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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 02.09.2012

Predigt zu Matthäus 20:20-28 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Birgitte Graakjær Hjort

 

 

Nichts ist so schön, wie bewundert zu werden. Wir wachsen mehrere Zentimeter, wenn etwa der Chef in den höchsten Tönen unseren Arbeitseinsatz lobt. Und wir saugen es in uns hinein, wenn z.B. jemand aus unserer Familie oder unserem Bekanntenkreis uns anvertraut, er bewundere uns, weil wir unsere Arbeit so tüchtig verrichten, oder wegen unserer Art und Weise, Mensch zu sein. Wir mögen es, wenn man uns schätzt. Vielen von uns geht es jedenfalls so. Und wir genießen es, wenn jemand zu uns geradezu aufsieht und uns Ehre erweist und Anerkennung zollt.

Eines Tages begegnete Jesus einigen Menschen, die danach dürsteten, bewundert zu werden. Es waren zwei seiner Jünger, Jakobus und Johannes. Die, die man Zebedäussöhne nannte. Sie hatten Jesus gegenüber eine Sonderstellung. Denn zusammen mit Petrus machten sie innerhalb der Jüngerschar eine Art von engstem Kreis aus - sie stellten sozusagen eine Form von Geschäftsführung dar. Und jetzt hegten sie den heißen Wunsch, dass es ihnen einst gegönnt sein würde, auch dereinst im Himmel die Ehrenplätze einzunehmen. Deshalb überredeten sie ihre Mutter, sich an Jesus zu wenden und ihn zu fragen, ob sich das nicht machen ließe.

Die Mutter hatte sich bisher einigermaßen im Hintergrund gehalten und war vielleicht etwas unruhig hin- und hergegangen. Denn Jesus war gerade dabei, vor den Jüngern eine Rede zu halten. Er erzählte, dass er bald nach Jerusalem gehen und leiden und sterben würde. Er erklärte den Jüngern die furchtbaren Leiden, die er würde durchmachen müssen, wenn er verurteilt und verhöhnt und auf schmerzhafte Weise hingerichtet werden würde. Mit diesen Leiden hatte er soeben seine Jünger vertraut gemacht.

Und kaum hatte Jesus das letzte Wort ausgesprochen, da eilte die Mutter der Zebedäussöhne auch schon hin zu ihm und bat: „Willst du nicht so gut sein und meinen Söhnen im Reich Gottes die Ehrenplätze geben? Gib ihnen die Plätze zur Rechten und zur Linken von dir, Jesus!"

Welch eine Frechheit, darum zu bitten! Und was für ein anmaßendes Auftreten! Wenn Jesus wie ein König im Himmel sitzen würde, sollten dann ihre Söhne ihm zur Rechten und Linken sitzen? Nur etwa einen Kopf niedriger als Jesus, so dass ihnen Ehre erwiesen würde?

Man kann sich kaum darüber wundern, dass die anderen Jünger empört sind. Und seit der Zeit, in der Matthäus diese Episode berichtet hat, haben wir von Generation zu Generation die Empörung der zehn Jünger geteilt! Als christliche Menschen haben wir ja gelernt, dass wir doch ein bisschen Demut zeigen und etwas bescheidener auftreten können.

Wenn es um das Verhältnis zu Gott geht, verhalten wir uns jedenfalls nicht so. Wenn uns nur gestattet wird, in das Reich Gottes einzugehen, dann sind wir glücklich. Wir hätten uns ja nicht geradezu vorgestellt, dass wir auf dem Thron zu Rechten und zur Linken von Jesus selbst sitzen sollten, so dass ein klein wenig von dem Glanz von ihm für uns würde abfallen können. Nein, wenn wir nur bei dem Fest im Reich Gottes dabeisein dürfen, dann bitten wir nicht um mehr. Das haben wir doch begriffen.

Aber bevor wir uns über die emsige Mutter und ihre ehrgeizigen Söhne allzu sehr aufregen, wollen wir einen Augenblick dabei verweilen, dass die Söhne ja bereit und willens waren, einen beträchtlichen Preis für die Ehrenplätze zu zahlen. Als Jesus die Frage stellte, ob sie den Kelch trinken könnten, den er trinken würde - und das bedeutete, ob sie darauf eingestellt waren, für ihren Glauben den Tod des Märtyrers zu erleiden, bejahten sie die Frage. Sie waren also willens, Jesus bis ans bittere Ende zu folgen - willens, in den Tod zu gehen - um die Ehrenplätze zu erlangen.

Und das waren keine aus der Luft geholten leeren Worte. Denn der Wagemut der beiden Jünger wurde auf eine harte Probe gestellt. Denn mehrere von den Jüngern sollten den Märtyrertod erleiden.

Sie wollten also ihr eigenes Leben opfern, um einen Ehrenplatz im Himmel zu bekommen. Und einen höheren Preis kann ja kein Mensch bezahlen. Was also stimmte hier nicht? Ja, das Problem war, dass es ganz einfach unmöglich ist, für einen Platz im Reich Gottes überhaupt zu bezahlen. Für die Plätze kann nur einer bezahlen. Und zwar Jesus. Gott allein ist dazu imstande, diese Sache zu bewältigen. Und er entschloss sich, es durch seinen Sohn zu tun.

Die Plätze im Himmel verlangen ihren Preis. Sowohl der erste als auch der zweite Platz im Himmel hat etwas gekostet. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Aber niemand anders als der Sohn Gottes besaß das, was es kostete. Nämlich Jesu eigenes, fehlerloses Leben. Das meinte Jesus mit dem, was er sagte und was wir eben gehört haben, nämlich dass er das Lösegeld bezahlt hat, das zu bezahlen war. Er hat den Preis bezahlt. Und jetzt verehrt er die Plätze im Reich Gottes weg - verschenkt sie - an diejenigen, die sie empfangen wollen.

Und wenn er für die Plätze bezahlt hat, dann ist er es auch, der sie ganz souverän verteilt. Und wer weiß, vielleicht verteilt er sie so, dass kleine, eben getaufte Kinder - wie z.B. NN, der heute getauft werden soll -, die Ehrenplätze zur Rechten und zur Linken von Jesus Christus bekommen. Und vielleicht bekommen Pastoren und Bischöfe die Plätze, die am weitesten von ihm entfernt sind. Das wird von Gott bestimmt. Ganz und gar. Darum braucht man sich also keinerlei Sorgen zu machen.

Denn er hat verheißen, dass es in seinem Reich allen gut gehen wird. Jeder einzelne soll mit Freude leben. Niemand wird etwas entbehren. Und die Herrlichkeit wird kein Ende haben. Ob wir den einen oder den anderen Platz bekommen - darüber brauchen wir uns keinerlei Sorgen zu machen. Wir sollen, offen gesagt, einen Lobgesang anstimmen und gemeinsam dafür danken, dass wir die Plätze im Reich Gottes geschenkt bekommen.

Und dann steht uns etwas ganz Anderes bevor, wofür wir sorgen sollen. Etwas ganz Anderes, wonach wir mit allen Kräften streben sollen. Das sind die Ehrenplätze hier in der Welt. Wohlgemerkt die Plätze, die Jesus als besonders ehrenvoll betrachtete. Es sind die Plätze zur Rechten und zur Linken unserer leidenden Mitmenschen. Wir sollen uns Mühe geben, diese Plätze zu bekommen! Das sind die Ehrenplätze hier in der Welt. Oder wie wir vorhin gehört haben: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer der Erste unter euch sein will, der sei euer Knecht."

Der ehrenvollste Platz überhaupt ist der Platz zur Rechten oder zur Linken unseres Nächsten. Und je mehr der Nächste leidet, desto mehr sollen wir uns bemühen, einen Platz gleich neben ihm einzunehmen. Je einsamer und kränker der Nächste ist, desto länger sollen wir Schulter an Schulter mit dem Betreffenden stehen bleiben. Und je mehr Kampf und Unglück sich im Leben des Nächsten abspielt, mit desto größerer Treue sollen wir an seiner oder ihrer rechten oder linken Seite stehen. Das ist der Ehrenplatz.

Jesus ging voran und zeigte deutlich, dass wir nach den Ehrenplätzen streben sollen. Denn der Augenblick in seinem Leben, in dem Gott ihn erhöhte und ihm den Namen über alle Namen gab, war der Augenblick, da er am Kreuz hing. Der Augenblick, als er am meisten gedemütigt wurde und am schlimmsten litt, - das war der Augenblick, in dem Gott ihm die größte Ehre zuteil werden ließ. Und da hatte Jesus Räuber neben sich, zur Rechten und zur Linken. Da hangen zwei verurteilte und kriminelle Personen ihm zur Rechten und zur Linken.

Also, was groß und ehrenvoll ist in den Augen Gottes, das ist, dass wir so nahe wie möglich neben Menschen stehen, die leiden und kämpfen. Neben Menschen, die bittere Not leiden und es bitter schwer haben.

Wir wollen nun heute mit der Erzählung eines Ereignisses schließen, das ein älterer Herr einmal in seiner Kindheit erlebt hat. Ich spreche von einem älteren Mann hier in unserer Gemeinde, und er hat mir erlaubt, dass ich seine Erzählung wiedergebe und heute hier mit auf die Kanzel nehme.

Einmal, als dieser ältere Herr noch ein Kind war, hatte er einen Kameraden, der ziemlich dick war. Niels hieß er. Und Niels war nicht nur ganz gewöhnlich dick, sondern er war kugelrund. Er war größer als alle anderen in der Schule. Trotzdem hatten die anderen Kinder Respekt vor ihm. Er war nämlich schlagfertig, und es war nicht gut Kirschen essen mit ihm. Er war wortgewandt, so dass er einen jeden abfertigen konnte, der ihm zu nahe trat. Und außerdem war er in allen Fächern der Beste in seiner Klasse.

Die ersten Jahre in der Schule kam er gut zureckt. Aber als Niels 14 Jahre alt war, kam er in die Mittelschule. Und hier ging es schief. Denn hier war fast keiner, der ihn von früher her kannte und Respekt vor ihm hatte.

In der ersten Pause versammelten sich die großen Jungen um ihn. Sie sahen ihn nicht bloß an. Sie glotzten ihn geradezu wie ein merkwürdiges Tier im Zoo an. Sie wechselten vielsagende Blicke und kurze Bemerkungen miteinander. Und da stand nun Niels - umgeben von lauter Schülern, die er nicht kannte und die ihn von allen Seiten höhnisch anstarrten.

Er begann sich zurückzuziehen. Langsam. Schritt für Schritt bewegte er sich rückwärts und versuchte, von der böswilligen Gruppe Abstand zu gewinnen. Bis sein Fuß an etwas Hartes stieß und er merkte, dass er nicht mehr weiter rückwärts gehen konnte. Er stand jetzt buchstäblich mit dem Rücken an der Wand.

Wie er nun so dastand - dem Gelächter und dem Hohn aller um ihn Stehenden ausgeliefert - und wie er vor Angst zitterte und sich vor dem fürchtete, was sie im Schilde führten -, da trat plötzlich einer aus der Menge vor. Es war Niels' bester Freund. Er bahnte sich einen Weg durch die Schar und stellte sich neben ihn. Er stellte sich Schulter an Schulter neben Niels.

Da standen dann die beiden Burschen. Zur Rechten der Eine, zur Linken der Andere. Mit dem Rücken zur Schulwand, und sie teilten die Schmach.

Dieses Ereignis veranschaulicht sehr gut die Botschaft der heutigen Predigt: Wir Wir sollen uns an die rechte oder linke Seite unseres verzweifelten oder notleidenden Nächsten stellen. Schulter an Schulter mit einem Mitmenschen, der in Not ist. Dort und nirgendwo sonst ist der Ehrenplatz.

Amen.

 



Sognepræst Birgitte Graakjær Hjort
DK-8200 Århus N
E-Mail: bgh@christianskirken.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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