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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 17.05.2012

Predigt zu Lukas 24:46-53, verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Raum und Zeit setzen uns Grenzen. Wir leben in der Begrenzung durch die Dimensionen des „rauf und runter", des „hin und nach Hause", des „vorwärts und zurück". Die Wörter machen deutlich, wie tief verwurzelt und selbstverständlich wir damit leben. Dabei bekommen wir das Alles nicht richtig in den Griff. Der Raum begrenzt uns und hält uns fest am Ort. Die Angst ist dort, wo der Raum für uns verschwindet, in der schwindelnden Tiefe oder in dem allzu eng eingesperrten Raum. Wenn wir das Vermögen, uns im Raum zu orientieren, verlieren, dann bekommen wir Angst. Mehr oder weniger sieht es in uns allen so aus.

                Gewissermaßen gehört die Zeit mit zum Raum. Wir bewegen uns in der Zeit, wir werden durch die Zeit definiert, und wir können ihr nicht trotzen. Wir leben in Abläufen von einem Punkt zu einem anderen; in der Erinnerung an das, was war; in der Erwartung dessen, was kommt. Raum und Zeit begrenzen uns und halten uns am Ort. Im Alltag ist es ganz problemlos, dass wir gebunden sind. Wir nennen es natürlich, wir fühlen uns heimisch, und es ist unsere gemeinsame Lebensbedingung, dass wir nun einmal nicht zur selben Zeit an zwei Stellen sein können oder dass wir nicht zum  Gestern zurückkehren können mit dem Wissen, das wir heute haben, oder dass wir von „rechts" nach „unten" nach „morgen" gehen könnten - was immer das bedeuten würde.

                In der Welt der Träume und der Phantasie können wir es selbstverständlich sehr wohl - und wir haben in Wirklichkeit eine Vorstellung davon, was es heißt, Zeit und Raum zu trotzen.

                Wenn wir von Jesus hören, der gen Himmel fuhr, fortgehoben wurde in einer Wolke vor den Augen der staunenden Jünger, und davon, wie er sich zur Rechten Gottes setzte, so hören wir, dass dies doch unserer Vorstellung von Zeit und Raum trotzt. Wir trauen unseren eigenen Ohren nicht - und ebenso wenig den Augen der Jünger...

                Der Grund, weshalb wir es nicht recht glauben können, ist nicht der, dass es allem trotzt, was wir über Raum und Zeit und über möglich und unmöglich wissen. Ganz im Gegenteil, es ist so erzählt, dass wir uns von unseren menschlichen Begriffen von Zeit und Raum überhaupt nicht freimachen oder uns außerhalb davon stellen können. Es ist auf eine Art und Weise erzählt, dass wir Fußspuren, Fußabdrücke in der Erde sehen müssen, wo er abhob, und wir müssen sehen, wie er in dem blauen Himmel verschwindet wie eine Neujahrsrakete und sich auf einen fliegenden Stuhl setzt. Wie in einem Comic. Die Fresken allenthalben in unseren Kirchen in Dänemark sind denn auch wundervoll humorvoll.

                Nirgendwo sonst fühlen wir die Bindung so stark wie in der Himmelfahrtsgeschichte. Wir merken, wie schwer und fest wir an die Erde und ihre Gesetze gebunden sind. Gott gibt es in unseren Vorstellungen nicht, er hat keinen Platz in unserem Raum und in unserer Zeit und in unseren Begriffen von möglich und unmöglich. Darum ist es unwahrscheinlich, unglaubwürdig, wenn wir Gott allzu menschlich darstellen, gleichsam wie eine Verlängerung von uns selbst. Eine verstärkte Version unserer selbst, ein Gott, der nur mehr kann, etwas kann, was wir nicht können. Gott wird zum Zauberkünstler, Superman oder einfach nur zu einem Teddybär, und wir trauen unseren eigenen Augen und Ohren nicht.

                Gottes Kommen in die Welt ist keine Projektion, kein Wunschdenken, das uns über Raum und Zeit hinausheben soll. Gottes Kommen in Welt ist Inkarnation, ist ein Wohnung-nehmen in unserer Endlichkeit, in unserem Fleisch und Blut, in unserer Zeit und unserem Raum. Ein Menschenleben. Einer, den wir kennen, mit dessen Namen wir vertraut sind: Jesus. Ein Mensch, der Spuren hinterließ, - tiefe Spuren, der uns den Weg bahnte, wo wir keinen Weg finden oder sehen. Die Ewigkeit nahm Wohnung im irdischen Leben, in unserem Alltag ist das Reich Gottes, und das Reich Gottes ist das, was uns entgegenkommt von der Zukunft und in der Erinnerung von gestern. Jetzt ist das Reich Gottes in dem, was wir essen, es gibt uns Kraft, es ist in dem Schlaf, der uns Ruhe gibt, im Blick des Kindes, in den Farben der Blumen, in der Schönheit der Musik - und - da ist ein großes UND in den Erfahrungen, die wir nicht unmittelbar mit dem Reich Gottes in Verbindung zu bringen vermögen: Gott ist auch in dem Schmerz, in dem Seufzen, in der Sehnsucht, in der Verwundbarkeit des Leibes. Ja, er ist sogar in dem Tod. Gott nahm Wohnung unter uns, und es sind nicht unsere Bedingungen, nicht unsere Dimensionen, die Gott gefangen hätten. Es ist das Reich Gottes, das sie durchtränkt und durchleuchtet mit der allezeit neuen Möglichkeit seiner Liebe.

                Dies trotzt unseren gewohnten Vorstellungen und macht alles neu. Wenn es nicht so wäre, dann wäre Gott ein armseliger Gott, nur eine Pappkulisse, unglaubwürdig und ohne Macht, - oder mit einer Macht, die blind und taub ist für die Nöte und Tränen, für die Freuden und Hoffnungen der Menschen.

                Gott begrenzte seine Allmacht, als er Wohnung unter uns nahm. Er übte Verzicht und wurde den Menschen gleich, steht im Philipperbrief. Wir sahen seine Herrlichkeit, sagt Johannes, der Evangelist, - sie wurde offenbart als Liebe, der nicht das Ihre sucht, die sich hingibt. Um unsere vergänglichen Verhältnisse zu ändern, uns über die Grenzen des Möglichen hinauszuheben und uns eine Heimat bei dem Gott zu geben, für den alles möglich ist... mit einer Ausnahme.

 

                Was ist denn das? Was ist bei Gott unmöglich?

                Es ist Gott unmöglich, seiner eigenen Offenbarung zu trotzen. Er kann sich nicht als ein anderer herausstellen als derjenige, den wir in Jesus gesehen haben und dem wir begegnet sind. All seine Allmacht, all seine himmlische Gewalt hat er in seiner Liebeserklärung gebunden.

                Die tiefste Wahrheit über dieses Leben, dieses verwundbare, gebrechliche und manchmal verkrüppelte Menschenleben, ist, dass Gott in ihm Wohnung genommen hat.

                Gottes Ewigkeit ist in diesem Leben und gibt ihm sein Gepräge munterer Unmöglichkeit und lebensbejahender Wunderbarkeit: In einem liebevollen Blick ertrinken, ein Kind trösten, eine Erdbeere essen, sich Zeit und Ruhe zu einem Gespräch geben, ausreden, abrechnen; - Gott ist in deiner Alltagserfahrung und macht alles auf dieselbe Art und Weise neu, wie der Frühling dort draußen alles neu gemacht hat.

                Wann kommt die Wende? Wann kommt der Punkt, an dem grau in grün übergeht, an dem der Wald plötzlich in strahlend grünem Kleid dasteht? Ich wundere mich, dass es mich jedes Jahr immer wieder überrascht - als ginge ich mit geschlossenen Augen umher und riebe mir plötzlich die Augen, um zu sehen, dass die ganze Welt ihre grüne Seite hervorgekehrt hat, während ich ihr den Rücken zukehrte.

                Dieses Jahr war ich wirklich wach, stand auf dem Sprung, lag auf der Lauer und hatte meine Augen weit aufgesperrt. Soweit ich sehen konnte, geschah es im Laufe von zwei Tagen, aber wiederum war es, als geschähe es des Nachts, im Dunkel, wie ein Geheimnis.

                Wann wenden wir uns um? Wir wenden uns von der Erde zum Himmel am ersten Frühlingstag und genießen die Sonne, obgleich es doch so gefährlich ist, dass man sich dabei den Tod holen kann.

                Wann kehren wir um und entfalten das Verklemmte in Liebe zu Gott und zueinander? Wann kehren wir um zur Vergebung der Sünden?

                Das tun wir voller Freude an dem Tag, an dem wir daran glauben, dass die Liebe groß genug ist, dass sie uns tragen kann, dass sie so reichlich fließt, dass wir rein und neu davon werden, - gleichwie die Sonne genießen am ersten Tag des Frühlings, gleichwie sich umkehren und sehen, dass die Welt ihre grüne Seite hervorgekehrt hat.

                Was tust du, und was tue ich dafür, dass der Frühling anbricht? Was können wir in der Wartezeit anderes tun als warten?

                Vielleicht können wir uns ein bisschen vorbereiten, gewisse kleine Dinge tun um teilzuhaben, wenn es passiert. Aber es kommt ja von außen zu uns, - aus der Hand eines Anderen. Wir können nichts unternehmen, außer zu sein, zu warten, entgegenzunehmen und teilzunehmen, wenn es geschieht.

                Was kannst du und was kann ich tun, um die Freude herbeizuzwingen oder um Lebensmut herbeizubringen?

                Für Andere können wir nicht wenig dazu tun. Wir können Mitarbeiter an ihrer Freude sein, ihre Hoffnung am Leben erhalten und warm zu ihrem Feuer des Glaubens blasen.

                Wenn wir aber bei uns selbst Lebensmut und Freude hervorbringen sollen, wird es anstrengend. Derlei wollen wir am liebsten von außen gereicht bekommen, von außen geschenkt bekommen, es soll als eine Kraft von außen über uns kommen.

                Manche Menschen möchten gleichsam mit Leitern von guten Werken den Himmel stürmen, wollen es selbst können, wollen selbst verdienen, aufsteigende Himmelskinder zu sein. Du liebe Zeit! Gott darf sehr gern mit Hand anlegen, - vor allem darf er ein wenig nachsichtig sein. Auf der höchsten Sprosse der Leiter, auf der Höhe unserer Vortrefflichkeit, geht uns vielleicht auf, dass die Leiter beileibe nicht hoch genug ist, - und dass es bis nach unten furchtbar weit ist.

                Andere Menschen wollen gar nichts. Man weiß, was man hat, heißt es. Aber wissen wir das wirklich? Oder gehen wir nichtsahnend im Himmel umher, im Reich Gottes, das auf uns und um uns herum herabregnet, -tropft, -sinkt, -fällt, -strömt in jeder Sekunde, die wir atmen?

                Was sollten die Jünger tun? Sie sollten von dem zeugen, was sie kaum begriffen und ganz und gar nicht im Griff hatten. Was sollten sie machen? Wie sollte man den Himmel stürmen?

                Warten und sein, das sollten sie, bis ihnen Kraft aus der Höhe geschenkt wurde. Mitten im Segen warten und sein. Es kam zu ihnen, es kommt zu uns.

                Von außen. Aus der Hand eines Anderen. Gott stellte selbst die Leiter an und stieg herab - und fuhr gen Himmel, aber seine Hand liegt jetzt auf der Leiter. Die Kraft strömt auf uns und um uns herab.

                Was sonst können wir als sein und warten hier mitten in der Kraft Gottes. Als die Worte uns bilden lassen, uns ziehen lassen, in das Leben hinausführen und die grüne Seite hervorkehren lassen, indem wir die Freude weitergeben, den Segen teilen, ihn weiterreichen? Jesus ist der einzige Weg, die einzige Leiter zwischen Himmel und Erde, - auf ihr können wir uns frei bewegen, hinaufsteigen, herabsteigen, um eines Tage geholt zu werden, um zu bleiben. Hier lernen wir, darauf zu vertrauen, dass die Liebe groß genug ist. Wir können es riskieren. Wir können umkehren zur Vergebung der Sünden und uns zum Leben mitten in dem Segen herausrufen lassen.

Amen



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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