Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 16.09.2012

Predigt zu Lukas 10:38-42 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Eva Tøjner Götke

 

Martha und Maria.

Die beiden Schwestern sind sozusagen zu einer Art von Symbolen geworden für zwei verschiedene Weisen, sich zum Leben zu verhalten.

Die eine - Martha - ist die Praktikerin.

Die zweite - Maria - ist das verlässliche Mädchen, das dem Herrn zu Füßen sitzt und seinen Worten zuhört.

 

Und als Martha sich beklagt, Maria helfe nicht mit, sondern sitze einfach nur da - da streicht Jesus Maria heraus, indem er sagt, sie habe den guten Teil gewählt. „Eins ist Not", sagt er.

 

Das hat man dann oft so ausgelegt, das einzig Richtige sei, dazusitzen und zuzuhören und geistig zu sein - und nicht an's Praktische zu denken.

Ich habe immer Martha in Schutz genommen.

Ich habe nämlich selbst eine Schwester, die zu Hause nie mitgeholfen hat!

Aber auch aus anderen Gründen nehme ich Martha in Schutz.

Denn es nützt doch nichts, wenn wir uns nur mit gefalteten Händen untätig hinsetzen.

Man muss doch sozusagen dafür sorgen, das Brot auf den Tisch kommt.

Da muß doch jemand die Ärmel aufkrämpeln und - handeln.

 

Und geht es übrigens im Christentum nicht auch darum, dass wir etwas tun müssen, handeln und eingreifen müssen - und nicht einfach bloß so dasitzen und in unserem innigen Frömmigkeitsleben uns der Selbstzufriedenheit hingeben können?

 

Aber heute will ich es einmal mit Maria halten.

Ich glaube nämlich ganz und gar nicht, dass es in dieser kleinen Szene darum geht, ob man praktisch oder geistig sein soll.

 

Da ist etwas, was Maria klargeworden ist, was Martha dagegen nicht aufgegangen ist.

Maria hat das Eine gefunden, was Not ist.

Das hat Martha nicht gefunden.

Maria hat eine Wahl getroffen.

Sie sitzt selbstvergessen da und ist verzaubert und hingerissen von den Worten aus dem Munde des Herrn.

 

So ergeht es Martha nicht.

Sie ist innerlich gespalten.

Sie macht sich unentwegt zu schaffen als das wohlerzogene Mädchen, das sie ist.

Könnte sie nur das zu dem Einen machen, das Not ist - aber sie ist ja nicht eins mit dem, was sie tut.

Sie ist neidisch auf Maria.

Sie spielt den Märtyrer.

Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!

 

An dieser Stelle sollen wir das Wort hören: Eines ist Not.

„Martha, du machst dir viel Sorge und Mühe vieler Dinge wegen. Eins aber ist Not."

 

Es geht also nicht darum, dass Jesus das geistige Mädchen erhöht und das praktische Mädchen herabsetzt.

Er erinnert uns daran, dass wir uns immer klarzumachen haben, dass Eins Not ist.

Manchmal verlangt es von uns, Praktiker zu sein.

Andre Male sollten wir uns nur in aller Ruhe hinsetzen und aufmerken, alles stehen und liegen lassen, womit wir uns gerade befassen, anstatt uns unentwegt zu schaffen zu machen, Carports zu bauen, Fußböden zu schleifen, Geschirrspüler zu füllen und aufzuräumen.

 

Bei allem geht es doch darum, da zu sein.

Und die Lage zu erkennen und zu entdecken, was von uns verlangt wird. Hier und jetzt. Mit dem oder den Menschen, den oder die wir vor uns haben. Jetzt. Heute.

 

Und damit, da zu sein in dem, was wir tun - was immer wir auch tun.

Sei es, dass wir das Praktische wählen, oder, dass wir unsere Gedanken auf eine Sache konzentrieren.

 

Die Botschaft an uns ist nicht, dass das Eine, das Not ist, dies wäre, dass wir uns zu Füßen des Herrn setzen.

Die Botschaft ist, dass wir immer daran denken sollen, dass es Eines gibt, das das Richtige ist.

Und nicht zweierlei. Oder dreierlei.

Es ist nicht gleichgültig, was wir tun.

Alles ist nicht relativ.

Wir können nicht ebensogut das Eine sagen wie das Andre.

Oder das Eine tun wie das Andre.

Es gibt einen Unterschied.

 

Das Christentum lehrt uns, dass wir zu unterscheiden haben.

Und das Evangelium lehrt uns zu unterscheiden.

Genau dies geschah an jenem Tage für Maria.

Als der Herr ihr Haus betrat.

Maria ließ fallen, womit sie gerade beschäftigt war, und setzte sich dem Herrn zu Füßen, ja, sie vergaß sich selbst.

Denn hier war einfach etwas, das wichtiger war, als die feinen Deckservietten hervorzukramen.

 

Wir können unmittelbar nicht erklären, warum dies für sie geschah und nicht für Martha.

Aber wir können, was für Maria geschieht, mit dem vergleichen, was für die Jünger geschah, als sie berufen wurden.

Sie waren jedenfalls ausgesprochene Praktiker.

Sie waren vollauf damit beschätigt, Fisch zu fangen.

Das war Alltag für sie.

Aber als Jesus vorbeikommt und sagt: folgt mir nach, lassen sie alles liegen, was sie gerade in den Händen haben, und lassen Netz Netz sein, ohne dass sie erst einmal nachgefragt hätten, was Jesus anbieten kann.

Eins ist Not.

Und sie ergriffen es.

 

Das Evangelium handelt also davon, dass es eine Macht gibt, die uns die Augen öffnen kann, so dass wir die Lage erkennen und sehen können, was wichtig ist.

Eine Macht, die uns erzählen kann, was wichtig ist und was weniger wichtig ist.

 

Es gibt besondere Situationen in unserem Leben, in denen wir dieser Macht gegenüber weniger ohnmächtig sind - als in anderen Situationen.

Oder offener für sie - wie auch immer wir es formulieren mögen.

 

Wenn wir z.B. Eltern werden und ein Kind bekommen, zeigt sich uns die Welt auf eine andre Weise.

Dann sehen wir, dass es einen Unterschied macht.

Die Freude über das kleine Kind hilft uns, Prioritäten zu setzen.

Die großen Sorgen von vorher sind jetzt unbedeutend - weil alles auf Grund der Freude über das kleine Kind in neuer Perspektive erscheint.

 

Aber auch der, der von einer lebensgefährlichen Krankheit befallen wird, gewinnt eine andre Perspektive auf das Leben und die Menschen in seiner Nähe.

 

Es mag merkwürdig sein, es in diesem Zusammenhang auszusprechen, aber es ist doch ein Geschenk, Prioritäten setzen zu können.

Und viele Kranke berichten selbst, dass sie es als einen Sinn ihrer Krankheit betrachten, dass sie eine andre Auffassung vom Leben, von der Liebe, von der persönlichen Nähe bekommen - als sie vor der Krankheit hatten.

 

Es ist ein Geschenk, sagen zu können: Eins ist Not - und präsent zu sein in dem, was man tut, sei es nun praktischer oder geistiger Art.

 

Das große Problem in unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist doch, dass wir ungezählte Möglichkeiten haben und unablässig vor die Wahl gestellt sind.

 

Wir können alles tun: wir können nach Thailand reisen, wir können einen neuen Laptop kaufen, wir können in unseren Vorgarten Unkraut jäten, wir können unser Haus verkaufen und eine andre Arbeit finden, nichts bindet uns.

 

Aber was ist eigentlich das Eine, das Not ist?

Was soll ich wählen?

 

Das Evangelium gibt uns kein Handbuch für die konkrete Situation.

Wir haben die Freiheit der Wahl.

Aber wenn die Botschaft ihre Wirkung in uns tut, werden wir von der Liebe ergriffen, die uns uns selbst vergessen macht und uns auf eine solche Weise gegenwärtig sein lässt, dass wir überhaupt nicht auf den Gedanken kommen oder in Frage stellen, ob das nun auch das Richtige ist.

 

Wie Maria.

Die schweigend dasaß und hingerissen war vom Wort des Herrn.

Das eine Welt für sie entfaltete, die sie vorher nie mit diesen Augen gesehen hatte.

 

Martha dagegen - sie vergaß sich selbst nicht.

Ganz im Gegenteil.

Und deshalb diente sie dem Gast nicht mit einem aufrichtigen Herzen.

Sie dachte vielmehr an sich selbst - und die Ungerechtigkeit, dass sie die ganze Arbeit hatte.

 

Wäre es Jesus gewesen, hätten wir es ihm wohl nicht verdenken können, so räsoniert zu haben.

Er hatte doch wirklich eine Arbeit zu verrichten, für die er in dieser Welt allein zu stehen schien.

Er hätte mit Recht darüber klagen können, dass wir nicht mehr für eine bessere Welt tun, sondern bloß vorm Fernseher sitzen und zukucken.

 

Und als er gefangen genommen und mit seinem Kreuz fortgeschleppt wurde, hätten wir Verständnis dafür haben können, wenn er Klage geführt hätte, dass das der Dank für all das Gute sei, das er habe geben wollen.

Aber nichts davon hat er getan oder gesagt.

 

Er war eins mit seinem Dienst, und eins mit seiner Botschaft.

„Wie ein Schaf, dass zur Schlachtung geführt wird,

und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt,

so tut er seinen Mund nicht auf." [AG 8,32 bzw. Jes. 53,7-8]

 

Er war gegenwärtig in dem, was er sagte und tat.

Gottes Liebe wirkte in ihm.

So dass er sich selbst vergaß.

 

Zu unserem Glück wählte er den guten Teil.

Das Eine, das Not ist.

Amen

 



Sognepræst Eva Tøjner Götke
5230 Odense M.
E-Mail: etg@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


(zurück zum Seitenanfang)