Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Sonntag vor der Passionszeit Estomihi, 10.02.2013

Predigt zu Lukas 18:31-43, verfasst von Andreas Pawlas

 


Jesus nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war. Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei. Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: Was willst du, das ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.


Liebe Gemeinde,


Wenn jemand jetzt sagen würde „Hier passt doch nichts zusammen!", was sollte ich ihm da wohl antworten? Denn wo ist da der Zusammenhang, wenn uns zunächst berichtet wird, wie Jesus eine so dramatische Auskunft über sein künftiges Geschick gibt, aber dass es dann es mit einem Male mit diesem blinden Bettler weiter geht einschließlich dieser merkwürdigen Frage, die Jesus dem blinden Bettler stellt, „Was willst du, dass ich für dich tun soll?"


Und wie können wir es dann weiter zusammen bekommen, dass wir uns mit diesem ernsten Bibelabschnitt, auf das Passionsgeschehen einstellen wollen, aber da tobt um uns herum „der Bär"! Denn zumindest in den Medien ist Fasching und Karneval, Heiterkeit, Spaß und gute Laune angesagt. Nein, Predigtwort und Predigtzusammenhang müssen für uns einfach verworren und rätselhaft sein. Aber was dabei nun völlig irritiert, ist, dass es da mitten in unserem Bibelabschnitt und genau auf uns zugeschnitten heißt: „Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war."


Und was heißt das jetzt? Etwa innerlich abschalten? Oder einfach nach Hause gehen? Oder könnte man nicht vielmehr hellhörig werden, dass genau diese Verständnislosigkeit doch von den Jüngern Jesu berichtet wird, von diesen unseren großen Vorbildern im Glauben? Da müssten wir uns doch in diesem gemeinsamen Nichtbegreifen irgendwie verbunden fühlen! Ja, was spricht eigentlich dagegen, dass wir einmal so etwas versuchten, wie in den Kreis der Jünger einzutreten, durchaus mit allen unseren Fragen und mit allem unseren Kopfschütteln. Und dabei wären wir uns sicherlich schnell mit den Jüngern einig, dass einen zunächst in diesem Bericht beschäftigt, warum denn nur Jesus den blinden Bettler fragt: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?"


Und warum verstehen wir und die Jünger diese Frage denn nicht? Könnte das etwa daran liegen, weil für uns der Zusammenhang so vollkommen klar erscheint? Denn, bitte, worin besteht wohl das Problem eines blinden Bettlers? Doch dass er nicht sehen kann. Und wer denkt da nicht automatisch daran, dass deshalb natürlich seine Augen repariert werden müssen, so etwa, wie das jedermann von seinem Fotoapparat kennt? Und wenn in einem Fotoapparat die Fotolinse kaputt ist, dann muss man eben eine neue, heile einsetzen, mit der unsere Wirklichkeit dann wieder richtig abgebildet werden kann. Heilung als Reparatur und Einsetzen neuer Teile. Gott als der große Mechaniker des Universums, der alle Teile zusammengesetzt hat. Und Christus als sein bevollmächtigter Sohn, der dann eben alles wieder reparieren kann, was kaputt gegangen ist. Wenn das nicht logisch klingt! Dennoch: genau aus dieser Perspektive heraus muss alles völlig unverständlich bleiben!


Aber vielleicht kommen wir jetzt ganz anders weiter. Und dazu hilft uns sicherlich die Beobachtung, dass überhaupt nicht überliefert ist, weshalb der blinde Bettler nicht sehen kann. Ist es denn wirklich seine Augenlinse, die getrübt oder verletzt ist? Geht es darum überhaupt um eine darauf bezogene medizinische Heilung? Das wissen wir nicht. Obwohl ich hier Jesus gegebenenfalls auch alle Heilung zutraue.


Jedoch, weil dieser Heilungsbericht mit dem Hinweis auf den Leidensweg Jesu zusammen steht, deshalb scheint mir, dass das eigentliche Thema, um das es hier geht, letztlich der geheimnisvolle Zusammenhang von Sehen und Verstehen ist. Und da könnte es doch durchaus sein, dass der blinde Bettler zwar hell und dunkel, Figuren und Farben sehen kann, dass er sie aber nicht zu verstehen und zu deuten vermag. Die Schatten und Bewegungen, das Licht und die Farben bleiben für ihn rätselhaft, etwa genauso, wie wir zuerst rätselten, was die Frage Jesu an den Blinden bedeutet. Und genauso, wie wir rätseln, was das alles mit dem Hinweis Jesu auf seine Passion zu tun haben sollte. Aber für mich klingt das so, als wenn eben beides mit dem großen Geheimnis von Sehen und Verstehen, Wahrnehmen und Deuten zu tun hat.


Natürlich wissen wir, wie viele Menschen es gibt, für die immer alles einfach und klar ist und die deshalb meinen, dass es am Sehen nichts deutend zu verstehen gibt. Aber wie sollte das richtig sein!? Schauen wir allein auf das berühmte Beispiel von dem Trinkglas, wo die einen betrübt klagen: „Wie traurig, das Glas ist ja schon halb leer!", währenddessen die anderen jubeln: „Seid mit uns fröhlich, denn das Glas ist noch halb voll!"


Und was dabei nur zu deutlich wird, ist doch, wie sehr offenbar richtiges und hilfreiches Sehen von einem deutenden Verstehen abhängt; wie sehr es offenbar vielfach mit dem zusammen hängt, wie uns zumute ist und was wir glauben. Wie wichtig darum, dass es unseren kleinen Kindern gut geht, wenn sie in diesem erstaunlichen Lernprozess vom Sehen und dann Be-greifen beginnen wollen, unsere Welt zu verstehen. Allerdings wissen wir genug davon, wie oft, gerade das, wie uns zumute ist und was wir glauben, erschüttert wird, wenn wir auf Schicksalsschläge und Lebensirrwege schauen und nicht mehr aus noch ein wissen.


Wenn wir also derart unsere Wirklichkeit zwar sehen, aber nicht mehr begreifen können, was sollte da etwa das Einsetzen neuer Augenlinsen helfen können? Übrigens war das bestimmt auch so bei einem guten Freund, der plötzlich nach dem Tod seiner innig geliebten Mutter nicht mehr sehen konnte. Mehr als drei Jahre war er richtig blind, ehe er dann tatsächlich wieder sehen konnte. Aber wir begriffen damals durchaus, dass ihm mit dem Tod seiner Mutter die ganze Welt verdunkelt wurde, und er eigentlich darum auch nichts mehr von dieser schlimmen Welt sehen wollte.


Und darum frage ich mich jetzt, ob vielleicht Jesus genau vor solchem Hintergrund zu dem blinden Bettler spricht, dass dem Bettler eben durch etwas unbegreiflich Schlimmes die ganze Welt verdunkelt wurde, und dass er darum nichts mehr sehen und verstehen konnte - völlig unabhängig von seinen Augenlinsen.


Allerdings schreit er ja auch gar nicht nach Augenlinsen! Sondern er schreit ja ganz bewusst nach Jesus als Davids Sohn. Aber warum sollte das wichtig sein? Doch weil der Ehrentitel Davids Sohn für den steht, der nach Gottes Plan und Verheißung in die Welt kommt, um die Welt zu retten. Der Schrei nach Jesus als Davids Sohn heißt also eigentlich, sich darauf verlassen wollen, dass nach Gottes Plan und Verheißung alles seinem Ziel zugeführt werden soll, wo es dann vielleicht gar nicht mehr darauf ankommt, ob eigene Wünsche und Hoffnungen erfüllt oder körperliche Gebrechen beseitigt werden, sondern allein darauf, in Gottes Hand unverlierbar und wunderbar geborgen zu sein. Deshalb ist für mich die Frage Jesu, Davids Sohn, an den blinden Bettler „Was willst du, dass ich für dich tun soll?" ganz eng verbunden mit dem Einverständnis darüber, diese Welt, so wie unser Gott ihr Sinn und Erfüllung gibt, sehen und verstehen zu wollen. Und genau das will offenbar der Bettler. Und das glaubt und bekennt er eben mit seinem Schrei nach dem Sohn Davids. Und deshalb sagt Jesus ihm dann am Ende auch: „Dein Glaube hat dir geholfen". Ja, der blinde Bettler darf, weil er glaubt, dann richtig sehen und verstehen - die ganze Welt und sein ganzes Leben. Und als dann Jesus derart das Geheimnis des Sehens und Verstehens für ihn löst, da tut der Bettler sofort das, was man angesichts dieses Geheimnisses wirklich nur tun kann: Er folgt Jesus nach und preist Gott. Ja, wer im Blick auf unsere gesamte Wirklichkeit auch in tiefer Not sehen und verstehen kann, mit wie viel großen Geheimnissen Gott uns in seiner Güte umgibt, der merkt von ganz allein, dass man Gott darüber nur loben kann.


Und nun gehört genau zu diesen großen Geheimnissen mit denen uns Gott in seiner Güte umgibt, und die es zu sehen und zu verstehen gilt, auch der Weg Jesu nach Jerusalem ans Kreuz, so brutal und vernichtend er auch aussieht. Dabei gibt Jesus doch seinen Jüngern eine Hilfe zum Verstehen, indem er sagt, dass dadurch alles vollendet werden wird, von dem Menschensohn durch die Propheten was geschrieben ist. Und genau auf diesem von Gott gewiesenen Weg wird Jesus überantwortet werden den Heiden, verspottet, misshandelt und angespien werden, gegeißelt und getötet. Aber am dritten Tage wird er auferstehen. Vor der Erlösung steht also das Leiden. Durch das Leiden zur Erlösung. Das ist uns nicht unbekannt. Und das dürfen wir manchmal auch selbst erfahren: Erst die schmerzhafte Operation, dann die Heilung. Allerdings die Jünger begreifen das Geheimnis nicht, dass die Menschheit dadurch erlöst wird, dass Jesus dabei stellvertretend für uns Menschen leidet. und dass darum wir als Menschen nicht mehr alles Leid unseres Lebens selbst tragen müssen.


Nein, die Jünger begreifen das Geheimnis nicht. Davon ist uns berichtet. Erst später haben sie es dann verstanden und es begeistert und dankbar an uns Nachgeborene weitergegeben. Aber wie geht es da uns dabei? Kann uns dieser biblische Bericht vom Sehen und Verstehen wirklich helfen, auch auf unser eigenes Leben schauen, und dabei endlich zu begreifen, wo uns durch Christus die Augen über unser Leben aufgetan werden sollen, oder wo Christus durch seinen Weg ans Kreuz uns ganz persönlich alle Last und Kummer, Schmerzen und Schuld abnehmen soll und will, aber auch, welche Aufgaben wir dann in Gottes Namen anfangen sollen? Ich weiß, das ist für unsere heutige Spaßgesellschaft alles sehr sehr schwer zu verstehen und uns fast völlig verschlossen.


Aber bleibt uns deshalb nur, auf den Bericht über das Leiden Jesu und auch auf diese Heilungsgeschichte etwa wie ein Blinder in einen Rosengarten zu schauen und nichts von den Farben dort zu begreifen? Bleibt uns deshalb nur, für unser ganzes Leben oder allein für die kommende Woche nicht mehr damit rechnen zu können, dass es durch Gottes Hilfe hell und licht für uns werden und unsere Seele über so viele Farben und große und kleine Hilfen ganz froh werden kann? Also nur ein weiteres Tapsen im Dunklen? Oder sehen wir vielleicht doch bereits so etwas wie Lichtblitze und Zeichen, aber können sie noch nicht verstehen? Der Blinde am Wege wusste jedenfalls, was er in seiner Dunkelheit und Not zu tun hatte. Denn er rief: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!" Und ihm wurde geholfen! Und dann durfte er sehen und verstehen. Aber so zu Christus zu rufen: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!", das kann doch ein jeder von uns genauso. Und wenn wir das wirklich von Herzen tun, dann ist uns in Gottes Namen Hilfe zugesagt und dann dürfen wir bestimmt erfahren, dass geholfen wird, ja, dass sogar Schlimmes in Gutes verwandelt wird, entweder gleich oder dann später im Reich Gottes. Und dann dürfen wir auch erleben, wie durch die Zuversicht, dass Christus derart Gutes für uns tun wird, die Welt sogar wirklich anders aussehen kann!


Der blinde Bettler jedenfalls, der muss es wohl so gefühlt haben. Deshalb beginnt er ja auch froh und dankbar, Jesus nachzufolgen und Gott zu preisen. Gott gebe uns darum, dass wir genauso froh und dankbar Jesus nachfolgen und Gott zu preisen können jetzt und bis in alle Ewigkeit.

Amen.




Pastor i.R. Dr. Andreas Pawlas
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
E-Mail: Andreas.Pawlas@web.de

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