Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis (Gedächtnis der Zerstörung Jerusalems), 12.08.2012

Predigt zu Matthäus 11:16-24 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Thomas R. Rasmussen

 

Man hört oft, der moderne Mensch könne die Botschaft nicht verstehen, die in der Kirche verkündigt wird. Man sagt, dass das Evangelium dem modernen Menschen nichts sage. Auch wenn solche Behauptungen, wie es scheint, nicht viel mit Erfahrung zu tun haben, bekommt man sie oft zu hören.

Denn ist der moderne Mensch etwas so Besonderes? Sind wir tatsächlich so speciell, dass ausgerechnet wir das Evangelium nicht hören wollen. Betrachten wir die Geschichte der Kirche, dann hat sich die Zahl der Kirchgänger - wenn wir sie als Maßstab nehmen wollen - immer konstant gehalten. Wir sind nicht soviel anders als unsere Ahnen. Und wenn wir auf die Worte Jesu hören, wie sie im Evangelium des heutigen Tages zu uns kommen, dann sind wir anscheinend auch nicht so viel anders als die Menschen jener Zeit. Sie wollten das Evangelium auch nicht hören.

Ob man nun Flöte spielt oder Klagelieder singt, es findet keinen Widerhall. Weil sie nicht auf Johannes hören wollen, wollen sie nicht auf Jesus hören. Weil wir das Urteil des Gesetzes nicht hören wollen, können wir die Gnade des Evangeliums nicht hören.

Diese Tatsache erklärt sich vielleicht daraus, dass sich der moderne Mensch etwas gemacht hat, was wir eine Glanzbildideologie nennen könnten. Wir zeichnen von uns selbst das Bild vollkommener Eltern, die den Schulbesuch ihrer Kinder bestimmt unter Kontrolle und ihre Kinder immer unter Aufsicht haben und mit ihnen zusammen sind. Wir zeichnen von uns das Bild von Menschen, die sowohl ihre Freizeit als auch ihr Arbeitsleben souverän verwalten und Esstische für zwölf Personen kaufen, denn so viel sind wir bei Tisch - denn man hat genug Freunde und man hat reichlich von allem. Aber wir wissen doch alle, dass die Dinge nicht so zusammenhängen. Eínes ist das Glanzbild, in dem wir unser Leben spiegeln, etwas Anderes ist die Wirklichkeit, in der wir leben. Wir haben, wie alle Generationen vor uns, Schwierigkeiten damit, einen Zusammenhang herzustellen und zu bewahren. Und die Schwierigkeiten sind so groß, dass Depression sich zur Volkskrankheit entwickelt. Und in diesem Punkt geht es uns weder besser noch schlechter als früheren Generationen. Auch sie hatten Schwierigkeiten, ihrem Leben einen Zusammenhang geben und es zu einer höheren Einheit zu formen. Das Besondere an uns ist, dass wir das nicht zugeben wollen. Wir wollen nicht zugeben, dass unser Leben keinen Zusammenhang mehr hat.

Ich sah neulich eine Untersuchung, wonach die junge Generation von heute sich nicht damit abfinden will, wenn sie keine Wohnung in der City bekommen können, trotz der Tatsache, dass ihre Finanzen dafür nicht ausreichen würden. Aber man will sich nicht damit abfinden, dass das leben eben nicht vollkommen ist. Man will sich nicht damit abfinden, im Alter von 20 Jahren in einer Zweizimmerwohnung zu wohnen, obwohl die eigenen Finanzen das zulassen würden. Wir haben ein Glanzbild vom Leben, das mit der Wirklichkeit schlechthin nicht vereinbar ist.

Und dieses Glanzbild wirft einen Schatten auf das Urteil des Lebens, einen Schatten auf Wort und Urteil des Gesetzes. Denn wenn das Glanzbild ein Bild des vollkommenen Lebens ist, was soll man dann noch mit einem Erlöser? Wozu braucht man einen Erlöser, wenn man selbst vollkommen ist im Leben?

Und wenn das Glanzbild dann in Stücke geht, ist das Urteil um so härter, denn es ist ja dann das eigene Ideal, dem man nicht entsprechen kann, und es ist das Urteil über einen selbst, das gefällt wird, und das ist immer das härteste.

Wir müssen uns von dieser Glanzbildideologie losmachen, um zur Wirklichkeit zurückzukommen, in der das Urteil Johannes' des Täufers lautet: du kannst dem Leben nicht genügen, du kannst das Leben nicht in seiner Ganzheit überschauen, bekehre dich! Ja, glaube an Jesus als deinen Erlöser.

Um die Gnade in Jesus hören zu können, müssen wir das Gericht in Johannes hören. Wenn wir nur unser eigenes Urteil über uns hören, können wir Jesu Wort der Gnade über uns nicht hören. Wir müssen dem Gesetz in der Fom der Forderungen des Lebens begegnen: du sollst lieben - auch andere als dich selbst. Du sollst lieben, auch wenn sich das Leben nicht so vollkommen gestaltet, wie wir gehöfft hätten.

Erst wenn wir sehen, dass wir unser Leben nicht uns selbst zu verdanken haben, sondern dass es ein Geschenk Gottes ist, das wir mehr oder weniger gut verwalten, erst dann können wir die gnadenvolle Stimme des Evangeliums hören. Es ist doch so, dass die Botschaft von der Vergebung der Sünden am klarsten da zu hören ist, wo die Trauer über die Sünde am größten ist.

Wenn wir alles in unser eigenes Werk und unser eigenes Leben verwandeln, dann hören wir nur unser eigenes Gericht, wenn das Leben zu kurz kommt, und dann können wir Gottes Gnade nicht hören, die uns in Christus zugesprochen ist. Wir müssen Gottes Gericht über das Leben und Gottes Gericht über uns hören, als einen Vorläufer der Gnade Gottes und seiner Vergebung über uns.

Wenn wir uns selbst zum Schöpfer des Lebens machen, dann gibt es niemanden, der es für uns wiedererschaffen kann, wenn wir zu kurz kommen, wenn wir verdammt sind.

Wir müssen das Leben hören als ein Geschenk Gottes, und damit Gott als unseren Schöpfer, so dass wir es für uns wiedererschaffen können, wenn wir in Finsternis sind. Kurz: wir müssen Johannes als dem Vorläufer des Erlösers begegnen, und wir müssen wissen: wie der Pflug Vorbereitung der Ernte ist, so ist das Gesetz Verläufer der Gnade. Nach Johannes kommt Jesus, nach dem Gesetz kommt das Evangelium, nach dem Gericht kommt die Gnade, und wer Ohren hat zu hören, der höre!

Amen.

 



Pastor Thomas R. Rasmussen
Tversted, DK-9881 Bindslev
E-Mail: trr@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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