Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 05.08.2007

Predigt zu Matthäus 13:44-46, verfasst von Klaus Pantle

Liebe Gemeinde,

„Können Sie mir sagen, wohin ich gehen will?" fragt Karl Valentin. Eine gute Frage! Wohin will ich gehen? Wonach suche ich im Leben? Was hoffe ich zu finden und was zu erreichen?

Abraham und Sarah suchen das verheißene Land. Flüchtlinge suchen nach einem Ort, an dem sie leben können, Migrantinnen eine neue Heimat. Parzival sucht den heiligen Gral, die Dichter der Romantik die blaue Blume. Hochzeitspaare suchen dauerhafte Liebe, Jakobswegpilger Gott und/oder sich selbst. Urlaubsreisende suchen den unverdorbenen Alpenbewohner, den Eselskarren, das Fischerdorf.

Wir suchen das gute Leben. Was immer wir im Einzelnen auch darunter verstehen. Religiös gesprochen: Wir suchen nach Erlösung.

Ich suche nach einem Lebensraum, in dem ich mich entfalten, sprich: gut leben kann. Ich suche nach Liebe, nach Aufgehen im Anderen, nach Verschmelzung von Ich und Du. Ich suche nach dem Welteinverständnis, das den Wanderer erfasst, der den Spätsommertag genießt.

Das suche ich, das hoffe ich zu finden und zu erreichen. Und für einzelne „ewige Augenblicke" mag mir das sogar gelingen. Das ist viel. Aber ist das schon alles? Reichen mir diese diesseitigen Ziele, diese vorübergehenden Erfahrungen oder soll und will ich noch darüber hinausstreben?

Jesus verweist uns darüber hinaus. Nichts weniger als das  „Himmelreich" gibt er uns als zu erstrebendes Lebens- und Glaubensziel vor. Im 13. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus spricht er:

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.

Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

Es gibt ein Märchen, das dieses Thema aufgreift und vertieft. Dieses Märchen wurde vielleicht schon zu Zeiten Jesu, ganz sicher aber zur Zeit der ersten Christen so ähnlich erzählt. Es ist jedenfalls überliefert, dass es ein Apostel namens Judas Thomas im 3. Jahrhundert Mitchristen im indischen Gefängnis vorgetragen habe. Darin spricht ein Prinz:

Als ich noch ein Kind war und im Palast meines Vaters lebte, in Reichtum und Pracht, unter der Obhut meiner Erzieher, da sandten mich eines Tages meine Eltern aus. Sie schickten mich fort aus meiner Heimat im Osten und gaben mir eine Wegzehrung und einige Kostbarkeiten aus ihrem Schatzhaus mit. Das Prachtkleid, das sie mir vor Zeiten geschenkt hatten, zogen sie mir aus. Bevor sie mich losschickten, schlossen sie mit mir einen Vertrag und schrieben mir den ins Herz, damit ich ihn nicht vergäße.

„Wenn du nach Ägypten hinab gehst und die Eine Perle holst, die mitten in dem von einer schnaubenden Schlange umringten, von einem Drachen bewachten Meer ist, dann sollst du dein Prachtgewand wieder anziehen und Erbe unseres Königreiches werden."

So verließ ich den Osten und zog hinab auf dem schwierigen und gefahrvollen Weg nach Westen.

Dort angekommen ging ich geradewegs hin zu der Schlange, zum Drachen und ließ mich in ihrer Herberge nieder, bis dass sie schlummern würde, um die Perle von ihr zu nehmen. Da ich von ferne kam, war ich den Bewohnern der Herberge fremd. Doch ich traf dort einen schönen Jüngling aus dem Osten, meiner Heimat, mit dem ich mich anfreundete und der mir zum Gefährten wurde. Ihm erzählte ich von meinem Auftrag, worauf er mich warnte vor den Ägyptern und dem Umgang mit den Einheimischen. Ich aber verkleidete mich darauf hin mit ihren Gewändern, damit ich nicht als Fremder auffiel und in den Verdacht geriete, dass ich gekommen sei, um die Perle zu holen, und dass sie nicht die Schlange, den Drachen gegen mich weckten.

Aber es nützte nichts. Sie merkten doch, dass ich nicht ihr Landsmann war, und sie machten sich an mich heran und überlisteten mich. Sie mischten mir einen Trank und gaben mir von ihrer schweren Speise zu kosten. Und ich vergaß, wer ich war, und ich vergaß meinen Auftrag und vergaß meine Eltern und die Perle. Durch den Trank und die Speise fiel ich in einen tiefen Schlaf.

Meine Eltern bekamen aber Kunde von meinem Schicksal. Und sie berieten sich mit den Vornehmen im Land und beschlossen, ich dürfe nicht in Ägypten gelassen werden. Sie verfassten einen Brief, und wie ein Gesandter war dieser Brief, den der König verschlossen hatte vor den Bösen, und der sich erhob wie ein Adler und zu mir flog und zu mir sprach.

Bei seiner Stimme erwachte ich aus meiner Trunkenheit und stand auf von meinem Schlaf, nahm ihn und küsste ihn und brach sein Siegel und las. Sogleich wurde mir wieder bewusst, dass ich ein Königssohn war und wieder gedachte ich der Perle und weshalb ich nach Ägypten gesandt worden war. Und ich ging hin und überlistete die schreckliche Schlange, den schnaubenden Drachen. Ich schläferte sie ein, indem ich den Namen meines Vaters über ihr nannte. Ich erhaschte die Perle, nahm sie und wendete mich zur Heimkehr nach Osten.

Mein schmutziges Kleid ließ ich zurück und machte mich auf den Weg. Und wie mich die Stimme meines Vaters vom Schlaf erweckt hatte, so führte er mich nun mit seinem Licht, mit dem er mir leuchtete und zog mich nach Hause mit seiner Liebe.

Als ich über die Grenze unseres Reiches im Osten gelangte, wurde ich bereits erwartet. Das Prachtkleid, das ich ausgezogen hatte bevor ich losging, hatten mir meine Eltern entgegen schicken lassen. Als ich es sah und seinem Glanz gewahr wurde erkannte ich es und mich durch es ganz und gar. Ich streckte mich und nahm es und schmückte mich mit der Schönheit seiner Farben. So legte ich den letzten Weg zurück zum Tor des heimatlichen Palastes und stieg empor zur Pforte der Begrüßung und Anbetung.

(Nach: Hans Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, Teil 1: Die mythologische Gnosis, Göttingen 1964, S. 322-326)

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Liebe Gemeinde,

das Ziel unseres Lebens- und Glaubensweges sei das Himmelreich. Jedenfalls ist es das Ziel sowohl des „Menschen" als auch des „Kaufmanns" aus Jesu Gleichnisrede wie auch des Prinzen aus dem Märchen. „Das Himmelreich gleicht einem Kaufmann auf der Suche nach einer schönen Perle", sagt Jesus und macht damit den Kaufmann zum Bild für das Himmelreich. Wobei wohl eher die Perle - der „Schatz" - als Bild für das Himmelreich gemeint sein wird. Jesus wählt die Perle als Sinnbild für das Ziel unseres Lebens- und Glaubensweges. Er weiß: Bilder sagen mehr als tausend Worte.

Perlen faszinieren Menschen seit jeher. Zahllose Geschichten, Mythen, Legenden und symbolische Bedeutungen ranken sich um die Perle. Eine besonders schöne Perle ist eine Kostbarkeit von unschätzbarem Wert. Um ihrer Kugelform willen gilt sie als Symbol für Vollkommenheit. Ihrer Schönheit willen gilt sie als Symbol für die Liebe. Und ihre geheimnisvolle Farbe, ihre Härte und ihr hoher Wert können als Hinweis auf ewiges Leben verstanden werden.

Vollkommenheit, Liebe und ewiges Leben - das sind die „himmlischen Dinge", die Jesus uns nach dem Zeugnis des Matthäusevangeliums zuspricht.

„Seid vollkommen, wie euer Vater vollkommen ist"  (5,48), sagt er. Nichts weniger mutet er uns als Anspruch, als Lebens- und Glaubensziel zu. Vollkommenheit, das bedeutet in diesem Zusammenhang: Ganz im Einklang zu leben mit dem Willen Gottes. Wer das schafft, der hat den Weg zu Gott und auch zu sich selbst gefunden. Der ist zu dem geworden, was er ist und werden soll.

Zugleich verbirgt sich im Symbol der Perle auch das andere: die Liebe. Der Zuspruch der Liebe Gottes an uns ist verbunden mit dem Anspruch an uns, Gott, unsere Nächsten und uns selbst (21,37-39), ja sogar unsere Feinde zu lieben (5,44f.). Fähig werden zu lieben, Liebe empfangen geben zu können. Wer in diesem Sinne liebesfähig wird, hat sein Lebens- und Glaubensziel erreicht. Der ist zu dem geworden, was er ist und werden soll.

Wo solches gelingt, sind die irdischen Horizonte gesprengt. Ewiges Leben wird Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit, zumal die Liebe, ist stärker als der Tod. Wer die Perle gefunden hat, wird den Tod nicht schmecken. Er hat das gute Leben - er hat Erlösung  gefunden.

Vom Weg zu diesem Ziel wird in Jesu Gleichnis kaum gesprochen. Alles, was ihn hier interessiert, ist der bedingungslose Einsatz des Menschen bzw. des Kaufmanns, um sein Ziel, den Schatz, die schöne Perle, zu suchen und zu erwerben. Wenn sie, um sie erwerben und in Besitz nehmen zu können, verkaufen und loslassen, heißt das, dass sie sich von ihrem anderen, von ihrem materiellen Besitz trennen. „Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach", spricht Jesus zum Reichen Jüngling (19,21). Jesus warnt vor Reichtum. Er warnt davor, dass wir Menschen über unserem Streben nach irdischen Schätzen und Werten das eigentliche Ziel unseres Lebens und Glaubens verfehlen: zu Gott und zu uns selbst zu finden, indem wir uns um unsere Vollkommenheit und unsere Liebesfähigkeit kümmern. Er warnt uns davor, dass wir nicht werden, was wir sind und sein sollen. Wenige Zeilen vor dem Predigttext bringt er es auf den Punkt: „Die Sorge um die Welt und der Trug des Reichtums ersticken das Wort" (Matthäus 13,22), das uns auf dem Weg ins Himmelreich hält.

3

Auch das frühchristliche Märchen verbindet mit dem Symbol der Perle Vollkommenheit und Liebesfähigkeit. Aber es geht noch darüber hinaus. So erzählt es vom „Prachtkleid", das der Prinz anfänglich und dann wieder am Ende, nach vollendeter Reise, empfangen hat. „Als ich es sah, erkannte ich es und mich durch es ganz und gar. Ich streckte mich und nahm es und schmückte mich mit der Schönheit seiner Farben."  Natürlich erzählt das Märchen in umfassendem Sinn von der Selbstwerdung des Prinzen, mit allen Irrungen und Wirrungen, die zur Selbstwerdung dazugehören. Die Perle steht im Märchen aber auch für die ursprüngliche Gottebenbildlichkeit, die dem Prinzen abhanden gekommen ist und für seine Gotteskindschaft, die er vergessen hat. Und das Märchen beschreibt den Weg, wie er sie letztendlich doch wieder gefunden und eingeholt hat.

Natürlich hat der Prinz alle Anstrengung unternommen, die Perle zu finden und in Besitz zu nehmen. Aber seine Anstrengung allein hat nicht gereicht. So erzählt das Märchen nicht nur vom Mut, den es braucht, seinen Lebens- und Glaubensweg zu bestehen. Es berichtet auch von der Bedrohung durch Ungeheuer und dämonische Mächte, die Menschen auf ihrem Weg zu Gott und zu sich selbst bedrohen.

Es können innere Dämonen sein wie Selbstzweifel und Lebensangst, die uns hindern, unseren Weg zu gehen. Es kann Bequemlichkeit sein, das Leben nach dem Lustprinzip, das uns dazu bringt, uns mit weniger zufrieden zu geben als uns möglich und zugedacht ist.

Es können aber auch äußere Dämonen sein, äußere Werte und gesellschaftlich vermittelte Lebensziele, die uns auf falsche Gleise bringen, wie das von Jesus genannte gebannt sein von materiellen Werten. Das Märchen weist noch auf diverse Betäubungsmittel hin, die uns unsere eigentlichen Lebens- und Glaubensziele nach und nach vergessen lassen können: der alltägliche Trott, der ja auch bequem ist, weil er uns lebt und nicht mehr wir selbst, die einlullende Monotonie des Berufs- und Familienlebens, Drogen wie Arbeit, Konsum oder Zerstreuung durch Erzeugnisse einer seichten Massenkultur.

Der Kaufmann aus Jesu Gleichnis begibt sich aus eigener Entscheidung auf die Suche. Er geht seinen Weg bis zum Ziel aus eigener Kraft. Das Märchen ist da lebensnäher und gütiger. Der Prinz besteht die Gefahren auf seinem Weg zur Perle nicht allein. Es braucht schon die Fürsorge des Vaters, der aus der Ferne das Schicksal seines Kindes verfolgt und schließlich schützend und rettend eingreift.

Sein Brief, sein Ruf weckt den Schlafenden auf. Seine Botschaft macht ihm wieder bewusst, wer er ist und wer er sein wird, was sein Auftrag ist und was sein Ziel.

Dahinter steckt die tiefe Einsicht, dass wir die Perle, den Schatz, das Himmelreich,  Erlösung, das gute Leben niemals alleine, aus eigener Kraft erreichen können. Immer wieder sind wir darauf angewiesen, dass uns die Wahrheit über Gott und über uns selbst zugesprochen wird. Immer wieder sind wir darauf angewiesen, dass wir zurückgerufen werden auf unseren Lebens- und Glaubensweg zu Gott und zu uns selbst.

Und wenn wir sie einst gewonnen haben am Ende unseres irdischen Lebensweges, diese Perle, dann hat das nur in zweiter Linie mit unserer eigenen Leistung oder unserer Kaufkraft zu tun. Wenn wir zu dem werden, was wir sind und was wir sein sollen, dann hat das in erster Linie mit göttlicher Gnade zu tun.

Amen.



Pfarrer Klaus Pantle
Stuttgart
www.gaisburger-kirche.de
E-Mail: info@gaisburger-kirche.de

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