Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Sonntag vor der Passionszeit Estomihi, 10.02.2013

Predigt zu Lukas 18:31-43, verfasst von Christian-Erdmann Schott


Der Predigttext:

Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespieen werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.
Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei.
Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Die aber vornan gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn:
Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann.
Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.
Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.

Liebe Gemeinde,

Am Stadtrand von Mainz, am Beginn des Gonsenheimer Waldes steht eine Wallfahrtskirche, an deren Frontseite ein Kreuz mit einem lebensgroßen leidenden Christus aufgestellt ist. Dort ging vor einigen Wochen ein Vater mit seinem kleinen Sohn spazieren. Als der Sohn das Kreuz sah, fragte er: Warum haben die Leute den Herrn Jesus getötet? Die Frage war sehr berechtigt, denn im Kindergarten hatte der Junge nur Gutes von Jesus gehört: Jesus hatte schöne Geschichten erzählt, Armen geholfen, Kranke gesund gemacht. Dass er so grausam sterben musste, konnte er nicht verstanden.

Und ich füge hinzu: Aber nicht nur er, auch die Jünger haben es nicht verstanden. Auch von ihnen heißt es: „.....der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war".

Das Nichtverstehen wird noch größer, wenn wir uns klar machen, dass Jesus möglicherweise gar nicht am Kreuz hätte sterben müssen. Er hätte ja doch in seiner Heimat Galilä bleiben können. Dort kannten Ihn die Leute. Er hatte Anhänger. Und als still vor sich hin predigender Rabbi wäre er der Obrigkeit, also den jüdischen Religionswächtern und den römischen Besatzungsmächten, wahrscheinlich gar nicht weiter aufgefallen. Aber gerade das wollte Jesus nicht. Er wollte beachtet, gesehen, gehört werden. Er wollte provozieren und klar machen, dass er da ist, weil er von Gott einen Auftrag hat - den Auftrag, die Menschheit daran zu erinnern, dass Gott der Herr der Welt ist, dass die Welt ihm, dem Schöpfer gehört, und dass wir Menschen diesem unserm Gott, und nicht unseren eigenen ausgedachten Gottesbildern folgen sollen.

Jesus weiß, was das bedeutet. Es bedeutet - Kampf bis aufs Blut. Denn die etablierten Mächte werden die Herrschaft, die sie sch angeeignet, den Thron, auf den sie sich gesetzt haben, nicht ohne weiteres abgeben. Sie werden sich nicht zu dem wahren Gott, den Jesus Christus verkündigt, bekennen und sich ihm unterstellen. Lieber werden sie den Vertreter und Beauftragten Gottes, anklagen und beseitigen, um sich nicht ändern zu müssen. Das alles weiß Jesus. Trotzdem bricht er auf. Und hier, kurz bevor er loszieht, weiht er seine Jünger ein. Er erklärt ihnen, was er und was sie erwartet. Die Jünger überrascht es - sie können es eigentlich gar nicht richtig glauben. Ein Zeichen, dass auch sie zu diesem Zeitpunkt den Auftrag ihres Herrn im Grunde noch nicht wirklich verstanden hatten.

Sehr eindrucksvoll ist nun, zu sehen, wie Jesus seine Chancen einschätzt. Er sieht ganz deutlich, dass die Feinde versuchen werden, ihn zu beseitigen: „Er wird verspottet und misshandelt und angespieen werden, und sie werden ihn geißeln und töten". Das alles wird kommen und es wird furchtbar werden. Die Feinde werden als Sieger dastehen und er als Verlierer. Und trotzdem: Die Feinde erringen einen Sieg - aber nicht den Endsieg. Am Ende wird Gott es sein, der dem Sohn recht gibt, sich auf seine Seit stellt und ihn auferweckt - und damit vor aller Welt seinen Anspruch auf Anbetung, Lob und Ehre bekräftigt und hochhält.

So weit, liebe Gemeinde, stimmen die Evangelisten in ihrer Auffassung der Passionsgeschichte überein. Unterschiede gibt es bei der Ausführung. Wenn wir auf das Johannesevangelium sehen, dann zeigt sich, dass Jesus auf dem nun folgenden Leidensweg durch dieses Wissen um den Endsieg Gottes nicht nur einen sehr gefassten, sondern einen geradezu hoheitsvollen Eindruck macht. Er weiß Gott zu jeder Zeit auf seiner Seite. Das gibt ihm eine wunderbare Überlegenheit und Souveränität, mit der er den Verrat der Freunde, die Anläufe und Anwürfe, die Verleumdungen und Demütigungen der Feinde und schließlich auch den Tod ruhig und mit Würde aushalten und ertragen kann.

Etwas anders ist der Akzent im Lukasevangelium gesetzt - gut greifbar in unserem heutigen Predigtext. Lukas hat von Anfang an, von der Weihnachtsgeschichte an, das Kommen Jesu Christi als Stärkung für die Armen und Elenden beschrieben. Für Lukas ist Jesus vor allem Seelsorger. Und das ist er bis zuletzt, auch noch am Kreuz - denken Sie an das Gebet für die Feinde (Vater, vergib Ihnen,....), und an das Gespräch mit den Schächern. Die Elenden, die im Ansehen der Welt nicht oben an stehen, die im Dunklen sitzen, sind es vor allem, die ihn brauchen. Sie freuen sich über sein Kommen. Sie sind es dann auch, die ihn um Hilfe bitten, wie dieser Blinde in unserer Geschichte. Sie, die Bedürftigen, ahnen, dass in Jesus eine Kraft wirksam ist, die sie nirgends so finden; eine Kraft, die nicht von dieser Welt ist.

Damit ist dieser Blinde trotz seiner Blindheit der einzige Nichtblinde, der einzige tief und klar Sichtige in seiner so sehr geschäftigen Umgebung. Denn er, der nichts sieht, sieht, woher ihm Hilfe kommen kann. Darum schreit er Jesus nach. Er schreit, was er schreien kann, auch wenn er die Leute nervt. Er bleibt dabei und lässt sich auch nicht abwimmeln, weil er ahnt, dass diese Chance, dass sich Jesus ihm zuwendet, nie wieder kommt. Ja, in diesem Schrei nach Jesus drückt sich die ganze Sehnsucht und Hoffnung, der ganze Glaube dieses Mannes aus.

Die bei Jesus waren, fuhren ihn an, er solle schweigen." Das ist durchaus nicht abwegig dargestellt. Wir neigen leicht dazu, uns in Stunden der Not abzukapseln und nichts anderes mehr wahrzunehmen. Und so könnte man meinen, dass Jesus nun mit seinem Weg und mit seinem Kampf so beschäftigt ist, so konzentriert sein Ziel im Auge hat, dass ihm die Not am Wege nicht mehr wichtig ist. Aber bei Jesus ist das gerade nicht so. Bis zuletzt bleibt er seinem Auftrag treu, die Herrschaft Gottes anzusagen und durch Taten und Wunder zu bezeugen. Im Namen der Herrschaft und Kraft Gottes löst er den Blinden aus seiner Krankheit und stellt damit die von Gott gemeinte und gewollte Ordnung her.

Damit öffnet er über diesen einen Fall hinaus allen, die das hören, bis heute die Augen für die Möglichkeiten, die er hat und bereithält. In diesem Sinne ist die Erhörung der Bitte des Blinden auch gedacht als Ermutigung für alle Leidenden, dass sie sich durch diese wunderbare Gebetserhörung

auf der einen Seite aufgerufen und bestärkt wissen möchten, sich in ihrer Not an ihn zu wenden und nicht nachzulassen mit Bitten, Hoffen, Glauben, Rufen und Schreien,

sich auf der anderen Seite aber ebenso aufgerufen und bestärkt wissen möchten, die Erfahrung der Hilfe nun nicht egoistisch für sich zu behalten, sondern lobend und preisend öffentlich zu bezeugen und dankbar weiterzugeben, damit auch anderen Menschen die Augen geöffnet werden für die großen Möglichkeiten der Barmherzigkeit Gottes. Amen.

 



Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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