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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2012

Predigt zu Johannes 3:31-36, verfasst von Wolfgang Petrak

 

Lied vor der Predigt: Vom Himmel hoch, da komm ich her (EG 24,1.9-12)

Predigttext:

Johannes 3,31)Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen 32)und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. 33) Wer es aber annimmt, der der beglaubigt: Gott ist wirklich. 34)Den nämlich Gott gesandt hat, der trägt die Worte  Gottes vor; nicht knapp gemessen gibt Gott den Geist. 35)Der Vater liebt den Sohn  und hat ihm alles in seine Hand gegeben.36) Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.

Liebe Gemeinde,

der Tag ist die Zeit des Sehens, des Erkennens und Bedenkens.

Auch am Tag sehen wir zurück, lassen noch einmal dieses Lied der Nacht anklingen, spüren genau die Höhe, die Weite: Vom Himmel hoch. Hören auch das Herabsteigen bis in die Tiefe wie auf unaufhaltsamen Schritten die Treppe hinunter bis zum Erdboden, dorthin, wo es kratzt und riecht:„Grob Heu und Windelein". So haben wir es eben gesungen, vielleicht zum ersten Mal an dem ersten Tag zu Weihnachten, meinen es aber andererseits von je her zu kennen. Weil auch wir die um die Niederungen „aller Welt, Macht und Gut" wissen. Doch wenn wir daran denken, dass uns bereits vor Monaten gesagt worden war, dass Weihnachten unterm Baum entschieden wird, müssten wir eigentlich lächeln, weil doch heute bei Lichte besehen alles offen ist. Und wenn  man uns weismachen wollte, dass Geiz geil ist, wissen wir, dass dieses nicht die Realität sein kann. Denn in Wirklichkeit ist uns so viel gegeben. So sehen wir heute am Tag zurück in diese Nacht, die so einzig ist, hören noch einmal von den Hirten, wie sie auf ein Wort hin aufgebrochen sind, die Wahrheit gefunden haben, die dem Zeichen entspricht, sodann das weiter gegeben haben, was ihnen gesagt worden war, also nicht das, was sie gesehen hatten. Das Gehörte reicht, um Verwunderung auszulösen. Was sie genau gesagt haben und wie sie es rüberbrachten, wissen wir nicht und werden es nie erfahren. Die Sprache des Glaubens hat mit dem je eigenen Ausdruck zu tun. Sie lässt sich nicht verallgemeinern. Sie kann ganz alltäglich klingen. Oder auch feierlich. Traditionell oder modern. Zögerlich und stotternd. Oder fließend, begeisternd und schier überbordend. Es wird einfach gesprochen oder, wenn das nicht geht, gesungen. Glaube kommt zur Sprache. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Bewegen heißt auch zusammenschmeißen, hin und her, so dass sich Konfliktlinien deutlich abzeichnen. Auch wenn Stille darüber liegt und der Tag zur Nacht wird. Wir singen das jetzt so:

Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne.

O Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht',

wie schön sind deine Strahlen!(EG 37,3)

Die Nacht ist die Zeit der Ruhe und des Rückzuges auf sich selbst.

Die Dunkelheit der Nacht eröffnet diese Sicherheit.  Die Nacht ist deshalb die Zeit der Liebe, des Offen-Seins und der Beziehung. Sie trägt in sich das Gegensätzliche: Geborgenheit und Angst. Sie lässt das Gegenteilige zu. In ihrer Dunkelheit entfaltet sich das Licht. Wie die Nacht die Ruhe bedeutet, so ist das Licht die unaufhaltsame Bewegung. Zwar vermag das Ich sein Gegenüber zu erkennen. Doch alle Aktivität geht von dem Du seines Gegenübers aus: „Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne". Diese Sprache des Glaubens weiß sich von einer unmittelbaren Beziehung getragen und ihr verpflichtet. Das ist ihre Stärke und zugleich auch ihr Problem. „Ist Gott für mich so trete gleich alles wider mich": so hatte Paul Gerhardt im gleichen Jahr1653 dichten können. Als knapp 10 Jahre später der Große Kurfürst ein Toleranzedikt erlassen hatte, mit dessen Unterzeichnung sich alle Pastoren in Brandenburg verpflichten sollten, sich in Predigten einer Polemik gegenüber Amtsbrüder der anderen Konfession zu enthalten (was ja gerade angesichts der Botschaft der Engel auf dem Felde eine Selbstverständlichkeit sein sollte), verweigerte sich Paul Gerhardt. Weil er damit den Wahrheitsanspruch verletzt hätte, der sich aus dieser unmittelbaren Glaubensbeziehung des Ichs und seinem Gegenüber, dem Du, ergibt. Aus der fundamentalen Beziehung von Licht und Dunkelheit, von Du und Ich, kann so schnell ein fundamentalistischer Religionsentwurf werden, in dem das Ich sich selbst in das nicht hinterfragbare Licht zu rücken vermag, weil es sich als das dialektische Gegenüber mit der gleichen Macht wie das Du ausgestattet sieht. Die Sprache des Glaubens ist aber nicht ein Beharren auf Richtigkeiten, sondern wie bei Maria ein Hin- und Her-Werfen, auch ein Verwerfen, vor allem aber ein Hören. Hören wir, wie es im Johannes-Evangelium gesagt ist:

Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen. und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an (Joh. 3,31.f).

Nichts von dem, was hier so kurz und in der Bedeutung sich wiederholend gesagt wird, können wir uns vorstellen. Denn es gilt nicht der Wechsel von Tag und Nacht, es gilt nur sein Kommen. Es wird keine Zeit angegeben, keine Geschichte erzählt, keine Erklärung überbracht.  Unmöglich, wie auch immer zu vermitteln,  weil die beiden Ebenen  voneinander getrennt sind:  „Gott", so hat es einmal Karl Barth knapp gesagt, „ist im Himmel und du auf der Erde".  Unser Verstehen ist grundsätzlich auf das Zu- und Einordnen angewiesen, auf Erfahrungen also, oder, wenn diese nicht vorliegen, auf das Bilden von Vergleichen und Entsprechungen (unsere Neuronen können unglaublich viel und schalten und vernetzen sich schneller, als es gemessen und dargestellt werden kann). Wie aber soll der erkannt werden, der grundsätzlich anders und in sich neu ist? Das ist die alte Frage des Nikodemus, der die Nacht zum Tage macht und Jesus, den, der die Wunder zu tun vermag, deshalb nach dem Neuen fragt, nämlich, wie ein alter Mensch von neuem geboren werden kann. „Von oben", antwortet Jesus und sagt es deshalb mit dem Wort, das im Griechischen zugleich „von neuem" bedeutet, aber etwas völlig anderes meint, nämlich keine Erfahrung in der Zeit, sondern eine Dimension, die bildlich gesprochen (auch so spricht der Herr) die Ebene der Freiheit selbst ist:

Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt"(Joh 3,8).

Also: Hören ja, aber nicht gestalten, Richtung geben, gar lenken und beherrschen. Damit ist jede Form religiöser Lebensäußerung, und sei sie noch so kunstvoll und klug, so andächtig, so meditativ und was sonst so unsere kulturelle Pluralität an schönen und kreativen Ausdrucksformen zu Verfügung stellen mag, nicht nur überboten, sondern auch des Irrtums überführt, sofern sie sich als sich bemächtigende Wahrheit versteht. Wir können nur eigentlich an der Krippe stehen und sagen: „Komm, nimm alles hin"; müssen uns dabei selbst loslassen, uns ihm ganz übereignen, ja uns damit eigentlich aufgeben. Wundert es da, dass niemand sein Zeugnis annehmen will? Um diesen Zusammenhang von Schuld im Sinn menschlicher Selbstbemächtigung und  dem Angewiesensein auf das erlösende Handeln des Herrn deutlich zu machen, hat von Zinzendorf 1735 dieses Lied so weiter gedichtet:

Ich bin zwar freylich zu gering, daß ich dich pflegen solle; du bist der schöpfer aller ding; ich eine erden-scholle:

doch bist du so ein frommer gast daß du noch nichts verschmähet hast, es sey so schlecht es wolle.

Die Bibel erzählt davon, wie der Schöpfer aus Erde (adamah) den Menschen (adam) macht. Nicht verschmäht zu sein, sondern gebraucht zu werden, von ihm gebraucht zu werden. Als Bekräftigung seines Wortes, das er über seinen Sohn sagt: Neues ist geworden. Natürlich: so einfach lässt sich das jetzt hier nicht nachsingen, zumal man ja Weihnachten sich lieber in eine andere Stimmung versetzt sehen lassen möchte. Die Werbepsychologie spricht von einem Effekt, bei dem wir alles gut finden, was wir schon oft erlebt haben. Deswegen erwarten  wir gerade an den Festtagen den gleichen Ablauf, die gleichen Worte und die vertrauten Lieder (muss ja nicht unbedingt Last Xmas von Wham sein). Andererseits spüren wir genau, dass es so nicht mehr weiter geht, das Weihnachten, dieses Fest, an dem den Menschen Frieden auf Erden verheißen ist, eben nicht unter dem Baum entschieden wird, spüren, dass es genau der Geiz ist, der Europa und die Welt auseinander bringt, spüren, dass wir eine Selbstbegrenzung brauchen. An der Krippe zu stehen, so drückt es Paul Gerhardt aus, bedeutet, einen Halt zu finden, also anzuhalten und den sich auftuenden Abgrund anfüllen zu lassen. Wir singen das.

Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen; und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen.

O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen (EG 37,4)

 O ja, es wäre so schön, diese Weite erfassen zu können. Doch das Meer ist nicht anzufüllen, weil es noch immer mehr fassen könnte. Und immer mehr Worte, die mir einfallen, um hier und dort noch was zu erklären und zu ergänzen, lassen nur den alten Selbstwiderspruch irdischer Reflexion deutlich werden, der sich wiederholt wie müde Gedanken

Der Morgen ist die Zeit des Neuen. Hört einfach, was neu ist.

34)Den nämlich Gott gesandt hat, der trägt die Worte Gottes vor; nicht knapp bemessen gibt Gott den Geist. 35)Der Vater liebt den Sohn  und hat ihm alles in seine Hand gegeben.

Um zu verstehen, kannst Du einfach wie gestern unter dem Weihnachtsbaum beim größten Geschenk anfangen. Da wird überhaupt nicht gemessen, denn es ist der Geist dieser Freiheit, der bewegt, wie der Wind der nach vorn  bringt und dich atmen, dich neu  lässt. Da wird alles in die Hand gegeben. Kannst es ruhig annehmen, bewahren und weitergeben. Kannst sogar bei Johannes nachlesen und entdecken, wie gar nicht mehr zu unterscheiden ist zwischen dem, der da kommt von oben, und wem da unten gegeben wird. So sehr geht er in diese Welt hinein. Kann deshalb das mit seinem Zorn gar nicht unterkriegen. Verstehst Du das? Will mich aber entscheiden, Luft holen und singen:

Brich an, Du schönes Morgenlicht (EG 33)

Singst Du mit? Amen.

 



P.i.R Wolfgang Petrak
37077 Göttingen


E-Mail: w.petrak@gmx.de

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