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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2013

Predigt zu Jesaja 60:1-6, verfasst von Elisabeth Tobaben

„Zwischen Traumwelt und Wirklichkeit"

 

Liebe Gemeinde!

 

Ganz starke Bilder werden uns heute morgen vor Augen gemalt!

Ich habe das Gefühl, dass sie mich eintauchen lassen in eine ganz andere Welt, eine Welt, die von einem freundlich hellem Licht überstrahlt ist, fast noch einmal wie eine weihnachtliche Lichterwelt.
Alle Probleme sind gelöst, es gibt keine offenen Fragen mehr;
Die Dunkelheit gehört der Vergangenheit an, Schmerz und Leid sind zu Ende.
Menschen fangen plötzlich wieder an, sich für Gott zu interessieren und merken, dass das Konsequenzen hat für ihr Leben.
Keiner wird sich diesem hinreißenden Licht entziehen können, alle kommen sie - und bringen mit, was ihnen wichtig ist.
Sie kommen - mit vor Freude strahlendem Gesicht - und weitem Herzen.
Jesaja ist es, der Prophet, der diese Traumwelt malt.

Jesaja 60, 1-6

1 Steh auf, werde licht! Denn dein Licht ist gekommen, und die Herrlichkeit des HERRN ist über dir aufgegangen. 2 Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völkerschaften; aber über dir strahlt der HERR auf, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. 3 Und es ziehen Nationen zu deinem Licht hin und Könige zum Lichtglanz deines Aufgangs. 4 Erhebe ringsum deine Augen und sieh! Sie alle versammeln sich, kommen zu dir: Deine Söhne kommen von fern her, und deine Töchter werden auf den Armen herbeigetragen. - 5 Dann wirst du es sehen und strahlen, und dein Herz wird beben und weit werden; denn die Fülle des Meeres wird sich zu dir wenden, der Reichtum der Nationen zu dir kommen. 6 Eine Menge Kamele wird dich bedecken, junge Kamele von Midian und Efa. Sie alle werden aus Saba kommen. Gold und Weihrauch tragen sie, und sie werden das Lob des HERRN verkündigen.

 

Ein bisschen kommt mir das vor, wie die Traumwelt des Zirkus Roncalli.
Alles ist bunt und fröhlich, zugleich aber auch etwas versponnen und melancholisch, so wie Pic, der Clown das damals so schön gespielt hat.
Wenn er mit seinen riesengroßen, buntschillernden Seifenblasen, seinen verträumten Augen und ruhigen Bewegungen auftrat, konnte er einen wirklich mitnehmen auf die „Reise zum Regenbogen", man glaubte ihm seinen Traum einfach sofort!
Ein schöner Traum, auch bei Jesaja, zugegeben.
Ich bin gern bereit, mich mitnehmen zu lassen, mich ablenken zu lassen von der rauen und manchmal so schwer erträglichen Wirklichkeit.
Vielleicht kann ich sogar einen kurzen Augenblick dabei vergessen, dass Seifenblasen immer zerplatzen, mich freuen an den bunten Farben und dem Licht.

 

Aber das Bunte ist natürlich nur die eine Seite!
Wenn ich aber versuche, etwas tiefer einzutauchen in die Bilderwelt des Jesaja, merke ich, dass seine Lichter-Träume auch eine traurige Seite haben!
Sie sind so hell und leuchtend, dass mir die Dunkelheit nur umso düsterer erscheint, die ich um mich und auch in mir immer wieder entdecken kann
Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker", das ist viel handgreiflicher, das kann ich mir viel besser vorstellen:
Kriege und Konflikte an den verschiedenen Krisenherden dieser Erde, nicht zuletzt in Bethlehem selber, vor dem Terror fliehende Menschen, Krankheit und Schmerzen, zerbrechende Beziehungen, Arbeitslosigkeit,, Einsamkeit - ist nicht das vielmehr die Realität, mit der wir zu rechnen und zu leben haben?
Wäre nicht alles andere abgehobene Illusion? Aber:
Was ist Realität? Was Traum?
Mache dich auf und werde licht..."
Wie hören wir das heute vor diesem Hintergrund?

 

(die Gemeinde singt den Kanon:)

 

 

Vielleicht müssen wir es uns nur oft genug sagen, so wie der Kanon die Aufforderung ständig wiederholt. Meditativ.
Vielleicht können wir uns nach oben ziehen lassen von der Melodie, so wie die Kanoneinsätze jedes Mal ein bisschen höher stattfinden.

 

Manchmal finde ich es auch ganz hilfreich, einen Moment von mir selbst abzusehen auf die, denen so eine jahrtausende alte Rede ursprünglich gegolten hat.
Das lässt auch die eigene Situation mitunter noch einmal in einem neuen Licht erscheinen.
Wie war das also - damals, zu Zeiten Jesajas?
Jesaja redet mit Menschen, die lange Jahre im Exil zubringen mussten, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, ausgegrenzt, nirgends gehörten sie so richtig dazu.
Fremd waren sie und ohne Hoffnung! Jahrzehntelang inzwischen schon, die Jüngeren könnten sich an die Heimat gar nicht erinnern, waren schon im Ausland geboren.
Aber immer noch gab es welche unter ihnen, die sagten: „Klar, irgendwann wird alles gut ausgehen, irgendwann dürfen wir zurück, werden wir wieder so leben, wie früher, unsere Häuser und den Tempel in Jerusalem wieder aufbauen."
Ob sie es wirklich geglaubt haben - das wird man wohl nie mehr erfahren, aber die leise Hoffnung wird sicher da gewesen sein, dass es vielleicht doch stimmen könnte, diese Hoffnung, ohne die im Grunde kein Mensch wirklich leben kann.
Diese Hoffnung, die uns sagt: Es könnte ja doch noch alles gut werden...
Und dann war diese absolut unglaubliche Hoffnung tatsächlich wahr geworden!
Sie waren nach Hause gekommen, die grauenvolle Zeit der Trennung und Entfremdung hatte ein Ende.
Aber - in was für ein Zuhause kamen sie zurück!
Der Tempel in Jerusalem lag in Schutt und Asche, der Ort, der ihnen so wichtig war, weil sie da ihrem Gott am intensivsten begegnen konnten, war einfach nicht mehr da; Ihre Häuser gab es sowieso längst nicht mehr, geschweige denn, dass sie jemand sie im Triumphzug in Empfang genommen hätte, es war ja kaum noch jemand da von den alten Freunden, keiner kannte sie mehr.
Eine ganz klägliche, jammervolle Rückkehr!
Wie riesengroß muss die Enttäuschung gewesen sein!
Ich vermute, sie haben kaum noch Hoffnung gehabt für die Zukunft.
Kaum, dass sie den Aufbau des Tempels und ihrer Häuser in Angriff nehmen konnten, die Kräfte fehlten einfach dafür, die Anstrengungen, die der Wiederaufbau kostet, waren viel größer, als sie leisten konnten und als je befürchtet hatten.
Wir können in unserem Land ja auch ein Lied singen davon: so einfach ist das nicht mit dem Zusammenführen der Völker!
Ohne Entbehrungen und Enttäuschungen geht es offenbar nicht.
Aber: Darf man das zugeben?
Damals wie heute?
Zurückkehren nach Hause - oder (bei uns) wieder Zusammengehören - wieder ein Volk sein- das war doch für ganz viele immer der große Traum, an den im Grunde doch niemand mehr richtig noch glaubte.
Darf man da zugeben, dass man das, was draus geworden ist, vielleicht gar nicht so toll findet, immer noch oder wieder leidet unter der Situation?
Darf man wütend sein, wenn man doch eigentlich erreicht hat, was man immer wollte?
Wütend vielleicht sogar auf Gott, den die Propheten doch immer wieder für ihre Vision vom Heil verantwortlich gemacht haben?
Er wird das tun, wird euch prachtvoll geleiten, so wie die Vorfahren aus Ägypten herausgeholt hat, wird er euch retten!
Und jetzt?
Waren das alles leere Versprechungen von Menschen?
Oder kann Gott das vielleicht gar nicht? Ist er gar nicht so machtvoll, wie wir ihn uns immer vorgestellt haben?
Oder - will er nicht?
Und wohin dann mit meiner Wut?
Und zu allem Überfluss hat jetzt Jesaja schon wieder so eine strahlende Vision parat!
Müssen diese strahlend hellen Bilder die Menschen nicht wie von selbst noch mehr in ihre Dunkelheit stoßen?
Wie kann er nur sie auch noch auffordern, aufzustehen, aufzubrechen:
Mache dich auf, werde licht!"
Genau das können sie doch gerade nicht mehr!
Eben, sagt ja auch Jesaja, die eigentliche Hilfe kommt von woanders!
Und es klingt so gut, wie er vom Ende der Finsternis erzählt, wenn er das helle, heilende, warme Licht beschreibt, „...die Herrlichkeit Gottes geht auf über dir..." sagt Jesaja.
Machen, selber herstellen müsst ihr das Licht gar nicht selbst. Es ist längst da, scheint von Weihnachten her auf unser Leben und unsere Welt und taucht uns wirklich in ein anderes Licht.
Könnte es sein, dass unser Problem vielmehr darin besteht, dass wir so verschlossen sind, gefangen in der Finsternis?
Dunkelheit hat ja auch etwas Anziehendes! Es kann mitunter -wenigstens scheinbar- gut sein, sich in ihr zu verbergen, das Licht gerade nicht an sich heranzulassen.
Denn das, was „ans Licht kommt" kann ja auch ungeheuer schmerzlich sein.
Dann scheint es besser, sich vor dem aufdeckenden Licht zu schützen.
Und dann bleibe ich genau in dem stecken, was mich eigentlich quält, bleibe im Finstern.
„ Aufmachen „- merken Sie, wie doppeldeutig plötzlich wird?
Nicht nur „aufbrechen" losgehen und aktiv werden kann es meinen, sondern auch aufmachen im Sinn von „öffnen", aufschließen, bereit sein für das Licht. „ Mache dich auf!"
Und ich denke, dass beides zu verschiedenen Zeiten unseres Lebens nötig sein kann:
Manchmal brauchen wir eher den Stoß in die Rippen, die energische Aufforderung: „Nun mal los, pack's an, du schaffst das schon!",
Manchmal ist es eher die vorsichtige Begleitung, die wir brauchen: da ist es gut, wenn einfach jemand da ist, wartet, die Klage des andern hört, seine oder ihre Tränen aushält, ausharrt und hofft, und hilft, offen zu werden für das Licht des Lebens.
Und wir brauchen wiederum beides:
Einmal den Blick auf das, was für uns Realität ist, auf Lebensumstände und Möglichkeiten, so nüchtern und klar wie möglich;
Und wir brauchen auch Träume und Visionen, brauchen die Verheißung Gottes, dass dieses Leben eines Tages in einem großen Fest aufgehen wird!
Alles wird gut werden, das ist die Realität, die Gott über unser Leben schreibt!
Es scheint einfach, sein Licht, und nichts kann seine Herrlichkeit aufhalten oder gar verhindern, dass es über uns leuchtet!
Und wenn du das merkst, sagt Jesaja, dann wird dein Herz erbeben und weit werden.

Amen



Elisabeth Tobaben
Juist
E-Mail: Tobaben.Juist@t-online.de

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