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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

22. Sonntag nach Trinitatis, 04.11.2012

Predigt zu Römer 7:14-25, verfasst von Harald Klöpper


Gott sei Dank!

Wenn Paulus sich damit nicht ins eigene Fleisch schneidet! Im 2. Korintherbrief (11, 30) hatte er es schon angekündigt: „Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen." Aber was wir heute im 7. Kapitel des Römerbriefes lesen, ließe ihn als Bewerber für jedes Kirchenamt durchfallen. Da lesen wir nämlich:

14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, dass das Gesetz gut ist. 17 So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz, dass mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. 22 Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

 

So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.

Ein schonungsloses Bekenntnis, dass selbst er, der angesehene Apostel, sein Leben nicht im Griff hat. Ein Eigentor, schonungslos offen, fast schon peinlich. Genau das Gegenteil von allen Trostpflästerchen nach dem Motto: „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur."

Zugleich verfinstert Paulus damit unsere Aussichten auf ein christliches Leben, auf dem es Stufe für Stufe vorangeht. Das kann gewaltig verunsichern. Was, wenn diese Sätze nicht nur für Paulus, sondern für uns Christen insgesamt gelten? Was, wenn dieses Ziehen und Zerren zwischen Leib und Seele uns erhalten bleibt und damit auch die Diskrepanz zwischen Wollen und Vollbringen? Trotz regelmäßigen Besuch von Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen?

Ach, wie süß ist dazu im Vergleich die heimliche Schadenfreude über den sogenannten Schalksknecht aus dem Evangelium. Wir sind vorgewarnt und werden gewisslich nicht in die Falle tappen, einem Mitmenschen unbarmherzige Strafen aufzubrummen, wenn uns selber gerade erst vergeben worden ist. Und auch die Warnung der alttestamentlichen Lesung vor Scheinheiligkeit fällt uns leicht, zumal der Wegfall der Opfer uns sogar billiger kommt.

Aber Paulus in Römer 7? Das ist ein gewaltig schwerer Brocken. Und uns dämmert, warum der Römerbrief immer wieder als Zentrum der paulinischen Glaubensaussagen entdeckt wird.

„Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich... Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?" (V.19,24)

Eigentlich erhoffen wir uns ein anderes Ergebnis. Natürlich sind wir Menschen aus Fleisch und Blut. Aber muss uns Paulus solch einen Stachel ins Fleisch setzen? Zumal er ja nicht über seine Vergangenheit als fanatischer Christenverfolger schreibt, sondern ein unmissverständliches Präsenz setzt: Seht genau hin, wer ich bin und wer ihr tatsächlich seid: ein Spielball der Wellen, hin und hergetrieben im Ozean des Lebens. Ihr strampelt euch ab und kommt dennoch kaum voran.

Alfred Döblin, praktizierender Psychiater, hat dies wunderbar eingefangen in seinem Roman Berlin Alexanderplatz. Franz Biberkopf ist darin die Hauptfigur. Er kommt gerade aus dem Gefängnis, will nun aber „anständig" weiterleben. Es gelingt ihm aber nur mäßig bis gar nicht. Zum Ende hin heißt es im Roman:

„Wir sind am Ende dieser Geschichte. Sie ist lang geworden, aber sie mußte sich dehnen und immer mehr dehnen, bis sie einen Höhepunkt erreichte, den Umschlagspunkt, von dem erst Licht auf das Ganze fällt.

Wir sind eine dunkle Allee gegangen, keine Laterne brannte zuerst, man wußte nur, hier geht es lang, allmählich wird es heller und heller, zuletzt hängt da die Laterne, und dann liest man endlich unter ihr das Straßenschild. Es war ein Enthül­lungsprozeß besonderer Art. Franz Biberkopf ging nicht die Straße wie wir. Er rannte drauflos, diese dunkle Straße, er stieß sich an Bäume, und je mehr er ins Laufen kam, um so mehr stieß er an Bäume. Es war schon dunkel, und wie er an Bäume stieß, preßte er entsetzt die Augen zu. Und je mehr er sich stieß, immer entsetzter klemmte er die Augen zu. Mit zer­löchertem Kopf, kaum noch bei Sinnen, kam er schließlich doch an. Wie er hinfiel, machte er die Augen auf. Da brannte die Laterne hell über ihm, und das Schild war zu lesen."

Der Wendepunkt ist Franz Biberkopfs Selbsterkenntnis: „Ich bin schuldig, ich bin kein Mensch, ich bin ein Vieh, ein Untier."

Zurück zu Paulus und seiner höchstpeinlichen Selbsterkenntnis. Sie bleibt unverrückbarer Bestandteil seiner Lebensbilanz. Sie ist der Sockel, auf dem er sich dennoch frei erheben kann. Wie das?

Indem er mit seiner Verzweiflung nicht hinter dem Berg hält. Stattdessen kehrt er sein Innerstes nach außen: „Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?"

Auf ein Wort kommt es dabei besonders an. Nicht „was wird mich erlösen", sondern „wer"!

„Was" könnten irgendwelche Programme sein, irgendwelche Therapien oder selbst andere Umstände. Die haben ihre Berechtigung bei Macken oder Ungereimtheiten.  Anders aber ist es bei der grundsätzlichen Frage. Hier bewahrheitet sich der Satz: „Das Wort der Erlösung kann man sich nicht selber zusprechen". Da kommt ins Spiel: „WER wird mich erlösen?"

Gerade auch im kirchlichen Raum ist in den letzten Jahren zunehmend zu beobachten, wie immer mehr Programme, Konferenzen, Treffen und Techniken angepriesen werden, die geschickt gerade diese größte aller Klippen umschiffen. Mit abgekupferten Methoden des Qualitätsmanagements sollen Erfolge sogar gemessen und für Geld wiederholbar gemacht werden.

Für Paulus ist das Nachtisch vor dem Hauptgang, eine letztlich vergebliche Liebesmühe, ein Haschen nach dem Wind, eine Unterwerfung unter das Gesetz des Fleisches, weil ein beliebig austauschbares Wellness Programm die brennende Frage verdeckt: „WER wird mich erlösen."

Zu unserm Glück weiß die Bibel darauf eine Antwort. Gerade wenn unser christlicher Glaube zu bröckeln droht, kommen die „geistlich Armen" aus der Bergpredigt zu ihrer vollen Bedeutung. Nicht den Erfolgreichen, nicht den Vertuschern, sondern ihnen steht nach Mathäus 5,3 das Himmelreich offen, Menschen wie dem Zöllner, die nicht mehr ein noch aus wissen, sich auf die Brust schlagen und nur noch stammeln können: „Gott, sei mir Sünder gnädig!" (Lukas 18,13)

Wir merken, dass Paulus dieses bekannt ist. Daum kann er auch seine Schattenseiten nach außen und nicht unter den Teppich kehren. Mit seiner schonungslosen Offenheit verweigert er sich geradezu, den Geist aufzugeben. Beharrlich, selbst mit der Bereitschaft sich ins eigene Fleisch zu schneiden, bringt er seine Not vor Gott. Nur ihm traut Paulus zu, den innerlichen Sturm auf gute Weise zu legen. So wie es zuvor Jesus für seine Jünger am See Genezareth getan hat: „Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!" (Mk 4, 41b)

Dennoch bleibt dieser spirituelle Kampf im zentralen Nervensystem des christlichen Glaubens. Das kann gehörig auf den Geist gehen, dieses fürchterliche Ziehen und Zerren zwischen Wollen und Versagen. Denn statistisch gesehen halten unsere eigenen guten Vorsätze gerade einmal 90 Tage. Umso wichtiger ist es, einen verlässlichen Fixpunkt zu haben, um nicht zu verbittern. Aber genau den haben wir in Jesus Christus, weil er uns gerade an dieser Schnittstelle zwischen Geist und Fleisch ganz nahe sein will. Genau hier wird er uns aufrichten, auf einen Felsen stellen wie den wankelmütigen Petrus, einen Tisch decken, selbst wenn uns das ganze Leben spinnefeind erscheint: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich!" (Matthäus 5,3) ist das eine und "Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." das andere (2.Korinther 12,9), was dies möglich macht.

Ob uns diese Zuversicht in Fleisch und Blut übergeht? Es könnte uns so viel getroster, nahsichtiger und sogar dankbarer machen. Gerade weil es nicht auf unserem eigenen Mist gewachsen ist. Darum gilt, was Paulus bereits im Vorblick auf das achte Kapitel in V.25 schreibt:

„Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!"

 



Pfarrer Harald Klöpper
32052 Herford
E-Mail: kloepper@chrina.org

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