Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 22.07.2012

Predigt zu Matthäus 10:24-31 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Niels Henrik Arendt

 

In diesen Worten Jesu an seine Jünger spiegelt sich ihre Furcht wider, in der Welt allein zu sein. Jesus hatte sie mehrfach darauf vorbereitet, dass sie nur eine Zeit zusammen sein würden; aber jedesmal wenn er dies sagte, wiesen sie es gleichsam von sich. Sie mochten sich nicht vorstellen, dass die Zeit ihres engen Verhältnisses ein Ende nehmen sollte. Jesus verheimlichte auch keineswegs, dass sie, wenn die Zeit kommen würde, harten Erlebnissen ausgesetzt sein könnten. So ist es kein Wunder, wenn sie die Zukunft fürchteten und darum baten, dass die Gegenwart weiter andauern würde.

Aber Jesus ließ sie nicht los. Er machte ihnen vielmehr Mut vor der risikoreichen Zukunft, indem er davon sprach, dass es etwas geben würde, wovor man sich noch mehr fürchten müsse als vor dieser Zukunft.

Fürchten wir die Zukunft? Ja, wir fürchten sie, obwohl wir es unmittelbar vielleicht nicht zugeben möchten. Die Zeit ändert die Form, in der sich die Furcht äußert. In den 60er und 70er Jahren fürchteten wir die Atombombe. Diese Furcht ist nicht mehr so groß. In den 80er Jahren waren es Umweltverschmutzung und Weltuntergang, die Furcht auslösten; es scheint, dass gegenwärtig auch dies nicht mehr so sehr der Fall ist, obwohl sich doch der Zustand der Welt nicht gerade verbessert hat. Aber es gibt noch immer Dinge, die uns Angst machen können: Krankheiten etwa. Sie sind das große Furcht-Thema unserer Zeit. Ärztliche Ratgeber und ähnliche Artikel in Tageszeitungen und Illustrierten haben eine große Leserschaft. Sie bieten Voraussagen, wie viele Menschen künftig von unheilbaren Krankheiten heimgesucht werden, und Ratschläge, was wir tun können, um sie zu umgehen. Wir reagieren prompt auf derartige Gerüchte. Wir richten unsere Gedanken auf alle die Krankheitsrisiken, von denen wir bedroht sind, und in Wirklichkeit sind wir dabei vielleicht kerngesund. Und wir sind mit von der Partie, wenn es darum geht, alles nur Erdenkliche zu tun, wenn es unser Leben auch nur ein kleines Bisschen verlängern kann.

Wir alle erleben die Unbeständigkeit des Lebens und der Welt; und dieses Erlebnis ist heute wohl stärker als jemals zuvor. Wir fürchten, die Zeit könnte unser Leben verwandeln. Manchmal sogar in dem Maße, dass wir das Leben kaum noch zu leben wagen.

Das Erlebnis von Unbeständigkeit ist nun allerdings keineswegs neu. Man findet es schon im AT ausgedrückt, in Worten aus dem Buch des Predigers, dass alles seine Zeit hat: geboren werden hat seine Zeit, und sterben hat seine Zeit, weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit, und klagen hat seine Zeit, bekommen hat seine Zeit und verlieren hat seine Zeit. Usw. usw. Der Prediger macht keinen Hehl daraus, dass alles begrenzt ist. Aber uns fällt es schwer, uns damit abzufinden, dass das Gute im Leben ein Ende haben soll. So ist es eben. Wir haben die Freude nur unter den Bedingungen der Zeit, wir haben einander nur unter den Bedingungen der Zeit, wir haben das Leben nur unter den Bedingungen der Zeit. Und die Bedingungen der Zeit sind Begrenztheit oder Ende. Ob uns das gefällt oder nicht: wir sind der Veränderung unseres Lebens durch die Zeit unterworfen.

Nun kann man die Sache ja umkehren und sagen, dass die Zeit ja auch bedeutet, dass etwas Dauer erhält. Es ist ja nicht so, dass alles nur einen Augenblick existiert. Der Prediger sagt in Wirklichkeit, dass alles seine Zeit erhält, dass alles Dauer hat über den Augenblick hinaus. „Haben wir Zeit dafür?" fragen Kinder, wenn da etwas ist, was sie gern noch tun möchten - wir können in Lebenszusammenhänge eintreten, wir können Verantwortung übernehmen, wir können uns aneinander binden.

Die Zeit gibt Dauer für das, was sonst augenblicklich mit dem Winde verwehen würde. Das ist die Botschaft des Predigers. Alles dauert - ein Zeitlang. Die andere Seite der Zeit ist die, dass sie das, was wir bekommen, auch wieder von uns nimmt. Es ist ein und dieselbe Zeit, die uns Raum gibt, etwas aufzubauen, die es aber auch wieder vernichtet. Wir haben das Leben und einander nur unter den Bedingungen der Zeit. Das mag sich vielleicht sehr philosophisch anhören, ist aber in Wirklichkeit der Ausdruck für eine ganz einfache menschliche Erfahrung: bekommen und verlieren sind zwei Seiten ein und derselben Sache. Im Grunde ist es dies, was uns die Zukunft fürchten lässt. Mit äußerster Anstrengung versuchen wir, das Gute und Freudebringende zu greifen und zu bewahren, am Ende aber müssen wir es aufgeben. Und das løst Furcht aus, ist Grund genug zur Angst.

Jesu Jünger füchteten die Zukunft. Fürchtet euch trotzdem nicht, sagt Jesus zu ihnen. Er lenkt ihre Furcht auf etwas Anderes. Was sollen sie also fürchten? Sie sollen Gott fürchten, ihn, der Seele und Leib zunichte machen kann. Gott sollen sie fürchten, und diese Furcht soll alle andere Furcht vertreiben, so dass sie das Leben zu leben und die Aufgabe, die ihnen gestellt ist, zu lösen wagen. Nicht dass die Zunkunft nicht reichlich furchteinflößend sein kann. Aber niemand kann, was Gott kann. Ihn über alles andere zu fürchten, haben wir allen Grund.

Heute fordern uns die Worte des Evangeliums auf, dass auch wir unsere Furcht in die richtige Richtung lenken. Auch für uns gilt, dass wir Gott über alles Andere fürchten. Nicht etwa deshalb, weil die Zukunft nicht auch für uns reichlich furchterregend sein kann. Aber Gott ist so groß, dass auch das Geringste nicht zu gering ist, als dass er sich seiner annähme. Gotts sollt ihr fürchten, sagt Jesus, denn dann ist nichts anderes so furchtbar, dass ihr es nicht auf euch nehmen könntet, dann bekommt ihr Mut zum Leben, Mut für die Aufgabe, die Gott euch gestellt hat.

Aber Gott soll doch wohl kein Schreckbild sein, nicht jemand, vor dem man Angst hat? Widerspräche das nicht dem Christentum? Und haben nicht Schreckbilder Gottes in früheren Zeiten Menschen an Leib und Seele verkrüppelt? Gewiss ist es so gewesen.

Aber dass man Gott fürchten soll, bedeutet ja nicht, dass man vor ihm Angst haben soll, so wie man for einer Krankheit oder einer bedrohlichen Zukunft Angst hat. Gott ist derjenige, der sich auch des geringsten Geschöpfes annimmt, sagt Jesus - deshalb ist die Furcht vor ihm eine Furcht, mit der man leben kann, im Gegensatz zu der Furcht vor all dem, was nur grauenvoll und erschreckend ist. Gottesfurcht will sagen, dass es Ernst wird für einen mit der Aufgabe, die einem das Leben stellt. Gottesfurcht will sagen, dass man sich darüber im Klaren ist, dass es keinerlei Entschuldigung gibt. Gottesfurcht will sagen, dass Gott kein wankelmütiger oder nachgiebiger Vater ist, dessen Anweisungen man nicht so ernst zu nehmen braucht. Seine Forderungen sind wichtiger als alle anderen Forderungen. Mit ihm ist es Ernst.

Man könnte erwägen, wenn unsere Zeit nun schon in höherem Maße furchtbetont ist, als es frühere Zeiten waren, ob dies nicht daher kommt, dass die Sache mit Gott für uns nicht mehr ernst ist, warum es für uns heute so todernst geworden ist mit allen möglichen Dingen, die doch nur erschreckend sind und die heute dabei sind, uns vor dem Leben selbst Angst zu machen.

Gott macht nicht Angst. „Gott ist Gott. Und lägen alle Lande öde. Gott ist Gott. Und wären alle Menschen tot." Darum ist es ernst mit Gott, mehr als mit irgendetwas Anderem. Aber er hat auch ein Bild von sich selbst gezeigt, das die Furcht vor ihm zu etwas Anderem macht als vor irgendetwas sonst. „Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt." Gott hat uns sehen lassen, was sich hinter seiner furchterregenden Gewalt verbirgt, nämlich dass sie eine Liebe und eine Fürsorge birgt, die jeder Beschreibung spottet. Indem Jesus die Furcht seiner Jünger gegen Gott wendet, lehrt er sie, dass es hier - in seiner Nähe, die über alles andere zu fürchten man allen Grund hat - dass es hier gut ist zu sein.

Dietrich Bonhoeffer - der von der Gestapo ins Gefängnis geworfen worden war, u. a. weil er 14 Juden bei der Flucht in die Schweiz geholfen hatte - wurde mit Recht mit dem Versuch eines Attentats auf Hitler im Juli 1944 in Verbindung gebracht, was dazu führte, dass er von der Gestapo einem peinlichen Verhör unterzogen wurde. Man kann sich vorstellen, wie das gewesen ist. Später hat man ihn ins Konzentrationslager Flossenburg gebracht, wo er dann erhängt worden ist. Nach den Verhören durch die Gestapo sagte er zu einem Freund: Jetzt habe ich erlebt, was ich mehr als irgendetwas sonst gefürchtet habe. Und ich habe entdeckt, dass ein Mensch nichts, aber auch gar nichts in dieser Welt zu fürchten braucht.

Gott ist furchterregend mächtig, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Zugleich aber lehrt er sie, dass sich der Mensch nirgendwo mehr zu sein wünschen soll als in der Nähe Gottes. Denn da ist das Leben ernst, da gelten keine Entschuldigungen, aber da ist auch Seligkeit und Freude. Und daher ist nichts Anderes es wert, dass man sich davor fürchten sollte.

Gott fürchten heißt, die Unbefangenheit haben, das Leben zu leben und den Tod zu wagen - weil niemand und nichts uns aus seiner Hand reißen kann.

Amen



Bischof Niels Henrik Arendt
DK-6100 Haderslev
E-Mail: nha@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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