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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 18.02.2007

Predigt zu Lukas 18:31-43, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde! Wenn Sie jetzt Mühe gehabt haben beim Zuhören, kann ich das gut verstehen. Ich hatte zu Hause beim ersten Lesen auch Mühe. Denn wo ist denn da der Zusammenhang? Da werden zwei Geschichten erzählt, die auf den ersten Blick überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Kurz zusammengefasst: Zuerst kündigt Jesus an, dass er gefoltert und getötet werden und dann auferstehen wird. Dann sitzt da ein Bettler am Wegesrand und will geheilt werden. Die Jünger sind so sehr mit den ganz anderen Dingen beschäftigt, die sie gerade gehört haben, dass sie den Mann unwirsch zurechtweisen: ?Das geht jetzt nicht. Wir haben gerade etwas Wichtiges zu besprechen. Du störst!? Uns stört er auch, oder? Auch wir haben doch mit der ersten Geschichte genug zu tun. Hat da vielleicht die kirchliche Kommission geschlafen, die die Predigttexte festlegt? So etwas kann ja vorkommen.
Aber langsam mit den jungen Pferden. Wenn man etwas länger darüber nachdenkt, dann merkt man, was Lukas sich dabei gedacht hat, wenn er als einziger von den Evangelisten diese beiden Erzählungen direkt hintereinander stellt. Er will uns auf diese Weise auf etwas hinweisen, das für unser Leben wichtig ist und das wir anders vielleicht gar nicht beachten würden. Worum geht es da?
Da stehen auf der einen Seite die Jünger. Sie hören die Ankündigung Jesu in klaren Worten und verstehen doch nichts. Er soll sterben, statt das ganze Volk und vielleicht noch viele Menschen darüber hinaus für Gottes Sache zu gewinnen. Wieso? Das ist doch widersinnig, wenn es wirklich Gott war, der ihn gesandt hat. Eine Frage, die ja bis heute gestellt wird. Auf der anderen Seite steht der Blinde. Der hat von der ganzen Unterhaltung nichts mitgekriegt. Aber wir ahnen: Selbst wenn er alles mit angehört hätte, er wäre trotzdem felsenfest überzeugt, dass Jesus ihm helfen kann. Man kann es auch so sagen: Er sieht für sich Land, obwohl er blind ist.
Auf diesen Gegensatz kommt es an, will uns Lukas sagen. Es ist dann auch völlig egal, wie wir uns die Heilung des Blinden vorstellen sollen, ob man sich überhaupt konkret denken kann, was für Techniken Jesus da angewendet haben könnte und dergleichen mehr. Diese Geschichte ist sinnbildlich gemeint: Wer sich so hartnäckig und unbedingt auf Jesus verlässt wie dieser Mann, dem werden die Augen geöffnet für das, was Gott durch Jesus für uns tut ? der erkennt das, was sonst tief verborgen ist.
Jetzt können wir genauer hingucken. Erstmal auf die Jünger, die nicht verstehen, warum Jesus am Kreuz sterben soll. Uns spätgeborenen Christen passiert es ja ganz leicht, dass wir uns darüber wundern, wie man denn so begriffsstutzig sein kann. Aber da müssen wir uns wohl die Gegenfrage gefallen lassen: Verstehen wir es denn so viel besser? Wieso konnte Jesus sich denn nicht durchsetzen? Warum musste er unschuldig so viel leiden? Was ist das für ein Gott, der es dazu kommen lässt? So fragen doch, heimlich zumindest, viele von uns. Und so haben die Jünger auch gefragt. Für sie kam dazu, dass sie mit der Hoffnung groß geworden waren, es würde einst ein mächtiger König auftreten, der den Staat Israel wieder selbstständig machen und zu alter Größe führen würde. Wenn Jesus das nun nicht tat, war er dann ein Scharlatan oder ein Betrüger? Bei uns heute hört sich das so an, wie mich vor vielen Jahren ein Konfirmand im Unterricht gefragt hat: ?Herr Lange, Jesus war doch der Sohn Gottes. Warum hat er dann nicht die römischen Soldaten und den Pilatus einfach verjagt, statt sich gefangen nehmen zu lassen?? Der Junge war nicht dumm. Er hat nur ausgesprochen, was viele Erwachsene bloß ein bisschen gewählter ausdrücken würden.
Ich weiß nicht mehr, was ich dem Konfirmanden damals geantwortet habe. Lassen Sie es mich heute so versuchen. Wer auf Jesus hört, der kann merken, dass Gott hinter ihm steht. Gott selbst redet durch ihn zu uns, rührt uns an. Das kann einen schon umwerfen, das Unterste zuoberst kehren. Und doch bleibt dieser Gott zugleich verborgen, lässt sich nicht fassen. Er beseitigt auch nicht einfach das Böse in uns und um uns herum. Natürlich könnte er das, aber er lässt uns unsere Verantwortung. Ja, Gott setzt sich selbst dem Leiden an dem Bösen von uns Menschen aus ? er lässt nicht bloß Jesus leiden, er leidet selber. An Jesus können wir sehen: Gott tut das aus Liebe zu uns. Er gibt sich für uns hin. Auf diese Weise vergibt er uns unsere Bosheit und Gedankenlosigkeit ? so wie wir ja auch unter der Bosheit oder Gedankenlosigkeit eines anderen Menschen leiden, wenn wir ihm verzeihen wollen.
Das haben die Jünger damals nicht verstanden. Es ist ja auch wirklich schwer zu fassen ? nicht so sehr für den Verstand als vielmehr für das Herz. Unser Herz wünscht sich doch einen Gott, der in der Welt so richtig aufräumt, sich für jedermann sichtbar zu erkennen gibt, ja der uns Menschen zwingt, in Frieden und Eintracht miteinander zu leben, der uns ein Paradies auf Erden schafft. Freilich wäre zu fragen: Würden wir damit wirklich glücklich werden? Unser Gott jedenfalls führt uns durch manchmal sehr tiefe und dunkle Täler zu sich. Warum, das können wir letztlich nicht ergründen; seine Gedanken sind und bleiben höher als unsere Gedanken.
Darum ging es in dem Gespräch Jesu mit seinen Jüngern, und das beschäftigt auch uns noch, so viele Jahrhunderte später. Und nun steht dem schweren Grübeln der Jünger dieser blinde Bettler gegenüber. Ob er solche Gedanken auch gehabt hat, wissen wir nicht. Immerhin kann man sich denken, dass er es im Leben schwer genug hatte mit seiner Behinderung. Sie kennen sicherlich das Plakat einer Blindenhilfsorganisation, auf dem lachende Kinder mit verbundenen Augen abgebildet sind, die Topfschlagen spielen. Darunter steht: Blind sein macht nur Spaß, wenn man sehen kann. Aber der Blinde in der Geschichte wird uns nicht als Grübler beschrieben. Im Gegenteil: Er scheint ein blindes Vertrauen zu haben. Das macht uns misstrauisch. Dieser Mensch hat mit seiner körperlichen Blindheit lange genug die Erfahrung gemacht, dass niemand sie heilen konnte. Wie kann er da plötzlich in einem ganz anderen Sinne blind sein, nämlich gegen alle Erfahrung davon ausgehen, dass es dieses Mal klappen werde?
Aber das ist die falsche Frage. Die Geschichte wird uns nicht erzählt, damit wir versuchen sollten, eine psychologische Erklärung für das Verhalten dieses Mannes zu finden. Er ist eine symbolische Figur, haben wir schon gesehen. Er steht als Bild für das, was Glauben eigentlich ist: unbedingtes, festes Vertrauen, allen Zweifelsfragen zum Trotz ? und wir können davon ausgehen, dass ein Blinder mit Zweifelsfragen bis zum Überdruss vertraut ist. ?Dennoch bleibe ich stets an Dir?, sagt der Beter des 73. Psalms, nachdem er Gott all die fürchterlichen Erfahrungen seines Lebens aufgezählt hat, die eigentlich gegen solches Vertrauen sprechen. So auch der Blinde: Er vertraut blind auf Gottes heilende Macht, die ihm in Jesus begegnet, wider alle Vernunft, möchte man sagen.
Das ist die Wahl, vor der wir stehen. Entweder wir klammern uns an unsere menschlichen Wunschvorstellungen von Gott, wie er nach unserer Meinung eigentlich sein müsste. Dann bleibt uns nicht nur Jesus unverständlich, sondern auch unser eigenes Leben. Das wäre, mit einem modernen Ausdruck, ideologische Verbohrtheit ? genauso verbohrt, wie es war, im April 1945 noch an den ?Endsieg? zu glauben. Oder wir wagen den Vertrauenssprung, dass Gott einen Weg wissen wird, um uns aus unseren Schwierigkeiten herauszuführen. Vielleicht schickt er uns schon morgen einen Menschen, der uns weiterhilft. Die Jünger haben ja schließlich auch verstanden. Sie haben eine Erscheinung des auferstandenen Jesus erlebt ? das heißt nichts anderes als: Gott selbst hat ihnen durch seinen Geist klar gemacht, dass der einzig gangbare Weg ist, Jesus nachzufolgen. Dieses Licht will Gott uns ebenfalls aufgehen lassen, auch wenn die Form, in der das geschieht, anders aussehen mag.

Amen.


Pastor Dietz Lange
Göttingen
St. Marien
E-Mail: dietzlange@aol.com

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