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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 05.08.2007

Predigt zu Matthäus 13:44-46, verfasst von Jochen Cornelius-Bundschuh

44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. 45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, 46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

Zwei Geschichten. Eine vom Finden und eine vom Suchen. Eine vom Menschen und eine von Gott.

Menschen suchen das Himmelreich. Wenn sie es gefunden haben, geben sie alles dafür hin.

Gott sucht Menschen und gibt alles für sie hin.

So findet das Himmelreich zu uns in die Welt.

I

Ein Mensch arbeitet auf einem Acker; ein Bauer, der das Feld gepachtet hat. Als er einen Schatz findet, verbirgt er ihn. Er erzählt niemandem davon; wahrscheinlich hat er Angst, dass der Besitzer ihn sonst nicht mehr verkauft oder andere gegen ihn bieten. Nachdem er den Schatz gefunden hat, hat der Bauer nur noch ein Ziel: er will den Acker kaufen, um den Schatz zu bekommen. Dafür gibt er alles hin: sein Haus, seine anderen Felder, all seinen bisherigen Besitz. So wichtig ist ihm dieser Schatz.

Menschen wie der Bauer sind Fanatiker. Leute, die nach einer Entdeckung ihr ganzes Leben verändern, alles andere aufgeben, alles in eine Sache investieren. „Das ist es. Da bleibe ich dran! Das ist das Wichtigste für mich!"

In Zeiten des Fundamentalismus und des Terrorismus sind Fanatiker keine Vorbilder. Zu groß sind die Schrecken, die Menschen aus solchen Gruppen verbreiten. Menschen, denen es nur noch um ihre Überzeugung geht, die sich das ewige Heil vor Augen dem Wort ihres Anführers bedingungslos unterwerfen. Alles andere zählt nicht mehr: ihre Herkunftsfamilie, frühere Freundinnen und Freunde, das eigene Fortkommen, nicht einmal das eigene Leben.

Der radikale Wechsel der Fanatiker ist erschreckend. Trotzdem bleibt eine Sehnsucht nach dem Schatz im Acker! Nach einem Sinn im Leben, der wichtiger ist als Anerkennung, Erfolg und Geld. Nach der großen Liebe zu dem Menschen, mit dem ich durch das Leben gehe und auf den ich mich unbedingt verlassen kann. Nach einer Gewissheit die mich durch das Leben trägt - und durchs Sterben.

II

War Jesus ein Fanatiker? Er hat seine Heimat verlassen, um mit Gleichgesinnten herum zu ziehen. Er ist weggegangen von seiner Familie und seiner Arbeit: Erfolg und Besitz waren ihm egal. Wichtig war ihm nur das eine: Gott und das Himmelreich.

Viele Menschen sind seitdem seinem Weg gefolgt. Heilige wie Franziskus und Elisabeth, deren 800. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Bis heute brechen Menschen auf, verlassen ihren Alltag und vorgezeichnete Wege, um ins Kloster zu gehen oder auf der Straße zu leben, um da zu sein für Gott und für die Armen. Menschen sind bereit, sich ohne Waffen in Kriegsgebieten zwischen die Fronten zu begeben, weil sie aus der Kraft Christi leben. Sie wollen Frieden stiften und an seinem Reich mitarbeiten. Fanatiker für eine gute Sache bleiben sie uns fremd. Sie haben ihren Schatz im Acker gefunden! Sie folgen Jesus, leben für sein Reich.

III

Ich bin kein Fanatiker! Ich lebe nicht so! Die meisten von uns leben nicht so!

Wir brechen nicht radikal mit unserer Herkunft. Wir suchen Sicherheit und Kontinuität: Einen guten Arbeitsplatz; ein geregeltes Einkommen; eine feste Beziehung; eine gute Nachbarschaft.

Aber trotzdem fasziniert mich diese Geschichte. Denn auch ich suche einen Schatz. Eine unumstößliche Gewissheit. Eine Überzeugung, die so stark ist, dass sie mein Leben und mich grundlegend verändert.

Finden wir auch zum Himmelreich, wenn wir keine Fanatiker sind?

IV

Der Bauer findet seinen Schatz in seinem Alltag. Jahr für Jahr bestellt er seinen Acker - und plötzlich mitten bei der Arbeit findet er seinen Schatz. Er hat nicht auf außergewöhnlichen Wegen gesucht - und findet trotzdem. Er geht nicht in eine religiöse Sonderwelt oder dorthin, wo besonders radikale Reden gehalten werden. Der Bauer tut seine Arbeit, tut das, was er gelernt hat und wozu er berufen ist. Und findet seinen Schatz.

Ich stelle mir das vor, wie manches Brautpaar im Traugespräch davon erzählt, wie sie sich kennen- und lieben gelernt haben. Eigentlich hatten beide gerade genug anderes zu tun: Beruf, Sport, Freundinnen und Freunde, eine große Verwandtschaft. Weder sie noch er hat gerade nach der großen Liebe gesucht. Doch dann begegnen sich die beiden, lernen sich kennen - und alles verändert sich. Die Liebe nimmt gefangen. Alles rückt in ein neues Licht. Der Terminplan wird umgestellt, neue Prioritäten werden gesetzt. Plötzlich ist die neue Liebe das Wichtigste.

Das ist nicht ohne Risiko: wer sich so auf einen Menschen einlässt, kann auch enttäuscht werden. Wer das Gefühl hat: das ist das Wichtigste in meinem Leben, muss anderes aufgeben. Wer sich vom Funkeln des Schatzes locken lässt, muss wissen, dass ihn der Kauf des Ackers etwas kosten wird. Aber so ist das mit einem Schatz: wer einen findet, für den verliert alles andere an Bedeutung.

Viele sind auf der Suche nach dem Schatz; wenige entdecken ihn, noch weniger sind bereit dafür alles zu geben.

V

Die zweite kurze Geschichte klingt ähnlich. Aber sie dreht die Perspektive um. Nun gleicht das Himmelreich nicht der Perle, wie vorher dem Schatz. Nein, das Himmelreich gleicht dem Kaufmann. Und der sucht. Er reist umher, schaut, sucht und findet. Und als er die Perle gefunden hat, geht er hin und verkauft alles, was er hat, um sie zu erwerben. Es wird nicht erzählt, dass er sie weiterverkaufen will, um einen außergewöhnlichen Gewinn zu erzielen. Nein, es geht ihm um diese Perle, um nichts sonst. Er gibt alles auf, auch den Wohlstand eines Perlenhändlers, um dieser einen Perle willen.

Wer ist dieser Kaufmann? Es ist Gott, der jede Perle so liebt, dass er viel dafür hingibt.

Der Kaufmann sucht. Anders als der Bauer, der bei seinen alltäglichen Verrichtungen eher zufällig auf den funkelnden Schatz stößt, der seinen Leben grundlegend verändert. Anders als der Bauer ist der Kaufmann, ist Gott zielgerichtet auf der Suche. Wonach sucht Gott?

Der Kaufmann sucht Perlen. Er will nicht ohne Perlen sein. Er ist fasziniert von ihnen: von ihrem Glanz, ihrer Ausstrahlung und ihrer Unterschiedlichkeit. Und mehr als das: Perlen sind seine Berufung. Und wenn Gott der Kaufmann ist, was sind dann seine Perlen? Es sind die Menschen. In all ihrer Verschiedenheit. Gott will nicht ohne sie sein: „Ich bin ein mitgehender Gott." So hat sich Gott vorgestellt. „Ich bin ein Gott, der nicht ohne euch Menschen sein will. Ich brauche euch."

Kostbare Perlen sucht der Kaufmann. Wer ist Gott kostbar? Die arme Magd Maria. Der kranke Lazarus. Das schwache Volk Israel. Gott findet kostbare Perlen, die manchem Kaufmann, manchem König oder einem anderen Gott eher als Belastung oder höchstens als Glaskugeln erscheinen. Doch in Gottes Augen sind sie kostbar. Gott achtet sie, achtet uns, auch wenn wir an uns selbst zweifeln. Gott findet mit uns die Freude und sucht mit uns die Liebe, die das Leben ausmacht. Gottes Leben und unser menschliches Leben. Das macht die Perlen kostbar für Gott.

So kostbar, dass Gott viel für uns hingibt. Gott verzichtet auf seine Allmacht und Überlegenheit. Gott zeigt uns, dass er abhängig ist von uns. Gott sendet uns seinen Sohn, damit wir leben und glänzen wie die Perlen. Hell und durchscheinend, so dass die Welt in uns das Himmelreich erkennen kann.

Wer keinen Schatz im Acker findet, wird als Perle von Gott gefunden.

Amen.



PD Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Evangelisches Predigerseminar
der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck
E-Mail: cornelius-bundschuh@ekkw.de

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