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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae/Holocaust-Gedenktag, 27.01.2013

Predigt zu Matthäus 22:23-33, verfasst von Uwe Vetter

  

Am Jisroel chaj.

Was wird aus dem Holocaustgedenken ?

(Übertragung in Anlehnung an die Interliniear-Übersetzung)

An jenem Tag trafen sich Sadduzäer (Priester nach der Ordnung des Priesters Zadoks) mit ihm, die lehrten, es gebe (in der Thora) keine Auferstehung. Und sie befragten ihn und sagten: „Geehrter Lehrer, Mosché hat gelehrt: ´Wenn jemand stirbt, ohne Kinder zu hinterlassen, soll sein Bruder die Witwe in Schwagerehe heiraten und ihr und seinem Bruder Nachkommen schaffen`. - Gesetzt den Fall, wir hätten da sieben Brüder. Und der erste heiratet und stirbt, ohne Nachkommen. Er hinterlässt seine Frau seinem Bruder; dem zweiten geht es genauso, und dem dritten, bis zu allen sieben. Zuletzt stirbt auch die Frau; (wie ist das nun, wenn es Auferstehung der Toten gäbe) in der Auferstehung nun, wessen (Frau) der sieben (Brüder) wird sie denn nun sein? Alle hatten sie ja zur Frau gehabt." - Da antwortete Jesus und sagte ihnen: „Ihr irrt euch. Ihr kennt weder die Thora noch kennt ihr die Macht (Dynamis) Gottes. Denn in der (kommenden Welt der) Auferstehung werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie Engel im Himmel. Aber habt ihr denn überlesen, was in der Thora von der Auferstehung der Toten steht, was Gott (gerade) euch (Priestern) darüber sagt? ER sagt: >ICH bin der Gott Abrahams (Elohéj Avrahám) und der Gott Isaaks (Elohéj Jitzchák) und der Gott Jakobs (Elohéj Ja´akóv)<(2.Mose3:6) - mitnichten ist Er der Gott der Toten, sondern der Lebenden!" (Daher müssen, wenn Gott sich zu Abraham stellt und zu Isaak und zu Jakob, diese auferstanden sein und leben. Folglich lehrt die Thora die Auferstehung von den Toten). - Und die Leute, die das mitgehört hatten, gerieten außer sich über seine Lehre.

Vor dem HERR werden knien alle,

die ihre Seele nicht am Leben halten konnten.

Ihre Nachkommen werden Ihm dienen. (Psalm 22:30f)

„Irgendwann muss Schluss sein", denken manche, heute, am Holocaustgedenktag. „Mann kann nicht ewig trauern, nicht endlos die gleichen erschütterten Reden halten", heißt es. „Wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind, sollten die Toten ruhen". - Andere erschreckt so etwas: „Die Zeit heilt nicht alle Wunden", sagen sie. „So wenig man Trauer verordnen kann, so wenig kann man sie verbieten. Es berührt mich", sagen sie, „es geht mir nach, es geht mich an". - Holocaustgedenken, wie soll das werden, aus zweiter Hand? Wie kann Holocaustgedenken weitergehen, wenn das Leben weitergeht?

I

Lassen Sie uns den Himmel fragen. Der hat - wie mir scheint - eine Antwort in jener Szene versteckt, wo Jesus mit den Zaddok-Priestern verhandelt. Gott ist kein Gott der Toten, sagten die Priester. Und mit uns gibt's hier keinen Ahnenkult, sagten sie. Und wir wollen nicht aus Gräbern regiert werden und wir wollen nicht auf Friedhöfen wohnen, da waren sich alle einig. So fern der Morgen ist vom Abend, so fern haltet den Heiligen, gepriesen Sein Name, von allem fern, was mit Gestorbenem zu tun hat. Und dann nehmen die Priester den - in ihren Augen naiven - Volksglauben aufs Korn, der sich Auferstehung der Toten wie einen Fortsetzungsroman vorstellt. Sie konstruieren eine absurden Fall von einer Frau, die siebenmal Witwe wird und im Himmel plötzlich sieben Ehemänner am Hals hat. Wie kommt man aus diesem Dilemma wieder raus, fragen sie den Christus.

Und der sagt: Ihr habt Recht. Es gibt eine volkstümliche Vorstellung vom Auferstehungsleben im Himmel, die so tut, als ginge dort alles weiter wie gewohnt, wie hier. So ist es nicht. Und Recht habt ihr, Gott ist wirklich kein Gott der Toten. Wir treiben keinen Totenkult. - Trotzdem, sagt der Christus, geht etwas, wenn bei uns nichts mehr geht. Wenn Gras über uns wächst und der Menschenverstand sagt: Es muss endlich Schluss sein, dann öffnet der Himmel ein Fenster. Und es bewegt sich was zwischen Trauer und Vergessen. Das ist nicht Wunschdenken, das könnt ihr Priester in der heiligen Thora lesen. Wisst ihr, sagt Jesus, der Christus zu ihnen, wisst ihr, wie Gott dem Mose am Dornbusch begegnet und sagt: >ICH bin der Gott Abrahams (Elohéj Avrahám) und der Gott Isaaks (Elohéj Jitzchák) und der Gott Jakobs (Elohéj Ja´akóv)<(2.Mose3:6) ? Als Gott diese drei Namen erwähnt, sind Abraham, Isaak und Jakob seit Jahrhunderten tot. Gras ist über sie gewachsen. Es gibt keine Angehörigen, niemanden, der das Kaddisch spräche und trauerte. Eigentlich müsste längst Schluss sein. Doch Gott sagt: ICH bin (1) der Gott Abrahams ... Was ist das ? Entweder hält Gott Totenwache bis in Ewigkeit ? Oder - mit Abraham ist es anders als es uns scheint.

Die Episode MatthEvg 22, in manchen Bibelausgaben mit „Die Sadduzäerfrage" überschrieben, hat eine speziell-für-Priester-Pointe, die den Gesprächsgang leitet. Die Priesterschaft zu Zeiten Jesu wurde, weil sie sich in der Tradition des Schulgründers Zadók formierte, „Zaddokiden" oder „Sadduzäer" genannt. Sie bildeten, wie der Zeitzeuge Josephus beschrieb, einen eigenen Stand, vielleicht gar eine Art ´Priesterkaste` in der Stadt des Tempels, in Jerusalem. Sie stellten den (bzw die beiden) jährlich wechselnden Hohepriester, mit gewaltigem, auch politischen Einfluss. Sowohl Priester wie die Laienbewegung der Pharisäer hatten ´Schriftgelehrte`, die um die rechte mündliche Auslegung, die Anwendung der Gottesbotschaften in der Heiligen Schrift rangen. Während bei den pharisäischen Rabbinen die ganze Schrift - Thora, Prophetenbücher und Heilige Schriften (TeNaCH) - nahezu gleichrangig geschätzt wurde, bevorzugten die Priester die fünf Thora-Bücher, in denen der Priesterdienst beschrieben war. Sie betrachteten sie wenn nicht als einzige Grundlage, so doch als Norm für die anderen Bibelbestandteile. Es galt, was in der Thora fundiert war. Die Auferstehung der Toten war ein Glaubenssatz, der im pharisäisch-rabbinischen Judentum zum ersten Rang zählte. Belegstellen dafür fand man in den Psalmen und in den Prophetenbüchern, kaum aber explizit in den fünf Mosebüchern - diese Ansicht vertraten zumindest die schriftgelehrten Priester und spotteten über die oft sehr blumig und wenig logisch ausgemalten Auferstehungshoffnungen der von den Pharisäern beförderten Volksfrömmigkeit. Das absurde Fallbeispiel mit der Frau, die siebenfach Witwe wurde und im Himmel mit komplizierten Eherechten ihrer sieben Männer konfrontiert würde, dem rabbinischen Lehrer (Meister) Jesus als Fangfrage vorgelegt, trieft von Ironie und ist genau das, was sie ist: ein Versuch, den Auferstehungsglauben ad absurdum zu führen. - Die Antwort Jesu bedient sich eines zweiten Glaubenssatzes, dem Priestertum sakrosankt, war der, dass Gott der Lebendige ist, der sich in keiner Weise mit Totenkult dienen lässt. Es galt als Blasphemie, Heiliges mit Totem in Berührung zu bringen. Leichname machen unrein. Friedhöfe lagen vor der Stadt, und gläubige Juden, die auf alte Priesterfamilien zurückgehen, wohnen bis heute nicht Beerdigungen bei, es sei denn, es handle sich um engste Angehörige wie Eltern oder Kinder (so erzählte es ein Professor am JTSA). Gott ist Leben und Tod ist Ferne. Mit Blick auf diese schroffe Diastase bekommt die Argumentation Jesu ihren Sinn: Wenn Abraham lange gestorben ist, und Gott sich trotzdem als Gott-Abrahams vorstellt, aber keinesfalls mit Totem umgeht, dann k a n n Abraham nicht tot sein, er m u s s auferstanden sein, weil Gott sich eben nicht mit Toten umgibt. Da sich diese Vorstellungsformel >Ich bin der Gott Abrahams< nun mitten in der Thora, im 2.Buch Mose Kap.3 Vers 6 findet, was jeder Priester natürlich wusste, war bewiesen, dass die Thora einen Gotteshinweis auf die Auferstehung der Toten enthielt.

- Dies ist die historische Dialogsituation gewesen. Vor jeder neuen Hörerschaft gebiert dieselbe Geschichte neue spezifische Pointen. Der Holocaust-Gedenktag - am 27.Januar, dem Datum der Befreiung des KZs Auschwitz - scheint ein Tag nur der reinen Totenklage zu sein. Es sei denn, der Gottesspruch >Ich bin der Gott Abrahams< gelte noch und bestreite dem Tod, das letzte Wort. Davon handeln die Auferstehungsgeschichten der ganzen Bibel und im Gefolge diese Predigt hier.

Liebe Gemeinde, manchmal braucht die Bibel bestimmte Orte, um zu fermentieren. Mir sind diese Namen auf der Visitenkarte Gottes - Abraham und Isaak und Jakob - an zwei Orten begegnet. Der eine ein Friedhof, der andre das Gegenteil. Und da, in zwei Schritten, hab ich etwas erlebt, was mich bis heute nicht losgelassen hat.

II

Der erste Ort lag in Polen. (1984/5) Wir hatten eine Studienfahrt mit dem Vikarskurs nach Warschau und Krakau gemacht. An einem nasskalten Morgen standen wir auf der berüchtigten Kopfsteinpflasterstraße im Lager Majdanek. Zur Rechten reihten sich die düsteren Lagerholzbaracken, in denen alte Originalstücke ausgestellt waren. Eine Baracke war die mit den Koffern, mit Bergen von Koffern. Und auf den Koffern waren mit weißer Farbe, groß und dick, Namen gepinselt. Abraham Rosen, Isaak Bocholder, Jakob Grünschlag, Sarah Süß, Leah Gutman(2). Auf jedem Koffer stand in weiß der Name von einem, der ein Leben hatte, das er nicht leben durfte. Wir standen da und lasen die Namen, und dachten: Was hat es diesen Leuten genutzt, dass sie an Gott geglaubt haben? Was hats ihnen geholfen, dass Gott der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs ist? Vor diesen Koffern bekam der Jesusspruch Gott ist der Gott der Lebenden einen eiskalten Klang, als machte Gott einen großen Schritt über diesen Berg von Koffern hinweg: Ich bin hier nicht zuständig. In dieser Baracke hab ich mich gefragt, ob es Sinn macht, einen Beruf zu lernen, der einen Gott verkündet, der sich nur mit denen abgibt, die Glück haben und überleben. In Majdanek kommen einem unfassbar trostlose Gedanken. Und da solches das Volk hörte, entsetzten sie sich über seine Lehre.

Zehn Jahre später haben wir uns wieder getroffen, dieselbe Bibelgeschichte, und ein Trupp von Abrahams und Isaaks und Jakobs, am andern Ende der Welt. Ich habe mehrfach davon erzählt, wie ich für ein ´Sabbatical` in eine jüdische Hochschule in NewYork gezogen bin. „NewYork", das klingt extravaganter als es in diesem Fall ist. Das Jüdisch Theologische Seminar von Amerika (JTSA, Rabbiner- und Kantoren-Ausbildungszentrum des Konservativen Judentums) in Manhattan, Upper West Side, 122 Straße, war kein touristisches Ausflugsziel. Wer im Studentenwohnheim wohnte, fügte sich ein in die Riten und Gebräuche des praktizierenden Judentums. Ich kochte, recht und schlecht, koscher in zwei Küchen, trennte Milchgeschirr und Fleischgeschirr, stellte am Shabbath zwei Kerzen auf den Tisch und aß Aufgewärmtes, fuhr Aufzug, der - damit man keinen elektrischen Schalter betätigen (d.h. kein Feuer machen) musste - sich selbsttätig auf und ab bewegte und nahm am Wochenrhythmus der Gebetszeiten teil. Auf dem Campus gab es zahllose Andachts- und Synagogenräume. Aber zu den Shabbath-Gottesdiensten war es üblich, auszuschwärmen und eine Synagoge irgendwo draußen aufzusuchen.

Ich hatte mir die konservative Bnej-Jeschurun-Gemeinde an der 86.Straße ausgesucht. Und genau dort traf ich sie, die Abrahams, die Issaks und die Jakobs, zu denen Gott sich aktuell bekannte.

III

Es sei ein Erlebnis, hatte man mir gesagt. Man müsse aber frühzeitig dort sein, um noch einen Sitzplatz zu ergattern, hatte man eindringlich hinzugefügt. Und vergiss deine Kipa nicht. Die Bnej-Jeschurun-Gemeinde traf sich, in Ermangelung eines eigenen großen Gottesdienstraums in einer Kirche, in der methodistischen St.Peter´s and St.Andrew´s Church. Holzgetäfelter Saal mit etwa 450 Plätzen, einschließlich der Reihen auf den Emporen. Das Kruzifix war von einer Leinwand verhängt, mit der Textzeile des alten Hinei-Ma-Tov-Kanons: „Siehe, wie ist es gut, wenn Geschwister in Einheit leben", davor zwei siebenarmige Leuchter. Die Gussbeton-Engel der Kirche schauten gleichmütig herunter auf gigantische Lautsprecherboxen, die die Apsis beherrschten. Der Thoraschrank war so groß, dass man annehmen durfte, er stand immer dort, auch während der christlichen Gottesdienste. Neben dem Lesetisch des Rabbiners ein Keyboard, dahinter der Kantor. Ich wartete leicht skeptisch, was das wohl werden sollte.

Bereits eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn waren über 200 Menschen eingetroffen. Kleine Kinder im Buggy und alte Leute mit Gehhilfen. Derbe Gestalten in Sweatshirts. WallstreetBanker in dunkelblauer Uniform neben Anwaltstypen mit Aktenkoffer auf dem Heimweg vom Büro. Mondäne Damen unter monströsen Hüten zwischen abgehungerten Broadway-Tänzerinnen und Hippies in den besten Jahren. Eine Gruppe von Gays von vornehmem Benehmen im Gespräch mit alten Männern in langen schwarzen Mänteln mit Kipas der Orthodoxie. Der Kirchsaal hatte sich bald bis auf den letzten Platz gefüllt. Dann - es waren bis Gottesdienstbeginn noch einige Minuten - begann der Kantor/Chassán in das ausgelassene Begrüßen, Geplauder und Platznehmen hinein eine Melodie zu spielen, zuerst kaum hörbar. Nach und nach zeichnete sich etwas wie russische Folklore ab. Wie auf ein Zeichen fiel die Gemeinde in diese wortlose Musik ein. 450 Menschen summten und sangen das langsame an- und abschwellende Leilalei mit. Das Keyboard führte den Gesang in eine zweite, eine dritte Melodie. Dann stoppte es. In die versammelte Stille hinein begrüßte ein junger Rabbiner mit hartem südamerikanischen Akzent. Die Shabbathabendliturgie begann. Streng nach dem Gebetbuch (Siddur Sim Shalom) wurden eineinhalb Stunden vorgeschriebene Psalmen und Gebete gesungen, dieselben Texte Woche für Woche, nichts Besonderes.

Aber was sich dabei ereignete, war einzigartig, ich nenne es „Vereinigung". Vereinigung von oben und unten, von reich und arm, von heute und gestern. Diese jüdische Gottesdienstgemeinde dort entsprach in meiner Sicht exakt dem Durchschnitt der UpperWestSide-Bevölkerung - nüchterne und herzliche, harte und sozial engagierte NewYorker, einmal Woody-Allan-haft pessimistisch und dann wieder schäumend verrückt, aufs Durchsetzen trainiert und durch eine brutale berufliche Auswahl geprügelt, im nächsten Moment hoch emotional und überwältigend hilfsbereit - unter der Wirkung dieser Gottesdienstmusik, ihrer Rhythmen und ihrer immer wiederkehrenden Worte verwandelten sie sich. Während die Gemeinde ihre Gebete und die Bibeltexte sang, während sie sich in den wechselnden Tempi alter chassidischer Melodien wiegte, erwachte etwas, das offenbar in ihnen schlief. „Wenn ich die Augen schließe", sagte ein alter schwarz gekleideter Orthodoxer (den ich später in der UpperEastSide in einem Zahnarztwartezimmer wieder traf und fragte, was Orthodoxe in einer konservativen Synagoge verloren hätten), „steh ich in neben meinem Vater in unsrer alten Wiener Schul und tanze mit den Tönen". „Tanzen" war wörtlich zu nehmen. Wenn im Gottesdienst das LechaDodi gesungen wurde (dieser Ohrwurm von Schlomo Alkabez, den es in tausend Melodien gab) und das Lied sich bis zu der Strophe steigerte, wo die Gemeinde aufsteht und sich zum Eingang drehte, um symbolisch die Schabbathbraut willkommen zu heißen, drängten sich Leute plötzlich aus den Bankreihen. und begannen in einer langen Schlange durch die Kirche zu tanzen: Alte und Kinder, steife Männer in Bürouniform und stöckelbeschuhte Damen, halbstarke Jugendliche und ernste Herren mit Schläfenlocken, Abrahams und Jeremys, Sarahs und Lisas, Michaels und Jitzchaks, Jacobs und Rivkas und Davids und wir die Kinder Israel heute heißen.

Jeden Freitagabend, wenn ich diese jüdischen Menschen dort ihre Gebete Tanzen sah, meldete sich der Satz Jesu: Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden. Schau hin, sagte er, schau genau hin, siehst du? Am Jisroel chaj. Das Volk Israel lebt.

*

Es klingt unangemessen, und vielleicht verletzt es sogar den einen oder die andre. Aber seither ist der Holocaustgedenktag bei mir nicht allein dem Schrecken und dem Totengedenken überlassen. Mir drängt sich ein Trupp Menschen ins Bild, in denen das Volk Israel weiterlebt, mit einer Dynamis, die Atem beraubend ist. Es sind die Nachkommen und die Kinder, die ihr Leben leben als bräuchte es zwei, überbordend und hungrig und trotzig, gegen diese Vergangenheit und gegen die brütenden Antisemitismen allüberall. Wenn sie ihre Gottesdienste feiern, dann scheint es, als käme der Ewige dazu mit einem ganzen Gefolge aus Abrahams und Isaaks und Jakobs, die bei Ihm wohnen, aber auch irgendwie in ihren Kindern und Enkeln und in der Musik und in den Gebeten und der Sprache der Bibel. Ich weiß nicht, wie der 27.Januar in ein paar Jahren aussehen wird. Ich würde die Namen verlesen, wie eine Gästeliste, und nach Menschen forschen, wer sie waren. Vielleicht werden wir merken, dass sie sind.

Amen.

 



Pfarrer Dr. Uwe Vetter
40212 Düsseldorf
E-Mail: uwe.vetter@evdus.de

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