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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

19. Sonntag nach Trinitatis, 14.10.2012

Predigt zu Jakobus 5:13-16, verfasst von Rainer Kopisch

 

Liebe Gemeinde,

Sie haben sich sicher schon die Frage gestellt, weshalb der Predigt im Gottesdienst eine so hohe Stellung zukommt. Der Grund liegt in der anspruchsvollen Aufgabe, das Wort Gottes aus der Bibel nicht nur vorzulesen sondern auch so auszulegen, dass beim Zuhören erlebbar wird, wie Gottes Gegenwart im eigenen Leben deutlich wird.

Predigerinnen und Prediger sind Künstler, die die Texte der Bibel wie Musiker die Partituren und Noten von Kompositionen zum Klingen bringen.

Es soll nicht unser Thema sein, über die Ausbildung zum Predigtamt, wie Martin Luther es nennt, nachzudenken. Wir dürfen ganz bei uns selbst bleiben. Es geht um die Doppelfrage: Wie kommt mir Gott nahe und wie nahe kommt mir Gott, wenn ich mich beim Hören einer Predigt auf das Hören seines Wortes einlasse. Gott kommt mir als Liebender nahe in seiner besonderen göttlichen Art der bedingungslosen Annahme und der bedingungslosen Herzlichkeit, die auch Barmherzigkeit genannt wird.

Das ist die eine Antwort auf die Frage. Die andere Antwort ist eigentlich ganz schlicht und einfach. Gott kommt Dir so nahe, wie Du es zulässt.

Der Prophet Jesaja wurde nicht gefragt, wie nahe er Gott an sich heranlassen wollte.

In seiner Berufungsvision steht er vor Gottes Thron. Er spricht: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen."

Mit dem Eintritt in unser menschliches Leben haben wir zugleich die Aufgabe bekommen unser Leben zu schützen. Dieses Überlebenstraining hat uns werden lassen wie wir jetzt sind. Unser innerer Trainer gibt noch immer gern Anweisungen. Seit wir aber selbstständige und eigenverantwortliche Menschen geworden sind, sollten wir nicht nur diese Anweisungen hinterfragen, sondern uns auch Rechenschaft über den Sinn vieler unserer Angewohnheiten geben. Darunter sind auch viele innere Glaubenssätze, die uns nur bei genauerer Betrachtung deutlich werden. Viele davon schränken unsere Lebensmöglichkeiten erheblich ein und können uns die Freiheit nehmen, uns selbst bestimmen zu können.

Sagen will ich damit: Wir können eine Menge Probleme in unserem Leben haben und trotzdem aus unserem Inneren heraus daran gehindert werden, uns helfen zu lassen.

Deshalb kann der heutige Text zur Predigt zum Kristallisationszentrum für neue Gedanken werden.

Ich lese den Text aus dem Jokobusbrief (Kapitel 5 die Verse 13 bis 20):

13Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
14Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
15Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
16Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.
Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Gott in das eigene Leben herein bitten, ob ich leide oder ob es mir gut geht, ist sicher eine gute Sache. Ich mache mir bewusst, dass mein Leben von Gott kommt und dass er deshalb der erste Ansprechpartner ist, wenn ich leide oder mich freue. Früher war es üblich, alltäglich zuhause zu singen. Singen tut der Seele gut.

Wenn aber jemand von Kräften gekommen ist und krank wird, wird er nicht ohne Hilfe und Beistand bleiben müssen. Der Kranke rufe die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben in dem Namen des Herrn. In der Gemeinde, die Jakobus vor Augen hat, war das eine gängige Praxis. Seine Erfahrung ist: das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Jesus hat bei seinen Krankenheilungen oft zu dem Geheilten auch gesagt: „Deine Sünden sind Dir vergeben". Es ist deshalb nichts Erstaunliches, wenn Jakobus hier auch davon schreibt.
In der Nähe Gottes ist die Vergebung von Sünden etwas Natürliches und Selbstverständliches. Sich zu seinen Sünden zu bekennen, heißt, sie zu benennen und als ein Teil von sich selbst offen zu zeigen. Das Gebet zu Gott bewirkt die Befreiung.
Jakobus weist darauf hin, dass es hilfreich ist, dies im Miteinander und Füreinander der Gemeinschaft zu tun. Dass das Gebet um Vergebung und das Gebet um Heilung dann oft zusammenfallen, ist wegen des Zusammenhangs von Leib und Seele nicht erstaunlich.
Es gibt aber keinen Grund, einen verursachenden Zusammenhang von Sünden und Krankheiten zu sehen. Vollkommen abwegig ist es, Krankheiten als Sündenstrafen Gottes zu sehen. Seit Jesus Christus in dieser Welt war, wissen wir von der unermesslichen Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Zu diesem Bild passt ein strafender Gott nicht.
Vielmehr passt dazu ein stärkender, aufrichtender und heilender Gott.

Aus diesem Grund lohnt sich die Mühe, sich die Zeit zunehmen für ernstliche und aus tiefem Herzen kommende Gebete. Sie können trösten, entlasten, stärken und heilen. Niemals aber sollte etwas Wichtiges zu sagen dabei vergessen werden: Es geschehe Dein Wille ist.

Oft gibt das gemeinsame Gebet des Vaterunsers mit dem Kranken die Gewissheit, dass Gott bei uns ist - auf dem Weg hin zu ihm durch die Nöte unseres Lebens und Sterbens hindurch

Die römisch-katholische Kirche hat unseren Text aus dem Jokobusbrief zum Anlass genommen, ein Sakrament der letzten Ölung einzurichten, dass nur die Priester spenden dürfen. Auf der Internetseite des Bistums Münster ist zu lesen: „Während früher der Priester so etwas wie ein Todesbote war, der erst in der Sterbestunde oder sogar nach dem Sterben gerufen wurde, um die "letzte Ölung", wie die Krankensalbung im Volk hieß, zu spenden, hat die Reform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Einstellung grundlegend geändert. Heute betont die Kirche, dass die Krankensalbung ein Sakrament des Lebens ist. Es soll Stärkung und Aufrichtung im Leid schenken, aber auch Vertrauen auf das ewige Leben."
Ein paar Sätze später heißt es:" Die sakramentale Bedeutung dieser Salbung meint aber nicht an erster Stelle die körperliche Heilung, sondern die Befreiung von der Sünde.
Als Sakrament der befreienden Zusage Gottes kann die Krankensalbung auch an Bewusstlose erteilt werden."
Ende des Zitates

In evangelischen Kirchen gibt es Angebote von Heilungs- und Segnungsgottesdiensten.
Dabei wird die Salbung mit Öl praktiziert wie es im Jakobusbrief erwähnt ist. Die Vornahme der Salbung durch dazu bestimmte Gemeindeglieder ist üblich. Mit der Salbung wird ein Mensch an seinem Leib spürbar berührt. So wird der Segen Gottes mit leiblichen Sinnen spürbar. Es ist ein Zeichen, dass Seele und Leib des Menschen zusammen gehören.

Das Gebet mit der Bitte um Heilung zusammen mit der Salbung haben eben das Ziel der ganzheitlichen Heilung an Leib und Seele. Die Kraft des Gebetes und der zugesprochene und zugetane Segen Gottes bei der Salbung ergeben auch eine Stärkung des Glaubens.

Heilungen dienen seit Jesu auch der Stärkung des Glaubens. So wie Gott aus den Leiden einer Krankheit erlösen kann, so kann er auch aus der Macht des Todes erretten. So kann das „wieder zu Kräften kommen" und Aufstehen nach der Krankheit ein Sinnbild für die Auferstehung vom Tode sein, oder besser eine Vorwegnahme der Auferstehung.

Jakobus erinnert uns an das brüderliche besser gesagt geschwisterliche Gespräch in der Liebe Gottes und seine heilsamen Wirkungen. Es ist seine Erinnerung an Erfahrungen.
Im ersten Brief des Petrus heißt es im vierten Kapitel (V 8) : „So seid nun mäßig und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen aber habt untereinander eine inbrünstige Liebe; denn die Liebe deckt auch der Sünden Menge."

In den Sprüchen Salomos im Kapitel 10 Vers 12 ist diese Erfahrung so ausgedrückt:
„Haß erregt Hader; aber Liebe deckt zu alle Übertretungen."

Ich komme noch einmal auf den Gedanken zurück, dass wir Menschen im Zuge unseres genannten Überlebenstrainings eine ganze Menge von Strategien und Angewohnheiten zugelegt haben, die uns hindern können, mit anderen Menschen zugewandt, offen und liebevoll umgehen zu können.
Wir wissen, welchen Schaden wir in unserem Leben damit bei anderen und letztlich auch bei uns selbst angerichtet haben. Die einzige Möglichkeit davon loszukommen scheint nach allem, was wir gehört haben, das geschwisterliche Gespräch im christlichen Sinne zu sein.

Diese Möglichkeit ist seit den Zeiten des Jakobus nicht überholt. Sie ist aktuell wie damals.
Diese Gespräche mit der heilenden Wirkung gibt es heutzutage in vielen Variationen.
Es gibt Berufe, die sich damit befassen, Berater, Psychologen, Therapeuten.
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen will ich nicht vergessen, zu deren Aufgabe es gehört, sich den Problemen der Menschen vor Gott anzunehmen.
Matthäus (18,19.20) berichtet, dass Jesus sagte: „Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen."
Die Voraussetzung eines solchen Gespräches sind die Bereitschaft, die eigene Person vertrauensvoll aus dem Blickwinkel eines anderen ansehen zu lassen, und das Hereinlassen der heilenden und erlösenden Liebe Gottes in mein Leben.
Der Sinn einer christlichen Ehe für die Partnerschaft zweier Menschen ist genau der, einander zu helfen, ein freier und fröhlicher, zugewandter und liebevoller Menschen zu werden.
Es ist an uns, etwas zu tun für uns und andere. Gott ist bei uns - mit seinem Segen seiner Liebe und seiner Kraft, die bekanntlich in den Schwachen mächtig ist.

Amen

 



Pfarrer i. R. Rainer Kopisch
38102 Braunschweig
E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

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