Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 06.04.2012

Predigt zu Lukas 23:26-49, verfasst von Lasse Rødsgaard Lauesen

 

Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.

Liebe Gemeinde,


Sie standen um ihr Bett, das Zimmer war weiß, und das erste Morgenlicht
schien durchs Fenster herein. Er stand rechts, während seine beiden
Brüder auf der linken Seite standen. Es war still im Raum; nur den Atem
ihrer Mutter konnten sie hören. Alle wussten, dass es vielleicht ihr
letzter Atemzug war. 80 Jahre lang hatte sie geatmet; sie gerufen, wenn
sie zum Essen kommen sollten, und ihnen gesagt, dass sie sie liebte.
Wenn der Atem anhielt, hatten die drei nur noch einander, um über die
Vergangenheit zu sprechen. Jetzt war es schon länger her, dass sie das
letzte Mal etwas gehört hatte. Sie hob den Blick, nein, der Atem war
noch hörbar. Über dem Bett hing ein Kruzifix der alten Art, bei dem man
sich nicht erst ausdenken muss, wie Jesus ausgesehen hat, als er den
Geist aufgab. Sein Gesicht war von Leid gezeichnet, gleichsam im
Gegensatz zu dem friedlichen Tod im Zimmer, dessen sie Zeugen waren.
Wenn der letzte Atemzug zu hören war, wäre alles vorbei. Nichts würde
mehr so sein wie noch kurz vorher. Der Geist würde ihren Leib verlassen
und würde ihnen nie mehr sagen können, dass sie geliebt waren.

Nun, es war nicht so, dass sie sie in der letzten Zeit so oft besucht
hätten. Allein dass sie wussten, dass sie nur ein Telefonanruf weit weg
war, hatte so viel bedeutet. Sie war irgendwo dort draußen, wo er sie
allzeit erreichen konnte, aber bald würde sie dann nirgendwo mehr sein.
Sie beschlossen, ihre Hände in die ihren zu nehmen, denn jetzt musste
sie bald den Geist aufgeben. Sie mussten an die beiden Übeltäter denken,
die neben Jesus an den Kreuzen hingen, als sein Tod eintrat. Der eine
hatte ihn gelästert, und der andere hatte den Lästerer zurechtgewiesen.
Sie schrien einander an mit Jesus in ihrer Mitte. Sie hatten auch immer
ihre Mutter zwischen sich gehabt. Stritten sie sich, hatte sie für
Versöhnung zwischen ihnen gesorgt, denn sie liebte sie alle drei, und
weil sie sie liebte, wollte sie auch, dass sie einander liebten.

Genauso wie eine Mutter ihre Kinder liebt und sie deshalb miteinander
versöhnt, ist das Kreuz zwischen uns und dem, womit wir versöhnt werden
sollen. Zwischen uns ist das Kreuz, von dem her die Worte zu hören sind,
dass wir unseren Geist in seine Hände befehlen können. In seine Hände
können wir unseren Geist befehlen, wenn Menschenhände nichts mehr zu tun
vermögen. Auch auf den, den Menschenhände mit Recht als Verbrecher ans
Kreuz geschlagen haben, auf den, der selbst der Meinung war, er habe
seine Strafe verdient, sogar auf ihn sieht Jesus mit den Augen der
Liebe. Das vorletzte Wort aus dem Mund Jesu war: „Heute wirst du mit mir
im Paradies sein". Er trat zwischen den Übeltäter und Gottes Strafe und
verhieß ihm einen Platz im Paradies.

Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.

Gestern noch sprachen sie alle vier über das Paradies, denn ihre Mutter
hatte keine Angst vorm Sterben. Sie war sicher, dass etwas Gutes auf sie
wartete, vielleicht ein so ein schöner Garten wie der, den sie gepflegt
hatte, als sie noch Kinder waren, mit Osterglocken in dieser Jahreszeit.
Ein Garten, in dem sie ihrem Vater begegnen würden, den sie seit seinem
Tod vermisst hatten. Jedes Mal, wenn sie zuhause gewesen waren, hatte er
sie vom Regal herab angesehen, und sie konnten sehen, dass das Regal,
auf dem er stand, abgestaubt war. Jetzt würde sie zu ihm heimkehren,
denn das hatte ihr Jesus verheißen, wie er dem Übeltäter verheißen
hatte, dass er mit ins Paradies kommen würde. Jesu letzte Worte waren:
Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Und dann starb er, von
da an konnten sie nicht mehr zu ihm gehen, wenn sie etwas über Gott
wissen wollten. Er konnte ihnen nie mehr sagen, dass Gott wie ein Vater
war, der sie liebte, oder sein „Fürchtet euch nicht!", wie er es gesagt
hatte, als sie größte Angst hatten.

Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.

Sie hatten Jesus getötet, und der Vorhang im Allerheiligsten war
zerrissen. Wie die alten Propheten im Zorn ihre Kleider zerrissen und
sich in die Asche gesetzt hatten, so zerriss Gott jetzt den Vorhang im
Tempel, und Finsternis kam über die Erde. Jesus hatte seinen Geist in
die Hände Gottes befohlen, und jetzt sollte sich zeigen, ob Gott sein
Wort hielt und ihn von den Toten auferweckte. Niemand konnte verstehen,
dass er sterben sollte. Geschah es, um unsere Sünden zu sühnen, weil die
Sünde ihren Sold forderte? Oder starb er, um uns seine Liebe zu zeigen,
denn größere Liebe hat niemand als der, der sein Leben für seine Freunde
opfert? Mit all den Menschen, die er erlöst hatte - warum erlöste er
dann nicht sich selbst? Tot war er, mögen wir es nun verstehen oder
nicht. Die Jünger waren zu Hinterbliebenen geworden, ohne den Mut, ihm
weiter zu folgen als bis zum Kreuz. Und Gott hatte den Vorhang im Tempel
zerrissen, denn er hatte wie so viele Väter vor ihm seinen eigenen Sohn
sterben sehen. Ein dramatischer Tod, und er konnte plötzlich begreifen,
worum er Abraham gebeten hatte, als er Isaak opfern sollte. Er wusste
jetzt, was die drei Söhne empfanden, die bald ihre Mutter verlieren
würden. Vielleicht hat er deshalb Jesus auferweckt, weil er jetzt den
Verlust kannte, den wir Menschen nur allzu gut kennen.

Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.

Das weiße Laken hob und senkte sich noch einmal, und einen langen
Atemzug konnten sie alle hören. Sie sahen einander an. Nein, es kam kein
Atemzug mehr. Einer sagte: Jetzt ist es vorbei, und sie drückten ihr die
Augen zu, die niemals mehr liebevoll auf sie schauen sollten. Sie war in
ihrem Bett immer noch da, und doch war sie nicht da, und alles war
anders als noch vor kurzem. Denn in diesem Augenblick ging sie ins
Paradies, sie war nicht mehr bei ihnen. Es breitete sich ein Friede aus
im Zimmer, denn jetzt war sie nachhause zu Gott gekommen. Karfreitag kam
kein Friede, drei Tage wurde gewartet, ohne dass Jesus irgendwo auf der
Welt war. Die 33 Jahre, die er unter Menschen geweilt hatte, waren
bedeutungsvoll gewesen, weil er uns gezeigt hatte, dass Gott wie ein
liebevoller Vater ist, der sich unserer annimmt und uns wieder aufhilft,
wenn wir im Lebenzu Fall kommen. Gott war in ihm in Reichweite gewesen,
jetzt aber gab es keinen Ort, an den man sich wenden konnte, wenn jemand
nach Gott verlangte. Es stand nicht in der Macht der Jünger, etwas zu
tun; das einzige, was sie tun konnten, war, ihn vom Kreuz abzunehmen und
in sein Grab zu legen. All das Leben und alle die schönen Worte wurden
Karfreitag erschlagen. Der Leib war noch da, aber weg waren die
liebevollen Augen, die sie angeschaut hatten. Die Lippen, die einem
Übeltäter verheißen konnten, dass er ins Paradies kommen werde. Sein
Leib war uns Menschen anvertraut und getötet worden, so dass er seinen
Geist in die Hände seines himmlischen Vaters befehlen musste. Drei Tage
Wartezeit, drei Tage der Ungewissheit bis zum Ostermorgen. Würde Gott
sie im Zorn und als Rache für den Tod seines Sohnes wie den
Tempelvorhang zerreißen, oder würde er der Rache ein Ende machen und
sich mit den Menschen versöhnen? Der Tod kann in der Gestalt einer
Krankheit oder eines Unglücks kommen, aber er kann auch durch
Menschenhände verursacht sein.

Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.

Das müssen wir auch tun und darauf warten, was nach Karfreitag
geschieht. Denn Menschenhände vermögen nicht hinlänglich für das Leben
zu sorgen, nicht einmal für Gottes eigenen Sohn. Mögen wir in einem
Krankenzimmer sein oder hier in der Kirche sitzen, so müssen wir darauf
warten, dass Gott das Wort ergreift, wenn der Tod gesprochen hat, und
unser Leben wieder erweckt. In seine Hände können wir unseren Geist
befehlen, sei es, dass wir selbst im Krankenbett liegen oder am Bett
eines Kranken stehen und jemanden verlieren, den wir lieben. Er gab dem
Tod drei Tage, dann ergriff er das Wort zur Gegenrede und widersprach
ihm mit der Macht seiner Auferstehung. Der Tod spricht noch immer seine
klare Sprache, aber über dem Krankenbett hängt das Kreuz, das davon
zeugt, dass der Tod nicht das letzte Wort haben soll, sondern dass „ihr
heute mit mir im Paradies sein werdet".

Amen



Pastor Lasse Rødsgaard Lauesen
Paarup, DK-5210 Odense NV
E-Mail: lrl@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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