Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 27.01.2013

Predigt zu Matthäus 20:1-16 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Anders Kjærsig,

 

 

Es gibt eine jüdische Weinbergerzählung, die Jesus zweifellos gekannt hat. Sie handelt von einem König, der einen großen Weinberg besaß. Viele Arbeiter waren in dem Weinberg beschäftigt, unter ihnen auch ein junger Mann, der sehr ausdauernd war. Er arbeitete mit größerem Fleiß als einige von den anderen Arbeitern. Nach ein paar Stunden kam der König und sagte, er solle aufhören zu arbeiten.

Im weiteren Verlauf des Tages kann man sehen, wie der König im Gespräch vertieft mit dem jungen Mann umhergeht. Dann kam der Feierabend, und die Arbeiter sollen ihren Lohn bekommen. Zur großen Überraschung der anderen Arbeiter bekommt der junge Mann genauso viel ausbezahlt wie sie selbst. Darüber waren sie sehr verärgert. Das gehört sich nicht, sagen sie. Wir haben den ganzen lang Tag geschuftet, und der junge Mann dort hat nur zwei Stunden gearbeitet. Ja, sagte der König, das stimmt, gewiss hat er nur zwei Stunden gearbeitet, aber in den beiden Stunden hat er genauso viel getan wie ihr an einem ganzen Tag.

Sie brauchten sich also nicht aufzuregen. Der König ist gerecht. Der junge Mann hat bekommen, was er voll und ganz verdient.

Es ist eine moralische Geschichte. Und die Moral ist, dass man sich Mühe geben und etwas zu Wege bringen soll. Sei fleißig, sagt die Erzählung. Auf diese Weise kannst du in kürzester Zeit einen ganzen Tagelohn verdienen. Jesus hat die Geschichte sicher von irgend jemandem erzählt bekommen, vielleicht sogar mit einem erhobenen Zeigefinger. Sieh selbst, es kommt darauf an, etwas zu leisten. Aber als er die Geschichte selbst erzählt, gibt er ihr eine Wendung, bei der der erhobene Zeigefinger verschwindet und etwas völlig Neues zum Vorschein kommt.

Die Geschichte aus dem Matthäusevangelium handelt von einem Weinbergbesitzer, der laufend Tagelöhner für die Arbeit im Weinberg einstellt. Manche für zehn Stunden, andere für sieben und einige sogar für nur eine Stunde. Aber der Besitzer bezahlt allen Arbeitern denselben Lohn, ohne Rücksicht darauf, wie lange und wie hart sie gearbeitet haben - und das empört die, die am meisten Stunden gearbeitet hat. Sie finden, dass sie benachteiligt werden, weil sie keinen höheren Lohn bekommen.

Da tritt - gegenüber der jüdischen Geschichte - eine Überraschung ein. Der Weinbergbesitzer sagt keinen Ton davon, dass die, die nur eine Stunde gearbeitet haben, besonders fleißg gewesen wären, so dass sie einen ganzen Tagelohn verdienen. Aber zu einem von denen, die sich benachteiligt fühlen, sagt er: Mein Freund, hatten wir nicht einen Denar vereinbart? Ja, gewiss hatten sie das. Sie waren sogar über die Vereinbarung froh gewesen. Sie war gut. Der Tag war gerettet gewesen.

Der Tag war gerettet, bis die zuletzt Angekommenen auch einen Denar bekamen. Da verliert ihr eigener Denar seinen Wert, finden sie. Der Besitzer sagt: Haben wir uns nicht auf einen Denar geeinigt? So nimm, was dein ist, und geh! Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht machen, was ich will, oder bist du etwa verärgert, weil ich gut bin?

Das ist nun kein moralischer Zeigefinger, dem die Zornigen und Benachteiligten hier gegenüberstehen. Es ist vielmer eine unermessliche Güte. Alle erhalten einen Denar. Alle bekommen Lohn, so dass der Tag gerettet ist, auch die, die nicht das Recht auf einen ganzen Denar haben. Dieser Weinbergbesitzer legt offenbar keinen Wert darauf, was die Leute verdienen. Er ist überaus großzügig.

Die Zornigen sind nicht deshalb zornig, weil sie zu wenig bekommen haben, sie sind zornig, weil es den anderen so gut geht. Eigenes Glück ist eine gute Sache, aber das Unglück anderer ist auch nicht zu verachten, heißt es in einer alten bitteren Redensart. Dass es anderen gut geht, obwohl sie es nicht verdient haben, damit können wir uns nur schwer abfinden.

Bist du verärgert, weil ich gut bin? Das ist eine ätzende Frage. Ist es in Wirklichkeit die Güte, vor der du Angst hast? Kannst du es nicht ertragen, dass es deinem Bruder gut geht?

Man kann sehr wohl merken, dass es hier nicht um Lohnpolitik geht. Jesus spricht nicht von den Zuständen am Arbeitsplatz. Das Gleichnis handelt vom Reich Gottes. Das Reich Gottes ist da, wo das Vorzeichen für das Leben von Menschen nicht Selbstgerechtigkeit, nicht Missgunst, sondern unverdiente Güte ist.

Als Henrik Pontoppidan sein erstes Kind auf dem Arm hielt, sagte er: wir sind insolvente Schuldner. Er wusste in seinem innersten Wesen, dass all das Gute, das uns hier im Leben zuteil wird, ganz und gar unverdient ist. Wir stehen unafhörlich in Schuld, und das ist gut. C.V. Jørgensen (ein dänischer Sänger) sagt es auf seine Art: "Bereichert und in unendlicher Schuld." Und das ist auch gut. Oder wie es bei Jens Christian Hostrup (1818-19892, dänischer Schriftsteller und Pastor) heißt:

In dem Glauben ans Leben wird es erfahren.

In der Liebe zum Leben wird es erklärt.

Im Wagnis des Lebens wird es verteidigt.

Im Geben des Lebens wird es bewahrt.

Es ist doch völliger Unsinn, seinen Eltern die Frage zu stellen: Was bekomme ich dafür, dass ich euer Sohn oder eure Tochter bin? Oder an seine Geliebte / seinen Geliebten: Was bekomme ich dafür, dass ich dich gern habe? Oder welchen Sinn macht es zu fragen: Was bekomme ich dafür, dass ich mich des Morgens über die Sonne freue? Oder dafür, dass ich meine Arbeit tue und dabei mein Äußerstes gebe?

Du hast im Grunde überhaupt kein Recht, für all das Bezahlung zu verlangen. Es ist doch dein Leben, das dir gegeben ist. Niemand schuldet dir etwas. Wir bekommen sehr viel mehr als wir verdienen.

Christus kommt ja nicht mit dem, was wir unter Gerechtigkeit verstehen. In der Nacht, als er verraten wurde, gibt er Judas und Johannes Brot und Wein, dem Guten und Bösen, Schuldigen und Unschuldigen. Hier begegnen wir einem Großmut, einer Tiefe der Liebe, die niemand ausloten kann, ohne die aber niemand leben kann. Er gibt uns unseren täglichen Denar.

Nimm ihn an dich und geh!

Oder wie in einem Wirtshaus in Nørrebro (Bezirk in Kopenhagen) auf einem Schild steht: „Sie finden vielleicht nicht, dass Sie die Behandlung erfahren haben, die Sie verdienen - seien Sie froh darüber!"

Amen

 



Pastor Anders Kjærsig,
DK-5792 Årslev
E-Mail: ankj@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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