Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2012

Predigt zu Lukas 2:1-14, verfasst von Poul Joachim Stender

 

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. So geht die Redewendung. Aber das ist Unsinn! Warum sollte Schweigen so fantastisch sein? Wenn die Freundin / der Freund oder der Ehepartner nicht mit einem reden will, ist das nicht lustig. Einer meiner Freunde sagt, das Beste beim Küssen sei, dass seine Frau endlich den Mund hielte. Ich kenne sie und verstehe ihn an und für sich. Aber generell ist es doch viel schlimmer, wenn man einen Partner hat, der nicht mit einem reden will, als wenn der Partner zu viel redet. In sehr vielen Zweierbeziehungen bestraft man sich gegenseitig mit Stillschweigen. Seit Weihnachten vor einem Jahr haben wir hier in der Gegend leider viele wunderbare Menschen verloren. Das Schlimmste, was man Menschen antun kann, die einen Menschen verloren haben, ist, ihnen mit Schweigen über den Todesfall und den Toten zu begegnen, an den sie doch so viel denken. Über die Person, die man vermisst, möchte man gern sprechen. Schweigen ist nicht Gold. Viele Menschen, die aus fremden Ländern nach DK kommen, treffen auf langes Schweigen von Seiten von uns Dänen. Sie wollen gern mit uns sprechen. Aber wir meinen anscheinend, für so viel Gespräch gibt es keinen Grund. Diese Haltung wird auf der andern Seite als Feindlichkeit, Kälte, Gleichgültigkeit aufgefasst, was vielleicht auch der Fall ist. Als ich vor kurzem in Californien war, grüßten mich alle Leute herzlich. Auch die sexy Frauen, was ich hier zu Hause nicht gewohnt bin, es sei denn, sie sind dazu gezwungen nach einem Gottesdienst und an der Kirchentür. Die Amerikaner der Westküste grüßen einander und reden miteinander - ganz gleich, ob es Landsleute oder Fremde sind. Ein sehr erhebendes Erlebnis ist das. In Dänemark ist Schweigen Gold. Man sitzt im selben Abteil im Zug von Kobenhagen nach Ålborg, ohne die Menschen, die mit einem reisen, auch nur zu grüßen. Ich möchte mir die Frage erlauben: Habt ihr heute an diesem Weihnachtsmorgen die Menschen gegrüßt, neben denen ihr hier in der Kirche sitzt? Sonst habt ihr gleich die Chance, wenn wir nach der Predigt aufstehen und einander fröhliche Weihnachten wünschen, gewürzt mit einem Händedruck, einer Umarmung, einem Kuss oder wozu man sonst Lust hat. Schweigen ist auch furchtbar, wenn man mit Sachen, die man für verkehrt oder für gut für die Gesellschaft hält, seinen Mund hält. Allzu viele von uns halten den Mund, um Konflikten aus dem Wege zu gehen.  In einer guten Demokratie äußert man seine Meinung. Da hält man nicht den Mund. Man kann über die Mohammedkarikaturen, die in der Jyllands-posten veröffentlicht worden sind, meinen, was man will. Aber die Religionen genießen keinen besonderen Schutz gegen Kritik oder Satire. Der Journalist Flemming Rose, der die Veröffentlichung seinerzeit veranlasste, hat ein Buch geschrieben, das den Titel trägt: Tyrannei des Schweigens. Er macht darauf aufmerksam, dass uns das Schweigen möglicherweise so sehr tyrannisieren kann, dass die Redefreiheit bedroht ist. Normalerweise sind unsere Handys während des Gottesdienstes ausgestellt. Aber ihr dürft heute, am ersten Weihnachtsfeiertag, gern euer Handy anstellen. Schickt schon jetzt einen sms-Bescheid, wenn ihr z.B. Lust habt, jemandem irgendetwas zu verzeihen. Einen sms-Bescheid an die, mit denen ihr lange nicht gesprochen habt. Brecht das Schweigen, sei es gegenüber einem ehemaligen Ehepartner, mit dem man seit der Scheidung nicht hat sprechen wollen, oder gegenüber einem Bruder oder einer Schwester, wo Schweigen herrscht, oder gegenüber einem fernen Verwandten, einem vergessenen Freund oder einer vergessenen Freundin. Weihnachten ist die Zeit des Verzeihens. Schickt sms-Bescheide in Gottes Namen, so dass wir an diesem Morgen des ersten Weihnachtstages das Schweigen unter uns brechen können. Denn was war es denn, was in der ersten Weihnacht geschah? Das Schweigen wurde gebrochen. Gott der Allmächtige hat geschwiegen. Aber dann sandte er seinen Sohn zu uns in dem Kind, das in der Weihnacht im Stall in Bethlehem geboren wurde. Und als das Kind zur Welt gekommen war, war das Schweigen gebrochen. Jesus hielt seinen Mund nicht. Er sprach beständig davon, dass wir Gott und einander lieben sollen. Er redete so viel, dass man ihn zum Schweigen zu bringen versuchte, indem man ihm an ein Kreuz schlug und tötete. Aber am Ostermorgen stand er auf von den Toten. Das war seine Weise, zu uns zu sagen, dass nicht einmal der Tod ihn oder uns zum Schweigen bringen kann. Nach einem hoffentlich unterhaltsamen und spannenden Leben, mit vielen fetten, schwülstigen, saftigen, gemütlichen Weihnachtsabenden, werden wir zu einem neuen Leben auferstehen. Ich möchte deshalb am Schluss in dieser Predigt nicht bloß uns alle auffordern, mehr miteinander zu sprechen und uns mehr an der gesellschaftlichen Diskussion zu beteiligen und keine Angst davor zu haben, dass wir das Schweigen brechen über Themen, die niemand anzusprechen wagt und die in unsrer Kultur vielleicht zum Tabu geworden sind. Reden ist Gold. Aber Schweigen ist Silber. Sondern sprich auch mit Jesus Christus, der an Weihnachten in Bethlehem geboren wurde. Wenn wir mit Gottes Sohn über unsre Freuden und Sorgen und Kümmernisse sprechen, dann spricht auch er zu uns. Nach der ersten Weihnacht vor 2000 Jahren schweigt Gott nicht mehr.

Amen



Pastor Poul Joachim Stender
4060 Kirke Saaby og Kisserup Sogn på Midtsjælland


E-Mail: pjs@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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