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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 28.10.2012

Predigt zu Lukas 13:1-9 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

Das Lukasevangelium beginnt seinen Bericht über die Wanderung Jesu nach Jerusalem in Kapitel 9, Vers 51, wo geschrieben steht:

„Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass er hinweggenommen werden sollte, da wandte er sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern. Und er sandte Boten vor sich her; die gingen hin und kamen in ein Dorf der Samariter, ihm Herberge zu bereiten. Und sie nahmen ihn nicht auf, weil er sein Angesicht gewandt hatte, nach Jerusalem zu wandern. Als aber das seine Jünger Jakobus und Johannes sahen, sprachen sie: Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und sie verzehre. Jesus aber wandte sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen in ein andres Dorf."

Der sehr lange Abschnitt im Lukasevangelium über die Wanderung Jesu umfasst 10 Kapitel, und er endet mit Lukas' Auslegung der Erzählung von den anvertrauten Pfunden. Am Schluss stehen folgende Worte: „Ich sage euch: Wer da hat, dem wird gegeben werden, von dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen werden, was er hat."

Die beiden Abschnitte von Lukas sind in die Reihen der sonntäglichen Lesungen in der Kirche nicht aufgenommen, aber sie zeigen sehr gut, was das Evangelium des heutigen Sonntags sagen will.

Jesus gerät auf seiner Wanderung nach Jerusalem in ein Lehr- und Streitgespräch mit den Themen „Bekehrung" und „Schuld-Schicksal". Einige Leute erzählen IHM, dass Pilatus eine Gruppe von Galiläern, vermutlich Pilgrimme , die sich im Tempel zum Opfern aufgehalten hatten, ermordet und ihr Blut mit dem der Opfertiere vermischt hat. Die Vermischung von Mord und Opfer hat die Juden erregt und die Frage aufgeworfen, die sich kein gläubiger Mensch nicht selbst hat stellen können: „Wie kann ein guter Gott eine Welt zulassen, die böse ist?" Jeder Mensch, der bekennt, dass er an einen Gott glaubt, wird erleben, dass er auf Menschen trifft, die ihren Zweifel genau aus dieser Frage heraus hegen: „Wenn Gott wirklich Liebe ist, warum ist die Welt dann so voller Bosheit? Hat Gott SEINER Schöpfung nicht den Rücken gekehrt und so der Bosheit Gelegenheit gegeben, sich Raum zu schaffen?" In der theologischen Fachsprache nennt man diese Frage das Theodizee-Problem, und das Problem ist eines der am meisten beackerten Gebiete in der Theologie.

Mehrere hunderttausend Bücher und Abhandlungen sind über diesen Gegenstand geschrieben worden, und wenn man so viel darüber schreibt, hat es seinen Grund nicht bloß darin, dass er interessant ist - sondern auch darin, dass die Frage so ungeheuer schwer zu beantworten ist, vielleicht sogar überhaupt nicht beantwortet werden kann.

Im Lukasevangelium folgt noch eine weitere Erzählung von einem Turm, der einstürzt und eine Gruppe von Menschen erschlägt, und nach der Rede Jesu ist ganz klar, dass ein blindes Schicksal diese Menschen heimgesucht hat. Jesus beginnt an, gegen die vereinfachende Auffassung zu polemisieren, ein schlimmes Schicksal sei Strafe für eine Sünde.

Jesu Gesprächspartner meinen, wie also auch so manche Menschen heute, Gott wolle mit diesem grausamen Tod die Menschen für schwere, vielleicht im Verborgenen begangene Sünden strafen.

Die Gesprächspartner Jesu denken an die Sünden der andern, aber Jesus verweist sie auf ihre eigenen Sünden. „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen!" Dies ist nicht das erste Mal, dass Lukas Jesus diese Fragen umkehren lässt. Man kann an das Sprichwort vom Splitter und Balken in Lukas Kap. 6 denken: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr? Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!"

Jesus stellt die Sache auf den Kopf und fordert zur Bekehrung zu Gott auf. Wenn sie sich nicht bekehren, wird es ihnen ergehen wie jenen 18, die beim Einsturz des Turmes von Siloah umkamen. Er betont die Verantwortung und Mitverantwortung des Menschen für sein eigenes Schicksal und stellt sie vor eine existenzielle Wahl:

- Leben und Tod hängen davon ab, wofür sie sich in ihrem Leben entscheiden. Man kann an eine andere Geschichte aus dem Lukasevangelium denken: an die Geschichte vom verlorenen Sohn. Der Vater wartet auf den verlorenen Sohn, aber der Sohn muss in sich gehen, ehe er umkehren und wieder nach Hause kommen kann. Ohne diesen existenziellen Schritt ist er verloren. Als er bereut und umkehrt, erkennt er, dass sein Schicksal nicht von seiner Sünde abhängig ist, sondern von der Vergebung des Vaters (und der Sinn ist hier der, dass der Leser an den Vater als Gott selbst denken soll).

Der zweite Teil des heutigen Textes ist das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum, der in einem Weinberg steht - in Palästina gibt es in Weinbergen oft auch Obstbäume. Der Besitzer des Weinbergs ist enttäuscht und erzürnt, weil der Baum nach mehreren Jahren immer hoch hoffnungslos unfruchtbar ist. Seine Geduld ist nun am Ende, und er will den Baum fällen lassen, damit er den Boden nicht mehr in Beschlag nimmt und den Weinstöcken, die in seiner Nähe wachsen, die Nahrung raubt.

Da geschieht das Ungewöhnliche, dass der Gärtner eingreift und für den Baum bittet. Er, der untergeordnete Mitarbeiter, wendet sich an den Besitzer des Gartens und bittet um eine verlängerte Frist für den Baum. Und damit nicht genug: um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, pflegt er den Baum besonders sorgfältig und gibt ihm Dünger, was ein anspruchsloser Feigenbaum normalerweise gar nicht braucht. Gelingt es nicht, den Baum mit diesen Anstrengungen zu retten, kann er gefällt werden. Wie die Geschichte endet, erfahren wir nicht - der Schluss ist offen und bleibt der Phantasie des Lesers bzw. Hörers überlassen.

Es liegt hier nahe, das Gleichnis als eine Allegorie aufzufassen, wobei der Besitzer des Weinbergs Gott und der Gärtner Christus ist, vgl. das Gleichnis von den bösen Weingärtnern noch weiter hinten im Lukasevangelium, nämlich Kap. 20,9-15. Diese Geschichte haben wir letzten Sonntag in der Nachdichtung bei Matthäus gehört.

Ein Mann verpachtet seinen Weinberg, als aber die Ernte abgerechnet werden soll, verprügeln die Pächter die ausgeschickten Pächter und erschlagen den Erben. Die Knechte sind in der Erzählung als die Propheten des AT zu verstehen, und der Erbe ist Jesus selbst.

Im heutigen Text will Christus wie jener Gärtner das Gericht aufschieben, greift ein und bittet für den Menschen. Und er zeigt seine geduldige Solidarität, indem er den Menschen „düngt" mit seinem Wort von der Buße, in der Hoffnung, dass er Frucht bringen und sich im Vertrauen auf Gott bekehren möge.

Lukas hat also, wie wir sehen, die Themen durchgearbeitet, und er lässt wiederholt erzählen, dass Gott ein barmherziger Gott ist, dass wir aber eine Verantwortung für unser Leben haben. Aber um kurz auf den Anfang zurückzukommen: die lange Wanderung nach Jerusalem wird bei Lukas mit Jesu Zurechtweisung der Jünger eingeleitet: Sie sollen die Menschen nicht mit Drohungen dazu bewegen, Jesus und das Evangelium vom Reich Gottes, das mit IHM gekommen ist, anzunehmen.

Und die Wanderung endet mit der Feststellung Jesu: wer da hat (und hier spricht ER vom Glauben), dem wird gegeben werden - von dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen werden, was er hat. Das heißt: alle Menschsen haben den Glauben bekommen, aber er muss gedüngt und gepflegt werden wie der Feigenbaum des Tages. Wirft man seinen Glauben weg, ja - dann verliert man ihn ganz. Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen, aber wir haben eine Mitverantwortung dafür, dass das Projekt gelingen kann.

Dies wird auch die klassische Antwort auf das Probelm der Theodizee sein: der Mensch hat einen freien Willen und kann somit dazu beitragen, für Krieg, Hunger, wirtschaftliche Ungleichheit, Unterdrückung, Verfolgung und Krankheit Abhilfe zu schaffen. Alles Dinge, die machen, dass die Welt böse genannt wird. Wenn Jesus die Jünger nicht nur ablehnt, sondern sogar zurechtweist, wenn sie Drohungen und Zwang vorschlagen, damit ein Dorf Jesus aufnehmen soll, dann ist das meiner Meinung nach eine Bibelstelle, die die Existenz eines heiligen christlichen Krieges ablehnt.

Es gibt keine Religionskriege, bei denen mindestens die eine Seite christlich ist. Es kann geschehen, dass man das Christentum als Deckmantel benutzt, um Krieg zu führen, aber es ist nicht Christentum und kann es niemals sein, andre zwingen zu wollen, dass sie glauben wie man selbst.

Im Bürgerkrieg in Nordirland haben wir von Krieg zwischen Katholiken und Protestanten gehört. Ja, es kann ja wohl sein, dass auf der einen Seite zufällig Katholiken stehen und auf der andren Protestanten, aber darum führen sie doch im Grunde nicht Krieg. Es geht um Geld und um Macht. Einfluss und politische Unterdrückung. Um Besatzung und politischen Freiheitsdrang. Es ist keine Rede von einem lieben Gott, der die bösen Kriege in dieser Welt zulässt.

Es geht um den Menschen, der sich nicht ganz und gar Gott zuwenden und mit dem Kriegführen aufhören will. Der Mensch hat seinen freien Willen, die Ressourcen dieser Welt zu verteilen. Du darfst also nicht deinen Gott anklagen, sondern deinen Bruder, wenn du nicht genug zu essen oder kein Dach über dem Kopf hast. In diesem gesamten Plan arbeiten Gott und Mensch zusammen. Gott lässt das Korn auf dem Feld wachsen - der Mensch hat es zu verarbeiten und zu verteilen.

Aber was ist dann mit dem Unglück, das - augenscheinlich - blind trifft? Der Turm in Siloah erschlug 18 Menschen - wo war die Mitverantwortung dieser 18 Menschen? Hatten sie Anteil an dem Geschehen? Wir stellen ganz natürlich die Frage: was soll das? Warum passierte das? der Verkehrsunfall, die unheilbare Krankheit, die Tragödie? Wie kann Gott es zulassen?

Was hat der Tote getan, dass er einen so sinnlosen Tod erlitt? Dies Problem ist wichtig, aber es ist auch wichtig, dass man versteht, dass wir den Schlüssen zum Rätsel des Universums nicht bekommen haben. Was wir „blindes Schicksal" nennen, trifft uns (und die Medien sind täglich übervoll von dieser Art Geschichten, unglückliche Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang, sinnlose Gewalttaten, eiskalter Terror).

Das böse Schicksal, das diese Menschen heimsucht, ist keine Strafe für ein sündiges Leben. Das können wir aus dem Text des heutigen Sonntags lernen, Wir lernen auch, dass das Leben ein Geschenk ist - wie das, das der Feigenbaum bekommen hat, als er in dem Weinberg gepflanzt wurde, und obwohl unsere anvertrauten Pfunde, die Früchte an den Zweigen nicht klar zum Vorschein kommen, bekommen wir immer wieder eine neue Chance. Es wird für uns gesorgt: wir können das Wort vom Sohn Gottes hören, wir haben die Taufe und das Abendmahl und den Heiligen Geist, so dass wir nie von unsrem Gott weit entfernt sind.

Aber wenn wir keine Nahrung annehmen, wenn wir uns abwenden und darauf bestehen, unfruchtbar zu sein, dann wird auch das „Nichts", das wir haben, von uns genommen. Hier ist die Zusammenarbeit zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf auch erforderlich. Das Leben ist ein Geschenk.

„Das Leben ist eine Morgengabe, / die Seele ist ein Pilgrimschor. / Es steht ein Krokus in meinem Garten, / Bier steht auf meinem Tisch. / Unter dem Himmel hängt die Lerche, / wie ein fernes geflügeltes Samenkorn, / denn eine Lerche denkt nicht daran, zu kämpfen noch zu sterben."

So dichtete Halfdan Rasmussen - und damit hat er doch alles sehr viel kürzer gesagt auch ich. Das Leben ist ein Geschenk. Wir bekommen das Geschenk des Lebens von Gott, aber dass das Leben ein Geschenk ist, bedeutet nicht, dass wir uns beklagen oder es umtauschen oder passend gemacht bekommen können, wann immer wir es uns passt. Das Leben ist nicht wie eine elektrische Modelleisenbahn, die man zu Weihnachten bekommt. Das Leben ist Leihgabe, es ist zurückzugeben. Und es ist keine Garantie darauf. Nicht einmal die Taufe ist eine Garantie für ein glückliches Leben ohne Probleme oder Unglück.

Das Leben gehört Gott, denn ER ist der Schöpfer - ER ist der Anfang und das Ende, und indem wir erkennen, dass wir IHM alles schuldig sind, können wir mit Hiob im AT sagen: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt!" Amen

 



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK-6700 Darum v/Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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