Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

22. Sonntag nach Trinitatis, 04.11.2012

Predigt zu Römer 7:14-25, verfasst von Wolfgang Schillak

Ich bin meine Baustelle ...

Liebe Gemeinde!
Wir sanieren das Gemeindehaus, die Kirche.
Wir renovieren das Wohnzimmer, den Wintergarten.
Und was ist mit mir selbst?

Nein, keiner von uns ist dauerhaft glänzend.
Ich könnte auch so manches Mal eine Stärkung gebrauchen...
Ich bin meine Baustelle!

Zum Geburtstag wünschen manche gern: ‚... und bleib, wie Du bist!‘ Ja, das schmeichelt ja auch erst ein wenig, ist ja wohl auch als Kompliment gemeint. Aber ist dieser Wunsch realistisch, gar erstrebenswert für Deine Zukunft?

Paulus jedenfalls hätte jetzt mitten unter den Gratulanten mächtig protestiert:

Wir wissen ja, dass das Gesetz zum Geist gehört; ich dagegen bin vom Fleisch bestimmt - und verkauft unter die Sünde. Was ich bewirke, begreife ich nicht; denn nicht, was ich will, treibe ich voran, sondern was ich hasse, das tue ich. Wenn ich aber gerade das tue, was ich nicht will, gestehe ich dem Gesetz zu, dass es Recht hat. Dann aber bin nicht mehr ich es, der handelt, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

Denn ich weiß: In mir, das heißt in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes. Denn das Wollen liegt in meiner Hand, das Vollbringen des Rechten und Guten aber nicht. Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, das treibe ich voran. Wenn ich aber gerade das tue, was ich selbst nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der handelt, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

Ich entdecke also folgende Gesetzmäßigkeit: Dass mir, der ich das Gute tun will, das Böse naheliegt. In meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, in meinen Gliedern aber nehme ich ein anderes Gesetz wahr, das Krieg führt gegen das Gesetz meiner Vernunft und mich gefangen nimmt durch das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist." (Zürcher)

Zumindest ziemlich ambivalent scheint das Ganze, was wir Grundhaltung, Lebensüberzeugung, Sinn nennen. Ironisch lächelnd könnte Paulus gratulieren: ‚Bleib wie Du bist. Du hast gar keine andere Wahl!‘

Oder doch?
Sanieren - am Haus beseitigt den Schimmel, die Fäulnis, den Holzwurm.
Sanieren - am Körper heilt die Zähne, die Augen, die Hüfte.
Sanieren (lat.) meint ‚gesund machen‘ - das betroffene Bauteil und seine helfende, tragende Funktion.
Gibt's auch ein Sanieren der Seele?

Beratung, Therapie, Wellness oder einfach - Urlaub ... Aber was wäre dann der dauerhafte Zielzustand? Und für wie lange? Geht es vielleicht eher um eine zwar schwankende - und so gesehen instabile -, aber ausgewogene Mischung von Förderlich und Hinderlich, Vergebung und Schuld, Realismus und Illusion?

Besser dran scheint da auf den ersten Blick doch derjenige, dem man eine feste Überzeugung attestiert, der unverrückbar festhält an seiner Linie. Ja, der könnte sich sogar auf den Propheten Micha (6,8 - Luther) berufen: „Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von Dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor Deinem Gott.‘

Die Anleitung, gradlinig zu handeln, kennst Du; warum also wackeln, gar Haltungen ändern?

Beim Haus wäre sofort als unsinnig entlarvt, wenn jemand die ursprünglichen Fenster drin lässt, obwohl viel Energie verloren geht, die immer teurer wird. Gelebter Glaube gehört aber nicht in die Abteilung Denkmalschutz. Dem Wort Christi zu folgen ist der ständig neue Versuch, Anforderung und Krise der Welt rund um mich zusammen zu bringen mit Grundlegung und Verheißung des Himmels in mir.

Ich elender Mensch! Wer wird mich erretten aus diesem Todesleib? -
Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!"

Welch eine dramatische Kehre.
Was für eine unlogische Umkehr!

Das ist eigentlich kein Aktiv, auch nicht nur Passiv, eher so etwas zwischen drin: angefangen werden, sich neu angefangen werden lassen. Das ist kein Sanieren; das ist renovieren (lat.), in den Zustand ‚neu‘ (zurück-)versetzen. ‚Reset‘ heißt der Knopf beim Computerspiel. Aber weder in der Beziehung noch am Arbeitsplatz gibt's das. Auch in der Erziehung kann man nicht einfach noch einmal neu anfangen, wenn‘s schief lief...

Unsere christliche Tradition weiß einen kostbaren Schatz:

Das Gebäude, das der Mensch materiell und emotional errichtet, um sich ‚behaust‘ zu fühlen, ist wohlwollend geplant und auf Nachhaltigkeit angelegt durch einen liebevollen Architekten:

„Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen." (Ps.127,1 - Luther) An so manchem Fachwerkhaus steht diese Überzeugung im Trägerbalken eingraviert.

Ist sie auch in unserem Leben, unserer Seele eingraviert?

Du selbst bist dies Haus, arbeitest beständig daran, in Familie und Beruf zu funktionieren, Wohlstand und Erfolg zu produzieren - bis sich die Balken biegen, die körperlichen wie die seelischen ... Und dann? ‚Gesund machen‘ gelingt oft nicht so recht, stimmt's?

Und ‚re-novieren‘, ‚reset‘?
Ich bin meine Baustelle ...

Unsere christliche Tradition hält eine Renovierungs-Maßnahme bereit, die vielleicht doch gar nicht so altmodisch ist: Buße! Ein unbequemer Assoziationszusammenhang, der gerade deswegen aus der Wohlfühlmode gegenwärtiger Religiosität ausgewandert (worden) ist.

Luther schreibt in der 1.These der Reformation (!): ‚Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: "Tut Buße", hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.‘

Buße (griech.) meint: ‚ändere Deine Gesinnung‘, Deine Blickrichtung, Deine Erwartungsrichtung. Nicht nur im Beichtstuhl, auch im helfenden Gespräch, in orientierender Begleitung, durch gottesdienstlichen Zuspruch erfahre ich die dramatische Kehre. Vergebung wird verschenkt, nicht erworben. So erfasse ich im Drama des Alltags, was Buße mir Gutes tut: mein Einstellung zu renovieren, meine Lebensziele neu zu formulieren, Sinnentwürfe für mein Leben zu überarbeiten.

Dies geschieht aber nicht aus moralischem Druck: So sollst Du als Christ sein! Es ereignet sich vielmehr aus der erwachten Demut heraus, die Leben, Vergebung, Neuanfang nicht konstruiert, erwirbt, sondern geschenkt bekommt, Heil und Hoffnung überantwortet bekommt, um sie lebendig Tag für Tag zu verantworten an anderen.

Ziel der Baustelle ist eben nicht nur Wohlfühlen (‚Glück‘), sondern v.a. den göttlichen Bauplan meines Lebenshauses wieder zu spiegeln und in Veränderungen lebendig, tragfähig und heilsam zu halten!

Gut, dass es dafür Herbergen am Wege gibt, die dem hin und her Gerissenen Behaustsein anbieten, Räume, an deren Wand statt Speisekarte ein Kreuz hängt: heilende Orientierung für unterwegs!

So werden wir lebendige Baustelle.

Amen

 



Pastor Dr. Wolfgang Schillak
37176 Nörten-Hardenberg
E-Mail: wolfgang.schillak@evlka.de

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