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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

22. Sonntag nach Trinitatis, 04.11.2012

Predigt zu Römer 7:14-25a, verfasst von Klaus Wollenweber

 

Jesus Christus, der Brückenschlag"

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

14 Das Gesetz ist durch Gottes Geist gegeben worden, das wissen wir. Ich aber bin meiner eigenen Natur ausgeliefert; ich bin an die Sünde verkauft und ihr unterworfen.15 Ich verstehe selbst nicht, warum ich so handle, wie ich handle. Denn ich tue nicht das, was ich tun will; im Gegenteil, ich tue das, was ich verabscheue. 16 Wenn ich aber das, was ich tue, gar nicht tun will, dann gebe ich damit dem Gesetz recht und heiße es gut. 17 Und das bedeutet: Der, der handelt, bin nicht mehr ich, sondern die Sünde, die in mir wohnt.18 Ich weiß ja, dass in mir, das heißt in meiner eigenen Natur, nichts Gutes wohnt. Obwohl es mir nicht am Wollen fehlt, bringe ich es nicht zustande, das Richtige zu tun. 19 Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern das Böse, das ich nicht tun will. 20 Wenn ich aber das, was ich tue, gar nicht tun will, dann handle nicht mehr ich selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 Ich stelle also folgende Gesetzmäßigkeit bei mir fest: So sehr ich das Richtige tun will - was bei mir zustande kommt, ist das Böse. 22 Zwar stimme ich meiner innersten Überzeugung nach dem Gesetz Gottes mit Freude zu, 23 doch in meinem Handeln sehe ich ein anderes Gesetz am Werk. Es steht im Kampf mit dem Gesetz, dem ich innerlich zustimme, und macht mich zu seinem Gefangenen. Darum stehe ich nun unter dem Gesetz der Sünde, und mein Handeln wird von diesem Gesetz bestimmt. 24 Ich unglückseliger Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen. Wird mich denn niemand aus diesem elenden Zustand befreien? 25 Doch! Und dafür danke ich Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.

 

Liebe Gemeinde,

auf der Straße treffe ich einen mir bekannten Menschen, der mir besorgt von seiner Not erzählt. Er wäre wegen seines Übergewichtes beim Arzt gewesen; sie hätten gemeinsam einen Diätplan aufgestellt, und er hätte sich fest vorgenommen und versprochen, sich genau daran zu halten. Auf dem Weg vom Arzt nach Hause wäre er an einer Bäckerei vorbeigekommen; es hätte so verführerisch lecker gerochen; er wäre hineingegangen, ohne daß er es eigentlich wollte, hätte zwei Stück Kuchen gekauft, und diese hätten wunderbar geschmeckt. Er nähme sich weiterhin vor, nichts Süßes zu essen, aber dann würde er immer schwach, obwohl er im Kopf genau wisse, daß es nicht gut sei. Er komme sich vor wie zerspalten. Er wäre nahe dran, sich aufzugeben; denn es hätte ja doch keinen Sinn; die guten Vorsätze machten nur ein permanentes schlechtes Gewissen.

Situationswechsel: Als Gemeindepfarrer bekam ich einen Hinweis, daß ein Gemeindeglied schwer erkrankt im Hospital liegt und daß es gut wäre, wenn ich diesen Menschen möglichst bald besuchte. Ich notierte mir alles und nahm mir für den nächsten Tag den Besuch vor. Ich wollte wirklich hingehen. Nun kam allerlei dazwischen; ich schob den Besuch vor mir her. Nach einigen Tagen kam ein Anruf von einem Beerdigungsinstitut, daß dieser Mensch im Krankenhaus gestorben sei und die Beisetzung bevorstehe. Ich wollte doch noch hin! Nun war es zu spät! Warum habe ich nicht meinen Willen in die Tat umgesetzt?

Noch eine dritte Situation: Silvesterabend, Jahreswechsel. Viele Menschen nehmen diesen Zeitpunkt wahr, um sich für das neue Jahr viele gute Dinge vorzunehmen. Es geht dabei z.B. um Veränderungen im Lebensstil, um neue Kontaktaufnahme zu anderen Menschen, um mehr Offenheit gegenüber andersdenkenden Familienmitgliedern und um vieles andere ganz Persönliche mehr. Der gute Wille ist da, aber das Umsetzen in die Tat gelingt und geschieht im neuen Jahr nur sporadisch und selten. Gute Gedanken, ein guter Wille - aber dabei bleibt es dann auch meist!

Liebe Gemeinde, Sie können aus Ihrer eigenen Lebenserfahrung und -geschichte wahrscheinlich ähnliche Begebenheiten ergänzen und an diese oder jene Situation schmerzlich denken: Wille und Geist waren da, aber das Fleisch war schwach. Das ist eine unstrittige Lebenserfahrung. Gewissensbisse kennen wir sicher alle. Und genau diese Situation im Leben eines glaubenden Menschen will der Apostel Paulus mit seinen komplizierten Sätzen im Römerbrief zum Ausdruck bringen; allerdings mit den theologisch geprägten Worten: Gesetz, Gnade, Sünde, Gerechtigkeit.

Für den Apostel ist es eine bekenntnishafte Grundaussage, daß wir Christen von der Gnade Gottes leben, die uns durch Jesus Christus in unserer Taufe zugesprochen worden ist. Wir gehören nun als Kinder Gottes ganz auf die Seite des guten Menschen im Herrschaftsbereich der Gottes- und Nächstenliebe. Zugleich erleben wir aber, daß wir z.B. den einen Menschen sympathisch finden und mit dem anderen nichts zu tun haben wollen. Wir erleben, daß wir gegenüber Menschen freundliche Worte wählen, die wir aber im Grunde gar nicht leiden mögen. Wir spüren eine Zerspaltenheit zwischen Herz und Kopf, Vernunft und Gefühl und Zunge und Tat. Wir erleben, daß sich Menschen aus Eitelkeit oder Hochmut mit einer Sache brüsten, die jedoch überhaupt nicht Ihre Sache war. Es gibt Menschen, die schmücken sich skrupellos mit Ehre und Selbstachtung, obwohl nicht viel dahinter ist.

Der Apostel Paulus nennt dies alles:„Wir leben als Diener der Sünde". Sünde ist der tiefe Graben zwischen uns und dem Schöpfergott. Wir Menschen haben in Selbstherrlichkeit und in Selbstüberschätzung diesen Graben vertieft; wir möchten gerne, daß Gott unseren Vorstellungen und Ideen dient und uns zu dem Menschsein hilft, welches wir für richtig und angemessen halten. Am liebsten würden wir unser Leben gott - los selbst in die Hand nehmen, Anfang und Ende des Lebens selbst festlegen und eigene Vorstellungen zum Maßstab der Allgemeinheit machen. Viele möchten selbst bestimmen, ob und wann Gewalt angewendet werden darf und wann nicht. Wir meinen zu wissen, wozu wir fähig sind.

Diese Herrschaft der Sünde, diese Macht der Sünde, die uns zu ihren Dienern, - zu Sündern - macht, ist so anziehend und menschlich, daß sich kein Christ diesem Sog entziehen kann. Diese Sünde steckt ganz tief in uns; sie gehört zu uns wie Fleisch und Blut und Verstand. Das Gesetz der Sünde befindet sich in einem dauernden Kampf mit dem Gesetz Gottes. Wir alle haben den guten Willen in uns und zugleich kennen wir unsere Unfähigkeit, dem Gesetz Gottes zu entsprechen.

Wenn der Apostel Paulus von dem guten Gesetz Gottes redet, dann meint er damit z.B. die zehn Gebote Gottes, diese Richtlinien und großen Freiheiten für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen. Sie entsprechen dem Willen Gottes und wollen uns, seine Geschöpfe, auf den guten Weg weisen, der eigenes verantwortliches Leben und Zusammenleben ermöglicht. Gottes Gesetz, seine Gebote, wollen nicht einschränken, sondern den Weitblick schenken, um die Brücke über den sündigen, tiefen Graben zu finden und zu betreten. Diese Brücke ist von Gottes Seite durch Jesus Christus zu uns errichtet worden. Wir haben zum Bau dieser Brücke nichts beigetragen.

Wir haben diese guten Gesetze Gottes nötig, da unser menschlicher Wille in der Umsetzung in die Tat schwach ist. Wir leben noch auf der irdischen Seite des tiefen Grabens, auf der Seite, die stark von Leid und Tod geprägt ist. Wie eine laute Klage schreibt deshalb Paulus stellvertretend für uns alle: „Ich unglückseliger Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen!" Ja, so ist es.

Und wiederum im gleichen Atemzug bringt er zum Ausdruck, daß er Gott dankt durch Jesus Christus, daß dieser uns aus diesem elenden Zustand, aus dieser Zerrissenheit, befreit hat. Der Theologe Karl Barth hat einmal geschrieben:

Wir sind seit der Taufe Christi Eigentum und er verfügt über uns. Die eigene Unwürdigkeit geht uns nichts mehr an. Wir dürfen nun leben davon, daß ER es macht. Das bedeutet nicht eine passive, sondern eine höchst aktive Existenz."

Ja, eine aktive Existenz, weil in der Nachfolge Jesu Christi sein Lebensvollzug, seine Lehre und seine Liebe unser neues Gesetz Gottes ist. Jesus Christus ist beides zugleich: der Maßstab unseres Handelns und unser Retter aus aller Unzulänglichkeit.

Was wir oft gedanklich hintereinander ordnen, will Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom gleichzeitig und zusammen ausdrücken: wir sind auch als getaufte Menschen zugleich Sünder und Gerettete! Als Sünder spüren wir lebenslang den Zwiespalt zwischen Wollen und Tun; als Gerettete und Befreite setzen wir uns immer neu dafür ein, daß unser Wollen letztlich doch zum Tun des Guten führt. Das ist somit eine klare Absage an eine mögliche Resignation im Sinne von „ich kann doch nichts dagegen machen!".

Eine übergewichtige Person kann sich nicht damit entschuldigen, daß sie gegenüber dem eigenen guten Willen resigniert und den Kampf des einen Ich gegen das andere Ich aufgegeben hat - etwa mit den Worten: „Was soll´s? Dann werde ich eben noch dicker!"

Ein Pfarrer kann sich wegen eines versäumten Besuches nicht ein zweites Mal damit entschuldigen, daß so viel anderes dazwischen gekommen sei.

Und wir alle sollten am Silvesterabend mit den guten Vorsätzen zurückhaltender sein, bzw. uns selbst besser einschätzen, mit welchem guten Willen wir wirklich diese oder jene gute Tat vollbringen können.

Die drei Beispiele zeigen Menschen, in denen wir uns möglicherweise wiederfinden, Menschen, die sich aufgrund der eigenen Schwächen oftmals selbst im Wege stehen und die sich möglicherweise selbst unglücklich und ungeliebt empfinden. Uns allen ist jedoch die Liebe des Befreiers, Retters und Brückenbauers gewiß: Jesus Christus!

So können wir Christen - wie unglückselig wir auch immer sind - mit dem Apostel Paulus in den Dank einstimmen, daß Jesus Christus uns aus diesem zwiespältigen und zerrissenen Zustand befreit hat, indem er uns mit Zuversicht und Vertrauen ausstattet. So leben wir trotz allem Kampf zwischen Wollen und Tun dankbar geborgen in der Hand Gottes.

Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn. Amen

 



Bischof Klaus Wollenweber
53129 Bonn
E-Mail: Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

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