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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 01.01.2013

Predigt zu Lukas 2:21(dän. Perikopenordn.), verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

Ein neuer Anfang. Nicht jetzt, sondern JETZT, in einem NU. Wie Silvesterabend um Mitternacht („nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung" - Paulus, natürlich!), aber doch mit der Festivitas, die nötig ist, wenn man in einem einzigen JETZT Abschied nehmen und willkommen heißen soll. In der einen Richtung: Wehmut, Desillusion und Schuld - in der andren: Erwartung, Hoffnung und Lebensmut.

Der Januar hat seinen Namen nach dem römischen Gott Janus, der zwei Gesichter an einem Kopf hat: eines, das nach vorn sieht, und eines, das zurück sieht. Ein Mensch muss sehr viel in einem Nu umfassen. Es kann schwer, nein: unmöglich sein, das NU zu ergreifen. Und doch leben wir in ihm. Genau hier und jetzt geschieht die Erfüllung sowohl dessen, was war, als auch dessen, was wartet, in der Fülle der Zeit.

Die Fülle der Zeit. Diese Formulierung hören wir am Sonntag nach Weihnachten, bei Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Galatien: Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter dem Gesetz, damit ER die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.

Und schon heute heißt es aus der Feder des Paulus, kurz vorher im selben Brief: Denn ehe der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen ..., nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.

Wir haben die Kindschaft empfangen, wie wir auch in mehreren Weihnachtsliedern singen, aber wir sollen uns nicht wie Kinder benehmen, die einen Zuchtmeister - oder auf Griechisch: einen Pädagogen - nötig haben. Gott hat uns durch Jesus Christus, durch Seine Geburt, SEINEN Tod und SEINE Auferstehung aus der Gesetzesschule herausgenommen zur Freiheit unter Verantwortung. Es geschieht im Glauben, und es geschieht in einem Augenblick, in einem NU.

Damals, das war davor, und jetzt, wo alles anders werden kann. Damals zu jetzt. Darum bemühen wir uns immerfort, wenn wir in der Bibel lesen, wenn wir aus dem AT hören, was Jesus und Seine Zeitgenossen einander und sich selbst laut vorlasen und was entscheidende Bedeutung hatte damals in ihrem - jetzt verschwundenen - NU, und wenn wir von Jesus und Seinen Zeitgenossen damals in der Zeit des NT lesen, was entscheidende Bedeutung für uns im Nu unserer Gegenwart hat.

Die Fülle der Zeit. Das entfaltete NU, in dem Gott auf entscheidende Weise in die Zeit und in unser Leben eingreift. „Es war einmal", und darum wird es immerfort sein.

 

Damals zu jetzt. Es ist immer die Transformation, auf die unser Gottesdienst zu bauen hat, so dass das Wort uns in Fleisch und Blut übergehen und zu gelebtem Leben und Lebensmut werden kann. Natürlich nicht ohne Sinn für den Widerstand, der darin eingebaut ist. Das Evangelium gleitet nicht so leicht in uns hinein: es gibt reichlich Widerhaken, die es stechen und kratzen lassen, so dass man es leicht ganz oder halb in den falschen Hals bekommt.as meint ihr von Christus, wessen Sohn ist ER?

Wir meinen, ER ist Wunder, Gott und Mann.

 

Wir glauben, Er kommt vom Himmel, wo das Leben wohnt,

und wurde dennoch offenbart auf der Erde des Todes.

 

Wir glauben, Er ist der Weise, der alles weiß

und hat sich demütig mit dem Staub niedergebeugt.

Versuch einer Prosaübersetzung von DDS 54

 

So dichtete K.L. Aastrup im Jahre 1941 in seinem Lied mit dem Christusbekenntnis, das im dänischen Gesangbuch die Nummer 54 hat. Und das Lied ist nicht glatt und behaglich, sondern es enthält kurz und bündig unsern ganzen Glauben: Glück und Unglück, Freude und Kummer, Hoffnung, Trost, aber auch Missmut, Angst und Schmerz. Wie das Leben, wie der Tod, ein einem NU. Wer meinst du dass Christus ist?

Das Evangelium von heute ist vermutlich der kürzeste Predigttext des Kirchenjahres. Ein einziger Vers, der zweierlei berichtet: erstens, dass Marias Erstgeborener acht Tage nach der Geburt beschnitten werden sollte, und zweitens, dass er Jesus heißen sollte - wie es der Erzengel Gabriel der Maria bei der Empfängnis verkündigt hatte. Aber wer ist ER? ER, der die Transformation vom Damals zum Jetzt ist, vom Jetzt zum Einst und vom Nu zum NU, in der Fülle der Zeit.

In dem überragenden Comic „Der Menschensohn" von Peter Madsen wohnen wir u.a. einem Gottesdienst in der Synagoge von Nazareth bei (Likas 4), in dem Jesus aus dem Propheten Jesaja vorliest, und am Ende sind die Einwohner nahe daran, IHN zu töten, denn ein Prophet gilt nichts in seiner Heimat, wie Jesus sagt. Es gelingt den Menschen in Nazareth nicht, Jesus zu töten, es gelingt ihnen nur, die Hoffnung zu töten, die ER in ihnen hätte entfachen können.

Peter Madsen hat das Ereignis in der Synagoge gezeichnet, bei dem der siebenarmige Leuchter mit seinen Lichtern dasteht und strahlt, während Jesus das Wort führt. Und die Zuhörer sind während der Lesung von den Worten des Jesaja und der Autorität Jesu ergriffen, und deshalb leuchten ihre Gesichter mit dem siebenarmigen Leuchter um die Wette. Bis urplötzlich dieses NU sie ergreift und sie sich daran erinnern, wer ER ist - oder richtiger: Wer sie meinen, dass ER sei.

Wer meinst du, dass Jesus ist? „Wer glaubt er selbst, dass er ist? Es ist doch bloß Josefs und Marias Bengel. Er ist doch nichts besonderes an ihm, er ist doch bloß..." Genauso klingt es heutzutage; das Christentum ist immerhin sehr gut als ethische und moralische Richtschnur, und jeder ist doch in seinem Glauben selig, aber die Christen sollen doch nicht kommen und behaupten, Jesus Christus und die Bibel seien das Allerwichtigste, das es gibt, und das zum absoluten Mittelpunkt im Leben machen. Es ist doch bloß... ER ist doch bloß... Die Kirche ist doch bloß...

Dies ist die wirksamste Methode zur Einschläferung gegenüber einer jeden Vorstellung, einer jeden Hoffnung. Als Jesus den alten Einwohnern der Stadt von einstigen alten Tagen erzählt, als Gottes Wunder außerhalb der Stadtgrenzen geschahen, bei denen, die nicht zu den Auserwählten gehörten, da steigert sich die Stimmung zu aufgeregten Rufen. Wütende aufgeregte Rufe, wie wir sie heute in aller Welt hören können, fauchende Rufe, die die Lichter des siebenarmigen Leuchters ausblasen, der finster und qualmend in der Synagoge steht, als man IHN hinauswirft.

Und alles, was Fest und Freude hätte sein können: das Licht und die Hoffnung, der Friede und die Geborgenheit, alles, wovon wir uns doch wünschen, dass es mit Kindschaft eng verbunden sei, alles das ist nun möglicherweise aus und vorbei. Es sei denn, man pustet in die Glut, so dass die Hoffnung in uns neu entflammt. So dass sich das WORT, trotz der kalten Schulter, einen Weg bahnt - nicht weg von uns, sondern zu uns hin. Und dann ist Gott nahe bei mir. Dann nimmt mich Gott, wie Christus, an der Hand. Nicht als eine Reduktion von Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater und Friede-Fürst - zu einem lauen Erlebnis von Gott/Christus als „des Menschen bestem Freund" - wie es die moderne schwache Theologie ausdrücken würde -, sondern als Lebensumstürzer, als Erdbeben, als ein ganz neues Fundament, in einem NU, alles oder nichts.

Die (dänische) Schauspielerin Malene Schwartz (bekannt z.B. aus der Fernsehserie Matador) hat ihre Erinnerungen veröffentlicht unter dem Titel: „Das Leben ist nicht für Anfänger" (2003). Es ist ein Bericht über eine lebenslängliche Unsicherheit und Schüchternheit - ich war gefeiert und einsam, schreibt sie -, aber sie schreibt auch davon, zu einem Jetzt zu kommen, wo man sich wohlfühlt; wo weder Schuld aus der Vergangenheit noch Angst vor der Zukunft sie vom Hier und Heute als dem Tag der Erfüllung, wie sie es nennt, fortziehen soll, und sie fährt fort: Ich finde nicht, dass ich etwas Besonderes erreichen muss, und ich bin nicht mehr auf der Flucht vor etwas. Ich glaube heute, dass ich gebraucht worden bin und dass ich gut gebraucht worden bin.

Das Leben ist nicht für Anfänger. Mit der Lebensgeschichte von Malene Schwartz und ihrer Verwendung des Ausdrucks ist der Satz sehr wahr. Und doch: vielleicht ist es mehr wahr, dass das Leben nur für Anfänger ist; jedenfalls nicht für die, die festhalten. In Nazareth wollte man Jesus an alten Vorstellungen festhalten. Oft stehen wir auf gleiche Weise da, mit dem Christentum und uns selbst, und da ist es dann gut, wenn man einen neuen Anfang bekommt. Abschied nehmen und damit einen neuen Anfang machen können - jetzt - heute.

Am schlimmsten ist, sagt Søren Ulrik Thomsen in seiner Gedichtsammlung „Das Schlimmste und das Beste" (2002), wenn eine heimliche Tür in der Tapete aufgeht und man in den Raum starrt, wo die Finsternis für die kommenden Winter aufgestapelt ist - das Schlimmste ist, den Mut zu verlieren, noch ehe ein völlig neuer Tag begonnen hat.

Am besten ist es, wenn es einem einmal gerade so glückt, dass man das Hämmern des Herzens in der Brust aushält und dann auf einmal erleichtert aufatmet... - ja, (und das ist das Beste in der ganzen Gedichtsammlung): das Beste ist, endlich aufzugeben und plötzlich zu merken, wie alles anfängt: Das ist das Beste für mich.

Wir wollen das Kalenderjahr nicht damit beginnen, dass wir reduzieren und dagegenhalten. Wir wollen uns über das JETZT freuen, das wir von unsrem Himmlischen Vater bekommen haben, um darin unsre Hoffnung und unsre Liebe zu entfalten. Wir wollen bekennen und uns über die Kindschaft freuen, die wir bekommen haben, um darin unser Leben zu leben. Kindschaft, weil das Leben von Vertrauen, von Geborgenheit, Neugier, Energie und ansteckender Freude getragen sein muss - wie bei einem Kind, wenn es ihm am besten geht. Wir wollen bekennen, während wir das kluge Wort in Erinnerung haben: „wenn du immer Angst hast, das Falsche zu sagen, wirst du niemals das Richtige sagen!"

Jetzt ist 2012 vorbei und 2013 liegt rein und ungebraucht vor uns. Mancherlei wird sich ändern, und wir werden in der kirchlichen Gemeinschaft wie auch außerhalb ihrer Freude und Kummer erleben. So ist es eben - alles ist in ewiger Bewegung und in ewiger Veränderung. Alles, außer Gott und dem Heil, das von Gott kommt. „Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war."

Der Name Jesus bedeutet „Jahwe ist Heil", und das Heil ist das, was er ist. „Ich bin, der Ich bin", sagt Gott von sich selbst, und damit ist gemeint, obwohl wir von unsren Fehlern nicht lernen, obwohl wir immer wieder dieselben Fehler machen und obwohl wir Gott in jedem Abendgebet, in jedem Gottesdienst um Vergebung bitten für dieselben Sünden, so ist Gottes Vergebung immer das, was sie ist. Sie wird nie abgenutzt oder zerknittert werden oder geringer sein, wenn wir sie ein letztes Mal in unsrem Leben erhalten, im Vergleich zum ersten Mal, als die Bitte über unsre Lippen kam. Taufkleid und Sarg enthalten einen Sünder; so ist und bleibt es, und dies ist die Grundbedingung des Menschenlebens. Aber es ist auch unsre Grundbedingung, dass wir ein Heil und einen Heiland haben, an den wir uns wenden können und der nie müde wird oder uns aufgibt, etwa so wie wir unsre Neujahrsvorsätze aufgeben, weil sie allzu große Schwierigkeiten machen würden.

Es ist gut in seiner Erinnerung zu behalten - den ersten Tag dieses Jahres, den ersten Tag des neuen Jahres, diese NU, in dem wir wieder straucheln und verkehrte Schritte tun werden, aber nur weil es also unser Los ist, auf dem Weg des Lebens dahinzuwandern. Das Leben ist nur für Anfänger, das Leben ist für uns alle, die sich das Leben als Kinder, Kinder Gottes, entfalten lassen wollen, gleichwie Schmetterlinge, die eine Zeitlang verweilen und dann wieder anderswohin davonfliegen müssen. Neuer Anfang. Nicht jetzt, sondern JETZT.

Gott ist das Heil. Ein frohes neues Jahr!

Amen

 



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK 6700 Darum v/Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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