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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christnacht, 24.12.2012

Predigt zu Jesaja 7:1-14, verfasst von Wolfgang Schmidt

 

Gott mit uns

Liebe Gemeinde,

es ist Heilig Abend! Ruhe ist eingekehrt! Nach Tagen und Wochen aufreibender Festvorbereitungen ist endlich die ersehnte Ruhe eingekehrt! Nach Tagen und Wochen hektischer Betriebsamkeit am Arbeitsplatz sind die letzten Papierstapel vom Schreibtisch abgearbeitet oder doch zumindest so sortiert, daß sie getrost ein paar Tage liegen bleiben können. Die letzten Geschenke sind verpackt, die letzten Glückwünsche zum Fest zugestellt - jetzt haben wir den Feier-Abend wirklich verdient.

Und vielleicht ist das nun gerade der beste Moment, um Gottedienst zu feiern, um mit den Gedanken und Sinnen sich einem Feld und einer Welt zu öffnen, die im Alltag so oft zu kurz kommt: Gelegenheit einmal nachzudenken, was denn nun eigentlich der Kern und der Sinn dieses ganzen Festes ist, das wir mit so viel Einsatz an Zeit und Geld und manchmal auch an Nerven vorbereiten. Schauen wir einmal, ob die eben gehörten Worte aus dem Alten Testament uns bei diesem Nachdenken Hinweise geben können.

Auf den ersten Blick mag es nicht so scheinen. Denn von ihrem Ursprung her haben diese Worte soviel mit Weihnachten zu tun, wie ein U-Boot mit einem Segelflieger: So gut wie gar nichts eigentlich. Schon Jahrhunderte vor jener Nacht im Stall zu Bethlehem ergingen diese Worte an einen König in Jerusalem, der sich militärisch in der Bredouille befand. „Auf Gott vertrauen mußt du!" riet ihm der Prophet Jesaia. „Dann wird sich dein Problem klären. Und zwar ziemlich schnell." Und um dem König zu zeigen, wie schnell das gehen werde, nahm der Prophet ein Menschenleben zum Vergleich - ein Kind, heute erst geboren, morgen schon herangewachsen! „Noch ehe es zwischen Gut und Böse unterscheiden kann, werden deine politischen Widersacher bedeutungslos geworden sein," verpricht Jesaia. „So schnell wird das gehen. Denn Gott ist mit dir. Nimm den Namen des Kindes als ein Zeichen dafür". Der Name ist Immanuel. Auf Deutsch: „Gott mit uns".

Von ihrem Ursprung her, liebe Gemeinde, haben die Worte des Propheten Jesaia mit Weihnachten so gut wie gar nichts zu tun. Von ihrem Ursprung her. Doch das kann sich ändern. Und es hat sich geändert. Die Bibel ist wie eine große Schatztruhe. Vieles liegt darin verborgen bis es zu irgend einer Zeit auf einmal entdeckt wird und Bedeutung bekommt. Vielleicht erinnern Sie sich noch an das Wort von den „Schwertern, die zu Pflugscharen" werden. In den Aufbruchsjahren vor der Wende hazzen die Christen in der DDR dies Bibelwort entdeckt und viele trugen es damals als Button auf der Jacke. Ein über Jahrhunderte hin verborgenes Bibelwort, war auf einmal in aller Munde. Ein anderes Beispiel ist der Satz aus der Schöpfungsgeschichte, daß uns Gott die Erde zum Bebauen und Bewahren gab. Seit Umweltschutz in den 70er-Jahren ein Thema geworden ist, hat auch dieser Satz Bekanntheit erlangt. So könnte ich weitere Beispiele dafür nennen, wie verschiedene Zeiten und verschiedene Lebensumstände tief verschüttete Worte aus dem Schatz der Bibel ans Licht der Zeit befördern.

Und so geschah es auch mit jenem an sich bedeutungslosen Wort aus dem Jesaia-Buch. Der Verfasser des Matthäus-Evangeliums war es, der das Wort entdeckt hat. Das Alte Testament war ja seine Bibel, in der er sich auskannte. Was er auch erzählt aus Jesu Leben und Wirken - immer wieder greift er dabei auf Worte aus dem Alten Testament zurück. Wenn Gott im Leben und in der menschlichen Geschichte wirkt, dann muß das Frühere und das Heutige zusammenhängen, dann muß es einen roten Faden geben, der sich durchzieht. Matthäus sucht diesen roten Faden immer wieder. Immer wieder bringt er Bibelworte aus längst vergangener Zeit, gerade so, als wollte er zeigen, daß der Gott, der in der Gegenwart wirkt, eben jener ist, der auch schon im Vergangenen wirkte. Und so greift er eben einmal auch das Jesaia - Wort auf. Und zwar ausgerechnet zu seiner Weihnachtsgeschichte fand er es besonders passend: dieses Wort von der jungen Frau, die ein Kind gebären wird mit Namen Immanuel.

Und es passt ja wirklich gut, denn die Erzählung aus Bethlehem ist ja die Geschichte einer Geburt. Doch was uns stutzig macht, ist jenes kleine „e", das dem Matthäus auf dem Weg vom Alten Testament in sein Evangelium herein ganz unversehens verloren geht. Statt „junge Frau" liest er „Jungfrau". Aus der jungen Frau, die ein Kind gebärt, ist mir nichts dir nichts eine Jungfrau geworden. „Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria" - so kennen wir es aus dem Glaubensbekenntnis. Und gewiß ist dieser einer der Sätze des Bekenntnisses, der uns am schwersten über die Lippen geht. „Geboren von der Jungfrau Maria". Als aufgeklärte Menschen zu Beginn des 21.Jahrhunderts stößt uns die Jungfrauengeburt natürlich auf.

Wie kommt eigentlich Matthäus dazu, aus der „jungen Frau", wie bei Jesaia steht, eine „Jungfrau" zu machen? Wir könnten jetzt natürlich anführen, daß Matthäus ein schlechter Schüler in Biologie gewesen sei. Oder wir könnten daran erinnern, daß die Idee der Jungfrauengeburt zu jener Zeit an sich gar nichts Ungewöhnliches war. Auch andere bedeutsame Gestalten wie Alexander, Dionysios der Jüngere oder Apollonius entsprangen nach damaliger Vorstellung der Verbindung einer Frau mit einem Gott.

Das alles könnten wir anführen oder womöglich dem Evangelisten unterstellen, er habe die Nachwelt absichtlich täuschen wollen. Aber wir würden seinem Anliegen damit nicht gerecht. Ja, im Gegenteil! Ja, wie sollte ich denn, wie könnte ich denn anders, ja besser zum Ausdruck bringen, was in der Heiligen Nacht geschah, als mit der Vorstellung von der Jungfrauengeburt? Wie könnte ich anders oder besser zum Ausdruck bringen, daß die Geburt dieses Kindes eben alles andere ist als eine ganz normale Geburt, wie sie sich alle paar Minuten auf diesem Erdball ereignet? Wie könnte ich anders oder besser zum Ausdruck bringen, daß dieses Kind nicht irgend ein Kind ist, sondern daß sich darin der Unfaßbare faßbar macht und der Unbegreifliche begreiflich, daß sich Jenseits und Diesseits in ihm vereinen, daß sich Himmel und Erde küssen in dem Kind in der Krippe? Wenn wir aus unserem aufgeklärten Selbstbewußtsein heraus darauf beharren, daß Josef der Erzeuger gewesen sein muß - worin unterschiede sich Jesus von allen anderen Zimmermannssöhnen dieser Erde? Nicht daß Sie mich falsch verstehen: ich rechne nicht mit der biologischen Möglichkeit einer Jungfrauengeburt. Aber es kommt mir darauf an, den Blick wegzulenken von jener Frage nach den äußeren Fakten hin zu einem tieferen Sinn.

Was will Matthäus ausdrücken? Will er nicht durch diese unglaubliche Geschichte von der Jungfrauengeburt uns vor Augen führen, was da so Unglaubliches geschieht in der Heiligen Nacht? Gott, der jenseitige Gott kommt an unsere Seite! Schimmert nicht durch das Geheimnis der jungfräulichen Empfängnis, das Geheimnis der Heiligen Nacht hindurch: Gott zeigt sich als Mensch den Menschen! Gibt es denn überhaupt ein größeres Geheimnis? Und kann man über so ein Geheimnis anders reden als geheimnisvoll? „Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria."

Matthäus macht keine langen Worte. Er verzichtet auf das kleine „e". Viel besser als in langen Ausführungen läßt sich in der Vorstellung von der Jungfrauengeburt das Wesentliche und Entscheidende der Heiligen Nacht ausdrücken: Es geschieht etwas ganz und gar Unglaubliches, Unvorstellbares, Undenkbares - so unglaublich, unvorstellbar, undenkbar wie die Geburt eines Kindes aus einer Jungfrau: Gott tritt in unser Leben ein. Das ist das Unvorstellbare. Er tritt als Mensch an unsere Seite. Das ist der Kern des Weihnachtsfestes: Gott tritt als Mensch an unsere Seite. „Immanuel" - Gott mit uns, so wird das Kind genannt.

„Immanuel"! Der Name ist Programm: „Gott mit uns". In der Geburt Jesu beginnt der Weg Gottes in die Niederungen menschlichen Daseins - und zwar schonungslos. Schon die Geburt selbst ist ja alles andere als ein Zuckerschlecken. Die Elendsgebiete dieser Erde treten uns vor Augen, wo Kinder in entlegenen Hütten ohne jegliche medizinische Hilfe oder Fürsorge geboren werden. Bilder von Krieg und Flucht steigen vor uns auf, wo im Schutz einer Scheune oder im Heu eines Stalles ein Kind geboren wird. „Gott mit uns!" Der Name des neugeborenen Kindes ist Programm. Gott bleibt nicht fern, jenseitig, über den Wolken schwebend. Vielmehr verbindet er sich mit dem menschlichen Schicksal, bekommt Hand und Fuß und erfährt, was menschliches Leben ist, erduldet und erleidet irdische Existenz. So hinterlässt die ganz irdische Politik auch schon bald ihre Spuren in dem jungen Leben. Der Massenmord des Herodes an den Bethlehemer Kindern zwingt die Familie mit dem Neugeborenen zur Flucht nach Ägypten. Und vom weiteren Lebensweg Jesu wissen wir, daß er nicht auf Rosen gebettet war, zumal wenn wir dann ans Ende seiner Zeit auf Erden denken, an Gefangennahme, Folter und Verhöre und schließlich an den Tod am Kreuz.

„Gott mit uns." Der Name des neugeborenen Kindes ist Programm. Gott verbindet sich der Welt, der Kreatur, dem Menschen - mir und dir! Und zwar nicht nur in den Hochstimmungen unseres Lebens. Nicht nur wenn uns zum Lachen zumute ist, sondern auch und gerade, wenn uns zum Weinen zumute ist. Nicht nur, wenn die Sonne unseren Weg bescheint, sondern auch im Schatten. Nicht nur im Leben, sondern auch im Tod. Immanuel! Gott mit uns! Gott schließt mit uns einen ewigen Bund und das Kind in der Krippe ist das Bundeszeichen. „Der Herr selbst wird euch ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel. - Gott mit uns!"

 



Propst Wolfgang Schmidt
P.O.B. 14076, Jerusalem 91140
E-Mail: propst.schmidt@redeemer-jerusalem.com

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