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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2013

Predigt zu Matthäus 2:1-12, verfasst von Marianne Frank Larsen

Wenn man sich eine Reise tut, kann es passieren, dass man mit mehr und andren Dingen nach Hause kommt, als man gedacht hatte. Man packt seinen Koffer, und wenn man nach Hause kommt und wieder auspackt, liegt etwas in dem Koffer, was nicht darin lag, als man seine Reise antrat. Eine sonnengelbe Kanne vielleicht. Ein Kleid. Oder eine Flasche guten Weins. Aber vielleicht ist es nicht nur der Koffer, in dem mehr liegt, wenn man nach Hause kommt. Von den besten Reisen hat man auch in Kopf und Herzen etwas mehr, als man beim Abschied von zu Hause dabeihatte. Weil man etwas gesehen hat, was nicht nur interessant war, sondern was einen in Sinn und Sehweise gefestigt hat und was die Welt für einen größer gemacht hat als die Welt, die man hatte, ehe man sich auf die Reise begab. So dass man, recht besehen, nicht mehr ganz derselbe ist, wenn man wieder nach Hause kommt.

Hans Edvard Nørregaard Nielsen erzählt einmal in seinen Erinnerungen von einer Reise nach Rom mit der theologischen Fakultät im Jahre 1967, wie man sich auf die Reise begab, um die altchristliche und byzantinische Kirchenkunst zu studieren. Und wie man heimkehrt mit dem Bild der Schwalbe und der Elster im Apsismosaik der Kirche Santa Maria in Trastevere und den roten Mohnblumen zwischen den stramm stehenden Haferähren auf dem Formum Romanum und mit dem unaufhörlichen Geräusch, in dem man sich die ganze Zeit bewegt und das von Wasser inszeniert ist, vom Brausen bis zum zarten Rieseln, und mit dem Duft frischer Fichtennadeln, wenn man am Morgen in das Licht der aufgehenden Sonne tritt. Und dann schreibt er: „Ich entdeckte, ohne vorher darüber gelesen zu haben, dass ein Sich-zu-Hause-Fühlen in Rom eines der unsichtbaren Bänder ist, aus denen man sich von da an nie wieder lösen kann."

Das nennt man eine Bildungsreise. Eine Reise, durch die man gebildet wird, und mit „gebildet" meine ich nicht, dass man Tischsitten und gewöhnliche Höflichkeit lernt. Sondern buchstäblich, dass man durch die Reise gebildet oder geformt wird, geformt von den Bildern und Düften und Geräuschen, die einen beeindrucken, die Schwalbe im Apsismosaik und die roten Mohnblumen z.B., so dass etwas in Kopf und Herz dessen, der es erlebt, eine ein wenig andre Form erhält als vor der Reise. Und auch etwas in den Augen. Weil man sein gewöhnliches Leben und seinen Wohnort und sich selbst ein wenig anders zu sehen lernt - durch das, was man in der Fremde gesehen hat. Man hat nämlich den konkreten Widerschein einer Geschichte gesehen, die man bis dahin nur aus Büchern kannte. Man hat gesehen, dass man nicht nur man selbst ist, sondern dass wir so denken und glauben und singen und bauen, wie wir es tun, weil jemand vor unsrer Zeit gedacht, geglaubt und gedichtet und gemalt und gebaut hat. Dass wir Teil einer großen Tradition sind, die sich uns in all ihrem Reichtum und ihrer Schönhaut auftut. Dies ist etwas von dem, was wir mit nach Hause bekommen können, wenn wir Glück haben. Vielleicht unternimmt man eine Reise, um sich über altschristliche Kunst zu orientieren. Und dann kommt man wieder nach Hause mit einem Gefühl des Zu-Hause-Seins in Rom oder an einem andren wunderbaren Ort, mit einem unsichtbaren Band, dem man sich nie wieder entziehen kann, oder vielleicht mit einem Gefühl des Zuhauseseins in einer Geschichte und einer Welt, die sehr viel größer ist als man selbst.


Die weisen Männer unternehmen eine Reise, um den neuen König der Juden zu finden, für den der Stern am Himmel ein Zeichen ist. Aus ihren Büchern wissen sie: wenn sich eine solche Sternensonne am Himmel zeigt, ist das ein Zeichen, dass Christus geboren ist, der König, der kommen wird, um die Macht in der Welt zu übernehmen. Darum nehmen sie natürlich Kurs auf das Zentrum der Macht im Lande der Juden: das Königsschloss in Jerusalem. Ihre Erwartungen können wir an den kostbaren Geschenken ablesen, die sie mitbringen. Geschenke, die eines Königs würdig sind. In Jerusalem finden sie auch einen König, aber es ist nicht der richtige. Sie finden König Herodes, der über sein Volk mit Gewalt und Macht herrscht und der umgehend Pläne schmiedet, wie er den neugeborenen Königssohn mit Schwert und List umbringen kann. Um nichts in der Welt will er Gefahr laufen, seine Macht zu verlieren. Bei ihm gibt es keine neugeborenen Königssöhne. Aber die Bücher und der Stern am Himmel zeigen den Weg weg vom Königsschloss, hinaus aus der Hauptstadt, auf der Landstraße, weit weit hinaus aufs Land, nach Bethlehem. Unendlich weit weg vom Zentrum der Macht. Ganz draußen an der Periferie.

Und dort, ganz draußen an der Periferie, steht der Stern still über dem Ort, an dem sich das Kind befindet. Dort, in einem gewöhnlichen Stall, begegnen die weisen Männer einem andren König. Er liegt in den Armen einer gewöhnlichen Frau und gleicht einem gewöhnlichen, neugeborenen Kind. Nur der Lichtschein des Sterns sagt ihnen, dass er der König ist, dem ihre Reise galt. Er gleicht nicht dem mächtigen Christus, den sie erwartet hatten. Und dennoch ist ihre Freude ungeheuer groß, und dennoch fallen sie auf die Knie und reichen ihre kostbaren Geschenke dar - dem schlafenden Kind. Völlig überzeugt davon, dass sie am Ziel sind. Sie sind am Ende ihres Weges angelangt. Was Periferie im Reich des Königs Herodes ist, ist für sie Zentrum. Sonderbarerweise. Denn wenn es etwas gibt, was eine neugeborenes Kind nicht besitzt, dann ist es Macht. Es kann nichts selbst lenken oder bestimmen; es ist völlig abhängig davon, dass sich andre seiner annehmen. Und tun sie es nicht, ist das Kind verloren. Wenn dieses neugeborene Kind dennoch eine Macht hat, die die weisen Männer mit Freude und Gewissheit und Demut erfüllt, ist es eine andre Macht als die, die sie erwarteten. Keine einschüchternde Macht. Sondern die Macht der Schwachheit, Milde in den Augen und Händen der Menschen hervorzubringen. Die Macht der Liebe, die Herzen von Menschen zu bilden und zu formen und unerwartete Eindrücke in ihnen zu hinterlassen. Sie geht von dem Neugeborenen in Marias Armen aus.

Und so wird die Reise der weisen Männer zu einer Bildungsreise. Zu einer Reise, die ihre Herzen bildet und formt, so dass sie nicht mehr dieselben sind wie zu der Zeit, als sie sich ihre Reise antraten. Ihre großen Erwartungen werden erfüllt, jedoch auf andre Weise, als sie es sich vorgestellt hatten. Dieser König herrscht nur durch die Macht der Liebe. Sein Reich ist kein Königreich hier auf Erden. Es ist das Reich der Liebe. Und wenn er später dafür kämpfen muss, dann kämpft er nicht mit Gewalt und Schwert; sondern allein mit dem Wort, das frei gesprochen ist und dem sich ein jeder frei beugen - oder nicht beugen - kann. Und das gilt für einen jeden Menschen. Denn dieses Reich ist für jeden offen. Das auserwählte Volk dieses Königs ist nicht nur das jüdische Volk. Sondern ein jeder, der sich der Macht der Liebe in seinem Wort beugt, gehört dazu. Wessen die weisen Männer selbst der erste und feinste Ausdruck sind. Die ersten Gäste bei der Geburt sind keine frommen Juden, sondern wildfremde Männer aus einem Land in weiter Ferne. Wir sagen, sie kommen aus dem Land im Osten. In Deutschland nennt man es das Morgenland, so muss das Land nach Osten hin, wo die Sonne aufgeht, ja heißen. Jetzt ist es der Stern, der aufgegangen ist. Und letzten Endes ist es der Herr, der aufsteht und für sie leuchtet. Sein Licht ist nicht auf die Eingeweihten beschränkt, sondern er funkelt für alle, nah und fern, die ihre Augen auf ihn richten.

Die Weisen kehren auf einem andren Weg in ihr Land zurück, erzählt Matthäus, und seine Worte besagen natürlich, dass sie in Jerusalem nichts mehr zu tun hatten. Mit König Herodes sind sie fertig. Vielleicht sollen sie aber auch besagen, dass sie nicht mehr dieselben sind wie vor ihrer Reise. Dass sie die Reise gebildet und ihnen etwas ganz andres mit nach Hause gegeben hat, als sie erwartet hatten. In ihren Herzen bewahren die weisen Männer neue Bilder und neue Düfte und neue Worte. Oder alte Worte, die verblüffend neue Bedeutungen erhalten haben. König, Reich, Macht, Kampf, Volk. Zentrum, Peripherie. Armut, Reichtum. Nichts hat mehr die Bedetuung von vorher. Das kleine Kind hat die Worte - und die Welt ebenso - viel größer gemacht. Was die Weisen gesehen und gehört haben, hat ihre Herzen und ihre Sicht gebildet, so dass sie das Leben und den Ort und den Alltag, in den sie zurückkehren, mit neuen Augen sehen. Sie sehen es im Lichte der machtvollen Liebe, die gewickelt in Marias Armen lag. Erst jetzt sind sie in Wirklichkeit weise geworden.

Jedesmal wenn wir uns erheben und unsre Stuben verlassen, um in die Kirche zu gehen, ist das in Wirklichkeit eine Bildungsreise derselben Art wie die im heutigen Evangelientext. Manche von uns haben gerade mal 600 Meter zu gehen, und dennoch ist der Gang hier herein eine Reise hinaus in eine Welt, die unendlich viel größer ist als unsre eigene Welt, und hinein in eine Geschichte und in einen Zusammenhang, der sich mit unerwartetem Reichtum und unerwarteter Schönheit für uns auftut. Unerwartet, weil es nicht der alltägliche Reichtum und die alltägliche Schönheit ist. Unerwartet auch deshalb, weil wir die neuen Bedeutungen der alten Wörter von mal zu mal vergessen. König, Reich, Macht, Kampf, Volk. Wir kommen in der Erwartung, etwas oder jemandem zu begegnen, der größer ist als wir. Hier drinnen, am Ziel der Reise, begegnet er uns in Gestalt eines neugeborenen Kindes, das mit der Macht der Liebe herrscht und mit Worten kämpft, die frei lauten. So erfüllt er unsre Erwartungen auf andre Weise, als wir es erwarten. So bildet er noch einmal unsre Herzen und unsre Augen, so dass wir auf einem andren Weg heimkehren können - jedenfalls in einem bildlichen Sinne. Denn wir kehren heim in dem milden Licht, das er über unsren Ort und unsre Tage und über uns selbst angezündet hat. Mit einem Gefühl des Zuhauseseins im Herzen, einem unsichtbaren Band, dem wir uns nie entziehen können. Mit einem Gefühl, dass wir auch in einem Krippenraum in Bethlehem dazugehören.

Amen



Pastorin Marianne Frank Larsen
Taulov, DK-7000 Fredericia
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier
E-Mail: mfl@km.dk

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