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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 13.05.2012

Predigt zu Kolosser 4:2-4, verfasst von Reinhold Mokrosch

 

Danken - trotz Leid und Verzweiflung?

 

I.

Liebe Gemeinde!

Heute feiern wir den Sonntag „Rogate", „Betet!" Der letzte Sonntag hieß „Cantate" „Singt!" Singen und Beten hängen eng miteinander zusammen. Wer fröhlich singt, ist oft dankbar. Und wer nicht singen kann, hat oft Kummer und Leid. Lassen Sie mich dazu eine uralte Münchner Geschichte von Hans Thoma zitieren: „Ein Münchner im Himmel". Die meisten von Ihnen kennen diese Anekdote und haben sie schon als Kind gehört.

Ein Münchner namens Aloys stirbt - in seinem geliebten Hofbräuhaus bei einer Maß Bier. Im Himmel wird ihm eine Leier zum Frohlocken ausgehändigt und eine Wolke zugewiesen. Er soll dort psaltern, singen und frohlocken. Aloys verzweifelt grimmig. „...luja" brüllt er, als die Engelchen vorbei schweben. „...luja", und er haut auf seine Leier. -„Du bist nicht geeignet zum Singen und frohlocken" stellt Petrus betrübt fest und weist ihm eine neue Aufgabe zu: Beten soll er mit erhobenen oder gefalteten Händen. „Was soll i bäten, bittschön?" fragt Aloys. „Du sollst Deinem Herrgott danken, loben und - wenn Du willst - auch bitten." Aloys weiß nicht, wofür er danken soll, - ohne Hofbräuhaus. Aber er soll und muss beten. „...flucht noch mal, verflixter Dank" röchelt er auf seiner Wolke. Aber dann fällt's ihm ein: „Bittschön, Herrgott, schick mi z'rück na Münch'n!" bittet er. - Und schon schwebt Petrus heran: „Aloys, wir schicken Dich zur bayrischen Regierung, um unsere Botschaften zu vermitteln." Erfreut flattert Aloys gen München, - zuerst mal ins Hofbräuhaus und erst danach zur Regierung. Das passiert öfters, bis Aloys eines Tages im Hofbräuhaus hängen bleibt. Und seitdem fehlen der bayrischen Regierung jegliche göttliche Einsichten.

Aloys ist unfähig zu singen, zu beten, zu danken, zu loben und göttliche Einsichten weiter zu geben. Warum? Weil er nur einen einzigen Wunsch verfolgt: im Hofbräuhaus zu sitzen bei einer Maß Bier! Danken kann er nicht, wenn er sein Hofbräuhaus nicht hat. Loben will er nicht, weil er sein Hofbräuhaus nicht hat. Bitten? Nur eins: zurück ins Hofbräuhaus. Und göttliche Einsichten weiter zu geben vergisst er - weil er im Hofbräuhaus versackt.

Ich ziehe aus dieser Beobachtung folgende Konsequenz: Wer in seiner jeweiligen Lebenssituation nur auf einen einzigen Wunsch ausgerichtet ist, der wird unfähig, für anderes zu danken, zu bitten und sich über anderes zu freuen. Der wird blind. Der starrt nur auf seinen einzigen Wunsch, den er erfüllt wissen möchte. Der sieht die anderen Gaben des Lebens nicht mehr. Für den ist alles schwarz und leidvoll.

Ist das so? Und wenn es so ist: Ist das nicht okay? Hab' ich nicht das Recht, allein um das zu bitten, was mir besonders am Herzen liegt? Z.B. dass ich wieder gesund werde? Oder dass mein Kind wieder gesund wird? Oder dass meine Partnerschaft wieder in Ordnung kommt? usw. Ist es nicht verständlich, dass ich nicht danken kann, wenn ich leide? Und dass ich nicht loben kann, wenn ich mich in auswegsloser Verzweiflung befinde? Gut, der Verzicht auf's Hofbräuhaus ist kein Grund zu auswegloser Verzweiflung. Aber ich meine ja auch die anderen wirklichen Gründe, die mich verzweifeln und nicht mehr danken und loben lassen. Habe ich nicht ein Recht, mich auf eine einzige Bitte zu konzentrieren, - wie Aloys?

II.

Diese Frage hat jeden von uns schon einmal umgetrieben. Kann ich, wenn ich Leid erfahre, andere schöne Dinge noch sehen und dafür danken und loben? Oder steht es mir nicht zu, zu klagen, zu schreien und zu bitten, dass mein Leid enden möge? Ich möchte dieser Frage nachgehen und dazu unsere beiden kurzen Predigt-Texte verlesen. Für unseren Sonntag „Rogate" sind heute vorgesehen Kol 4, 2-4 und Ps 92,2-3:

Kol 4, 2-4: Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! / Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin.

Ps 92, 2-3: Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken, und lobsingen Deinen Namen du Höchster; des Morgens Deine Gnade und des Nachts Deine Wahrheit verkünden.

Geben die Verse aus dem Kolosserbrief eine Antwort auf unsere Frage? Ich tue einmal so als ob der Kolosserbrief von Paulus stammt, zumal sein Verfasser ja auch diesen Eindruck vermitteln möchte: Dann schreibt Paulus aus dem Gefängnis. Er sitzt „in Fesseln", wie er schreibt. Er ist wegen Götterlästerung und wegen religiöser Irrlehre angeklagt und eingekerkert. Die Todesstrafe droht ihm ständig. Und was schreibt er in dieser Situation? Er fordert die Christen in Kolossä auf, im beharrlichen Gebet zu danken. Und wir können sicher sein, dass er sich selbst einschließt: Er dankt! Wofür? Für das „Geheimnis Christi", dh. für das Evangelium. Er dankt dafür, dass Gott Mensch geworden ist; dass Gott sich mit uns versöhnt hat; und dass Frieden und Gerechtigkeit möglich geworden sind. Sein eigenes Leid und Schicksal stehen im Hintergrund. Er bittet nicht als erstes für seine Freilassung. Und er fordert auch die Christen in Kolossä nicht auf, als erstes für seine Freilassung zu beten. Sondern er fordert sie zum Dank für das Evangelium auf und er selbst dankt dafür.

Freilich fordert er die Kolosser auch auf, für ihn zu beten; aber nicht, damit sich seine Gefängnistür auftut, sondern damit sich die Tür (der Menschen) für das Evangelium bzw. das Wort Gottes auftut. Seine Gefangenschaft und seine Hoffnung auf Freilassung stehen völlig im Hintergrund. Es geht ihm allein darum, dass das Evangelium bekannt und von den Menschen erkannt wird. Der Dank dafür steht im Vordergrund und nicht seine Bitte um Freilassung aus bitterer Gefangenschaft.

Woher nimmt Paulus diese Kraft zum Danken? Ich bin überzeugt, liebe Gemeinde, dass Dankbarkeit eine menschliche Grundhaltung ist, aus der heraus die Kraft erwächst, Leid und Schicksal zu ertragen. Das wirkt widersprüchlich, denn angesichts von Leid und Schicksal klagt und schreit man, ist aber nicht dankbar. Aber es ist m.E. so, dass die Grundhaltung der Dankbarkeit dazu befähigt, Leid und Schicksal zu ertragen.

Mein spastisch gelähmter und an den Rollstuhl gebundener Freund betet Psalm 139,14: „Ich danke Dir, Gott, dafür, dass Du mich wunderbar geschaffen hast." Und er fügt unseren Psalm 92,2 an: „Das ist köstlich, dem Herrn danken und lobsingen Deinem Namen, Du Höchster!" „Wieso kannst Du so beten?" frage ich ihn. „Weil ich sehen, riechen und schmecken kann" antwortet er mit seinen mühsamen, aber klaren Worten. Ich bin tief berührt. Und mir wird klar: Wenn ich zu einer Grundhaltung der Dankbarkeit gefunden habe, dann kann ich mein Leid besser ertragen. Aber das geht eben nur, wenn ich nicht auf eine einzige Bitte fixiert bin, z.B. einzig und allein auf die Bitte um meine Genesung. Selbstverständlich steht diese Bitte in der Mitte meiner jetzigen Lebenssituation. Das ist doch klar. Aber sie darf mir nicht den Blick für das verstellen, wofür ich dankbar sein kann. Und sie sollte mir nicht die Möglichkeit zu einer Grundhaltung der Dankbarkeit verbauen.

Ein von seiner Familie gefrusteter Vater fand erst zu seiner Familie zurück, als er spürte, dass er für sein Leben auch dankbar sein könnte und sollte. Ein Gefühl der Dankbarkeit für seine Existenz durchströmte ihn und er fand sich mit den Sorgen um seine Familie besser ab als vorher. - Ein anderes Beispiel: Eine unheilbar erkrankte 52-jährige Frau fügte sich leichter in ihr Leid als sie sich klar machte, wie dankbar sie für ihr bisheriges Leben sein könnte. Sie erlebte beim Lesen ihrer Tagebücher alles noch einmal, und eigenartigerweise nur die positiven Seiten ihres Lebens. (Übrigens: Sie lebte noch 18 Jahre wohlbehalten bis zu ihrem 70. Lebensjahr.) - Die Grundhaltung der Dankbarkeit kann Leiden und Schicksalsschläge erträglicher machen.

III.

Wer von Ihnen, liebe Gemeindeglieder, würde dieser Feststellung nicht zustimmen?! Das ist doch eine Binsenweisheit, höre ich Sie innerlich räsonieren. Die Frage ist doch nur: Wie kann ich zur Grundhaltung der Dankbarkeit finden, wenn ich von Leid, Schmerz und Schicksal beherrscht bin? Wie kann ich danken, wenn ich keinen Grund zum Danken sehe?

Ich möchte einen zentralen Grund zum Danken nennen, den Paulus oft betont:

Paulus hat mehrfach bekannt: „Wenn ich schwach bin, bin ich stark." (2.Kor 12,10) Das heißt doch auch: Wenn ich leide, bin ich stark. Wie kommt er zu solcher Aussage? Er war überzeugt, dass der hingerichtete Christus in seiner Schwachheit der stärkste Ausdruck der Liebe Gottes gewesen ist. Denn der ermordete Christus ist zum Symbol für Gottes Neuanfang mit der Welt geworden. Und mit der Auferstehung Jesu Christi bestätigt, so ist Paulus überzeugt, Gott diesen Neuanfang. Seitdem sind Frieden, Trost und Bei-Gott-Sein möglich.

Und das hat (für Paulus) Folgen auch für mein Leiden und für meine Schwachheit, denn er sagt einen Vers vorher: „Die Kraft Christi ist in den Schwachen und Leidenden mächtig!" (2.Kor 12, 9) Der Geist Christi lebt in mir, wenn ich schwach bin und leide. Das ist der Geist der Liebe, des Mitleidens, des Friedens und der Versöhnung. Haben Sie, liebe Gemeindeglieder, nicht schon einmal das Gefühl gehabt: Wenn ich leide, werde ich mitleidsfähig. Wenn ich leide, werde ich oft von Nächstenliebe durchströmt. Das ist der Geist Christi. Gott ist mächtig in den Schwachen. Leid kann ein Adel sein, - vielleicht der einzige Adel, den es heute noch gibt.

Und so könnte für Christen aus Leid Dankbarkeit erwachsen. Dankbarkeit nicht für das Leid!! Aber für die Fähigkeiten des Mitleidens und der Liebe, die stärker sind als jede ökonomische Kraft. Ich betone: Das könnte für Christen eine Folge des Leids sein. Es muss es nicht. Der Weg von Leid und Verzweiflung zur Dankbarkeit am Leben ist ein weiter Weg. Er ist nur mit dem Geist Christi möglich.

Gottes Friede, der höher ist als alle Vernunft, führe uns zur Dankbarkeit für unser Leben, trotz Leid und Verzeiflung. Amen!



Prof. em. Dr. Reinhold Mokrosch
49069 Osnabrück
E-Mail: Reinhold.Mokrosch@uni-osnabrueck.de.

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