Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 08.07.2007

Predigt zu Lukas 14:25-33, verfasst von Henning Kiene

Es ging eine große Menge mit Jesus; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen? damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausfahren, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausfahren. Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein."


Liebe Gemeinde,

„Jedes Gramm zusätzliches Gewicht zählt", scheint die Pfadfinderin gerade zu denken. Sie kniet vor Ihrem Rucksack. Packt ein, packt wieder aus. Sie wiegt die Dinge in der Hand und betrachtet sie nachdenklich. In wenigen Tagen beginnt das Pfadfinderlager. Es wirkt so, als würde sie abwägen „was ist so wichtig, dass es mit muss, was bleibt hier?" Der Fotoapparat bleibt zu Hause. Das Handy auch. Das kleine Liederheft kommt mit. Das schwere Gesangbuch mit den Noten bleibt im Regal. Alles wird in den Händen gewogen und dann entschieden.

Wer alles, was er benötigt, mittragen muss, weiß, dass jedes überflüssige Gramm einem die Kräfte rauben kann. Pfadfinder wissen, die Last, die man nicht tragen muss, macht einen frei. Das gilt auch für jeder Fernreise, ebenso für den Berg- und beim Nordseeurlaub wie auch bei der kurzen Tagestour: Nur wer überflüssige Last reduziert, behält Kraft für den Weg und vervielfacht die Möglichkeit mit wachem Verstand etwas zu erleben. Mit leichtem Gepäck auf die Reise zu gehen und mit viel Erlebtem zurück zu kehren, das ist für die Ferienzeit die beste Chance. Doch diese Regel stimmt für das ganze Leben. Verringerte Last macht Leib, Seele und Geist frei.

Der Blick auf den ungepackten Rucksack und das eigene Urlaubsgepäck zeigen, was Jesus meint. Der Ferienaufbruch übt - ungewollt oder gewollt - in den Glauben ein. Jeder weiß, reduzierte Last schafft Raum für neue Erlebnisse. So auch im Glauben, wer Vertrautes und Überflüssiges loslässt, wird mit seinem Glauben an Jesus Christus mehr erleben.

Frage:
Brauchst du deine Playstation wirklich?
Bist du so wichtig, dass du täglich erreichbar sein musst?
Ist das Handy, der Rechner, das Abrufen des E-Mail Kontos unverzichtbar?
Ist ICQ die Welt, in der ich satt werde und mich geliebt weiß?
Sind die Beziehungen, in denen ich lebe und arbeite wirklich echt?
Brauche ich morgens die frische Tageszeitung, den Skandal, die Meldung des politischen Wasserstandes?
Müssen es eigentlich immer dicke Mauern sein, die mich schützen, tut es die dünne Zeltwand eines Pfadfinderzeltes nicht auch?
Wovon muss ich mich lösen, um in einem tieferen Sinn sinnvoll leben zu können?

Die Antwort lautet: „Ich kann auf vieles, was mir wichtig zu sein scheint, verzichten!" Es gibt Dinge, materielle Werte aber auch Bindungen zu Menschen, die entziehen einem mehr Kräfte als einem zuwachsen können. Das ist wie beim Packen des Rucksacks. Da muss man sorgsam auf jedes Gramm achten, das man sich auflädt. Ballast abwerfen öffnet den Zugang zu neuen Erfahrungen. Auch die Pfadfinder wissen, Weniger ist oft mehr.

In den meisten Menschen schlummert der Traum Ballast zu reduzieren, sich Wesentlichem zuzuwenden. Ich behaupte, dass Jesus diesen Traum ins Leben gerufen hat und ihn nachts und tagsüber unter unsere Gedanken mischt. Der Glaube an Jesus Christus sucht eine innere und äußere Vereinfachung des Lebens zu erreichen. Durch Verzicht wird für Jesus Christus Raum frei geräumt, den er, Jesus Christus selber erfüllen wird. Wenn wir uns, sei es auch nur vorübergehend, von der Besitz- und Spaßgesellschaft verabschieden und uns einem Leben, das von der Suche nach einer gelingenden Zukunft bestimmt ist, zuwenden, dann ist auch nach dem Beitrag der Religion gefragt. Da sagt Jesus Christus „lossagen" doch dieses Wort steht für Zugewinn durch die Reduktion auf das Wesentliche. Das kann man in der Ferienzeit einüben. Es ist zwar nur eine ganz kleine Flamme auf der wir den Glauben kochen, ganz, ganz klein, aber ein Anfang zu beginnen.

Auch wenn es gelegentlich auch so wirkt, als sei in unserer Kirche, von Jesu Forderung nur der Traum Ballast abzulegen, geblieben, so hat sich dieser Traum doch tief im Hinterkopf abgelagert. Er zeigt einem Bilder, auf denen ein anderes, ein wichtigeres Leben erscheint, als das Leben, das ich führe. Dichter an der Schöpfung, unmittelbarer mit Menschen, freier, freundlicher, treuer, Gott näher und uneigennütziger geplant. So ein Traum erfüllt nach und nach den wachen Verstand. Der Verstand unterstützt dann immer stärker das rationale Kalkül, das einem die Hand führt. Denn jede und jeder von uns weiß, wer seine Firma oder sein Leben, wer seinen Glauben oder auch seine Ehe, wer seine Familie und wer sich selber sanieren will, muss eine Revision einleiten und wird manches ablegen müssen, das ihm zur Gewohnheit geworden ist, aber doch bremst. Es könnte sein, dass Jesu Wort vom Verzicht in den Wochen der Sommerferien zu neuem Leben erwacht und uns erfüllt.

In diesen Tagen vor den großen Ferien scheint der Weg von dem ersten kleinen Traum zum Reich Gottes ganz kurz zu werden. Wer Gott erleben will, sollte die Pfadfinderin beim Einpacken des Rucksacks vor Augen haben.

Ich sehe auch wie ich vor unserem Kofferraum stehe und das Gepäck für die Reise reduziere. „Der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein." Der Satz brennt sich ein und will nicht wieder aus den Gedanken weichen. Radikaler kann man nicht sortieren, weder seine Sachen noch das eigene Leben. Doch für einige Zeit kann man es probieren. Mit Weniger zu recht zu kommen um mehr zu erleben.

In sechs Tagen beginnt auch bei uns die Ferienzeit. Nehmen wir das Bild von der Pfadfinderin und dem Rucksack mit in diese Woche, knien uns hin wie sie, gleichsam vor den Rucksack, als könnten wir unser Leben neu mit Lasten bepacken oder Lasten ablegen, und wägen ab. Es gibt viel Unwichtiges, es gibt Dinge, die brauchen wir überhaupt nicht. Es gibt auch viel Wichtigeres im Leben. Es ist Zeit, zu wägen, sich frei zu machen von dem all zu Schweren und so Raum für Wichtiges zu eröffnen.



Propst Henning Kiene
Meldorf
E-Mail: propst.kiene.kksd@kirnet.de

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