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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

19. Sonntag nach Trinitatis, 14.10.2012

Predigt zu Jakobus 5:13-16, verfasst von Christiane Borchers

 

Liebe Gemeinde!

Wer krank ist, möchte gesund werden. Wer verzweifelt ist, sucht nach einem Weg. Wer in Unsicherheit lebt, möchte Gewissheit. Zwischen Angst und Hoffnung sehnen wir uns nach Annahme, Heilung und Heil.

Leiden gibt es viele. Zu den körperlichen Leiden können seelische hinzukommen und umgekehrt können seelische Leiden zu körperlichen Leiden führen. Kranke Menschen erleben, dass sie nicht mehr dazu gehören, sie werden ausgeschlossen, vor allem, wenn die Krankheit länger andauert oder wenn es sich um eine böse Krankheit handelt. Sie sind nicht mehr in den Arbeitsprozess einbezogen, Freunde wenden sich nach und nach ab, für die Angehörigen werden sie zur Last. Kranke sollen nicht ausgestoßen werden, fordert der Verfasser des Jakobusbriefes, sie gehören ebenso zur Gemeinschaft wie die Gesunden. Die Ältesten, die besondere Verantwortung in der Gemeinde tragen, sollen für sie und mit ihnen beten, damit sie gestärkt und sich angenommen fühlen.

 

Jakobus schreibt seinen Brief um 100 n. Chr. Es ist keine besondere Gemeinde angesprochen, der Brief richtet sich an christliche Gemeinden überhaupt, um sie in christlicher Lebensführung zu lehren und zu mahnen. Offensichtlich driften schon früh christlicher Glaube und Lebensführung auseinander. „An die zwölf Stämme in der Zerstreuung", schreibt der Verfasser, der sich selbst als Christi Knecht bezeichnet. Damit ist klar, dass es sich um eine christliche Schrift handelt, die Autorität beansprucht. Die zwölf Stämme in der Zerstreuung umfassen die gesamte Christenheit sowie die zwölf Stämme das gesamte Volk Israel ausmachen. Wie der Erzvater Jakob in der Fremde (1. Mose 49) die zwölf Stämme Israels mahnt, so mahnt Jakobus das christliche Zwölfstämmevolk. In der Welt sollen sie leben als seien sie Fremde, denn ihre Heimat ist im Himmel, sie kommen von oben her. Sie sollen sich ihrer Herkunft bewusst sein, die ihre Lebensweise bestimmt. Der Glaube an Jesus Christus ist ein Glaube, der sich nicht allein auf geistige und seelische Angelegenheiten beschränkt. Christlicher Glaube ist tätiger Glaube, der Auswirkungen auf das eigene Leben hat und der Gemeinschaft. Ein Glaube, dem keine Taten folgen, ist ein toter Glaube.

 

Glaubende schöpfen Kraft aus dem Gebet und führen ein Gott wohlgefälliges Leben. Das wichtigste Gebot ist das Gebot der Nächstenliebe. So wie vor Gott kein Ansehen der Person ist, so soll auch in der Gemeinde kein Ansehen der Person sein. Es ist eine Sünde, einen Reichen zu Tisch zu bitten und einen Armen einen Platz am unteren Ende zuzuweisen. Wer sündigt, ist ein Übertreter des Gesetzes Gottes. Die Sünde führt letztlich in den Tod. Das Gesetz Gottes aber verspricht Leben. Wer das Gesetz Gottes verfehlt, verfehlt das Leben. Wenn der Nächste leidet, soll ein Christ, eine Christin sich die Not zu Herzen gehen lassen. Ein Glaube, der sich von der Not des Nächsten nicht anrühren lässt, ist zu nichts nutze. Ein Glaube, der die Not nicht sehen will, führt ins Verderben. Wer klug und weise sein will, der zeige mit seinem guten Wandel seine Werke in Sanftmut und Weisheit (Jak 3,13). Die Weisheit, die von oben her kommt, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten (vgl. Jak 3,15 u.17). Der Jakobusbrief ist voll von Mahnungen und Warnungen. Der Glaube muss Früchte tragen. Christen sind Hörer und Täter des Wortes Gottes. Gottes Wort tröstet, baut auf, stiftet Gemeinschaft. Jakobus warnt vor Selbstsicherheit und Eigennutz. Wer um das Gute weiß und es nicht tut, sündigt. Insbesondere warnt er diejenigen Reichen, die nur an sich denken, die in die eigene Tasche wirtschaften und den Nächsten dabei vergessen. Sie verfallen dem Gericht. Jakobus mahnt zur Geduld und stellt die Propheten als Vorbild hin, die auch Vorbilder im Leiden sein können. Die Propheten haben geduldig das Wort Gottes verkündigt und Leiden auf sich genommen. An Gott kann sich eine Christin, ein Christ immer wenden. Das gilt in allen Lebenslagen „Leidet jemand unter euch, so bete er. Ist jemand gutes Mutes, so singe er Psalmen." (Jak 5,13).

 

Ein besonders Anliegen ist dem Jakobusbrief, Nächstenliebe gegenüber Kranken zu üben. Ein kranker Mensch ist nicht nur Objekt, an dem gehandelt wird, ein Kranker soll ernst genommen und einbezogen werden. Er braucht selbst nicht passiv zu sein, er wird ermutigt, selbst aktiv an seiner Heilung mitzuwirken. Er soll sich als Leidender an Gott wenden, ihn um Heilung und Hilfe bitten, er darf und soll sich zusätzlich an die Ältesten der Gemeinde wenden, er soll sie zu sich rufen, damit sie über ihm und mit ihm beten. Die Ältesten sollen neben dem Beten auch eine Segenshandlung an ihm vollziehen, indem sie den Kranken salben.

 

Jakobus ist fest davon überzeugt, dass das Gebet eine große Kraft hat. Es bleibt nicht ohne Wirkung, wenn wir Gott um etwas bitten. Er ist sich gewiss, dass unsere Gebete erhört werden, dass wir empfangen, um das wir bitten, ohne Gott in seiner Freiheit einzuschränken. Jakobus steht hier in enger Tradition zu dem Lukas-Wort: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan." Wer im Glauben bittet, darf auf Gottes Zuwendung hoffen. Wer zweifelt gleicht einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird (Jak 1,6). Jakobus ermutigt die Glaubenden, dass sie Vertrauen behalten und das Gebet nicht gering schätzten.

 

Wenn bei uns jemand krank wird, so sind wir geneigt, die Verantwortung vollständig an den Arzt abzugeben. Vom Mediziner erhoffen wir, dass er uns wieder gesund macht. Wir beten vielleicht auch, aber die konkrete körperliche Hilfe erwarten wir von einem Arzt. Aber der Mensch ist mehr, als dass einzelne Körperteile wieder funktionstüchtig gemacht werden. Besonders in Tagen der Krankheit sehnen wir uns verstärkt nach Annahme und Verständnis. Wann spricht ein Arzt wirklich mit dem Kranken? Es werden wohl Diagnosen und medizinische Abläufe erklärt, aber ist das wirklich ein Gespräch, das auf die Bedürfnisse und Befindlichkeit eines kranken Menschen eingeht? Nur zu oft wird nicht mit dem Kranken, sondern über ihn gesprochen.

 

Nach dem Jakobusbrief soll ein Kranker die Ältesten bitten, mit ihm zu beten. Heutzutage käme wohl kaum jemand auf eine solche Idee, jedenfalls nicht in unserer Gemeinde. Wir kennen bestenfalls das Fürbittengebet für Kranke im Gottesdienst. In charismatischen Gemeinden wäre es durchaus möglich, dass die Ältesten zusammenkommen und für kranke Menschen beten, uns hingegen kommt ein solches Ansinnen eher suspekt vor. Ähnlich verhält es sich mit der Krankensalbung. Krankensalbung wird bei den Katholiken praktiziert, Evangelische nehmen sie nicht vor. Eine Krankensalbung darf nicht verwechselt werden mit der letzten Ölung. Krankensalbungen können mehrmals vollzogen werden, die letzte Ölung nur einmal.

 

Mit Kranken zu beten, für sie zu beten und sie zu salben war zu Jesu Zeiten und in den ersten christlichen Gemeinden selbstverständlich. Jesus selbst wurde gesalbt. Eine unbekannte Frau salbte seine Füße (Lk 7,28). Nach der Überlieferung des Markusevangeliums salbte eine unbekannte Frau sein Haupt. Sie hatte eigens zu diesem Zweck kostbares Nardenöl gekauft (Mk 14,3). Die Salbung ist eine Ehrbezeichnung. Könige wurden gesalbt, Jesus ist der Gesalbte, der Messias, der Heiland, der Retter und Erlöser. Die Salbung steht in Zusammenhang mit Heil und Heilung. In den frühen christlichen Gemeinden traute man den Gemeindeältesten zu, dass sie heilen konnten. Durch Berühren und Handauflegen kommt ein intimer Kontakt zustande, der sich positiv auf den Kranken auswirken kann. Jemand wendet sich dem Kranken zu. Berührung und Zuwendung sind gute Voraussetzungen für einen Heilungsprozess. Kostbare Öle wurden verwendet. Im hellenistischen Raum ist es bis heute das Olivenöl, das heilend bei bestimmten Krankheiten eingesetzt wird. Bei der Krankensalbung geht es sowohl um die heilenden Substanzen des Öls als auch um die persönliche Zuwendung, die geistig und körperlich ist und als wohltuend von Kranken empfunden wird. Ich glaube, es ist ein Verlust, dass diese persönliche Zuwendung mit Berührung und wohltuenden Ölen, verbunden mit Gebeten in unseren Gemeinden nicht ausgeübt wird. Wir leiden unter Berührungsängsten, gehen auf Distanz, da bewegen wir uns auf sicherem Terrain. Erst recht scheuen wir vor schweren Krankheiten, wenden uns lieber ab. Dabei ist es gerade die Zuwendung, die der kranke Mensch so nötig braucht.

 

„Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen und Gott wird ihn aufrichten. Und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden", schreibt Jakobus. Krankheit und Sünde werden miteinander in Verbindung gebracht. Krankheit bedeutete in der Antike auch immer Ausschluss aus der Gottesgemeinschaft und der sozialen Gemeinschaft. Krankheit wurde als Strafe Gottes für eine Sünde aufgefasst. Das würden wir heutzutage nicht mehr sagen. Dennoch kennen auch wir heute einen Zusammenhang von Krankheit und Strafe. „Warum ich? Womit habe ich das verdient?" zermartert sich eine Frau den Kopf, als sie von ihrer heimtückischen Krankheit erfährt. „Was habe ich getan?", fragt sich eine junge Mutter, die ein behindertes Kind zur Welt gebracht hat. Wir suchen nach Erklärungen, wenn uns Schlimmes widerfährt. Wir möchten wenigsten verstehen, warum es so ist, wie es ist. Das würde uns unser Schicksal ein wenig erträglicher machen.

 

Der Zusammenhang von Krankheit und Sünde spielt in manchen Heilungsgeschichten bei Jesus eine Rolle. Nachdem er einen Gelähmten geheilt hat, vergibt er ihm die Sünden. Der Sündenvergebung geht keine Schuldzuweisung voraus. Wir müssen uns hüten, Kranke auf eine mögliche Mitschuld an ihrer Krankheit zu behaften. Es ist ein Unterschied, ob ein Kranker von anderen für schuldig befunden wird, womit eine Verurteilung einhergeht oder ob er selber nach den Ursachen seiner Krankheit fragt und für sich persönlich Antworten findet.

 

Gott richtet die Kranken auf. Wenn sie Sünde getan haben, so wird ihnen vergeben werden. Jakobus fordert Kranke auf, ihre Sünden zu bekennen, wenn sie gesündigt haben. Das Eingestehen von Versagen und Schuld befreit zu einem neuen Leben und führt zur Gesundung. Von eigenem Versagen zu reden, ist nur möglich, wo das Verhältnis untereinander von einem vollkommenen Vertrauen geprägt ist. Das Aussprechen von Schuld in einem geschützten Raum unter vertrauenswürdigen Menschen macht frei von quälenden Gedanken. Im Jakobusbrief ist es ist nicht so, dass der eine von seiner Schuld spricht und andere hört zu und vergibt sie ihm. Die Rollen tauschen. Alle sind aufgefordert, ihre Sünden zu bekennen und füreinander zu beten, damit sie frei und gesund werden.

 

Gibt es eine Garantie, dass ein kranker Mensch wieder gesund wird, wenn er betet, seine Sünden bekennt und ihm vergeben wird? Nein, das ganz gewiss nicht. Es kann sein, dass ein Mensch nicht wieder gesund wird, es kann sein, dass ein Kranker ein schweres Martyrium erleidet und der Tod letztlich als Erlösung kommt. Hat Gott die Gebete nach Heilung dann nicht erhört? Wenn das Gebet als Machterweis Gottes dienen soll und der Kranke in jedem Fall gesund werden muss, so wird das Gebet missverstanden. Im Gebet steht die Vergewisserung der Zuwendung Gottes im Vordergrund, nicht der Ausgang der Krankheit. Selbst wenn der Mensch nicht wieder gesund wird und der Körper völlig zerstört wird, bleibt er ein Mensch, der voraussetzungslos von Gott angenommen wird. Das Gebet ist die bedingungslose Annahme des Menschen durch Gott. Das Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. Es stiftet Gemeinschaft mit Gott und gemeinsam gesprochen, Gemeinschaft unter den Betenden. Es tröstet, weckt Hoffung, Kraft und Zuversicht. Amen.

 



Dipl.-Theol. Pfarrerin Christiane Borchers
26721 Emden
E-Mail: christiane.borchers@web,de

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