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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 15.07.2007

Predigt zu Matthäus 5:20-26, verfasst von Erik Dybdal Møller

Der Philosoph Immanuel Kant, der vor ein paar Jahrhunderten gelebt hat und nicht irgendwer gewesen ist, studierte unter anderem die menschliche Natur. Das heißt, er beschäftigte sich sehr eingehend mit unserer Art und Weise, miteinander umzugehen. Mit anderen Worten: mit der Moral. Und im Laufe seines Lebens war er in zunehmendem Maße davon überzeugt, dass wir Menschen irgendwie ein eingebautes Moralgesetz in uns haben, also dass wir mit einer moralischen Fähigkeit geboren sind zu erkennen, was Gut und Böse ist. Natürlich wird jeder Mensch von außen beeinflusst, auch in dem Sinne, dass die Umgebung auf einen abfärbt. Wächst man heutzutage in einem Rockermilieu auf, wird man natürlich nicht unberührt davon sein. Und wächst man in einem klösterlichen Milieu auf, dann wird die Auffassung, die man von den Dingen bekommt, selbstverständlich etwas nonnen- oder mönchshaft. Aber in der Tiefe des Sinns steht doch dasselbe Gesetz geschrieben. Und in einem begeisterten Augenblick schrieb der Philosoph Kant, dass es zwei Dinge gebe, die ihn mit der größten Bewunderung und Freude erfüllten: der Sternenhimmel über ihm und das Moralgesetz in ihm. Also im Grunde braucht ein gewöhnlicher Mensch nicht im Zweifel zu sein, was richtig und was verkehrt ist.

             Nun dürfen uns die Worte des Philosophen nicht zu dem Glauben verleiten, wir könnten damit also sagen, zutiefst und im Innersten seien wir gut und fromm, und es gehe eigentlich nur darum, mit seinem inneren Moralisten in Kontakt zu kommen. Das war auch gar nicht das, was Kant meinte. Denn es ist sicher genauso viel Wahres daran, dass wir einen inneren Schweinehund haben. Natürlich, das Eine braucht das Andere nicht auszuschließen. Und wir sind sicher der Wahrheit am nächsten, wenn wir sagen, zutiefst sind wieder weder nur gut noch nur böse. Wir sind beides, gut und böse. Aber eine Art Moralgesetz, das wir nur allzu oft beiseite schieben, haben wir trotzdem. Und diese beiden Seiten kämpfen um die Macht von Kindesbeinen an und bis zum letzten Tag. Und das ist nun ein Teil des Begriffs, dessen pausenlosen Gebrauch man der Kirche so heftig vorgeworfen hat, nämlich des Begriffs Sünde, dass wir Sünder sind, dass wir, auch wenn wir unsere ganze Kraft mobilisieren würden, es nicht zu sein, trotzdem Sünder sein würden, weil wir nicht anders können. Das ist nun nicht dasselbe wie die Behauptung, wir seien alle gleich kriminell. Es ist vielmehr dasselbe, wie wenn man sagt, niemand sei vollkommen, vielleicht genau dann, wenn man selbst gerade geglaubt hat, man sei es. Also vollkommen.

             Man hat oft gehört, das Christentum sei zwar gut, so für den ethischen Hausgebrauch, als moralischer Ratgeber besonders für Menschen, die nicht selbst den rechten Weg finden können. Und da ist natürlich etwas dran. Die Bibel strotzt von moralischen Geboten und Verboten. Es gibt unter den etwa tausend Seiten kaum eine, die nicht irgendwie mit gutem Betragen zu tun hätte. So ist es auch mit dem Text aus dem Matthäusevangelium, aus der Bergpredigt, den wir heute hören.

             Es geht um das fünfte Gebot, du sollst nicht töten. Das kann man verstehen. Es ist eigentlich so einfach, wie es geschrieben steht. Selbstverständlich darf man nicht töten. Und man ist unmittelbar der Meinung, man brauche das nicht zu kommentieren. Und Jesus tut es trotzdem. Denn so einfach ist es denn doch nicht.

             Er erweitert sozusagen den Begriff des Tötens, so dass er nicht nur von der Handlung des Totschlagens meint.  Schon der Gedanke daran ist genug. Das Töten hat schon begonnen, wenn die Lust dazu da ist. Und Jesus spricht im Grunde so frei von dieser Lust oder diesem Gedanken, dass man davon auszugehen hat, dass er damit rechnet, das sei ein ganz gewöhnlicher Gedanke. Jedenfalls, wenn nicht die Lust zum Töten, so dann doch die Lust, Unfrieden zu haben.

             O.k., denken seine Zuhörer, jetzt behandelt er die Zehn Gebote. Die kennen wir. Die halten wir jedenfalls ein. Wir begehen weder Totschlag noch Diebstahl, noch sind wir untreu oder fluchen wir usw. Wir leben unser gewöhnliches und recht gutes Leben so gut, wie wir können. Und zur Zeit Jesu war es eine ausgesprochene Überzeugung vor allem auf Seiten der Pharisäer und ihrer Gesinnungsgenossen: hielt man sich so an den Weg und folgte den moralischen Richtlinien, dann würde Gott einen zu seiner Zeit mit einem ewigen Leben im Himmel ehren. Darin lag die Gerechigkeit. Es war eine Absprache, ein Bund. Und so gesehen war es ja gut, dass man damit rechnen konnte, dass man gesichert war.

             Zu den Menschen, die vom Christentum als einem Moralkodex sprechen, kann man sagen, dass sie die Dinge genauso betrachten, wie die Pharisäer es taten. Richtet man sich nach den Geboten, kann es nicht völlig schief gehen. Und da ist doch was dran. Es ist sogar sehr vernünftig. Aber auch halbherzig. Ohne Innerlichkeit. Eben halbherzig.

             "Wenn eure Gerechtigkeit nicht die der Schriftgelehrten und Pharisäer weit übertrifft, kommt ihr überhaupt nicht ins Himmelreich," sagte Jesus. Welche Gerechtigkeit, wenn man fragen darf? Denn ist die Gerechtigkeit nicht gut genug, die ihren Teil der Absprache einhält? Wenn Gott nun einmal die Gebote gegeben hat und wir ihnen gehorchen, sollte das dann nicht genug sein? Nein, denn für Gott ist alles Halbherzige und Leidenschaftslose nichts wert. Um einen Platz im Himmelreich zu bekommen, muss man ganzherzig sein.

             "Oh ja, ganzherzig, das bin ich wirklich. Ich versuche doch, es zu sein!"

             Nun ist es ja nicht so, dass Jesus dem guten Willen seiner Zuhörer misstraut. Den Willen sieht der Herr an, schreibt Ingemann in einem seiner Lieder, und das ist sicher auch richtig; aber der Wille als solcher ist auch Unwille vielen Dingen gegenüber. Und dann wäre es sicherlich am besten, wenn der Herr nicht allzu tief in uns nach diesem Willen sähe. Und Jesus weiß doch, dass er es nicht mit einer Schar von Räubern und Mördern zu tun hat. Trotzdem, wenn er erklären will, was Gerechtigkeit in den Augen Gottes ist, dann ist das nicht nur, keinen Totschlag zu begehen, dann ist das nicht einmal, dass man es unterlässt, auch nur daran zu denken. Es ist, sich selbst opfern. Sich selbst und das Seine hintanzustellen um des Anderen willen. Darum geht es.

             Ist man z.B. mit seinem Bruder zerstritten - und es kann gleichgültig sein, wer die Schuld hat - dann ist es immer die eigene Verantwortung, die Uneinigkeit aus der Welt zu schaffen, sich zu versöhnen, auch dann, wenn man alle möglichen Prozesse gewinnen könnte. Darauf zielt die göttliche Ganzherzigkeit. Davon spricht Jesus, wenn er sagt, ihre Gerechtigkeit müsse die der Pharisäer weit übertreffen. Und die Gerechtigkeit der Pharisäer war doch im Übrigen in jener Zeit anerkannt als etwas vom Höchsten. Aber natürlich waren da Grenzen, auch für die Gerechtigkeit bei den Gerechten.

             Grenzen gibt es in der Gerechtigkeit Gottes nicht. Die gibt es auch nicht in der Liebe Gottes. Dort herrscht Grenzenlosigkeit. Es ist ja gerade keine gewöhnliche menschliche Gerechtigkeit.

             An einer andern Stelle der Bergpredigt spricht Jesus auch von der Gerechtigkeit, wo er sagt, man soll seinen Feind lieben. Man soll auch die andere Backe darbieten. Nicht weil es geschrieben stünde; sondern weil man so große Liebe haben soll. Wenn das also irgendwie auf Gott Eindruck machen soll, zum eigenen Vorteil. Und das ist nicht leicht. Bestimmt nicht. Im Großen und Ganzen ist kein einziges moralisches Gebot leicht in Jesu Mund. Denn sobald es zum eigenen Vorteil ist, ist man auf dem falschen Weg.

             Und hier sind wir nun dort angelangt, wo wir am Ende zugeben müssen, dass wir die Forderungen nicht erfüllen können. Moralgesetz oder nicht, wir sind zu gering. Wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Und es scheint nicht so, dass wir das aufgeben würden. Damit sind wir auch verurteilt. Wir sind m.a.W. Sünder. Es kommt selten zu mehr als Halbherzigkeit, was uns betrifft.

             Aber es ist trotz allem wohl immer noch besser, halbherzig zu sein als herzlos. Aber was ist dann mit der Hoffnung? Mit dem Himmelreich und dem ewigen Leben? Es gehört einzig und allein Gott, der in seiner großen Gnade so viele Sünder wie möglich, halbherzige und ganzherzige, um sich sammeln will. Das war Gottes merkwürdige Gerechtigkeit, von der Jesus erzählen wollte. Und aus himmlischer Gerechtigkeit, aus göttlicher Ganzherzigkeit sühnte Jesus alle unsere Sünden am Kreuz, so dass wir danach nicht nur mit gerechter Notwendigkeit als schuldig erkannt werden, sondern auch begnadigt werden, weil niemand größere Liebe hat als Gott.

             Was sollen wir dann mit den Gesetz? Sollen wir es einfach beiseite lassen, weil wir im Grund nicht anders können als gerade mal danach leben? Nein, natürlich nicht! Wir haben ja auch weiterhin das Moralgesetz in uns, wie wir die Zehn Gebote sozusagen auf uns haben. Und darin liegt eine tiefe Vernunft, denn sonst würde unsere Welt völlig zusammenbrechen. Wir haben natürlich Verkehrsregeln für unseren Umgang miteinander nötig.

             Dass aber dieses Gesetz uns in den Augen Gotte gerecht machen sollte, ist ein Missverständnis. Gott allein macht uns gerecht.

Amen



Pastor Erik Dybdal Møller
Århus, Dänemark
E-Mail: edm@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

(Text der dänischen Perikopenordnung)


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