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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag im Advent, 02.12.2012

Predigt zu Lukas 1:67-79, verfasst von Eberhard Busch

 

Hoher Besuch erwartet

„Gelobt sei der HERR, der Gott Israels; denn er hat besucht und erlöst sein Volk." So beginnt das Lied, das Zacharias anstimmt. Er redet im Perfekt, obwohl das Ereignis, das er besingt, in der Zukunft stattfinden wird. Und was er besingt, das ist ja schon in den Psalmen (111,9) des Alten Testaments angestimmt: „ER sendet eine Erlösung seinem Volk." Und bei Lukas wird der Gesang im Zusammenhang des Danks für die Errettung eines Knaben vom Tod erneut aufgegriffen: „Gott hat sich seines Volkes angenommen." (Lk. 7,16) Und darin dürfen auch wir heute einstimmen: Wir sind nicht von Gott verlassen. Er kümmert sich um uns. Er kommt zu uns. Jener Zacharias ist davon derart bewegt, dass er, der bislang verstummt war, jetzt auf einmal den Mund aufbringt und zu jubilieren beginnt. Wer kann denn da seinen Mund halten! Die Festzeit, die mit dem heutigen Sonntag beginnt, die Erwartung, von der jener Zacharias singt, ja schon die Vorzeit im Alten Testament steht und bewegt sich unter diesem Vorzeichen im Einklang: Gott hat sich seines Volks angenommen, Gott sei Lob und Dank! Auch der Advent ist schon erfüllt von dieser Wahrheit.

Heute feiern wir den ersten Advent. Es gibt ein einsichtsvolles Gemälde von Matthias Grünewald, der am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts lebte, am Vorabend der Reformation. Es ist ein Zeugnis, dass auch damals diese Zeit nicht von Gott verlassen war. Auf dem Bild fällt den Betrachtern die Gestalt auf, von deren Geburt unser Bibeltext redet. Es handelt sich um Johannes den Täufer. Auffallend, ja, aufrüttelnd ist der lange Finger, mit dem er von sich fort weist, hin zu Jesus Christus. Neben Johannes hat der Maler lateinische Worte gesetzt, die auf deutsch lauten: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen." Davon redet ja schon der Vater dieses Johannes, bereits vor dessen Geburt. Zacharias, der Vater, sagt (V. 76). „Du wirst ein Prophet des Höchsten heißen, (das heißt:) du wirst vor dem HERRN hergeben, dass du seinen Weg bereitest." Das ist nämlich ein Prophet: ein Ankündiger, ein Hinweiser, ein Vorläufer dessen, der da kommt. Klein ist er für sich genommen. Groß ist der, auf den er hinweist.

Dieser Vorläufer ist wohl eine Zusammenfassung aller prophetischen Botschafter im Alten Testament. Das bedeutet aber keineswegs, dass all das, was sie gesagt und auch getan haben, bloß zwischenzeitlich in Geltung stand, überholt vom Lauf der Dinge. Was sie sagten, das brauchen wir noch heute. Wir würden ohne sie auch den nicht sehen, dem sie vorausgegangen sind. Und mehr noch: Dieser Vorläufer ist ein Vor-bild auch für uns heute, damit wir ihre Weggefährten seien. Weniger sollten wir nicht sein und uns allzu bescheiden dabei zurückhalten und uns entschuldigen: „Wir sind ja nur Laien". Nein, es ist hochwichtig, wenn Menschen auf einmal berufen werden, mitten unter all den anderen Mitmenschen solch ein orientierender Wegweiser zu sein! Aber mehr dürfen wir auch nicht sein wollen. Kein noch so bedeutender Christenmensch kann mehr sein als ein vorläufiger Hinweis auf diesen Einen, bestenfalls ein Wegweiser. Ja eben, „ER muss wachsen, ich aber muss abnehmen." Wenn wir uns zu fest in den Vordergrund drängen, sehen unsere Mitmenschen nicht mehr, worauf es ankommt.

Worauf kommt es denn an? Unser Predigttext sagt: „Es hat uns besucht der Aufgang aus der Höhe." So wie die Sonne am Morgen hell und heiter aufgeht und in jeden Winkel hinein leuchtet, so ist aus der Höhe, von einem Ort her, an den wir von uns aus nie gelangen können, Besuch zu uns gekommen, in diesem Fall tatsächlich und wortwörtlich: höchster Besuch. Es ist erfüllt, was schon beim Propheten Maleachi (3,20) im Alten Testament im Namen Gottes angekündigt ist: „Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit" Und zwar handelt es sich um einen Besuch, der nicht bei uns vorbeischaut für ein Weilchen, um dann wieder zu verschwinden. Er hat uns besucht, um bei uns zu bleiben. Denn, so wird es uns im Johannesevangelium (1,14) gesagt: „Er kam in sein Eigentum." Wir müssen ihm Platz machen, weil dieser Platz ihm gehört, weil er an ihn gehört. Er würde sich selbst fremd, wenn es ihm fremd wäre, dort einzukehren. Es geht hier so zu wie in der Geschichte, die uns auch im Lukasevangelium erzählt wird, in der Jesus zu dem in einen Baum verstiegenen Zollbeamten Zachäus sagt (19,5): „Ich muss heute in deinem Haus einkehren." Und nun ist das nicht bloß bei Zachäus der Fall. Sondern: „Es hat uns besucht der Aufgang aus der Höhe" - einen jeden von uns und wen nicht auch!

Unser Predigttext sagt weiter. Er hat uns besucht, „um zu leuchten denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes". Oder wie es in einem alten Adventslied heißt: „O Sonn, geh auf, ohn deinen Schein / in Finsternis wir alle sein." Ohne dass solches Licht uns leuchtet, würden wir es vielleicht bestreiten, dass wirklich wir es sind, „die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes". Sicher, zuweilen kommt eine Ahnung davon in uns hoch. Aber ebenso sicher, verdrängen wir solche Ahnung wieder durch eine Vielgeschäftigkeit und durch Ablenkungen bunter Art. Wie groß diese Finsternis ist und welcher Art, das kommt darin zum Ausdruck, dass wir immer wieder von jenem Licht absehen, und praktisch denken, wir brauchten jenen „Aufgang aus der Höhe" eigentlich gar nicht. Es gehe auch ohne. Im Johannesevangelium heißt es: „Er kam in sein Eigentum - und die Seinen (sogar die Seinen und gerade sie) nahmen ihn nicht auf." In der Weihnachtsgeschichte heißt es dazu kräftig: „Es war kein Raum in der Herberge".

Er kam aber trotzdem in sein Eigentum, auch wenn für ihn kein Raum in der Herberge war. Ein Ausleger hat dazu bemerkt: „Er kam in sein Eigentum - nun eben durch die Hintertür." Bei ihm gibt es keine verschlossenen Türen. Dazu ist er ja erschienen, um denen, „die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes", zu leuchten. Und mögen solche Finsternisse und Schatten noch so dunkel und noch so bedrohlich sein, dieses Licht können sie nicht zum Verlöschen bringen. „Keine Nacht ihm wehren kann, / treulich strahlt es uns fortan", so hat Martin Luther von diesem Licht gesungen. Und wenn sonst alle Lichter ausgehen sollten, und für uns persönlich werden sie sich in jenem „Schatten des Todes" einmal verdunkeln, aber auch dann ist es noch wahr und gilt es noch, und wenn wir uns nicht mehr selbst daran halten können, so hält es seinerseits uns auch dann noch: Er hat uns besucht und er sucht uns auf, „damit er erscheine und leuchte denen, die in Finsternis und Schatten des Todes sind."

Verstehen wir es recht: Das ist wahr und das gilt nicht, weil Gott so ein Allmächtiger ist. Gewiss, er ist kein Schwächling. Aber es hat in der Menschheitsgeschichte so manche Allmächtige gegeben, die über kurz oder lang darüber gestolpert sind - nach dem Spruch: „Hochmut kommt vor Fall". Und der Höchste hat alle überdauert und war ihnen überlegen. Er war und er ist stärker als sie, und das darum, weil er ganz anders stark ist als sie. Zacharias sagt in seinem Lied, dass uns der Aufgang aus der Höhe besucht hat „durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes". Darin ist er stark, dass er von ganzem Herzen barmherzig ist. So bewegend, wie er nach dem Propheten Hosea (18f.) zu Ephraim und Israel gesprochen hat: Soll ich dich strafen wegen deiner Sünden. „Aber mein Herz ist anderen Sinnes, all meine Mitleid ist entbrannt .... Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch." Auf dieser Linie hat der Genfer Reformator Johannes Calvin bei der Auslegung von Psalm 77,10 erklärt: „Gottes Güte ist untrennbar verbunden mit seinem Wesen, dass es unmöglich ist, dass er nicht barmherzig ist." Das ist so, weil er zuletzt das Gesicht eines Gekreuzigten hat, auf den ja jener Finger bei dem Maler Grünewald hinweist. „ Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen"? Ja, aber am Karfreitag hat das sich nachgerade umgekehrt: ER hat da abgenommen, damit wir wachsen und durch ihn das Leben haben. Er ist groß darin, dass er ganz klein werden konnte, zu unseren Gunsten.

In der Wärme seiner Barmherzigkeit inmitten der Kälte der Finsternisse und Todesschatten können daher Menschen so auftauen, dass es geschieht, dass „unsere Füße auf den Weg des Friedens" gelenkt werden. Und dass sie unter Gottes Geleit darauf gehen! Zuweilen unsicher tastend, aber vorwärts. Und das geht uns an. Wir können dank seiner Barmherzigkeit nicht faul herumliegen oder unseren beliebigen Neigungen und Interessen nachgehen. Im Licht seiner Güte werden wir aufstehen und können vor allem anderen nur noch dieses eine wollen und tun: auf dem „Weg des Friedens" marschieren. Das ist allerdings gar nicht so einfach. Die Christenheit hat sich bekanntlich so und so oft nicht daran gehalten, sondern ist anderen Parolen und anderen Führern gefolgt und nicht dem an der Weihnacht unter die Menschen Getretenen. Er heißt nicht nur, er ist der Friedefürst (Jes. 9,5), und das darum, weil er nicht wiederschalt, als er gescholten wurde, nicht schlug, als man ihn schlug (1.Petr. 2,23). Er lädt uns ein in seine Nachfolge, in der wir unsere Plagegeister segnen und unsere Verfolger ertragen (1. Kor. 4,12). Man kann nicht von vornherein theoretisch sagen, was im einzelnen auf diesem Weg zu tun ist. Es braucht aber immer Mut dazu, diesen Weg zu gehen. Denn er ist selten der Weg der Mehrheit. Auf ihm erlebt man Widerstände. In dem Loblied des Zacharias heißt es dazu: wir seien dazu befreit, „dass wir, erlöst aus der Hand unserer Feinde, ihm, diesem Barmherzigen, dienen ohne Furcht unser Leben lang, in Heiligkeit und Gerechtigkeit." Sicher, vieles macht uns Angst, aber in seiner Obhut sind wir „ohne Furcht", getragen und geborgen. Er bewahre uns in seinem Frieden.

 



Prof. Dr. theol. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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