Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 25.03.2012

Predigt zu Lukas 1:46-55 , verfasst von Eva Tøjner Götke

 

Der Engel kommt zu Maria und beruft sie, die Mutter Jesu zu werden, und sie stimmt einen Lobgesang an.

Eine schöne Geschichte!

Die Geschichte von der Berufung und Erwählung einer jungen, unverheirateten Frau, ohne Ausbildung aus dem Randgebiet von Nazareth, die den Sohn des Höchsten unter ihrem Herzen tragen und ihn gebären und dem Jungen Freiheit gewähren soll, der Bestimmung seines Lebens zu leben.

Die Geschichte ist fast zu schön, um wahr zu sein!

Heute klingen Erwählungsgeschichten etwas anders.

Viele junge Menschen ohne Ausbildung - besonders in den Randgebieten Dänemarks - leben in der konstanten Besorgnis, „abgewählt" zu werden und zu denen zu gehören, denen man auf die Schulter tippt. Nicht etwa, um ihnen zu sagen, dass sie die Zukunft mit gestalten sollen, sondern ganz im Gegenteil, um ihnen mitzuteilen: du kannst jetzt zusammenpacken und nach Hause gehen. Hier hast du deine Entlassung!

Diese Erwählten stimmen keinen Lobgesang an. Sie haben keinen Grund dazu.

Sie gehen eher nach Hause, machen den Fernseher an und verkriechen sich immer mehr in sich selbst. Es führt einen in eine große Krise, wenn er oder sie zu denen gezählt wird, die man nicht mehr braucht.

Man brennt aus. Man verliert die Kraft der Inspiration, den Sinn des Lebens.

Ihnen ist es nicht gegönnt, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Auch Pastoren können so etwas erleben - dass die Gemeinde ihn oder sie nicht mehr braucht. Über leere Kirchen liest man zur Zeit in den Zeitungen.

Die Artikel in den Zeitungen legen den Gedanken nahe, dass die alten Geschichten von Engeln und Lobgesang und Wundern und über jenen Mann am Kreuz, Jesus Christus, nicht mehr zeitgemäß sind. Wir brauchen sie nicht mehr.

Wir haben das tägliche Brot nötig, Geld für das teure Benzin, für Anzeigen in den Zeitungen, und wir brauchen Zeit, um sonntags mit unserer Familie zusammen zu sein.

Wir haben keine Verwendung für Sie - Herr Pastor - und alle Ihre Worte, die wir sowieso nicht verstehen.

Es ist, als würde einem als Pastor oder Pastorin auf die Schulter getippt: du kannst deinen Rechner einpacken und dein Pfarramtsbüro räumen und ins wirkliche Leben hinausgehen.

Oder geschieht es in beiderlei Richtung? Sind es die Kirche und ihre Beschäftigten, einschließlich der Pastoren, die zu erkennen geben, dass sie keine Gemeinde brauchen, indem sie sie nicht rufen?  Selbstbewusst heißt es: „Mögen die Leute die Verkündigung des reinen Evangeliums  nicht, dann ist es auch am besten für sie, wenn sie wegbleiben."

Das Dogma lautet: „Hier in die Kirche muss man in Freiheit kommen."

Und so eine Lehre kann sehr schnell dazu führen, dass keine Berufung, kein persönliches Ansprechen  stattfindet, dass sich niemand mehr persönlich an den Pastoren wendet. So eine Lehre kann nämlich als Verletzung einer Grenze und als Einschüchterung aufgefasst werden.

Ich habe eine Freundin, die in der ehemaligen DDR gelebt hat, die also ohne Christentum und Taufe aufgewachsen ist. Sie hat mir von einem Ereignis erzählt, das mich sehr beeindruckt hat. Sie saß einmal mit einigen Freundinnen auf einer Bank in einer Kirche, und  sie genossen den Kirchenraum, schauten zum Altar hin und auf den, der dort am Kreuz hängt. Und sie wunderten sich über diese ganze Welt.

Da kam ein Pastor den Mittelgang entlang, grüßte freundlich die jungen Mädchen, die dort saßen und all die Herrlichkeit in sich aufnahmen, die sie sehen konnten, - und dann ging er wortlos an ihnen vorbei.

Und an dieser Stelle sagte meine Freundin: Er ging einfach vorbei! Er hätte sich auf ein Gespräch mit uns einlassen können, uns mögen können, uns rufen können. Ich hätte mich auf der Stelle taufen lassen können!

Meine Freundin war enttäuscht, und sie hatte das Gefühl, dass der Pastor in dieser Situation seine Welt nicht mit ihnen teilen wollte. Es war, wie wenn man für sie keine Verwendung gehabt hätte.

Die Erzählung meiner Freundin hat großen Eindruck auf mich gemacht. Sie veranlasst mich zu der Frage, ob die Kirche und das ganze kirchliche Milieu sich selbst genug geworden ist - wenn sie auf der sogenannten Freiheit besteht?

Haben wir die Freude vergessen, die darin liegen kann, dass man gerufen wird?

Die Freude, die der Maria das Lied in den Mund legt?

Ihre Überraschung darüber, dass sie, ein ganz gewöhnliches Mädchen aus Nazareth, zu etwas nütze sein und ein Teil der großen Geschichte Gottes sein kann.

Haben wir vergessen, dass alles mit einer Berufung begann, wie derjenigen Berufung, die die Jünger ihr Netz aus der Hand legen ließ, als Jesus sie rief, sie persönlich und mit Namen rief?

Kann die Geschichte von Maria, die ein Lied anstimmt, weil sie gerufen worden ist, den eigentlichen Kern des Evangeliums in uns lebendig werden lassen? Die Freude darüber, dass sie sich erwählt fühlt, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein?

Und uns Mut machen, einander zu rufen und damit von dem auszuteilen, was uns selbst etwas bedeutet, und Andere in die Gemeinschaft einzubeziehen, die über gegenseitige Unterschiede hinausreicht? Und damit einander in dem Glauben bestärken, dass wir alle gebraucht werden können als Träger der Gnade Gottes?

Vielleicht sollten wir sehr genau auf diese Geschichte hören und verstehen, dass sie uns etwas ganz Wichtiges über unser Leben sagt.

Sie gibt uns ein anderes Selbstverständnis als dasjenige, mit dem man uns in der Gesellschaft begegnet.

Dort kommt es darauf an, Anforderungen zu erfüllen, für das einzustehen, was wir sagen und tun, und es zu etwas zu bringen.

Diese Anforderungen, seinem eigenen Leben Wert und Sinn zu geben, haben zur Folge, dass viele Menschen sich Sorgen machen, ob sie denn auch das erreichen, was sie erreichen sollen.

Maria hat anfangs dieselbe Sorge, als der Engel ihr sagt, was ihr Schicksal sein wird.

Sie versteht nicht, wie das alles zusammenhängt und warum ausgerechnet sie ausersehen ist. Aber als sie hört, dass der Geist über sie kommen wird und dass es Gott ist, der sie ruft, da gibt sie sich hin und sagt die berühmten Worte: mir geschehe, wie du gesagt hast - und ihre Furcht wird zu einem Lied der Freude darüber, das ihr unerwartet eine Aufgabe anvertraut worden ist.

Sie kann „die Gnade" in ihrem Leben sehen.

Dazu soll das heutige Evangelium auch uns bringen.

Wir sollen „die Gnade" in unserem Leben sehen.

Hören und fühlen, wenn wir zum Gottesdienst eintreten, dass wir auserwählt und berufen sind, das Wort Frucht bringen zu lassen und ihm Leben zu geben, wenn wir von hier fortgehen - auch wenn wir zu denjenigen gehören, die in diesen Tagen ihre Entlassungspapiere bekommen und an ihrem Wert zweifeln.

Und wir sollen darauf vertrauen, dass nicht wir selbst es sind, die dem ganzen einen Sinn geben sollen, sondern dass wir das Lied uns die Worte in den Mund legen lassen zum Lobpreis Gottes.

Amen 



Pastorin Eva Tøjner Götke
DK-5230 Odense M.
E-Mail: etg@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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