Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 05.08.2012

Predigt zu Lukas 18:1-8 (dän Perikopenordn.), verfasst von Peter Fischer-Møller

 

Zuerst zwei kleine Bilder aus dem Alltag.

Das erste Bild: Ein Pastor befindet sich mit seinen Konfirmanden auf einer Reise nach Kopenhagen. Auf der Treppe vor dem Hauptbahnhof sitzt eine in Lumpen gekleidete Frau mit einen Kind mit triefender Nase auf ihrem Schoß; sie streckt ihre geöffnete Hand aus. Der Pastor tut, als sähe er sie nicht, aber so leicht kommt er nicht davon. Die Frau ruft hinter der Gruppe her, die Konfirmanden gehen etwas eingeschüchtert zur Seite, und dann kann der Pastor ein Fünftkronenstück aus seiner Tasche fischen. Vielleicht nicht so sehr ihretwegen als vielmehr, um in Ruhe gelassen zu werden, um in den Augen der Konfirmanden kein schlechtes Bild abzugeben.

Das zweite Bild: Ein Junge, der gerade Radfahren gelernt hat, kommt schlingernd auf den Parkplatz vor dem Supermarkt gefahren. Es geht gerade noch gut - bis es eben nicht mehr gut geht. Er fällt mit dem Rad hin. Er hat kaum seine Stimmbänder spannen können zu einem Geheul über die Schramme an seinem Knie, da sind auch schon drei Erwachsene, nachdem sie ihre Einkaufstaschen fortgeworfen haben, um ihn versammelt. Sei gucken den Jungen und sein Knie an und trösten ihn ein bisschen, und es ist, als würden sie erst jetzt einander bemerken, und jetzt, wo klar ist, dass nichts Ernstes passiert ist, amüsieren sie sich darüber, dass sie gerade drauf und dran gewesen sind, einander über den Haufen zu rennen, um zu helfen.

Wo sind wir in diesen Bildern? Was für Motive bestimmen unsere Handlungen? Und was hat es zu bedeuten, dass wir von dem Wunsch getrieben werden, unangenehme Überraschungen zu vermeiden, oder in den Augen anderer gut dazustehen oder dass wir aus reinem und ehrlichem Mitgefühl handeln?

Es kann nützlich sein, diese Fragen im Hinterkopf zu haben, wenn wir uns jetzt einem dritten Bild zuwenden, nämlich dem Bild, das Jesus von dem ungerechten Richter zeichnet.

In 2000 Jahren hat man jetzt diese Geschichte erzählt, und immer noch können wir uns von ihr überraschen lassen. Denn er ist doch unsympathisch, dieser faule, furchtsame und von sich eingenommene Richter. So einen möchten wir wohl kaum als Richter in unserem dänischen Rechtswesen beschäftigt sehen. Wir wünschen uns, so wie man es auch damals tat, kluge und unparteiische Richter, die einzig und allein daran interessiert sind, dass der Gerechtigkeit Genüge geschieht.

Und während Jesus für uns das Bild vom ungerechten Richter zeichnet, reiben wir uns schon ein bisschen die Hände bei dem Gedanken an das vernichtende Urteil, das er jetzt gleich über den Richter fällen wird - so wie wir vorhin bei der Lesung aus dem AT von dem Urteil hörten, das da über die ungerechten Machthaber gefällt wurde.

Aber diesmal müssen wir unsere Schadenfreude für uns behalten, denn entgegen aller moralischen Wahrscheinlichkeit richtet Jesus sein Geschütz ganz und gar nicht gegen den erbärmlichen Richter. Er benutzt ihn vielmehr als ein positives Beispiel.

Da standen seine Jünger mit offenem Mund und rümpften die Nase, und ich bin sicher, dass Jesus sich sehr über sie amüsiert hat, wie ich auch glaube, dass er sich über uns amüsiert, wenn wir angesichts dieser Geschichte eben mal Halt machen und uns am Kopf fassen.

Was in aller Welt meint Jesus damit?

Ja, er meint wohl, dass wir erst einmal einhalten und uns wundern sollen und ein wenig tiefer über das Bild nachdenken sollen.

Dann mag es wohl geschehen, dass wir nicht nur einen faulen, von sich eingenommenen, furchtsamen Richter vor uns sehen, sondern vielleicht auch uns selbst.

Denn bietet unser Leben nicht reichlich Beispiele solcher Art von Ersatzhandlungen, die wir vor allem um unserer selbst willen vornehmen? Oder tun wir das Gute wirklich ohne weiteres einfach nur gerne und mit Freuden? Wohl kaum! Es geht nicht nur um eine einzelne Episode vor dem Hauptbahnhof. Oft müssen wir wohl zugeben, dass wir notgedrungen gehandelt haben, um nicht allzu schlecht dazustehen, damit andere nicht über uns klatschen, und um anständiger bürgerlicher Moral Genüge zu tun?

So kann Jesu kleine Geschichte vom ungerechten Richter unsere Augen dafür öffnen, dass wir, wenn's drauf ankommt, einander gar nicht so viel vorzuwerfen haben, wenn es um Faulheit oder Eingenommenheit von sich selbst oder Furchtsamkeit geht. Die Geschichte führt uns unsere eigene Schattenseite vor Augen und ruft uns dazu auf, in unserem Urteil über Andere nicht allzu hart zu sein. Aber sie lässt uns nicht an dieser Stelle allein mit unserem nabelschauenden Interesse an unseren eigenen Schwächen. Nein, die Geschichte richtet unsere Aufmerksamkeit in eine andere Richtung.

Weg von den Beweggründen, weg vom Willen, von dem wir sonst doch meinen, dass der Herr genau darauf sieht.

Jesus richtet unsere Aufmerksamkeit zunächst einmal auf die Ergebnisse. Darauf, dass tatsächlich doch etwas Positives dabei herauskommt, dass die Witwe doch in der Tat ihr Recht bekommt.

Wie es noch immer geschieht. Es mag sein, dass wir nicht alle und nicht allezeit unsere Steuern mit Freuden bezahlen, aber wir tun es dann trotzdem, um Unannehmlichkeiten mit Finanzamt und Gericht und Polizei zu vermeiden.

Und siehe, das führt zu positiven Ergebnissen: Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Sozialhilfe für die Schwachen und Unterstützung für ungerecht behandelte palästinensische Witwen und so weiter und so fort. Und das alles hat seinen Wert, ungeachtet der Motive, die dahintergelegen haben mögen.

Und außerdem stellt Jesus uns jetzt in dem Bild an einen anderen Ort.

Er sagt: versucht einmal, euch selbst in einer anderen Person wiederzuerkenntn, nämich in der Frau. Versucht einmal, die Lage aus ihrer Sicht zu sehen.

Obwohl die Witwe nicht gerade besonders gute Chancen zu haben scheint, etwas zu erreichen, gibt sie nicht auf. Sie dringt beharrlich auf den Richter ein, bis er sich, nur um sie loszuwerden, ihrer Sache annimmt und ihr ihr Recht verschafft.

Diese Witwe benutzt Jesus als Bild für das, was er unter Glauben und Gebet versteht. Und das ist recht bemerkenswert. So wie Jesus hier darüber spricht, geht es beim Glauben anscheinend nicht um ein bestimmtes Glaubensbekenntnis, nicht darum, bestimmte Auffassungen und Gedanken über Gott und das Dasein zu haben. Nein, Glaube ist ganz einfach Treue gegenüber dem, was man für richtig hält, ohne das man nicht leben kann. Und das Gebet besteht nicht aus bestimmten, wohlgesetzten Worten, einem bestimmten angelernten Ritual, sondern das Gebet ist, nicht aufzugeben, seine Hoffnung beharrlich auszudrücken. Das Gebet ist ein Ruf um Hilfe von Seiten dessen, der seiner Lage nicht Herr ist, aber seine Hoffnung nicht aufgeben will.

Die Witwe in unserem Gleichnis steht für einen Traum, den wir nicht aufgeben können und nicht aufgeben wollen, mag die Lage noch so hoffnungslos aussehen. Für einen Traum, der von dem ausgeht, was uns am nächsten steht, unserem eigenen Leben und dem Leben unserer Liebsten, von der Tatsache, dass wir manchmal gemeinsam mit ihnen das Leben als etwas unendlich Kostbares erleben. Als Gottes gutes Schöpfungswerk, für das wir die Verantwortung erhalten haben und in dem Platz sein und Möglichkeiten bestehen sollten nicht nur für mich und die Meinen, sondern für alle. Ein Traum, der von dem ausgeht, was uns am nächsten steht, ein Traum aber, der weiter reicht, der den Rahmen sprengt für uns und die Unsrigen und zu einem Traum für die ganze Schöpfung Gottes, für alle seine Menschen wird.

Ein Traum der plötzlich in unserem Alltag zu Wirklichkeit wird, fast ohne dass wir darüber nachdenken, wie es für die drei Menschen geschah in dem Bild, mit dem wir begannen, die drei, die ihre Einkaufstaschen wegwarfen, um dem Jungen zu helfen, der mit dem Fahrrad hingefallen war - und zwar nicht, um Eindruck zu schinden, sondern einzig deshalb, weil sie helfen wollten.

An dieser Auffassung vom Leben festhalten als etwas fantastisch Großem und Kostbarem, für dessen Fortbestand wir kämpfen sollen, das nennt Jesus Glauben; seiner Hoffnung für dieses Leben Ausdruck verleihen, nennt er Gebet.

So spricht Jesus, so wie ich es höre, von Glauben und Gebet im Evangelium von heute - und so lebte er danach. So war der Glaube Jesu, eine unverbrüchliche Liebe zu dieser gottgeschaffenen Welt und ihren Menschen, eine Liebe, die sich besonders auf die Unterdrückten und Ausgestoßenen richtete, auf die, die man gewöhnlich nicht mitzählte oder geringschätzte. Unerschütterlich hielt er an seinem Traum fest von einem Leben ohne Unterschiede zwischen Menschen, von einem Leben, in dem nicht die Selbsterhaltung, sondern die Fürsorge Leitstern war. Unerschütterlich hielt er an seinem Traum und an seiner Liebe fest trozt all der Bosheit und Ungerechtigkeit und trotz des Egoismus, den er auch um sich herum wahrnahm - nicht nur bei einigen wenigen Menschen, sondern bei allen, sogar bei seinen Jüngern.

Durch das Evangelium von heute sagt er zu uns:

Seid zuversichtlich! Verliert nicht den Mut, auch wenn vieles schwer und finster aussieht, denn wenn Güte und Gerechtigkeit euer sehr buntes Leben durchbrechen können, wieviel mehr wird dann nicht Gott die Güte und die Liebe in seiner Welt zum Sieg führen! Jesus will uns in der Hoffnung festhalten, er will, dass wir uns an sie klammern, darum beten, dass es in Erfüllung gehe, nicht nur, dass es dereinst einmal geschehe, nicht nur, dass Gott sich am Ende aller Zeiten trotz aller unserer zweifelhaften Ersatzhandlungen zu uns bekennt, sondern auch, dass sein Reich hier und jetzt anbrechen möge, dass sich die Liebe in unserem Leben miteinander heute durchsetzen möge.

Amen.

 



Bischof Peter Fischer-Møller
DK-4000 Roskilde
E-Mail: pfm@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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