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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christnacht, 24.12.2012

Predigt zu Matthäus 1:18-25, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

Vielleicht sind Sie enttäuscht, dass unsere Kirche in diesem Jahr nicht die uns so vertraute schöne Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium als Predigttext vorgeschlagen hat, sondern diese so ganz anderen Sätze aus dem Matthäusevangelium. Nichts steht da von der mühsamen Reise nach Bethlehem, von dem Stall und der Krippe und von den Ochsen und Eseln (die übrigens auch bei Lukas gar nicht vorkommen), und schon gar nichts von den Hirten auf dem Felde und von der strahlenden Engelsbotschaft. Stattdessen ein stocknüchterner Text. Da kommt es offenbar nur auf die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißung und auf die Ehre des Josef an. Das mag die Menschen um das Jahr 80 nach Christus interessiert haben, aber sind das unsere Sorgen zu Weihnachten im Jahr 2012?

Ich habe mich trotzdem entschieden, dem Vorschlag der Kirche zu folgen. Nicht weil ich etwas gegen die Weihnachtsgeschichte hätte, ganz im Gegenteil. Aber das Stimmungsvolle, das wir gewohnheitsmäßig mit ihr verbinden, ist in Wirklichkeit erst im Lauf der Jahrhunderte durch unsere Weihnachtsfeiern da hineingekommen. Wenn Sie die Geschichte bei Lukas ohne diese Brille noch einmal aufmerksam nachlesen, werden Sie finden, dass sie ganz und gar unromantisch ist und gar nichts von einer Tannenbaumstimmung an sich hat. Diese Stimmung ist sicher etwas Schönes, und kaum einer von uns möchte sie missen. Aber sie ist nicht die Hauptsache an Weihnachten und ist es nie gewesen.

In der Weihnachtsgeschichte, wie sie Matthäus erzählt, ist alles auf Josef konzentriert. Er habe entdeckt, dass seine Verlobte Maria schwanger ist, heißt es da. Er sei sich sicher, dass das Kind nicht von ihm ist und wolle die Verlobung auflösen. Da sei ihm der Engel im Traum dazwischen gekommen und habe ihn darüber informiert, dass das Kind nicht von einem fremden Mann, sondern vom heiligen Geist stamme. Josef solle darum wie geplant seine Verlobte heiraten. Und übrigens solle er das Kind Jesus nennen.

Maria soll also als Jungfrau ihr Kind geboren haben. So heißt es dann bis heute im Glaubensbekenntnis von Jesus: Geboren von der Jungfrau Maria. Nicht erst in der Moderne haben sich viele Christen gefragt: Können wir das wirklich glauben? Und ist so ein biologisches Wunder wirklich wichtig? Diese Fragen vertiefen sich noch, wenn wir erfahren, dass es in der griechischen Antike viele Geschichten von Jungfrauengeburten gab. Die vielleicht berühmteste ist die von dem Philosophen Platon, für die sich die Legende sogar auf seine Familienangehörigen beruft. Im Fall von Jesus gibt es zudem eine ganz einfache Erklärung für diese Tradition. Die Verheißung im Buch Jesaja, die Matthäus als Begründung angibt, heißt im hebräischen Urtext: Eine junge Frau wird einen Sohn gebären. Daraus hat die griechische Übersetzung eine Jungfrau gemacht. Ganz abgesehen davon, dass Jesaja mit dem "Sohn" ursprünglich gar nicht Jesus, sondern den König Hiskia gemeint hat. Wir dürfen also ruhig davon ausgehen, dass geschichtlich betrachtet Josef mit Maria verheiratet und ganz normal der Vater Jesu gewesen ist.

Wir wollen uns bei der zugegebenermaßen etwas komplizierten Deutungs- und Umdeutungsgeschichte jetzt nicht länger aufhalten. Nur so viel ist sicher: Auch der alten Geschichte kam es nicht in erster Linie auf ein biologisches Wunder an. Was die Alten mit der Empfängnis durch den heiligen Geist eigentlich sagen wollten, war etwas anderes: Wenn wir Jesus richtig verstehen wollen, kommt es nicht auf das an, was Menschen für ihn getan haben. Auch nicht auf seine menschlichen Leistungen, so bewundernswert die auch sind, sondern allein darauf, dass in ihm Gott uns begegnet. Nicht einmal Jesu Stammbaum ist wirklich wichtig, obwohl Matthäus ihn sehr ausführlich beschreibt und über David bis auf Abraham zurückführt. Denn auch dieser Stammbaum soll nur den Zusammenhang mit dem Wirken Gottes deutlich machen: So wie Gott seinem Volk früher geholfen hat, so will er es auch durch Jesus tun. Nur auf andere Weise als zuvor. Das steckt in dem Namen Jesus. Der bedeutet: Gott wird sein Volk erlösen von seinen Sünden. Es geht also jetzt nicht mehr um die politische Wiederherstellung des jüdischen Staates. Überhaupt ist Gottes Volk jetzt nicht mehr bloß jene kleine Nation, sondern die ganze Menschheit.

Eigentlich bedeutet der Name Jesus: Gott hilft. Das verstehen wir wahrscheinlich besser als "Erlösung von den Sünden". Gott lässt uns nicht im Stich, auch wenn wir ihn im Stich lassen. Gott vergibt uns, dass wir uns so oft um seinen Willen nicht geschert haben. Gott will uns aufs Neue für seine kraftvolle Liebe gewinnen, mit der er uns in Jesus entgegenkommt, auch wenn wir uns immer wieder nach Gefühl und Wellenschlag einen falschen, gemütlichen Gott zurechtmachen.

Aber vielleicht klingt das immer noch zu idyllisch. Was soll Gottes Liebe in einer Welt bedeuten, in der so schreckliche Dinge passieren wie das Massaker in Newtown im US-Staat Connecticut? Und wir Deutschen haben keinen Grund, auf die Amerikaner herabzusehen, denn bei uns hat es so etwas ja auch schon ein paar Mal gegeben. Ein Serienmord an kleinen Kindern, und das kurz vor Weihnachten, das schlägt doch dem christlichen Glauben geradezu ins Gesicht. Wo ist Gott da gewesen? Wo bleibt da seine Liebe?

Es ist nicht leicht, darauf eine Antwort zu finden. Ich muss mir ja nur vorstellen, ich wäre selbst Vater eines dieser Kinder. Ich weiß nicht, ob ich dann jetzt hier stehen könnte.

Und doch geht der christliche Glaube an diesem grausigen Ernst des Lebens nicht vorbei, auch nicht zu Weihnachten. Gott selbst hat sich dem Leiden unserer Welt nicht entzogen. Er hat nicht unbeteiligt zugeschaut, wie Jesus am Kreuz einen schrecklichen Tod erleiden musste. Gott hat da selbst mit gelitten. Er tat das um seiner Liebe zu uns Menschen willen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Geburt Jesu von seinem Leiden und Sterben zu trennen, so als wäre das nur am Karfreitag dran und nicht auch am heiligen Abend. Jesus war immer ein Außenseiter, und er hat sich um die Leidenden und Außenseiter seiner Zeit gekümmert. Er tut das auf verborgene Weise bis heute.

Matthäus macht das auf seine Art klar. Er knüpft an den alten Propheten Jesaja an, von dem wir schon gehört haben. Da heißt es, der erwartete Sohn solle Immanuel heißen. Das bedeutet: "Gott mit uns". Und ganz am Schluss seines Evangeliums, im allerletzten Satz, spricht der auferstandene Jesus: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf der Erde. Ich bin mit euch alle Tage bis ans Ende der Welt." Der Gekreuzigte und Auferstandene ist derselbe wie der Jesus, der zu Weihnachten geboren wurde. Er sagt uns: Ich bin mit euch. Er sagt uns nicht: Ich erkläre euch, warum ihr so schlimme Dinge durchmachen müsst. Das bleibt ein Geheimnis Gottes, das wir nicht verstehen Jesus selbst hat es am Kreuz auch nicht verstehen können. Sondern er hat geschrieen: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Aber er hat sich trotzdem vom Anfang bis zum Ende seines Lebens ganz und gar von Gottes Liebe leiten lassen.

Heute feiern wir den Beginn dieses Weges. Lassen Sie das auch für uns zum Beginn oder zum Wiederbeginn eines Lebens mit Gott werden. Denn dass Gott mit uns sein will, das können wir es nicht einfach auf sich beruhen lassen. Gott will uns hineinziehen in seinen Einsatz für die Menschen, wir können und sollen seine Liebe weitergeben. Das ist der ursprüngliche Sinn der schönen alten Sitte, dass wir uns zu Weihnachten beschenken. Da geht es nicht um die Befriedigung von Wünschen – und um die entsprechende Enttäuschung, wenn sie dann einmal nicht erfüllt werden. Schenken tut man nicht, weil der andere einen Anspruch darauf hätte, sondern man schenkt doch eigentlich aus freien Stücken, ohne dass man das nötig hätte. Dann kommt das Weihnachtsgeschenk letztlich aus der freien Güte Gottes. Der hätte es ja auch nicht nötig, bei uns zu sein, uns zu helfen. Doch er tut es sogar dann, wenn wir verdient haben, dass er uns einfach uns selbst überlässt. So machen wir vielleicht jemandem in der Familie oder im Freundeskreis zu Weihnachten ein besonders schönes Geschenk, gerade wenn dieser Jemand uns in letzter Zeit ziemlich schäbig behandelt hat. So etwas kann Eis brechen.

                                                                                                                               Amen.



Prof.Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzlange@aol.com

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