Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 22.07.2007

Predigt zu Lukas 19:1-10, verfasst von Arne Simonsen

Wer von uns hat nicht einmal versucht, sich oben in einem Baum zu verstecken, im Schutz der Blätter, wenn jemand uns rief, weil wir irgendwas sollten?

             An so einem Sommertag, an dem es warm ist und man den Schatten aufsucht, will man nichts tun, und vor allem nicht das, was die Erwachsenen von einem verlangen.

             Natürlich darf man sich nicht verstecken, aber vielleicht wird die "Flucht" entdeckt und bestraft, aber das Vergnügen hat man vorher dann doch gehabt.

             Auch Zachäus verbarg sich in einem Baum, damit ihn niemand sehen konnte, aber er tat es nicht, um vor etwas zu fliehen. Er wollte spionieren - er war neugierig. Er hatte Gerüchte gehört - jetzt wollte er versuchen, ob er nicht gratis etwas zu sehen bekäme.

             Zachäus ist ein armer Kerl, aber er hat Macht.

             Er ist ein gemeiner Landesverräter, der an seinen eigenen Landsleuten das große Geld verdient. Er ist ein Mann der Römer - sie können ihn gebrauchen, wie eine Besatzungsmacht immer Menschen gebrauchen kann, die bereit sind, sogar ihre Nächsten gegen Geld zu verraten.

             Kinder lieben die Geschichte von Zachäus. Es ist so lustig, wie er da oben zwischen den Zweigen und Blättern des Baumes sitzt, um sich zu verstecken, und trotzdem von Jesus entdeckt und herabgerufen wird.

             Die Kinder lieben das spannende "Versteckspiel", bei dem Vater oder Mutter sie da "finden" sollen, wo sie sich versteckt haben, und es soll am liebsten einige Zeit dauern, bis sie gefunden werden; dauert es aber zu lange, werden sie auch ungeduldig und fangen an, "Laut zu geben". Es ist ganz klar: es macht überhaupt keinen Spaß, wenn man sie nicht findet.

             Zachäus wird auch gefunden, aber das hatte er sich nicht so gedacht. Er wollte bloß "sehen", und wird schließlich selbst gesehen und entlarvt. Das ist peinlich, das ist jämmerlich.

             Adam und Eva versteckten sich ja auch im Gebüsch des Gartens, als ihnen klar wurde, dass etwas völlig verkehrt gelaufen war. Und der Herr entlarvte sie unbarmherzig. Sie bekamen, was sie verdient hatten. Raus mit euch!

 

Ob Zachäus sich genauso schuldig fühlte, ist schwer zu sagen. Jedenfalls hatte er kaum Gelegenheit dazu, bevor Jesus ihm mitteilte, dass er an dem Tage Gast in seinem Hause sein müsse.

             Die peinliche Entdeckung kennen wir, wenn wir entweder die Jämmerlichkeit eines andern Menschen erleben und uns für ihn schämen - oder wenn wir uns selbst als den Entlarvten erlebt haben.

             Für die Leute war Zachäus jämmerlich, aber er war ihnen auch verhasst.

             Der Typ des Denunzianten, mit dem niemand zu tun haben wollte und den alle fürchteten. Tief einsam und durch und durch unsympathisch.

             Wir kennen sie, diese Typen. Wir lesen über sie, hören von ihnen, haben vielleicht sogar einige von ihnen aus nächster Nähe erlebt. Wir ekeln uns. Wir sind verärgert. Wir würden sie niemals schonen, wenn wir die Möglichkeit dazu hätten.

             Warum lieben dann die Kinder den Zachäus? Weil sie den Ausgang der Geschichte kennen. Sie endet gut, aber das ist nicht Zachäus' Schuld. Er hätte ebenso gut durchfallen und in der Hölle enden können.

             So hätte es gehen sollen, wenn es damals nach der allgemeinen Auffassung der Leute gegangen wäre - und eigentlich heute genauso.

             Zur Hölle mit ihm und allen seinesgleichen.

             Zachäus wusste sehr wohl, was die Leute dachten - und er erwartete keinerlei Barmherzigkeit. Er hatte nur Macht und Geld, aber damit kommt man in dieser Welt auch ziemlich weit, aber letzten Endes doch nicht weit genug. Zachäus wusste, dass er sich verstecken musste.

             "Zur Hölle mit Zachäus" hatten die Leute über diesen Menschenschinder immer gesagt. Aber als Jesus sich selbst bei Zachäus zum Essen einlädt, ist die Hölle los. Niemand begreift mehr, worum es hier geht. Das ist einfach zu viel!

             Zur Hölle mit allen beiden!

             Sah Jesus etwas, das alle die andern nicht sahen? Sieht er etwas, was wir nicht sehen? Ja, so ist es tatsächlich. Er sieht etwas Anderes, als wir sehen. Er sieht einen Menschen hinter all dem Lächerlichen, Jämmerlichen, Niederträchtigen und Schamlosen an Zachäus.

             Aber bei uns würde Zachäus keine Chance haben. Wir würden ganz einfach nicht mit ihm zu tun haben wollen.

             Das Evangelium will es aber anders. Das Evangelium will hinter das vordringen, was wir sehen und was Zachäus an sich selbst sieht.

             Niemand weiß etwas über Zachäus, aber natürlich gibt es einen Grund, dass er so geworden ist, nur ist das Evangelium daran nicht interessiert.

             Da ist nicht die Rede von einer schlimmen Kindheit, von harten körperlichen Strafen durch den Vater, von einer Mutter, die auf den Strich geht, Kameraden, die ihn hänseln usw.

             Selbstverständlich gibt es einen Grund, aber das kann uns hier nichts nützen. Wir werden den Mann nie leiden mögen, aber das hat hier mit der Sache nichts zu tun.

             Zachäus empfängt Jesus mit Freuden zum Essen.

             Warum war er froh? Wurde ihm plötzlich klar, wie verkehrt er gelebt hatte - und wird er jetzt sein Leben völlig ändern?

             Auf jeden Fall ist etwas mit ihm geschehen. Vermutlich ist er ein Mensch, der nie auf Freundlichkeit oder Liebe gestoßen ist, und sein Hass auf andre und der Hass andrer auf ihn ist der Inhalt seines Lebens gewesen. Aber als Jesus sich selbst bei ihm zum gemeinsamen Essen einlädt, entsteht eine Spalte in seinem Panzer. Er ist verwirrt und überrascht, und er wusste weder ein noch aus und meinte, er müsse diese Freundlichkeit von Seiten Jesu irgendwie vergelten.

             Er will die Hälfte seines Besitzes an die Armen geben - und das ist nicht gerade wenig. Es ist immer positiv, den Armen etwas zu geben, und sie werden auch immer dankbar sein. Sie kann Zachäus ja nicht ausgeplündert haben, denn sie hatten nichts, was er ihnen hätte nehmen können. Also eine Art Robin Hood, und Zachäus bekommt hier zweifellos neue Freunde.

             Interessanter ist das zweite Angebot des Zachäus - denn wie er sagt: wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Das ist ganz unterhaltsam, denn es ist völlig sicher, dass Zachäus den Leuten mit Geld hohe Summen abgenommen hat.

             Habe ich jemanden betrogen - welch ein Filou, dieser Zachäus. Wie er sich hier anstellt.

             Wer soll im Übrigen diese Sache entscheiden? Soll Jesus es tun? - so etwas zu tun, war er nicht gewohnt. Soll Zachäus es tun? - wird er dann auch an alle denken?

             Oder sollen die Menschen es tun, denen er Geld abgenommen hat? Dann geht er bankrott, daran ist nicht zu zweifeln.

             Wer weiß, wie es endet?

             Selbstverständlich waren sie verärgert: diejenigen, die draußen standen. Das hier ist doch nicht gerecht, weder so noch so.

             Und trotzdem sagt Jesus: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.

             Ob Jesus sich alle Versicherungen des Zachäus angehört hat? Ich glaube kaum. Was er den Leuten dort draußen - und uns hier - erzählen wollte, ist dies: Auch für Zachäus gibt es Heil. Es geht nicht darum zu sehen, sondern gesehen zu werden, nicht von andern, sodern vom Herrn. Er kann wirklich durch uns hindurch schauen.

             Und wenn Jesus sagt: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, dann sagt er das mit einem großen Lächeln auf den Lippen. Zachäus ist ja weiterhin ein verdammter Mensch, verdammt in seinen Versicherungen all dessen, was er tun will, und im Grunde ist es eine Erleichterung, dass er nicht einfach nur wie ein Heiliger mit einer Glorie um sein Haupt dasitzt und dass nicht alle Menschen draußen auf der Straße als saure Habenichtse auszuschelten sind, sondern dass sie auch mit einem gewissen Recht sauer und Habenichtse sind.

             Niemand kann sich in das einmischen, was der Herr tut, auch hier nicht, und würden wir uns vorstellen, das hier und heute beim Abendmahl der Massenmörder Karadsic oder Milosovic auftauchte und zum Abendmahl ginge, dann ist das so, obgleich alle Alarmglocken in uns Alarm schlagen würden.

             Es ist ein Tisch für Sünder, an dem uns die Gnade begegnet als das Unbegreifliche und völlig unverdient, aber doch wirklich. Man muss wahrlich - mit dem Psalmisten - sagen: Der Herr hat große Dinge an uns getan. Amen



Pastor Arne Simonsen
Silkeborg, Dänemark
E-Mail: asi@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

Text der dänischen Perikopenordnung


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