Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 04.03.2012

Predigt zu Markus 9:14-29, verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Liebe Gemeinde! Alles ist möglich für den, der glaubt!

               Das hört sich fast so an wie die Rede Obamas nach seinem Wahlsieg, wo das Schlagwort war: „Yes, we can!" - Ja, wir können es!

               „Das amerikanische Credo" nennt Obama die Worte und erinnert an Amerika als das Land, in dem alles möglich ist - d.h. alles, was das Volk will und wofür es sich stark macht.

               Das ist positives Denken mit großer Kraft: Wolle es, glaube daran, dann gelingt es!

               Die meisten Menschen haben den Versuch gemacht. Die meisten Kinder versuchen im Kleinen und insgeheim, auf Wasserpfützen oder kleinen Bächen zu gehen oder zu fliegen - nur so ein kleines bisschen. Mit einem gewissen Vertrauen auf die Worte: wenn du stark genug daran glaubst, dann kannst du es auch.

               Auf etwas ernsthaftere Weise hast du vielleicht selbst aus tiefem Herzen und tiefer Not für jemanden gebetet oder darum, dass etwas bestimmtes geschehen möge oder gerade nicht geschehen möge. Manche haben erlebt, dass es genützt hat; andere haben erfahren, dass es überhaupt nichts geholfen hat. Von Herzen um Hilfe bitten und dann erleben, dass man nicht gehört, geschweige denn erhört wird, verletzt das Vertrauen.

               Das gilt ungeachtet, ob wir Gott oder Menschen um Hilfe bitten. Es schmerzt, wenn wir das Gefühl haben, nicht gehört zu werden, es schmerzt so sehr, dass wir uns gern Sicherheit schaffen wollen, und deshalb steht in den allermeisten Fällen nicht sehr viel auf dem Spiel, wenn wir jemanden um etwas bitten. Indem wir um nichts anderes bitten als um das, was wir zur Not auch entbehren oder verlieren könnten - oder was wir uns einfach auch auf andere, vielleicht ein wenig mühsamere Weise verschaffen könnten, sichern wir uns gegen den möglichen Schmerz der Ablehnung.

               Vielleicht glauben wir, wir hätten etwas gelernt, was besser wirkt als ein Gebet. Man sagt ja auch, Frauen verstünden am besten die Kunst der Manipulation, - nämlich Andere nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, ohne dass sie etwas davon merken würden. Kinder machen das anders: Sie quengeln und quengeln, sie argumentieren ununterbrochen und lassen keine Ruhe, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass die Erwachsenen mit der Zeit nachgeben. Vielleicht auch nur, weil  das ewige Gequengel ihnen lästig wird.

 

Der Vater des kranken Kindes versucht mit seiner Bitte, die aus tiefstem Herzen voller Liebe und Angst kommt, zu manipulieren. Er manipuliert mit seinem Wort „wenn du kannst". Das heißt anders gesagt: „Zeige, dass du es kannst!"

               Dann sagt er schon kleinlaut geworden: Hilf mir, mach Unglauben zum Glauben, wenn das dazu nötig ist! Nenne mich einen Ungläubigen, wenn du meinst - aber hilf mir!

               Dieser Vater befindet sich in einer Lage, in der Menschen alles Mögliche tun wollen - und es auch tun!

               Man kann das wohl ein wenig anstößig finden. Steht der Sohn Gottes nicht hier und zögert mit seiner Hilfe?

               Der Vater des kranken Kindes bittet, was alle Menschen tun, wenn wirklich etwas auf dem Spiel steht. Man vergisst seinen Stolz; Menschen flehen und betteln, so dass Berge nachgeben und sich bewegen. Wir können es sehr wohl. Wir tun es aus Liebe ganz offen, hingebungsvoll und ganz ohne Heuchelei. Wir wagen es, weil wir es mit einer gewissen Zuversicht tun, im Vertrauen darauf, dass die Liebe groß genug ist, uns anzunehmen. Wir wagen uns in den Sturm aus Zuversicht, und wir lassen uns in die Arme und in den Willen und die Macht eines Anderen fallen. Dieses Vertrauen ist in Wirklichkeit das ganze Wesen der Liebe.

               Glaube, Vertrauen, Liebe haben dasselbe Wesen. Wir können über es nicht herrschen. Wir können genauso wenig beschließen zu glauben, wie wir etwa beschließen können, uns zu verlieben oder verliebt zu sein. So etwas kommt über uns. Es geschieht einfach. Es trifft uns.

               Das bedeutet nicht, dass es ein völlig willkürliches Gefühl wäre, auf das wir keinen Einfluss hätten. Wir können Vertrauen zeigen, und wir können liebevoll handeln, auch ohne dass wir dabei tiefere Gefühle hätten. Es läuft auf dasselbe hinaus, sonst sähe es übel aus in der Welt.

               Im Grunde können wir uns nicht einfach nur anstrengen zu glauben. Der Glaube kommt von dem, was gehört wird; von dem, was erfahren wird, was erlebt wird. Vertrauen auf Gott kommt davon, dass man sieht und merkt, wer er ist. Dass man mit der ewig notwendigen Wiederholung der Liebe hört, dass Gott uns will. Gott sagt „Ja!".

 

               Ich weiß nicht, wie es Euch geht. Jedes Jahr, wenn die ersten wirklichen Zeichen des Frühlings auftauchen, Schneeglöckchen, Winterling erblühen, wenn die Zugvögel kommen und die Lerchengen singen; wenn die Sonne nicht nur die Erde erwärmt, sondern mit ihrer Wärme auch in meine Seele dringt, dann bekomme ich meinen eigenen Unglauben,  Nicht-glauben zu fühlen. Mit großer Verwunderung wird mir klar, wie hart der Winter mich gepackt hat und wie alle Erwartung in weite Ferne gerückt ist. Ich merke körperlich, was es heißt, dass Hoffnung und Freude mehrfach wiederholt werden müssen, ehe ich ihnen wirklich in mir Raum gebe.

               Daraus habe ich ein etwas sonderbares Motto gelernt: Man soll weder seine Knie noch seine Mitmenschen schonen!

               Es geht um Gebet. Aus des Herzens innerster Sehnsucht, tiefstem Mangel, größter Furcht und größter Hoffnung offen zu sprechen, ist ganz und gar nicht sicher.

               Runter auf die Knie, körperlich oder geistig - da ist man dann klein genug, die Dinge so zu sagen, wie sie sind, - und zu empfangen.

               „Man soll weder seine Knie noch seine Mitmenschen schonen!" Das gilt auch im Verhältnis zu Anderen. Wir sollen es können und wagen, um Hilfe zu bitten. So werden wir auch den Bitten Anderer besser Gehör schenken können. 

               Nicht ohne Grund muß man sich oft niederbeugen, um schwachen Menschen zu helfen, denen, die niederliegen, den Alten, den Kranken und den Kindern. Alle wirkliche Hilfe beginnt wie ein Gebet und eine Bitte: man macht sich klein. Herr, hilf mir!

               Denn Gott kann; es ist nicht unser Glaube, nicht unser Ritual, nicht unsere Leistung, die etwas vermögen. Darum ist es von allergrößter Bedeutung, was für ein Gott es ist, der uns begegnet, vor dem wir stehen, wenn wir beten.

 

               Wer den Film des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman „Fanny und Alexander" gehen hat, sieht vielleicht Arons große Puppe vor sich. Die zornige Gott-Puppe in Übergröße, die augenblicklich leblos in sich zusammensinkt, wenn man die Fäden loslässt.

               Das Bild des zornigen, rachgierigen Gottes können und müssen wir aufgeben - denn er ist ein Bild, das unsere Furcht gemalt hat und uns vor Augen stellt.

               Zu Tode erschrocken, sagt man, wenn jemand von Furcht ergriffen ist, die uns die Sinne raubt, so dass wir weder sehen noch hören können und alles vergessen, was wir in Wirklichkeit wissen und wozu wir doch unsere klugen Köpfe gebrauchen können.

               Aber verschreckt, wie Menschen ja sind und werden, wenn Leid und Tod ihr Spiel treiben, sind Menschen wirklich der Versuchung ausgesetzt, dem Blendwerk zu verfallen und den Versuch zu unternehmen, die furchtbare Gottespuppe zu besänftigen. Wenn uns ein Unglück oder eine Krankheit heimsucht, liegt der Gedanke nahe, dass Gott mir zürnt und ich schuld daran bin, - weil ich nicht genug geglaubt habe, nicht genug getan habe. So gesehen läge es trotz allem auch ein wenig in meiner Macht, obschon ich nichts vermag.

               Das stimmt nicht, und es passt auch nicht zu dem Bild von Gott, das Jesus uns zeigt. In Jesus sehen wir eine Liebe, die von Anfang bis Ende auf der Macht und dem Vorrang des Guten besteht. Das ist eine ganz andere Art des Gehorsams, die sich zuversichtlich hingibt. Ein Gehorsam, der sich Gottes Liebe hingibt, der Liebe, die durch alles trägt, was Jesus sagt und tut. Auch in seinem Leiden und in seinem Tod.

               Diese Liebe gibt sich selbst hin in dem Vertrauen, dass Gott den Sieg des Guten garantiert - auch mitten im Leid und im blinden Tod. Das ist alles andere als besinnungsloses Tun. Es heißt, aufmerksam und beharrlich Gottes Meinung zu sehen, zu hören und zu sagen und damit dem Leiden und dem Tod direkt zu widersprechen.

               Jesus besteht darauf, sich Gott hinzugeben. Die Fastenzeit ist eine Zeit der Übung im Gebet, sie hält uns das wahre Bild Gottes vor Augen, sie vertieft sich in Jesus, der das sichtbare Bild seines Wesens ist. Wir wollen die Zuversicht unsere Sinne reinigen lassen, so dass wir Gott recht sehen, Wahrheit über das Wesen der Liebe hören und die Ohnmacht nicht fürchten. Wo wir keinerlei Macht haben, hat Gott alle Möglichkeiten in seiner Hand.

               Liebe Gemeinde! Alles ist möglich für den, der zu beten wagt!

Amen

 



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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