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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag im Advent, 02.12.2012

Predigt zu Lukas 1:67–79, verfasst von Reiner Kalmbach

 

 

„Wir sind Wanderer, - auf dem Weg des Friedens"

 

Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

Advent..., was verbinden wir mit dieser Zeit?, was regte sich in uns, als wir heute früh am Kaffeetisch die erste Kerze anzündeten...?

Ja, jetzt wäre ich gerne in der Heimat, jetzt, da ich erkennen darf, was Advent ist, wie dieses „Erkennen" mein Leben, mein praktisches Leben, verändert hat...

Hier in Argentinien, auf der südlichen Halbkugel, fällt es mir, selbst nach über 20 Jahren, immer noch schwer, mich auf Weihnachten einzustellen. Die Tage werden immer länger, die Temperaturen steigen und in Schulen und Uni´s büffeln Schüler und Studenten für die letzten Prüfungen, die dann noch kurz vor Weihnachten das Schuljahr beschliessen.

1. Sonntag im Advent: eine besondere Zeit beginnt. Da ist es gut, sie mit einem besonderen Wort zu beginnen, mit einem Psalm, einem liturgischen Gebet.., gerade jetzt, in dieser Zeit, in der keiner Zeit hat..., zum hören.., zum (mit)beten..., zum (nach)denken.

Der Evangelist Lukas hat uns, gleich am Anfang seines Evangeliums, drei Psalmen, (oder) Lobgesänge, hinterlassen: den Lobgesang der María, oder auch „Magnificat" genannt, den Lobgesang des Simeon und dazwischen eingebetet der Lobgesang des Zacharias, der als das „Benedictus" in die Liturgiegeschichte der christlichen Kirche eingegangen ist. Dieser Psalm soll uns heute den Einstieg in den Advent erleichtern:

Lukas 1, 67 - 79

Manchmal lasse ich mir gerne bei der Predigtvorbereitung von jemandem der „unbefangen" ist helfen. So auch diesmal: ich überreichte meine Bibel einer junge Frau aus Deutschland, die zur Zeit in unserem Altenheim und in der Gemeinde ein Voluntariat absolviert. Ich wollte wissen, was dieser Psalm in ihr bewegt, was sie fühlt und denkt..., wie er zu ihr spricht...Ihre Gedanken sollen uns heute begleiten, es sind gute Gedanken, wichtige Gedanken..., sie weissen auf das hin, was Advent ist: die Zeit der Vorbereitung auf etwas Grosses, etwas das die Vergangenheit, das Jetzt und die Zukunft umfasst, etwas das die Welt verändern wird, nein!, sie bereits verändert hat. Das ist prophetische Sprache: zukünftiges als eine bereits geschehene Tatsache verkünden. Deshalb geht es im Advent nicht nur darum uns auf das Kommende einzustimmen, sondern zu erkennen in welch einer Zeit wir leben!

  1. befreit

Mit dem „Benedictus" haben wir es mit altem „christlichen Urgestein" zu tun. Der Psalm ist ein Bekenntnis zum Gott Israels, der Gott des Alten Testaments. Er nimmt uns hinein in die Erfahrungswelt dieses Volkes, geknechtet, verachtet, verschleppt und: befreit, erlöst von jenem Gott dessen Wort die Propheten zu allen Zeiten verkündeten. Ein Gott der sein Wort Fleisch werden lässt, indem er die Menschen „besucht". Der Psalm ist Geschichte, konkret erfahrene Geschichte, der Psalm ist Gegenwart, das Erkennen des Zacharias, nachdem er nicht glauben konnte, obwohl er ein Priester war, oder vielleicht gerade deshalb. Der Ritus, die Routine, die Tradition, die Formen versperrten ihm den Weg zur Erkenntnis, den Blick auf das Wesentliche, das wahrhaft Göttliche..., so dass er angesichts der Geisterfahrung buchstäblich sprachlos wurde, es hat ihm die Sprache verschlagen...Doch jetzt hat er begriffen, jetzt wird der Ritus feiernde Priester zum Propheten der Grosses verkündet: eine neue Zukunft. Die Welt wartet, mitten in ihrer Dunkelheit, auf die Morgendämmerung ihrer eigenen Geschichte.

Die christliche Kirche kann ohne diese Heilsgeschichte nicht existieren: das Benedictus ist wie ein Scharnier das Altes und Neues Testament miteinander verbindet. Als Christ erkenne ich: der befreiende Gott des Alten Testaments, der Gott der das Jammern und Klagen seines Volkes hört, der Gott der dieses Volk aus der ägyptischen Sklaverei befreit und aus dem babylonischen Exil heim ins Land führt, ist der selbe den wir in der Krippe zu Bethlehem anbeten!

Lassen Sie dieses Bild, diese Wahrheit auf sich wirken: die Juden die im Warschauer Ghetto, selbst im Angesicht des Todes, ihren Gott nicht verleugneten, die mit ihrem Bekenntnis zu ihm auf den Lippen in die Todesöfen von Treblinka und Belsen marschierten. Und auf der anderen Seite die christliche Kirche, in der Hand die Heilige Schrift: sie hätte Israel in Schutz nehmen sollen, sich nicht unter die mischen dürfen „die uns hassen...", und sie hätte auch nicht schweigen dürfen, als die Hand des Feindes Gottes Volk im Würgegriff umklammerte. Dies muss gesagt sein, damit wir „erkennen", was Advent in Wirklichkeit ist.

Es ist die Ankündigung der Befreiung, und wir sind aufgefordert die Zeit zu nutzen, um uns auf sie (die Befreiung) vorzubereiten. Vielleicht auch zu fragen: Befreiung, von was, von wem...?, oder aber: Befreiung zu was...?

Gott hat sein Volk nie um der Befreiung willen befreit: nur wer frei ist, kann das tun zu dem er geschaffen und berufen ist: nämlich den Willen Gottes in dieser Welt zu erfüllen. Und das heisst für uns Christen: sich in die Nachfolge Christi rufen lassen.

  1. erleuchtet

Zacharias war vom Heiligen Geist erfüllt, deshalb hat er erkannt, deshalb wurde aus seiner Sprachlosigkeit ein Lobgesang auf die Heilstaten Gottes. Was hat er erkannt? dass sein erstgeborener Sohn, der den Namen Johannes erhalten sollte, der Wegbereiter Gottes in der Welt sein wird, der „Herold", der die Ankunft seines Herrn allem Volke ankündigt, und diesem damit die Zeit gibt, sich auf diese Ankunft vorzubereiten.

Rechnet die Kirche, rechnet unsere Gemeinde, rechnen Sie, liebe Schwestern und Brüder (noch) mit der alles verändernden Kraft des Heiligen Geistes?, oder setzen wir lieber auf die gewohnten Abläufe in Liturgie und Gemeindeleben...?

Wir lernen im Konfirmandenunterricht, dass wir, um die Bibel verstehen zu können, d.h. ihre Botschaft für die heutige Zeit, den Heiligen Geist brauchen, der uns die Schrift aufschliesst. Ohne seine „Hilfe" bleibt das biblische Wort Buchstabe ohne Leben.

Das ist die Erfahrung des Zacharias: er war vom Geist erfüllt und erkannte deshalb, dass Gott tatsächlich, und nicht nur symbolisch im Ritus des Gottesdienstes, in der Geschichte der Menschen Wunderbares wirkt. Er hat dies an sich selbst erfahren, konkret und für alle seine Mitmenschen sichtbar, „hörbar".

Was spüren wir, wenn wir an Advent denken?, sind wir erleuchtet, vom Geist erfüllt, so dass wir, jenseits der Gebräuche (nach denen ich mich so sehr sehne...), der Lichter, der Gerüche die aus der Küche kommen, der Stimmung der Weihnachtsmärkte, der Lieder und der „heimeligen" Adventsfeiern..., dass wir das Eigentliche erkennen, dass wir bereits ahnen, dass etwas „Grosses" geschehen wird, dass wir das Leuchten am Horizont mit all unseren Sinnen erkennen können...?

Noch einmal: Weihnachten ist ein Geschehen, das wir nur als solches erkennen, weil wir erleuchtet sind. Dass es die Menschwerdung Gottes ist, das können wir nur wissen, weil es uns gesagt ist durch den Engel der den Hirten auf dem Felde das grosse Ereignis verkündete: „Fürchtet euch nicht!", denn Gott kommt in diese Welt, um sie mit ihm zu versöhnen.

Das Benedictus spricht von Gnade, Barmherzigkeit, von Vergebung, „alles mächtige, starke Zeichen...", so empfindet es meine Voluntärin. Und es ist ja wahr: wir haben dies alles mehr als nötig!, die Welt hat es bitter nötig! Was könnte, was würde sich alles verändern, zum Guten!, würden wenigstens die Christen in der ganzen Welt, erkennen wie Zacharias...

  1. ausgerichtet

Der Lobgesang endet, nein, er mündet ein in die Konsequenz der Rettungs-und Befreiungstat Gottes, ein Schlussvers der es in sich hat: „...und richte unsere Füsse auf den Weg des Friedens..." Es ist die Antwort auf das was Gott an uns getan hat: als die Erlösten und Befreiten wandeln wir auf dem Pfad des Friedens. Denn nur in der Freiheit ist Frieden möglich!, und sowohl die Freiheit, als auch der Frieden sind die Frucht der Gerechtigkeit. Auch eine Wahrheit die wir aus dem Alten Testament kennen...Das sind starke Worte, die hier in Lateinamerika immer noch einen ganz besonderen Klang haben. Von Menschen gemachte Systeme waren schon immer zu allen Schandtaten fähig, ja oft wurden sie gerade dazu geschaffen: um andere Menschen, andere Länder und sogar ganze Kontinente auszubeuten. Und Ausbeutung funktioniert nur auf der Basis der Ungerechtigkeit. Es ist ein vom Menschen geschaffenes Gegenmodell, denn Gott hasst die Ungerechtigkeit, er erträgt sie nicht, in keiner Form!, denn sie erlaubt höchstens Existenz, aber kein Leben in Würde.

„Als Jesus das Volk sah, jammerte es ihn...", heisst es bei Matthäus. Ich kann mir vorstellen, was er da sah: schmutzige und kranke Kinder, Bettler auf der Suche nach verwertbarem Abfall, drogenabhängige Jugendliche, schwangere 13-jährige Mädchen, von ihren Männern verprügelte Frauen, alte Menschen, „abgelegt" und verlassen in irgendeinem Altendepot..., Menschen die ihre Arbeit verloren haben, die aus dem System ausgesondert wurden. Und dann sieht er auch wie die „Oberen", jene die für das Wohl der Menschen verantwortlich sind, sich in die Abhängigkeit der internationalen Banken begeben, jenen Götzen der die Welt schon immer regiert hat...

Das „Jammern" Jesu kann man auch anders übersetzen: es hat ihm den Magen umgedreht, es hat ihn angeekelt! Und dann endet der Abschnitt mit der Feststellung, dass es, angesichts dieses Elendes, an „Friedensarbeitern" fehlt, und so wendet sich Jesus an seine Jünger, das sind jene deren Füsse er selbst auf den Weg des Friedens gesetzt hat, sie sollen Gott bitten, er möge mehr von solchen Arbeitern berufen.

Und jetzt steht es da: er richtet unsere Füsse neu aus, auf den Weg des Friedens. Und wer auf dem Weg ist, bewegt sich, d.h. er bleibt nicht stehen und wartet. Christen sind Wanderer auf dieser Welt und diese Welt soll sehen, woher wir kommen, wer uns auf diesen Weg geschickt hat, wer und wie dieser Gott ist.

Und diese Welt soll und wird sehen welches unser Ziel ist: der Stall zu Bethlehem, denn von dort scheint uns das Licht, das wir am Horizont bereits erkennen können.

Amen.

 



Pfarrer der Evang. Kirche am Río de la Plata Reiner Kalmbach
Allen, Patagonien (Argentinien)
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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