Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 16.12.2012

Predigt zu Matthäus 11:2-10 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Christian Grund Sørensen

 

Warum antwortete Jesus nicht einfach mit „ja"?

Einer meiner Freunde war neulich im Flughafen von Kastrup (bei Kopenhagen) gelandet. Er nahm ein Taxi zum Rathausplatz (im Zentrum) und wurde an der Seitenfront des Rathauses abgesetzt. Weil er die Stadt nicht kannte, war er einigermaßen desorientiert und fragte den Fahrer: Wo liegt der Ratshausplatz? „Sieh dich um!" war die Antwort, und das Taxi war weg.

Mein Freund konnte nichts sehen, was wie ein Rathaus ausgesehen hätte, und ging die Straße hinunter. Um sich zu orientieren, wandte er sich um - und plötzlich lag da hinter ihm, ganz offensichtlich, das Rathaus.

Er stand wirklich auf dem Rathausplatz. Aber das hatte er nicht gesehen. Ihm fehlte die rechte Perspektive. Der kleine Weg zu Fuß machte, dass er mit neuen Augen sah.

Warum antwortete Jesus nicht einfach mit „ja"?

Wir hören, dass einige Anhänger von Johannes dem Täufer zu Jesus kamen mit einer ganz seriösen, existenziellen Frage: „Bis du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?" Oder mit anderen Worten: bist du Messias, Gottes Sohn?

An dieser Stelle erfahren wir, dass Jesus offenbar dem unhöflichen Taxifahrer als Vorbild dient! Er sagt nämlich genau dasselbe: „Seht euch um!"

Oder mit den Worten der Bibel: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen. Aussätzige werden rein und Taube hören. Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt."

Alles Dinge, die geschehen sollten, wenn Messias, Gottes Sohn, sich wieder auf der Welt zeigen sollte. Und was geschah? Wir kennen die Berichte aus dem Neuen Testament: Der Blinde am Wegesrand, der die Stimme Jesu hört und das Augenlicht wiederbekommt. Der Mann, der jahrelang am See Bethesda gelegen und um ein Wunder gebetet hatte. Die Armen, Behinderten, Blinden und Lahmen, die in das Reich Gottes geladen wurden!

„Dann werden die Augen der Blinden aufgetan," weissagt Jesaja, wie wir eben gehört haben, „und die Ohren der Tauben werden geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und der heiße Sand wird zu Oasen, die ausgetrocknete Erde zu Quellen."

O.k., so weit so gut... „Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht..."

Aber warum antwortete Jesus nicht einfach mit „ja"?

Hat das vielleicht damit zu tun, dass die Botschaft, die Jesus für uns hat, so wichtig ist, dass sie nicht einfach so angenommen werden kann oder soll, bloß weil jemand sie sagt?

Erinnerst du dich vielleicht, wie man Rad fährt? Die meisten von uns haben das irgendwie im Gefühl und können es instinktiv. Und es heißt ja, dass man nie vergisst, was man so gelernt hat.

Wir behalten nicht immer im Gedächtnis, was gesagt wird, wohl aber das, was ein Wort bei uns bewirkt hat. Von dieser Predigt werden morgen sicher nur Bruchstücke in eurem Gedächtnis haften - und womöglich sogar auch in meinem Gedächtnis.

Aber wenn Gott durch das Wort der Predigt eine wunde Stelle in deinem oder meinem Leben oder Herzen berührt haben sollte, dann behalten wir die heilende oder schmerzvolle Berührung noch lange Zeit im Gedächtnis. Vielleicht für immer. Gott hat dann in unserem Leben eine unauslöschliche Spur hinterlassen.

Und wenn es etwas ist, was wir nicht bloß mit den Ohren gehört, sondern mit eigenen Augen gesehen oder vielleicht erlebt haben, so dass es so tief in uns sitzt wie das Rad-fahren-können, dann werden wir es nie vergessen, es sei denn, wir würden es verdrängen.

Wir hören von Jesus, das Wort des Lebens, im 1. Johannesbrief, Kap. 1: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben." Sinneswahrnehmung auf allen Ebenen...

Vielleicht macht es nun einen Sinn, dass sich Jesus nicht mit einem „Ja" begnügte. Denn würde ein solches Ja Johannes und seine Freunde überzeugt haben? Vielleicht am Anfang - aber was wäre geschehen, als es hart wurde? Als Verfolgungen und Zweifel sich einstellten? Und Johannes sollte sogar seine Tage durch Enthauptung enden. Wenn überhaupt jemand so hatte Johannes einen Glauben nötig, der tief verwurzelt und haltbar war und bis auf die Knochen ging.

Aber was sollen wir heute damit? Warum antwortete Jesus nicht einfach mit „ja"? Und warum antwortet Jesus nicht einfach mit „ja"? In meinem Leben! Heute? In meinem Leben 2012 und 2013?

Wenn wir einen genauso kleinen Glauben haben wie Johannes der Täufer - und Jesus nannte ihn tatsächlich den größten unter denen, die von einer Frau geboren sind? Wenn wir genauso kleingläubig sind wie er, dann haben wir vielleicht ebenso Erfahrung nötig - anstelle von Auswendiglernen.

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard hat diesen Gedanken berührt, wenn er davon spricht, dass sich „die Wahrheit nicht herunterleiern lässt". Was wir im tiefsten Sinne wissen, ist durch einen intensiven Prozess der Erkenntnis, des Erlebens, der Internalisierung zu uns gekommen.

In Wirklichkeit ist das gesamte Werk Kierkegaards auf dem Gedanken aufgebaut, dass wir die Wahrheit langsam erkennen müssen. Schritt um Schritt. Durch verschiedene Stadien. Erst dann tritt Christus am Ende in Wirklichkeit wahrhaft vor die Augen unserer Erkenntnis.

Der dänische Kirchenlieddichter Grundtvig formuliert es im selben Sinn [in einem Lied, das man jedoch nicht im dänischen Gesangbuch findet]: „Der hat nie gelebt, der begriffen hat, was er nicht zuerst lieb gehabt hat." Ob das so ganz stimmt, scheint mir nicht sicher. Man kann ja doch Bosheit begreifen, ohne sie zu mögen, beispielsweise.

Vielleicht sagt Jesus deshalb nicht einfach „ja"! Weil zu sehen, wer er ist, und ihn kennen zu lernen, alle Sinne beansprucht?

„Schmeckt und seht, wie freundlich der Her ist," heißt es im 34. Psalm. Und beim Abendmahl essen und trinken wir, internalisieren wir, fühlen wir in unsrem Körper eine Spur von Gottes Gegenwart. Wir benutzen unsre Sinne. Genauso wie die Jünger, die mit Jesus wanderten, die ganze Situation mit ihrem ganzen Körper und Gefühlsregister erlebten.

Vielleicht müssen wir - ebenso wie die Anhänger des Johannes - und übrigens auch die Apostel - eine Zeit der Ungewissheit durchmachen. Eine Zeit des inneren Kampfes. Eine Zeit der Anfechtung? Denn erst dadurch werden wir das Licht sehen.

So war es für Abraham, der von dannen zog, ohne zu wissen, wohin ihn Gott führen würde. Und ein Petrus, dessen Weg durch Kampf mit dem Schwert, Verleugnung und Vergebung ging.

Wir sind im Advent - das bedeutet, wir warten darauf, dass sich der Herr zeigt. Nicht nur auf der Bühne der Weltgeschichte, denn es geschah ja konkret vor langer Zeit. Sondern in deinem und meinem persönlichen Leben.

Warum antwortete Jesus nicht einfach „ja"? - Denn genau wie die Jünger des Johannes möchten wir oft eine Bestätigung erhalten. Und wir haben keine große Lust zu warten...

Vielleicht ist Jesus wie der Taxifahrer, der uns veranlassen will, dass wir uns umsehen, die Wirklichkeit begreifen?

Vielleicht ist Jesus wie der Vater, der seinem Kind das Radfahren beibringt. Und da gehören doch die ersten schlingernden Meter und Stürze dazu, bevor wir lernen zu balancieren.

Vielleicht will er, dass wir leben und erfahren sollen - in Zusammenarbeit mit Gott, damit unser Glaube aus dieser Erfahrung wachsen und leben kann? In Freude und Leid.

Auf dem Wege zu Weihnachten. Das Kind von Bethlehem zu sehen, und ihn in meinem Leben mit zu haben - heute, im Jahre 2012 und im Jahre 2013.

Amen

 



Pastor Christian Grund Sørensen
Kongens Tisted, DK-9610 Nørager

E-Mail: cgs@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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