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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 08.07.2012

Predigt zu Matthäus 16:13-26 (dän. Perikopenordnung), verfasst von Marianne Frank Larsen

 

Lieber Freund. Oder Kleiner Freund. Oder Mein Freund. Oder Lieber N.N./ Liebe N.N. Alle guten Namen bekommen wir von anderen als uns selbst. Darum ist es auch schwer, seine Eltern zu verlieren, auch wenn sie alt sind und man selbst schon graue Haare hat. Weil es niemanden sonst gibt, der einen mit dem egenen Namen mit der bestimmten Zärtlichkeit in der Stimme anredet. Niemand sonst kann darauf verfallen, einen Kleiner Freund zu nennen. Niemand sonst sieht einen wie ein geliebtes Kind an. Und man kann so privilegiert sein, dass einen andere Stimmen mit anderen Namen und mit einer anderen Zärtlichkeit anreden. Dass man jemandes Feund oder jemandes lieber N.N. bzw. liebe N.N. ist, jemandes Schwester oder Bruder, jemandes Mutter oder Vater. Denn das ist das Wichtigste, was von uns gesagt werden kann: nicht wer wir - jeweils getrennt - sind, sondern wer wir für jemand anderes als uns selbst sind. Auf diese Weise bekommen wir unsere Identität und werden zu denen, die wir sind. Die Sprache bringt es an den Tag: wir sagen nicht, dass wir eine Identität annehmen - in dem Fall ist es jedenfalls eine falsche Identität, irgendwas mit Bart und blauer Brille - nein, wir sagen, dass wir eine Identität bekommen. Wir bekommen sie natürlich durch das, was wir lernen, und durch das, was wir können, und durch das, was wir tun. Aber wir bekommen sie in erster Linie durch die Namen, mit denen andere zu uns sprechen, und durch die Augen, mit denen sie uns sehen. Im Guten wie im Schlechten. Alle wissen, wie angenehm es ist, mit milden Augen gesehen zu werden und mit guten Namen angeredet zu werden. Jemandes Freund zu sein. Alle wissen auch, wie lähmend es sein kann, mit kalten Augen angesehen zu werden und mit Prädikaten bezeichnet zu werden, die man nicht wiedererkennen kann. So etwas kann erschütternd sein, denn wer bin ich dann eigentlich?

Dass wir Namen nicht annehmen, sondern voneinander gegeben bekommen und dass wir Identität nicht in uns selbst haben, sondern dass sie in dem Verhältnis zwischen uns entsteht - das ist der springende Punkt im Evangelium von heute, denn es geht um ein langes Spiel um Identität. Oder um Identitäten. Wer bist du, und wer bin ich in deinen Augen? Genauso wenig wir wir können die anderen ohne einander sich selbst finden. Wie wir brauchen sie die Namen, die andere geben. Jesus macht da keine Ausnahme. Wer sagen die Leute, dass ich sei, fragt er, wie wir hätten fragen können, und erhält die Antwort, dass die Leute ihn als einen neuen Johannes den Täufer sehen oder als einen der alten Propheten, und das muss er zur Kenntnis nehmen. Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei? fährt er fort, und das ist der springende Punkt. Wie sehen sie ihn, sie, die ihn nicht aus bequemer Distanz betrachten, sondern aus größter Nähe jede Hand, die er ausgestreckt hat, gesehen und jedes Wort gehört haben, das er gesprochen hat?

Du bist Christus, sagt Petrus tatsächlich, der Sohn des lebendigen Gottes. So große Worte nimmt Petrus in den Mund, dass einem fast die Haare zu Berge stehen können. Wie dann, wenn wir zum ersten Mal jemanden sagen hören „Ich liebe dich". Das ist überwältigend, und man weiß, wenn diese Worte erst einmal gesagt worden sind, wird die Welt niemals mehr dieselbe sein. Und sie ist denn auch nicht mehr dieselbe, weder für Petrus noch für Jesus, als das Bekenntnis erst einmal abgelegt ist. Zum ersten Mal erhält Jesus die gewaltigen Namen, an die wir uns längst gewöhnt haben. Sie gehen bestimmt nicht in das eine Ohr hinein und zum anderen gleich wieder hinaus, als Petrus sie ausspricht. Denn sie sind zu einem Mann aus Nazareth gesagt, der mit beiden Beinen auf der Erde steht, Angesicht zu Angesicht mit Petrus, und der einem ganz gewöhnlichen Menschen gleicht. Und sie werden von einem Menschen gesagt, der nicht gerade dafür bekannt ist, dass er die tiefsten Wahrheiten fomuliert, ganz im Gegenteil. Aber in einem Augenblick klaren Blickes hat Petrus gesehen, was nicht viele andere gesehen haben, und er hat es mit den einzig richtigen Worte benannt. In den Händen Jesu hat er Gott gesehen, wie er die Hand ausstreckt zu schwachen Menschen, in den Worten Jesu hat er Gott gehört, wie er neues Leben hervorrief in Dasein, die in Ruinen lagen. Der Mensch, dem er gegenübersteht, ist Gottes Sohn; anders kann Petrus es nicht ausdrücken. Der Mann von Nazareth ist der himmlische König, auf den sie gewartet haben.

Kaum hat Petrus Jesus neue Namen gegeben, da reagiert Jesus. Du bist Petrus, sagt er zu dem Apostel, der eigentlich Simon heißt, und Petrus bedeutet Fels, und sähe ich dabei in meinem inneren Blick nicht vor mir, wie diese Worte in meterhohen Buchstaben in der Kuppel der Peterskirche in Rom stehen, dann würde ich schmunzeln, denn wenn es etwas gibt, was Petrus nicht ist, dann ist es ein Fels. Er ist eine komplexe Natur, ein Mensch, der seinen ganzen guten Willen und seine ganze Ratlosigkeit auf seiner Außenhaut trägt. Erst bittet er Jesus fortzugehen, und im nächsten Augenblick lässt er alles stehen und liegen und folgt ihm. Erst kann er auf dem Wasser gehen, im nächsten Augenblick kann er nicht glauben, dass er es tatsächlich tut. Erst will er niemals versagen, und sollen alle anderen dich im Stich lassen, und kurz darauf verleugnet er seinen Meister. Er ist ach so menschlich. Als der auferstandene Meister am See Genezareth auftaucht, ist es Petrus, der nicht warten kann, er springt in den See und schwimmt an Land. Felsenfest? Das kann man nicht gerade sagen. Niemand wird so schnell gerührt wie Petrus. Er gehört nicht zu den Beständigen. Nicht bevor der Herr ihm einen neuen Namen und eine neue Identität gibt und in ihm etwas anderes und mehr sieht, als wir von ihm wissen. Und dann kann alles geschehen - wenn man mit neuen Augen gesehen wird. Von den bestimmten Augen wird Petrus als ein Fels gesehen. Nicht kraft seines leicht beweglichen Wesens. Sondern auf Grund des Bekenntnisses, das er gerade abgelegt hat. Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Mit diesen Worten in seinem Mund ist Petrus der Fels, auf den der Herr seine Kirche bauen kann. Auf diesen Worten beruht die Kirche, und sie lebt von ihnen, und sie bildet den Rahmen für sie.

Aber kaum hat Petrus seinen neuen, feinen Namen erhalten, da bekommt er noch einen. Weiche von mir, Satan, sagt Jesus, und die Worte treffen wie ein Peitschenhieb den, der eben noch gesagt bekam, dass er ein Fels sei. Er ist kein Fels, er ist ein Satan, nichts Geringeres. Denn kaum sind der Fels und Christus sich einig geworden mit ihren neuen, großen Namen, da enthüllt Jesus, was ihn in Jerusalem erwartet. Es ist, als könnte er seinen Begleitern nicht gönnen, auf den Lorbeeren und der neuen Erkenntnis auch nur einen halben Tag auszuruhen. Sogleich ist der Inhalt des neuen Namens zu korrigieren. Sogleich ist zu präzisieren, dass er zwar Christus ist, aber dass er es nicht so ist, wie sie glauben. Es erwartet ihn kein Empfang wie der eines Königs in Jerusalem, sondern ihn erwarten Misshandlung und Tod. Sie werden nicht an einem Triumphzug teilnehmen sondern an einem Begräbniszug. Denn der endet an dem Grab, in dem er liegen soll. Kein Wunder, dass derjengige, der in einem klaren Augenblick die Wahrheit gesehen hatte, protestieren muss. Die Worte fahren Petrus aus dem Mund: So darf es dir niemals geschehen. Sie sind getragen von Erschütterung, Indignation, Liebe, aber die Reaktion auf sie ist ein Peitschenhieb: Geh weg von mir, Satan. Denn in seinem Unverstand macht Petrus Jesus zu einem anderen Christus, als der ist, den Gott haben will. Petrus betrachtet Jesus aus guten Gründen als einen König, der triumphieren und siegen wird. So wollen Menschen es. So wünschen wir es für die, die wir lieben. Aber das ist nicht, was Gott will. Es ist eine Versuchung, und darum ist Petrus ein Satan, wenn er so etwas sagt. Denn in Gottes Augen ist Jesus der Königssohn, der leiden und sterben wird, um mit allen leidenden und sterbenden Menschen das Schicksal zu teilen.

Hier sind also zwei Identitäten im Spiel - mit demselben Namen. Christus bedeutet König, aber welcher König? Der siegreihe oder der sterbende? Hat Gott recht, oder haben die Menschen recht? Natürlich hat Gott recht. Denn Jesus spricht und handelt nie als er selbst, sondern als Sohn seines Vaters. Er kreist nie um sich selbst und seine Gefühle, und deshalb gibt es in seiner Geschichte keine Beleidigung oder Gier oder Bitterkeit oder Kränkung; er kreist um den Willen seines Vaters, er handelt im Geist seines Vaters, als seines Vaters Sohn, vom ersten bis zum letzten Atemzug. Ein kluger Mann hat es einmal so gesagt: in ihm findet Gott statt, hier auf Erden, wo wir gehen und stehen. Seine ganze Indentität ruht in dem Verhältnis zu dem himmlischen Vater, der ihn seinen eigenen Sohn genannt hat und ihm einen ganz bestimmten Weg zu gehen gegeben hat. Das ist die Wahrheit über ihn, ob Petrus sie nun sehen kann oder nicht. Seine Identität steht und fällt nicht damit, welche Namen Menschen ihm geben. Warum ist es dann so wichtig, wer sie sagen, dass er sei? Es ist wichtig um ihrer selbst willen. Wenn sie nicht begreifen, dass Gott in dem bestimmten Menschen stattfindet, und wenn sie nicht sehen, auf welch wunderbare Weise er es tut, dann hat es ja in ihren Leben keinerlei Bedeutung. Wenn die Hände, die er ihnen ausstreckt, und die Worte, die er sagt, ihren Glauben und ihre Hoffnung und ihre Liebe nicht wecken und ihnen keinen Mut zum Leben geben, dann ist alles umsonst. Sie sollen darauf vertrauen, dass Gott selbst von jetzt an mitten in ihrem Leben gegenwärtig ist.

Und mitten in unseren Leben. Um ihn haben wir uns heute versammelt - mitten in unseren Leben. Wir sind versammelt, damit auch wir die Hände sehen, die er am Taufbecken und am Abendmahlstisch ausstreckt, und die Worte hören, die er sagt, und damit wir darauf vertrauen, dass Gott genau so hier bei uns stattfindet. In einer Handlung, die Nahrung gibt, einem Angesicht, das erhoben wir und über uns leuchtet, und einer Stimme, die uns anders und mehr nennt, als wir uns selbst sagen können: Geliebte Kinder des himmlischen Vaters, nichts Geringeres. Andere können mit milden Augen auf uns sehen und uns alle guten Namen geben und uns zu dem machen, was wir sind. Aber wer sind wir, wenn ihre Stimmen verstummen, und ihre Augen geschlossen werden? Wieder andere können uns mit kalten Augen ansehen und uns bei Namen nennen, die wir nicht kennen könen, und es ist furchtbar jedesmal, wenn es geschieht, denn es reißt tiefe Wunden in unser Selbstverständnis. Wer sind wir, wenn wir so gesehen werden? Vor allem sind wir Kinder des himmlischen Vaters. Geschwister des Sohnes des lebendigen Gottes. Dazu werden wir in dem Augenblick, in dem wir die Hand, die er uns reicht, und die Worte, die er sagt, annehmen, und bekennen, dass er dies ist: Zugleich unser Bruder und der Sohn des lebendigen Gottes. Denn wenn der Sohn des lebendigen Gottes unser Bruder geworden ist, dann ist der lebendige Gott auch unser Vater geworden. Das ist der wichtigste Name, den wir haben. Bevor wir etwas anderes heißen, heißen wir Gottes geliebter Sohn oder Gottes geliebte Tochter. Diesen Namen haben wir, und so heißen wir, wie auch immer andere uns sehen mögen. Und so heißen wir fortgesetzt, wenn wir keinen Namen mehr haben für andere.

Mit dieser Identität ist eine wunderbare Verheißung verbunden. Die Tore des Totenreichs werden keine Macht über uns erhalten. Sie erhielten keine Macht über den Menschen, den Gott als seinen eigenen Sohn sah. Als Petrus und die anderen glaubten, dass alles aus sei, wurde das Reich des Todes aufgebrochen, so dass das Licht der Sonne hineinströmte und der Sohn direkt in den Frühlingstag hinausgehen konnte. Wenn wir es vergessen haben sollten, dann erzählt die Taufe uns, dass Gott auf uns sieht, wie er auf ihn sah. Auf uns als seine geliebten Kinder. So nennt er uns. Und deshalb können wir darauf vertrauen, dass die Tore des Totenreichs auch niemals Macht über uns erlangen werden.

Amen



Pastorin Marianne Frank Larsen
Taulov, DK-7000 Fredericia
E-Mail: mfl@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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