Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag im Advent, 02.12.2012

Predigt zu Matthäus 21:1-9 (dän Perikopenordn.), verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

 

Hier auf dem Rand der Kanzel steht ein kleiner hölzerner Esel - er ist abgegriffen, ein Bein ist abgebrochen und beide Ohren fehlen. (Es ist eine Figur aus der Krippe meiner Kindheit.)

Jedermann weiß, dass unsere Sprache nicht nur aus Worten besteht. Wenn du und ich uns wirklich etwas wichtiges zu sagen haben, treffen wir uns persönlich, und unser Körper hat schon lange gesprochen, bevor wir den Mund auftun, um in Worte zu fassen, was wir uns zu sagen haben. Wir haben das Treffen abgesprochen, wir haben uns vorbereitet, uns in Bewegung gesetzt, unsere Schritte sind auf uns zu gerichtet, unsere Augen sind sich begegnet und unsere Körperhaltung hat schon alles verraten, ehe die Worte hinzukommen. Uns dennoch sind die Worte unentbehrlich. Sei es ein Rendezvous der Liebe, bei dem die Gesichter vor Wiedersehensfreude voller Erwartung nur so strahlen, und schon aus weiter Ferne breiten wir unsere Arme aus - oder es handelt sich um eine Begegnung des Zornes, bei der unser Körper Distanz und Misstrauen oder geradezu Angriffslust ausdrückt. Wir brauchen die Worte, um zu bestätigen, was wir schon aus unserer Körperhaltung lesen können. Die Worte sind gleichsam Heftzwecken, mit denen wir die Botschaft am Schwarzen Brett unserer Seele aufhängen. Der Körper merkt es sich, die Worte sind seine Helfer und Diener.

Wenn ich dir meine Rechte mit einem Lächeln entgegenstrecke, bist du sicher, dass ich dich begrüßen möchte. Wir drücken uns gegenseitig die Hände, sehen einander in die Augen und tauschen Grüße aus. Wenn ich meine Hand mit der Handfläche nach oben ausstrecke, ist das ein anderes Zeichen, und du kannst an meinem Gesicht und meinen Augen sehen, was ich will. Offensichtlich hast du etwas, was ich gerne von dir haben möchte - das sagt dir meine offene Hand. Die Worte kommen erst danach und können es unmissvertändlich machen.

Die Sprache besitzt ihre konventionellen Zeichen - wir können füreinander eine Richtung angeben, wir können winken, nicken, den Kopf schütteln, und dann wissen wir, was gemeint ist. Allerdings ist das nicht immer so - südlich von hier bedeutet ein Nicken mit dem Kopf ein „Nein", während das Schütteln mit dem Kopf ja bedeutet. Aber auch Ausnahmen verstehen wir unverzüglich. Wenn ein Mann (so pflegt es zu sein) vor seiner Auserwählten auf die Knie fällt, ist ein Heiratsantrag unterwegs. Wenn ich vor dem Altar niederknie, bete ich augenscheinlich. Knie ich vor einem kleinen Kind, dann tue ich das, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein - oder vielleicht auch, um mit einem Schuh oder einem Handschuh zu helfen, der nicht so will, wie das Kind will.

Manchmal sagen wir ohne Worte ungeheuer viel- heutzutage wird vieles ohne Worte gesagt. Der Esel hier vor mir sagt keinen Ton, und doch spricht er seine eigene Sprache. Die eine von den vier Kerzen an dem Kranz hier spricht davon, dass wir zu einem bestimmten Ziel unterwegs sind, dass wir voller Erwartung sind. Wir haben begonnen, die Tage zu zählen, und wir zählen rückwärts, etwas in der Zukunft ist unterwegs zu uns. In der Erwartung verbergen sich Freude und Furcht. Trotz der Rituale, Traditionen und einer ganzen Reihe von Tätigkeiten und Dingen, die mit dieser Zeit des Jahres zusammengehören, können wir nicht wissen, wie sich die Erwartungen erfüllen werden, ob unsere Hoffnung in Erfüllung geht oder ob sie enttäuscht wird. Wir können uns nur vorbereiten und bereit machen und nach Kräften unseren Teil dazu beitragen.

So gesehen ähneln wir dem Esel - der keinerlei Einfluss auf die großen Ereignisse hat, sondern nur das Seine tut. Der Esel löst seinen Teil der Aufgabe in dem großen Bild. Eine Prophetie geht in Erfüllung, ein Zeichen - eine vollständige Geschichte, erzählt ohne ein einziges Wort. Der Esel arbeitet, und es besteht eine Zusammengehörigkeit zwischen dem Esel und seinem Reiter in all ihrer stillen Sanftmut. Es ist, wie wenn die beiden einander verstehen, und wenigstens verstehen sie wesentlich mehr, als die johlende Menschenmenge mit ihren Kleidern und Palmen begreift.

Die Worte lauten: „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Und das, was wir davon verstehen, sind die Worte: „er der da kommt". Alles Übrige verlangt nach Erklärungen, nach Erklrärungen von König David und der Erwartung des jüdischen Volkes von einem Friedensfürsten, einem Messias, von dem Propheten Zacharias und vieles andere mehr, wofür wir in unseren nach Tannen duftenden Gedanken nicht richtig Platz haben, weil unsere Gedanken eilends auf Weihnachten zu unterwegs sind.

Da ist es dann gut, dass Gott die wortlose Sprache zu sprechen versteht und uns einen Esel schicken kann. Hier steht der Esel auf dem Rand der Kanzel und erinnert uns daran, dass er, der uns entgegenkommt, sanftmütig ist. Dass die Hoffnung nicht heranpoltert wie eine Sturmflut, sondern sich sanft und beharrlich einen Weg in unsere Herzen bahnt. Wir können es an den Hufen des Esels fast sehen und hören, der mitten im Tumult sanft auf den sandigen Weg von der Goldenen Pforte zum Tempelplatz trommelt. Gott kommt zu uns, und die Türen des Herzens öffnen sich langsam, die Hoffnung findet mitten im Tumult all der Erwartungen ihren Weg. So sanft, still, geduldig ist die Hoffnung, dass alles noch möglich ist, dass Liebe noch stattfinden kann und Frieden sich über die ganze Erde senken kann. Die sanftmütige Hoffnung kann angesichts des Königs auf dem Esel stark werden. Die Sprache Gottes besteht aus anderem als Worten, sie ist mehr als Worte. Die Sprache Gottes ist in dem, was ohne Worte ist, in den Zeichen - Gott zeichnet einen König auf einem Esel für uns. Seht ihn!

Gott ließ ein Wort fallen. Gottes Wort fiel auf die Erde als ein Menschenkind in einer Wiege. Das Wort war Liebe - von Anfang bis Ende. Sanft, mutig, geduldig bahnt sich diese Liebe den Weg in unsere Herzen. Heute kommt ER zu uns auf einem Esel. Frohe Adventszeit!

 



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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