind, Worte verbinden dich mit ihnen. Nimm sie zu dir, die Worte und die Gaben - und gib sie weiter.

Amen



Pastor Johannes Værge
Hellerup, Dänemark
E-Mail: johs.v@mail.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

Text der dänischen Perikopenordnung


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