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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 20.01.2013

Predigt zu Johannes 12:34-16, verfasst von Reiner Kalmbach

Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

es soll ja durchaus vorkommen, dass es einem Prediger des Wortes Gottes ergeht, wie dem Ochs vor dem Berge..."...was, da soll ich diesen schweren Wagen hinaufziehen...!?"

Wir kommen geradewegs von Weihnachten her, ein neues Jahr hat erst vor ein paar Tagen begonnen und jetzt sollen wir uns bereits auf Jesu „Abreise" einstellen...Am Horizont sieht man schon das Wetterleuchten von Karfreitag. In unseren Augen, Gefühlen und Gedanken widerspiegeln sich noch Krippe unterm Baum, Kerzenschein und „Oh du fröhliche..."

Also lese ich den Text immer und immer wieder, und endlich ist es mir möglich eine Brücke zu schlagen. Von wo nach wo?

Aber hören wir erst einmal dieses Wort. Es steht im Johannesevangelium, im 12. Kapitel, die Verse 34 bis 36

Textlesung

Jetzt gehen wir einfach über die Brücke, von „hier" nach „dort". Ja, ich kann die Leute verstehen. Ihre Sehnsucht nach einer grundlegenden Veränderung ihrer Lebenssituation. Wer träumt nicht gerne von einem Paradieszustand auf dieser Erde. Politiker und Ideologen aller Zeiten und Systeme haben uns dieses irdische Paradies immer und immer wieder versprochen..., und sie tun dies heute noch. Vermutlich glauben einige von ihnen wirklich daran. Unser Sohn studiert Soziologie, dazu gehört die Lektüre sämtlicher wichtiger Philosophen die die Weltgeschichte hervorgebracht hat. Manches von dem, was sie denken und verbreiten ist sicherlich ganz brauchbar..., in der Theorie..., nur in der Praxis scheitern dann die Modelle.

Zurück in die Situation der johanneischen Gemeinde. Denn darum geht es doch: als Johannes sein Evangelium niederschreibt, ist Jesus diesen letzten Weg, also Karfreitag und...Ostern längst gegangen. D.h. der, auf den Israel viele hundert Jahre sehnsüchtig gewartet hat, auf den ein ganzes Volk all seine Hoffnungen gesetzt hat und von dem es hiess, dass er ein ewiges Friedensreich aufrichten wird..., er kam, lebte (nur kurz), herrschte überhaupt nicht (jedenfalls nicht nach unseren Vorstellungen...), und starb schliesslich einen erbärmlichen Tod..., an ein Kreuz genagelt und, an diesem hängend, aufgerichtet..., „erhöht".

Selbst unter jenen die wirklich an ihn geglaubt haben, die ihm nachfolgten, die in ihm tatsächlich den Mesias sahen, muss diese Geschichte eine Art Schock ausgelöst haben. Und dann ist da noch ein kleines, aber wichtiges Element: diese ersten Christen müssen ihren Glauben gegenüber den Juden, also den Anhängern und Autoritäten der Amtsreligon, verteidigen, ihn rechtfertigen.

Die Menschen, sowohl die des Alten Testaments und der ersten Christengemeinden, aber auch wir modernen Christen, beladen Jesus mit all ihren (und unseren) Wünschen, Sehnsüchten und Vorstellungen von einer gerechten Welt, der „Menschensohn" verkörpert all jenes das die Welt doch verdient, aber nicht hat: Wohlstand für alle, Gerechtigkeit, Freiheit, Ansehen, Frieden, usw...; dieser Menschensohn dürfte nicht weggehen, irgendwohin entrückt, oder erhoben werden, schon gar nicht einen so schrecklichen Tod sterben, er müsste ewig bleiben, in dieser Welt sein Reich aufrichten. Was nützt der Welt ein gekreuzigter Mesias!?, wir brauchen keinen Gescheiterten, wir brauchen nicht einen der oben am Querbalken eines Kreuzes hängt..., sondern einen der fest auf seinem Thron sitzt. Elend gibt es schon genug auf dieser Erde, was kann der Elendeste unter den Elenden da noch ausrichten!? Sieg, nicht Niederlage!, Macht, nicht erbärmliches Sterben...!, „Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz!"

Ja, für viele Menschen ist das Kreuz ein „Skandal", es steht uns im Weg.

Im Grunde wünschen wir uns, dass das Reich Gottes sich in dieser Welt und nach unseren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit, von Freiheit und Frieden, verwirklicht. Dabei vergessen wir, dass eben diese Welt eine Welt der Sünde und der Sünder ist..., d.h. sie wird, solange sie besteht, immer auf der Basis dieser Wirklichkeit existieren und funktionieren. Unmöglich, dass Christus die Seinen auf solche Weise, unter diesen irdische Bedingungen, regiert. Christi Reich verlöre sein Eigentliches, nämlich, dass es auf Gnade, d.h. auf bedingungsloser Liebe gegründet ist. Der Ehre Gottes ist, wie die Geschichte nur zu gut zeigt, mit schwärmerischen Gottesstaat-Versuchen nicht gedient. Der Christus muss ewiglich bleiben..., in dieser Welt?, nein!, der Menschensohn muss erhöt werden. Gottes Lamm muss der Welt Sünde tragen... das Kreuz!

Also bleibt uns nichts anderes übrig, als nach „oben" zu schauen?, sollen wir dieses Wort als eine Aufforderung verstehen, das Diesseits zu leugnen und unsere Aufmerksamkeit ausschliesslich auf das Jenseits zu richten...?

Die neuen religiösen Strömungen in und ausserhalb der etablierten Kirchen wollen uns dies glauben machen.

Ganz besonders in Lateinamerika, wie hier in Argentinien, predigen tausende von Gruppen und Sekten einen persönlichen, weltabgewandten Glauben. Es geht nur noch um das individuelle Heil, die Welt und ihre Wirklichkeit ist „sündig", die Welt steuert auf ihren Abgrund zu, und je schneller dies geschieht, desto besser..., also können wir uns nur dadurch retten, indem wir uns um unser eigenes und persönliches „Seelenheil" kümmern. Der Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Frieden, oder gar Bewahrung der Schöpfung, wird von diesen Strömungen grundsätzlich abgelehnt. Auf der anderen Seite predigen sie aber einen materiellen Wohlstand für jene, die sich ihnen anschliessen. Viele dieser Sekten funktionieren (ganz irdisch) wie multinationale Konzerne, denen es ausschliesslich um Gewinnmaximierung geht.

In ihren „Kirchen" sucht man vergeblich ein Kreuz oder einen Altar, dafür sitzt man, vollklimatisiert, auf bequemen Sesseln und lauscht den Wahrheiten eines Predigers im Nadelstreifen und drahtlosen Mikro, perfekt ausgesteuert, wie bei einem Rockkonzert.

In vielen Ländern bilden sie längst die Mehrheit, betreiben Fernseh-und Radiosender und in Brasilien gehört ihnen sogar eine grosse Fluglinie, und: schon immer waren viele dieser „Kirchen" gut Freund mit autoritären und menschenverachtenden Regimen.

Nein, dann doch lieber die kleine „johanneische" Gemeinde, Minderheit, oft mit dem Rücken zur Wand, gegen den Strom schwimmend, eigentlich immer und zu allen Zeiten..., aber sie hat in ihrer Mitte: das Licht!, denn davon redet doch Johannes: wir sollen im Licht bleiben, wandeln, damit uns die Finsternis nicht überfalle...(und) weil, wer im Finstern unterwegs ist, sieht den Weg nicht und die Steine die ihn zum fallen bringen können.

In meiner Gemeinde gibt es einen älteren Mann, der in seinem Leben viel gelitten hat..., wenn er anfängt zu erzählen, kommen mir meine eigenen Probleme plötzlich nichtig und klein vor. Aber er gehört zu jenen Menschen, denen man ihren Glauben an ihren Augen erkennt. Ab und zu begleitet er mich auf meinen langen Fahrten zu den weit abgelegenen Filialgemeinden in den patagonischen Anden. Danach höre ich immer wieder (von den anderen Gemeindegliedern) den gleichen Satz: „...welch ein Glaube...!"

Ja, ich denke, das ist gemeint: im Lichtkreis Christi leben und bleiben, sich anstrahlen lassen, die Welt wird es sehen.

Jesus kam nicht in einer teuren Privatklinik zur Welt, er suchte nicht Anerkennung und Ruhm unter den Mächtigen und Erfolgreichen, er hat in allem (!) den „unteren" Weg gewählt..., und dennoch: die „Welt", d.h. jene die in dieser Welt das sagen haben, nahmen Notiz von ihm und haben prompt „reagiert". Und dann waren ja auch jene die in dieser Welt nicht das sagen haben. Sie wollten in ihm den sehnsüchtig erwarteten Mesias sehen, aber er sollte eben ihren Vorstellungen einer gerechten Welt entsprechen. Sie haben aus seinem Einzug in Jersualem einen Triumphzug gemacht, der ihn direkt ans Kreuz führte.

Für die Volks-und Glaubenslenker ein Problem weniger, für die „Strasse" noch ein Grund mehr zum resignieren...

Aber er hat allen einen Strich durch die Rechnung gemacht! Jenen da „oben", aber auch den Revolutionären, die eine gerechte Welt mit den ihnen eigenen Mitteln aufrichten wollen.

Jesu Herrschaft ist anderer Art: da werden Menschen, mitten in diesem Leben, in dieser Welt, in dieser Zeit, von dem angestrahlt, was nicht von dieser Welt ist. Nun wissen sie ihr Woher und Wohin. Es ist das Licht von Betlehem!

Sie leben ihr Leben wie alle andern; sie gehen zur Arbeit, sie lernen und studieren, sie werden arbeitslos, sie gehen durch Krisen, sie tun auch sonst, was zum täglichen (und sonntäglichen) Leben gehört. Aber in allem ist Christus, in dem Gott selbst sie anspricht, in seinem Lichte stehen sie. Sie, nein: wir wissen, von wem wir kommen und wem wir gehören.

Amen.



Pfr. Reiner Kalmbach
Allen, Patagonien-Argentinien

E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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