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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 20.01.2013

Predigt zu Matthäus 17:1-9, verfasst von Niels Henrik Arendt

Liebe Gemeinde!

Normalerweise ist es so, dass wir die Reichweite dessen, was wir erleben, nicht übersehen, während wir es eleben. Während die Dinge geschehen, sind wir nicht imstande, ihre Bedeutung zu bestimmen. Erst im Nachhinein können wir sehen, wann wirklich etwas Neues in unserem Leben begann. Wir entdecken vielleicht, dass wir bei einer bestimmten Gelegenheit aus Kraftquellen haben schöpfen können, die wir gar nicht bemerkten, als wir mitten in den Ereignissen standen. Was geschah, erlebten wir mehr oder weniger als eine Selbstverständlichkeit – und also nicht als Überraschung oder etwas erfreulich Neues. Aber mit dem Abstand der Erinnerung können wir später plötzlich sehen, dass das Leben eben an dieser Stelle in Wirklichkeit anders war und mehr, als es bis dahin gewesen war. Ich will versuchen, das näher zu erklären:

            Viele Menschen erinnern sich an etwas, das von einer eigenartigen Freude und  großem Glanz umgeben ist, vielleicht aus ihrer Kindheit. Die Personen dieser Erinnerung erscheinen im Gedächtnis besonders lebendig. Aber den Glanz und die Freude, die sich mit dieser Erinnerung einstellen, bemerkte man vielleicht damals nicht, als man mitten in der Situation stand. Und trotzdem ist es nicht so, dass die Situation durch unsere Erinnerung entstellt oder verfälscht worden wäre. Das, woran wir uns heute mit großer Freude erinnern, war tatsächlich erfreulich, auch wenn wir es damals nicht sonderlich so empfanden. Wir sehen, dass uns das Erlebnis neue Kraft schenkte, ohne dass wir es auch nur ahnten oder auch nur das Geringste dafür taten. Ein Augenblick der Erneuerung, ein Wunder der Erneuerung wurde uns zuteil. Und erst in der Zeit danach verstanden wir es. Wir verwenden den Ausdruck, dass sich uns die Vergangenheit in verklärtem Licht darstellt. D.h., in der Erinnerung steht sie so da, wie sie tatsächlich gewesen ist, und eben nicht so, wie wir sie damals auffassten. Dass es so ist, kann manchmal zu einer Art Wirklichkeitsflucht oder zur Geringschätzung des gegenwärtigen Lebens führen. Es geschieht dann, wenn wir uns nicht einfach mit den Zeichen der Freude begnügen wollen, die uns die Erinnerung bietet, sondern uns geradezu daran machen, die gesamte eigene Vergangenheit umzudichten. Als wäre früher alles in unserem Leben eitel Glück gewesen, und indem wir so tun, als hätten wir das damals auch klar gewusst. Wenn die Zeit doch nur wiederkäme, sagen wir dann. Soetwas nennt man Nostalgie. Niemand hat besser darüber gedichtet als H.C. Andersen in seinem Märchen „Der Tannenbaum“. Der Tannenbaum erlebt Heiligabend die glanzvollste Zeit seines Lebens, ohne es überhaupt zu begreifen, aber in der darauf folgenden Zeit kann er sich über nichts andres freuen. So kann es uns auch ergehen: Was ist die Gegenwart, verglichen mit dem, was wir damals erlebten, sagen wir. Ganz und gar in der Gegenwart stehen wir darum nicht, oder vielleicht finden wir geradezu, sie verdient Verachtung, wenn man sie mit der Vergangenheit vergleicht. Aber die romantische Auffassung von der Vergangenheit, die uns verlockt, die Gegenwart zu verleugnen, ist nur ein Traum, eine Fabel. Natürlich ist es wahr, dass das Heute grau erscheinen kann, wenn man es mit diesem verklärten Schein des vergangenen vergleicht. Aber es ist das Heute, das wir leben müssen. Und grau war vielleicht auch der Augenblick damals, der uns heute so herrlich vorkommt. Oder vielleicht haben wir damals gar nicht verstanden, was mit uns geschah.

            Die Erzählung, die wir heute gehört haben, handelt von einem Tag im Leben Jesu, an dem er sich mit drei Aposteln allein auf einem Berg befand. Dort oben ereignete sich etwas, was die Jünger überhaupt nicht begreifen konnten. Und was sie sicherlich später dann zu der Frage veranlasste, ob sie denn auch ganz wach gewesen seien oder ob das Ganze bloß ein Traum gewesen sei. Sie erzählten den andren Aposteln mit keinem Wort davon, als sie von dem Berg wieder herabkamen. Denn als sie wieder nach unten kamen, entdeckten sie, dass sich der Alltag jedenfalls nicht verändert hatte. Sie gerieten direkt in einen Riesenstreit zwischen einigen anderen Aposteln und der Volksmenge, und sie wurden deutlich durch einen armen Jungen an das Elend der Welt erinnert, der vor ihren Augen einen schrecklichen Krampfanfall erlitt. Da war nur noch eine Erinnerung in ihnen an etwas, das ganz anders war; aber sie wagten nicht, daran zu denken. Während das Ganze oben auf dem Berg geschah, hatten sie in erster Linie Angst und waren erschrocken, sie wollten nur, dass Jesus wieder war wie vorher. Und Petrus, der ja der Unternehmungslustige ist, schlägt vor – sozusagen um dem Ganzen etwas mehr Geborgenheit zu geben –  dass sie einige Laubhütten bauen sollten, die kannten sie ja von den Laufhüttenfesten her. Dann wäre alles ein bisschen mehr erdverbunden, mehr vertraut.

            Daraus wird aber nichts, vielmehr muss sie Jesus schlicht und einfach berühren, damit sie merken können, dass er noch immer als Mensch bei ihnen ist. Und dann steigen sie wieder vom Berg herab und wissen wie gesagt nicht, ob sie alles nur geträumt haben. Denn der Tag am Fuß des Berges ist grau, wie gewohnt. Trotzdem ging es so, dass sie eines Tages erzählten, was oben auf dem Berg geschehen war. Denn es kam ein Tag, an dem sie verstanden. An dem Petrus ihnen erzählen konnte, was er erlebt hatte. An dem er wusste, dass es kein Traum war, keine Fabel, als das Ereignis plötzlich für ihn in einem verklärten Schein stand. Es kam der Tag, an dem er nach Jesu Tod mitten in der Verzweiflung und Angst und Verwirrung Jesus wieder begegnete. Da wusste Petrus, was auf dem Berg geschehen war. Da wusste er, was er gesehen hatte. Da konnte er es erzählen. Etwas Großes und Gutes war ihm begegnet, obgleich er es nicht begriff, als es geschah.

            Was Petrus verstand, ist in der Erzählung auf merkwürdige Weise erklärt. Es wird erzählt, dass Mose dort auf dem Berg war. Ob Petrus wohl noch wusste, dass Mose, als er alt wurde, nicht in das gelobte Land kommen durfte, und dass er, als er darum bat, Gottes Herrlichkeit sehen zu dürfen, nur hinter Gott her sehen durfte, wenn er in all seiner Herrlichkeit vorübergeht. Und dann endet die Geschichte Moses merkwürdig abrupt, niemand weiß, wo er begraben ist. Aber, würde Petrus sagen, das ist so, weil das Ende erst da oben auf dem Berg kommt, zusammen mit Jesus. Dort endet die Geschichte Moses damit, dass er jetzt in das gelobte Land kommt; jetzt darf er Gottes Herrlichkeit sehen, indem er Jesus sieht. Und da beginnt eigentlich die Geschichte des Petrus damit, dass auch er Gottes Herrlichkeit sehen darf (obwohl ihm das erst viel später klar wird). Indem er Jesus ansieht, die Herrlichkeit Gottes sieht mitten in der harten, leiderfüllten Wirklichkeit, die auch die Wirklichkeit des Menschen ist. So, dass es von jetzt an überall gut sein ist, nicht nur auf dem Berg, sondern auch unten, unten im Streit und Elend, wenn es zusammen mit Jesus geschieht.

            So sagt die Erzählung auch etwas über unser Leben. Sie sagt, dass wir in dem möglicherweise grauen Alltag dort sind, wo wir sein sollen. Unten auf der Erde mit all ihrer Mühe, mit Elend, Schuld, Leid und Verachtung. Die Jünger und Jesus stiegen von dem Berg herab zu einem solchen Leben, und Jesus ging von jetzt an den direkten Weg nach Jerusalem, zu Ablehnung, Leiden und Tod. So befinden wir uns also auch an der richtigen Stelle, obwohl alles, was es an Herrlichkeit gibt, entweder hinter uns zu liegen scheint oder irgendwo in ferner Zukunft. Hier, wo wir sind, sollen wir sein. Aber wir müssen hier nicht ohne Strahlen aus der Höhe sein. Vielleicht sehen wir sie, vielleicht sehen wir sie überhaupt nicht, und dennoch sind sie hier gewesen und haben ihren Glanz über unser Leben geworfen und uns Kraft und Mut gegeben. In diesem alltäglichen Leben auf dieser Erde können wir Gottes Herrlichkeit sehen. Wir sollen nicht ausgeschlossen sein, so wie Moses ausgeschlossen wurde. Mitten in diesem Leben ist Gottes Herrlichkeit dennoch – nämlich in dem Menschen, der vor die Henker geworfen wurde, den Gott aber in Jesus Christus aufgerichtet hat.

            Vielleicht können wir es nicht sehen, weil der Tag so grau ist, so alltäglich. Aber Petrus und die beiden anderen Jünger verstanden es anfangs auch nicht. Verborgen unter all dem Grauen und Alltäglichen ist Gott dennoch gegenwärtig. Zusammen mit Gott ist gut sein, auch unten im Niedrigen. Finden wir, dass unser Leben einförmig oder grau ist und bestimmt keinerlei Glanz hat, dann können wir daran denken, dass einst vielleicht auch diese Zeit in einem verklärten Schein für uns stehen wird, so ganz anders, als wir jetzt sehen können. Vielleicht werden wir sehen, dass eben hier und jetzt in dem grauen und gewöhnlichen und nicht sehr göttlichen Tag etwas Neues in unser Leben gekommen, unser Leben erneuert worden ist, die Zukunft begonnen hat, in der wir selbst verklärt werden und die wahre Gestalt erlangen werden, für die Gott uns von Anfang an bestimmt hatte.

            Dann befinden wir uns wahrlich in keiner schlechten Lage. Denn dann sind wir, wo wir sein sollen – dann sind wir mit ihm zusammen – dann sind wir, wie Petrus und seine Freunde, wo gut sein ist.

Amen



Bischof Niels Henrik Arendt
Haderslev
E-Mail: nha@km.dk

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