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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 27.01.2013

Predigt zu Matthäus 9:9-12, verfasst von Eberhard Busch

 

Nachfolge

 

Im Psalm 33 Vers 9 ist die Rede vom schöpferischen Handeln Gottes, Martin Luther hat es in dichterischer Weise übersetzt: „So er spricht, so geschichts. So er gebeut, so stehts da." Also: Wenn Er befiehlt, dann passiert es auch. So geht es ja in der Schöpfungsgeschichte, wie sie auf den ersten Seiten unserer Bibel steht (Gen.1,3): „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht." Und haben wir es bemerkt? Dergleichen geschieht auch in der Geschichte, auf die wir in dieser Predigt hören. „Jesus sah einen Menschen am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm." Der Ruf Jesu ist ein schöpferischer Ruf. Dieser Ruf und das Aufstehen jenes Zöllners gehören offenbar zusammen. Sie verhalten sich zueinander wie das Einschlagen eines Blitzes und der unweigerlich darauf folgende Donner..

Jesus kommt dem Zollbeamten Matthäus also nicht so: Du solltest dir einmal überlegen, ob du vielleicht Gefallen daran findest, mit mir zu gehen; das wird allerlei Vorteile für dich haben. Er sagt nicht einmal: Verabschiede dich erst einmal von deiner Familie und deinen Kollegen, und morgen kannst du dann damit anfangen oder auch übermorgen. Sondern so geht es: Jesus sagt „Folge mir! Und er stand auf." Wenn Christentum lebt, dann wiederholt sich das. Jesus sagt zu einem Menschen: Folge mir nach! Und er oder sie folgt ihm.

Allerdings, er kommandiert auch nicht wie einem Soldaten bei der Armee: „Du musst jetzt das und das machen, und weh dir, wenn du nicht gehorchst. Ob du willst oder nicht, ich befehle dir." Verstehen wir es recht: Es ist ja der Wohltäter der Menschen, der hier spricht. Er erwartet von den Menschen nicht blinde Gefolgschaft, nicht unterwürfigen Kadavergehorsam, sondern Einsicht, die sagt: „Du hast ja recht. Es geht für mich nicht anders, als dir zu folgen." Wir sind nicht Marionetten in seiner Hand, sondern was er von uns erwartet, ist, wie die Reformatoren sagten: „freier Gehorsam". Sonst mag das ein Widerspruch sein, hier passt beides wunderbar zusammen - Freiheit in verantwortlicher Bindung an Gott.

Es ist nun freilich erstaunlich in unserer Geschichte: Es wird dem da Berufenen nicht mitgeteilt, was er für ein Aufgabenpensum hat. Er empfängt keine Liste, zum Abarbeiten, und dann könnte er selbst in eigener Regie machen, was er für richtig hält, sondern es geht nun in allem hinter seinem Meister her. Er wird in allem auf ihn blicken und auf ihn hören. Dietrich Bonhoeffer schrieb dazu: „Nachfolge ist Bindung an Christus. Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus." Und der Basler Theologe Karl Barth bemerkte: „Jesus nachfolgen heißt: in einem bestimmten Tun und Verhalten über sich selbst hinausgehen und also sich selbst den Rücken kehren."

Nachfolge heißt also nicht Nichtstun. Es gibt da vieles tun, viele Schritte sind da zu unternehmen, viele Handgriffe und viele Gedanken sind zu vollziehen, aber alle in der Bindung an Jesus. In dieser Bindung kann er einiges erleben. Darin wird sich zeigen, was er zu tun oder eventuell auch zu lassen hat. Es gibt dabei im Grunde keine Sicherheit - außer der, dass er sich darauf verlassen darf, dass Jesus voran geht. In eindrücklicher Weise hat das die Herrnhuter Gemeinde unter Leitung von Nikolaus von Zinzendorf ernst genommen, der das Lied dichtete: „Jesus geh voran auf der Lebensbahn und wir wollen nicht verweilen, dir getreulich nachzueilen."

Das macht schon deutlich: Solche Berufungen wie die von Matthäus geschahen nicht nur damals. Die Kirchengeschichte ist - wohl auch angefüllt von einem Christentum ohne Nachfolge, nämlich von mannigfachem törichtem und boshaftem Versagen der Kirche, von falschen Anpassungen an die jeweils Mächtigen. Leider ist es vielen Gliedern der Kirche nicht klar, dass Christsein Nachfolge Jesu bedeutet. Es wird in ihr zuweilen den Mitgliedern auch gar nicht mitgeteilt, was Bonhoeffer sagte, dass Christentum ohne Nachfolge ein Christentum ohne Christus ist. Man ist dann ein Passivmitglied in der Kirche, das sich nur ausnahmsweise blicken lässt und wenn, dann vielleicht nur, um sein Leben ohne Christus absegnen zu lassen.

Ja, aber das ist gottlob! nicht alles: Es gab in ihr immer wieder auch Menschen und es gibt auch in unseren Tagen solche, die durch den Ruf Jesu herausgerufen werden aus ihrem bisherigen Lebenslauf: Menschen heute, die ihm darin nachfolgen, dass sie eine bestimmte Aufgabe übernehmen, in der sie an ihren Orten, mit ihren Kräften und Einsichten seine Jünger und Jüngerinnen sind. Sie haben dabei den lebendigen Christus vor Augen. Sie sind bescheiden und wissen, dass sie nicht alles tun können, sondern nur je ein Besonderes. Doch das tun sie treulich mit Fleiß und mit Bedacht und lassen sich nicht so leicht von Widrigem irritieren. Kleines oder Größeres tun sie in der Nachfolge Jesu, aber wer von uns kann entscheiden, ob das Kleine nicht auch von großer Wichtigkeit ist?

Erstaunlich ist in unserer Geschichte aber nun erst recht dies, dass der Weg Jesu zu aller erst nicht in eine Kirche führt. Der Weg führt den Matthäus auch nicht wie Luther ins Kloster. Nachfolge führt als erstes zu Fressern oder Säufern, zu Abseitigen, die wohl mitten im Leben zu stehen meinen, aber gegenüber Kirche und dergleichen abseits stehen und auf Distanz sind. Nichts an sich gegen Kloster, ich weiß von einer Frau, die lustig gelebt hat, und die dann auf einmal eine Nonne wurde; und seither leistet sie unsäglich viel unter Dirnen und Bettlern in einer unserer Großstädte. Sie rühmt sich dessen nicht. Sie weiß nur sich dorthin gesandt, zur Gemeinschaft und zum Beistand für solche, die dessen bedürfen und denen das in der besseren Gesellschaft verweigert wird.

Die Märchen, die wir träumen, weisen stets in eine obere Gesellschaft. Sie reden etwa von einem Schneider, der eine Prinzessin heiratet und damit selbst ein Prinz wird. Damit werden wir in einem Denken geschult, das an den Niedrigen vorbei sieht und vorbeigeht. Wie es bei Bertold Brecht heißt: „... und man sieht nur die im Licht, / die im Dunklen, sieht man nicht." In unserer Geschichte wird die Blickrichtung umgekehrt. Und wir blicken auf einmal zu denen hin, die im Dunklen sind. Der Reformator Calvin sagte seiner Gemeinde im Blick auf sie: „Wir können tausendmal verkünden, die Leidenden täten uns leid; wenn wir ihnen nicht helfen, so gilt all dies Gerede nichts."

Hören wir jetzt noch genauer hin auf unsere Geschichte! Sie nennt die, mit denen es Jesus und sein Nachfolger zu bekommt, „Zöllner und Sünder". Das sind Leute, denen man ihr Fehlverhalten förmlich ansieht, Menschen, mit denen man als ordentlicher Bürger lieber den Umgang meidet. Und zu denen gehören insbesondere die Zöllner. Ja, eben solche, wie Matthäus auch einer war. Aus seiner anrüchigen Tätigkeit an einem Zoll hat ihn Jesus doch weggerufen, und er ist aufgestanden, um ihm nachzufolgen. Und nun wird er von demselben Jesus sogleich wieder als aller erstes zurückgeführt in die Gesellschaft seiner Kollegen von einst. Aber weshalb und wozu? Muss ihm das nicht peinlich sein?

Offenbar soll Matthäus es mitbekommen, wie Jesus mit diesen Schwerenötern umgeht. Und nicht nur Matthäus. Es stehen nun auch Leute der besseren Gesellschaft um ihn herum, und sie schütteln nicht nur den Kopf, sondern sie protestieren auch gegen sein Verhalten: Was! Der will ein Gesandter Gottes sein und pflegt Umgang mit solchen Heruntergekommenen! Als Jesus das hört, sagt er ihnen: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken." Jene Heruntergekommenen sind also gewissermaßen Kranke, die der Heilung bedürfen, gewiss nicht eines Bleibens in ihrem Elend. Aber zu ihrer Heilung bedürfen sie auch nicht einer moralischen Zurechtweisung - das würde sie nur in ihrem Elend festhalten. Das ist es, was Matthäus in seiner Nachfolge Jesu nun verstehen soll: Diese Kranken brauchen viel, viel Erbarmen und Geduld, damit sie gesund werden.

Sie dürfen an der Sonne der Barmherzigkeit gesund werden. Aber das heißt nicht, dass sie solche Menschen werden sollen wie jene Starken, die des Arztes nicht bedürfen, wie Jesus sagt. Mit den Starken sind ja wohl die Leute der besseren Gesellschaft gemeint. Sie sind vielleicht ziemlich religiös und jedenfalls anständig, gleichwohl brauchen sie nicht wirklich den Arzt Jesus Christus. Sie meinen ja, dass sie dank dem, worin sie ihre Vorzüge sehen, alleine zurechtkommen. Nun, sie mögen es so probieren. Sie sollten aber einmal bedenken, was schon im Alten Testament die betrübte Hanna in ihrem Lied über solche Starken singt: „Lasst euer großes Rühmen und Trotzen ... Der Bogen der Helden wird zerbrochen, Wankende aber gürten sich mit Kraft." Und also, wie es im Buch der Sprüche heißt (16,32): „Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker."

So verfährt ja Jesus mit den Zöllnern und Sündern, wie er es seinem Nachfolger zeigt. Er verkehrt so mit ihnen, dass er sich ihnen zukehrt. Er setzt sich an einen Tisch und isst und trinkt mit ihnen. Stellt sich nicht außen an den Rand, um sie von da aus zu belehren, dass sie sich bessern müssten, er macht auch nicht, was sie verkehrt gemacht haben, aber er vollzieht Gemeinschaft mit ihnen, übt Solidarität. Das ist seine verwunderliche, heilsame Art, mit denen zu verfahren, die aus dem Gleis geraten sind. In der Nachfolge Jesu darf dann auch Matthäus so verfahren und so alle die, die ihm nachfolgen, so auch wir, die von ihm in seine Nachfolge berufen sind.

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
37133 Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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