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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2.Weihnachtstag, 26.12.2012

Predigt zu Matthäus 23:34-39 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Lasse Rødsgaard Lauesen

 

Warum geht er nicht seines Weges? Warum bleibt er stehen als Augenzeuge des Todes eines andern Menschen?

Paulus stand da und sah zu, wie Stephanus zu Tode gesteinigt wurde. Stephanus, der gegen den Tempel und das Gesetz geredet hatte. Die Strafe dafür war, dass die Zeugen ihn steinigten. Es war eine gerechte Strafe für den, der so töricht sein konnte, zu behaupten, Gott sei Mensch geworden. Wer darauf verfallen konnte, zu sagen, dass Gott, das Allergrößte, ein hinfälliger und sterblicher Mensch sein konnte. Warum in aller Welt sollte Gott ein Mensch werden, der sterblich ist?

Stephanus wurde zu Tode gesteinigt. Er starb für seinen Glauben. Paulus konnte an jenem Tag nichts Besonderes entdecken. Er schlug die Augen nieder, er konnte den Mord ja nicht verhindern, er konnte nicht umkehren. Er fand den roten Mantel und heftede seinen Blick darauf. Dennoch konnte er seine Ohren nicht zumachen. Noch ehe er sich die Ohren zuhalten konnte, hatte Stephanus gesagt. „Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen." Paulus konnte den Geist hören, der aufgenommen wurde, und den Stein, der den leblosen Leib traf. Er konnte den roten Mantel sehen, an dem eine Spur war, als hätte ein Tier darauf getrampelt. Der Huf eines Esels, daran zweifelte er keinen Augenblick, er hatte derlei schon früher gesehen; wenn er Zelte reparierte, waren Tierspuren auf dem Tuch, woher kam die Eselsspur auf dem feinen Mantel?

Nichts deutete an jenem Tag darauf hin, dass Paulus sich bekehren sollte. Dass Paulus berufen werden würde zu einer besonderen Arbeit für die Gemeinde Gottes. Paulus stand nur da und sah zu. Warum ging er nicht seines Weges, warum blieb er stehen als Augenzeuge des Todes eines anderen Menschen?

O.k. - dann lasst mich erzählen, was ich sehe und höre. Ich sehe Menschen, die sterben im Krieg in Afghanistan, bei Überschwemmungen, bei Orkanen, die wüten wie nie zuvor, ich sehe und höre entsetzliche Dinge. Solche Geschichten gibt es in Hülle und Fülle. Schlechte Nachrichten. Nachrichten, die in diesem sicheren und wohlgenährten Teil der Welt irgendwie Intensität bewirken. Wenn wir entsetzliche Dinge sehen, empfinden wir, dass das Leben Intensität besitzt - ohne dass wir uns zu unsrem eigenen Leben zu verhalten hätten.

Ehe das Jahr um ist, bist auch du Augenzeuge des Todes eines andern Menschen gewesen. Jedes Jahr erleben wir Gottes Tod am Kreuz - wie letztes Jahr, wie alle die Jahre davor. Wir gehen einfach vorüber - mit einem Achselzucken, wir verstecken uns hinter unserm Mantel. Wir sind Weltmeister im Dastehen und Zukucken - gleichwie Paulus? Der einzige Unterschied: wir essen Kekse dazu.

 

So stand Paulus und sah dem Sterben des Stephanus zu, bis Jesus ihm in die Augen sah. Die Augen, die gesehen hatten, wie Stephanus gesteinigt wurde, waren genauso blind wie unsere Augen heute. In der Bibel wird es so beschrieben, wie wenn Paulus Schuppen vor den Augen gehabt hätte. Als Gott in die Augen des Paulus sah, fielen die Schuppen von seinen Augen. Gott änderte seinen Namen und seinen Kurs, machte ihn frei, die Mäntel fortzuwerfen und der Welt in die Augen zu sehen. Paulus bewegte sich vom Augenzeugen zum Glaubenszeugen. Bei dem Glauben, der die eigentliche Botschaft von Weihnachten ist, geht es nicht um das, was wir glauben und sehen, sondern darum, dass Jesus an uns glaubt. Wenn Gott dich und mich sieht, geschieht es, dass die Schuppen von den Augen fallen und wir Kaffetasse und Kekse unberührt stehen lassen und am Leben Teil nehmen. Jesus hat sich eben jetzt für dich entschieden. Obgleich du nur dastehst und zukuckst, ohne einzugreifen.

Es ist für uns alle geschehen, dass in der Weihnacht ein Erlöser für uns geboren worden ist. Jesus kam, um die Welt zu sich zu bekehren. Welche Freude bestünde darin, dass Stephanus den Himmel sich öffnen sah, wenn es nicht darum geschah, dass wir glauben sollen, dass er auch für Paulus und für uns offen ist. Und darum endet Stephanus auch seine Rede mit den Worten: „Rechne ihnen diese Sünde nicht an!"

Herr, rechne uns nicht unsre Sünde an. So beten wir an diesem zweiten Weihnachtstag. Wenn uns die Schuppen von den Augen fallen, wenn Jesus uns sieht und wir den Glauben sehen. Der Gott, den Paulus und Stephanus fanden, versteckte sich nicht hinter dicken Mauern, sondern ließ sich unter sündigen Menschen zur Welt kommen, um ihnen den Glauben wiederzugeben. Gott will nicht, dass wir dastehen und zukucken. Er will, dass wir Mut und Hoffnung finden sollen, dass die Schuppen von unsern Augen fallen, dass sich der Himmel für uns auftut, so dass wir sehen können, dass Gottes Liebe unter uns lebendig ist, so dass wir davon ausgehen können, Zuschauer dessen zu sein, dass wir Teilnehmer in unsrem Leben werden. Das ist die Botschaft des zweiten Weihnachtstages, an dem auch ihr durch den Tod des Stephanus Zeugen des Glaubens geworden seid. Geht darum nach Hause und lasst die Schuppen von euren Augen fallen. Steht nicht da, um zuzukucken!

Amen



Pastor Lasse Rødsgaard Lauesen
Paarup, DK-5210 Odense NV
E-Mail: lrl@km.dk

Bemerkung:
In Dänemark wird am 2. Weihnachtstag der St. Stefanstag gefeiert

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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