Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 15.07.2012

Predigt zu Matthäus 19:16-26 (dän. Perikopenord.), verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen. Und wenn ich noch so viel dafür täte, wenn ich alle meine Habe verkaufte und den Erlös den Armen gäbe, ins Kloster ginge und den Rest meines Lebens in Gebet und Dienst an den Kranken, Einsamen und Verfolgten zubrächte. Und wenn ich das ganze Gesetz Moses einschließlich der Zehn Gebote genauestens befolgte; ich kann mich nicht selbst erlösen. Für den Christen gibt es nur einen Weg zu Gottes Segen und zur Vergebung der Sünden: den Glauben an die Erlösung durch Seinen Eingeborenen Sohn Jesus Christus.

Der Jüngling beteuert, alle Gebote des Gesetzes eingehalten zu haben. Er hat keinen Totschlag begangen, keine Ehe gebrochen, nicht gestohlen, keine falsches Zeugnis abgelegt, und er hat seine Eltern immer geehrt. Das kann man einigermaßen messen und wiegen. Aber äußerst selbstsicher antwortet er auch, dass er allzeit seinen Nächsten liebt, genauso wie er von Gott geliebt ist und wie er sich selbst liebt. Bemerkenswert ist dabei, dass er es wagt, sich selbst dies Lob zu spenden. Dies Letztere ist ja kein Teil des mosaischen Gesetzes, sondern es ist die zweite Hälfte des sog. „doppelten Liebesgebots".

Im Übrigen wird er aber in den eher messbaren Geboten examiniert. Das Gebot, keine andere Götter zu haben als den Gott Israels, liegt nicht auf dem - in Dänemark grünen - Examenstisch. Es ist ansonsten leicht zu übertreten: hat er doch mit seinem großen Vermögen, auf das er nicht verzichten kann, einen Mammongott, den er eifriger anbetet als seinen Himmlischen Vater.

Er meint selbst, dass er seinen Nächsten liebt, aber liebt er auch Gott den Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all seiner Kraft? Welches Zentrum hat er eigentlich in seinem Leben? Was mag, im Alltag und bei festlicher Gelegenheit, das absolut Wichtigste für ihn sein?

Gedenkt er des Feiertags und heiligt er ihn? Vielleicht. In dem Gebot liegt doch, dass wir immer arbeiten, aber auch, dass wir die Welt und einander genießen sollen; dass wir uns uns keine Sorgen machen sollen über die täglichen Arbeiten, tagaus tagein! Dass wir ruhen und Kraft sammeln sollen. Dass wir andere verwöhnen und uns verwöhnen lassen sollen. Nicht um irgendetwas zu erreichen, nicht um Punkte zu sammeln, sondern um das Geschenk zu genießen, das Gott uns gegeben hat: das Leben und die Liebe. Sich nicht über das Leben freuen heißt, sich nicht über Gottes Geschenk freuen. Und das wäre undankbar.

Den Feiertag heiligen? Das würde bedeuten, dass wir in geistiger Trägheit enden müssten. Gebete muss man beten, und Lieder kann man singen; der Geist ist in Gang zu halten; er muss gepflegt und gestärkt werden, so wie ein Sportler seinen Körper pflegt und stärkt - kurz man soll sich öffnen - sich öffnen lassen - für den Segen Gottes, wenn er über uns gesprochen wird. In der Kirche und in der einsamen Kammer. Nicht um Gottes willen, sondern um unsertwillen. Eine gesunde Seele, gern in einem gesunden Körper.

Hat der reiche junge Mann sich der Begierde enthalten? Kaum! Die entsprechenden Gebote nehmen doch viel Raum ein im Gesetz Moses: du sollst nicht begehren deines Nächsten Ehepartner, Mitarbeiter oder Besitz. Ist er nie neidisch auf die Fähigkeiten und das Vermögen und die Besitztümer seines Nachbarn? Gewiss doch. Wird er seinem Nachbarn nie Schaden zufügen, aus Begehrlichkeit nach dessen Besitz? Sehr wahrscheinlich wird er das!

Der französisch-amerikanische Kulturforscher René Girard (geb. 1923) hat einige Theorien über das „Opfer" entwickelt. Sie stützen sich auf die Beobachtung, dass zwei Kinder in einem Sandkasten immer in Streit um denselben Eimer geraten. Girard sieht dies als Ausdruck dafür, dass die menschliche Begierde immer auf das Objekt gerichtet ist, das einer anderen Person gehört. Meinem Nächsten und meinem Nachbarn.

Darum wird diese andere Person zu einem Hindernis für die Erfüllung der Begierde - und sie muss deshalb aus dem Wege geräumt werden. Eine Gesellschaft ist daher fortwährend dadurch bedroht, dass sie in einem Inferno von gegenseitiger Begierde und Gewalt untergeht, weil alle Menschen bei der Erfüllung der Begierden anderer Hindernisse darstellen.

Die Gesellschaft kontrolliert indessen dieses mögliche Chaos nach René Girard, indem man hin und wieder die Begierde auf eine einzelne Person hin kanalisiert, auf den Sündenbock, zu dessen Tötung sich alle zusammentun können.

Es ist schwer, sein Denken ununterbrochen rein zu halten; auch wenn Mund und Herz einen Pakt schließen, kann man dann sicher sein, dass der Pakt auch alle 24 Stunden des Tages eingehalten wird? Der reiche Jüngling: ist er nie von dieser Gier nach dem Besitz des Nächsten gequält gewesen? Er ging betrübt davon, aber wo war an jenem Ostern, als Jesus zum Sündenbock gemacht, gemartert und gekreuzigt wurde? Vielleicht saß er zu Hause und philosophierte über seinen Reichtum und zählte sein Geld, vielleicht befand er in Jerusalem in der Menschenmenge und schrie „kreuzige ihn".

Letzten Sonntag hörten wir auch Worte Jesu aus dem Matthäusevangelium, bloß drei Kapitel vor unserem heutigen Text. Da sagte er: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; aber wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?" Wenn jemand mir nachfolgen will, so sollen er und sie bereit sein, zu Sündenböcken für die Wahrheit zu werden, sagt Jesus. Man muss sein Leben verlieren, um es zu gewinnen, sagt er auch.

Das Leben des Jünglings bestand in seinem Wohlstand und seinem Verlangen, diesen Wohlstand zu bewahren. Sein Leben war gebunden an Sicherung des Vermögens, an ökonomischen Zuwachs und überhaupt an das Verlangen, sich selbst zu behaupten. Diese Tugend, anderen nicht zur Last zu fallen, sondern ein gut gepolstertes Bankkonto und für einen verregneten Tag an der Börse genügend Geld im Sparstrumpf zu haben. Er war nicht nur ein Gefangener des Wohlstandes: er war ein Gefangener dieses Lebens.

„Wie muss ich in dieser Welt handeln, um das ewige Leben zu haben? Was muss ich Gutes tun?" Der Jüngling kommt zu Jesus und will unbedingt eine Antwort haben. Denn sein Leben ist - trozt des Wohlstandes - inhaltslos. „Alles ist eitel", sagt der Prediger im AT. Die Weisheit des Predigers ist: „Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt, wer Reichtum liebt, hat keinen Nutzen davon. Das ist auch eitel! Je größer der Wohlstand, desto mehr gibt es, die ihn verzehren; was hat der Wohlhabende davon außer der Freude an diesem Anblick? ... Der Überfluss des Reichen bereitet ihm schlaflose Nächte."

„Was muss ich Gutes tun", fragt der Jüngling. „Das Gute ist nicht etwas, was man tut, sondern etwas, was ist", antwortet Jesus. Wenn es eine gute Tat gibt, dann ist es dies, dass man sich Gott zuwendet. Dass man durch Jesus Christus das Reich Gottes annimmt, das von den Himmeln, von dort, wo Gott herrscht, hierher auf diese im übrigen verdammte Erde kommt, dass man Gott in dieser Welt durch uns wirken lässt. Das ist das Gute.

Niemand ist vollkommen. „Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib's den Armen, und komm und folge mir nach." Das Erstere ist leicht getan, das Zweite schwer. Zachäus kletterte vom Baum herab, gab seinen Besitz denen, die er betrogen hatte und wurde ein Jünger Jesu. Obwohl er zuerst nicht wollte. Der reiche Jüngling will es sehr gern, endet aber damit, dass er in den Baum klettert aus Resignation und Verzweiflung, dass er sich nicht selbst die Gnade und die Erlösung und das Leben in Christus hat erhandeln können.

Er begreift nicht, dass nicht er handeln soll, sondern dass das Heil darin besteht, GOTT handeln zu lassen. Durch ihn. Und weil er nicht danach leben kann, ist er zu einem Opfer geworden. Zum Opfer der Begierde, der Eigenmächtigkeit und seiner selbst. Die Frage ist dann, ob er in dieser Krisenlage nicht einen Sündenbock nötig hat, und wer oder was dann letzten Endes dazu wird.

„Wo bleibt nun das Rühmen", fragt Paulus und fährt fort: „Es ist ausgeschlossen! Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens! Denn wir halten dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke."

Es ist dem Menschen unmöglich, sich selbst zu erlösen. „Bei den Menschen ist's unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich."

Amen

 



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK 6700 Darum v/Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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