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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Sonntag vor der Passionszeit Estomihi, 10.02.2013

Predigt zu Matthäus 3:13-17 (dän. Perikopenord.), verfasst von Michael Wagner Brautsch


Es gibt ein Redeweise „Bis auf die Haut entkleidet werden“. Sie kann bedeuten, dass man geplündert wird, so dass man keinen Pfennig mehr hat, aber es kann auch bedeuten, dass man entlarvt wird, so dass man als derjenige dasteht, der man ist – im Innerten – ohne jedes Verteidigungmittel.

Johannes der Täufer war so jemand, der Menschen bis auf die Haut entkleidete. Er war Prophet, und deshalb durchschaute er die Leute oder jedenfalls sah er weiter als nur bis zu Oberfläche. Vor Johannes konnte man sich nicht dahinter verstecken, dass man nur so wegen der Tradition oder Kultur zu den Menschen Gottes oder der Kirche gehörte. Man konnte sich auch nicht hinter Lügen und Verschweigen verstecken. Johannes sprach zum tiefsten Inneren. Er sprach von Bekehrung zu einem ganz neuen Leben.

Kam der Reiche und gut Gekleidete und gut Situierte (aber dennoch der spirituellen Dinge wegen Besorgte) zu Johannes und fragte: „Was soll ICH tun?“ – dann würde Johannes sicherlich antworten: „Wer zwei Mäntel hat, soll mit dem teilen, der keinen hat“ und „der, der Brot und reines Trinkwasser hat, soll mit dem teilen, der es nicht hat“.

Und da wurden dann plötzlich der gut Situierte und die arme Witwe auf eine Stufe gestellt und mit derselben Forderung konfrontiert, denn KANNST du teilen, oder im Großen oder im Kleinen, so SOLLST du teilen.

Kam der Handwerksmeister oder Geschäftsmann oder Banker und fragte: „Was soll ICH tun?“, dann würde Johannes antworten: „Du darft nicht mehr Geld verlangen, als wozu du berechtigt bist.“ Und wenn man auf Kredit lebt und anderen zur Last fällt, dann würde er sagen: „Bezahl jedem das Seine!“

Johannes sagte den Menschen die Wahrheit. Er sah hinter das und sprach von dem, was wir vor anderen verbergen und was wir vor uns selbst verbergen. Und Johannes taufte sie in dem Fluss, denn die Taufe war und ist der Beginn eines ganz neuen Lebens. Wenn sie dann mit Johannes in dem Fluss standen, müssen sie sich entkleidet gefühlt haben bis zu mehr als dem Hemd und der Haut, denn Johannes hatte ja recht.

Und so manche Menschen müssen sich dann gesagt haben: „Von jetzt an will ich von meinem Brot und meiner Kleidung austeilen. Ich will von meinem Überfluss abgeben und andere Menschen in meinem Haus und meinem Land wohnen lassen. Ich will nicht mehr so rechthaberisch sein.“ Und andere werden vielleicht gesagt haben: „Von heute an will ich nicht mehr an anderen verdienen, nie mehr mehr nehmen, als mir zusteht.“ Jetzt sollte das Leben auf ganz neue Weise geführt werden – ein ganz neuer Anfang. Menschen haben – von jenem Mann angespornt – Lust bekommen, gegen Bosheit zu kämpfen und für ein gutes Leben zu kämpfen.

Manche kämpften – und kämpfen – vielleicht so hart mit sich selbst, dass sie härter wurden als Johannes. Härter gegen sich selbst im Urteil und in Forderungen und härter gegen andere. Das gehört oft zusammen. Denn die Nacktheit, die man erlebt, wenn man so entlarvt und „bis auf die Haut entkleidet wird“, diese Nacktheit KANN man mit einem Panzer aus Pflichteifer und Krampfhaftigkeit zudecken.

Andere gingen vielleicht weg von Johannes, konnten sich aber weder mit einem derartigen Pflichteifer schützen noch damit fertig werden, so nackt zu sein. Jeder Therapeut, Psychologe, jede Krankenschwester oder jeder Arzt weiß, wie gefährlich es ist, einem Menschen alle Mittel der Verteidigung wegzunehmen: Man wird so unglaublich verletzbar. Und kann man dann die Enttäuschung ertragen, wenn sich schnell herausstellt, dass eienm das neue Leben nicht recht gelingen will. Denn der nackt Mensch hat, auf den ersten Blick, nicht viel Waffen.

Und dann kam, von allen Menschen, Jesus eines Tages zu Johannes und wollte von ihm getauft werden. Und Johannes sah zum ersten und letzten Mal einen Menschen ganz ohne Lügen, ganz ohne Heuchelei, – einen Menschen, der einfach nur war. Hier gab es keine Schutzschicht, durch die man hätte hindurchrufen müssen.

Johannes konnte Jesus nicht einmal gute Ratschläge erteilen für ein neues Leben. Denn Jesus kannte das neue Leben schon. Nicht nur sein neues Leben, sondern das ganz neue Leben für alle diejenigen, die es in Christus anzunehmen wünschten – und wünschen.

Das sah der Prophet Johannes, und er konnte es, weil er weiter und tiefer sah. Und deshalb wollte er zuerst Jesus auch gar nicht taufen. Denn Jesus hatte doch keine Taufe nötig, er hatte doch nichts, wovon ER sich hätte bekehren sollen. Jesus brauchte keine Sündenvergebung.

Dennoch sagt ER: „Lass es jetzt geschehen!“ Als ob Jesus es als seine Bestimmung gesehen hätte, AUSGERECHNET mit der Taufe getauft zu werden, die sonst für Menschen gedacht ist. Warum? Weil es offenbar die Meinung Gottes ist, dass Jesus ein Leben leben soll, das für Menschen gedacht ist. Dass Jesus vollauf eine Menschenleben leben soll.

Das also ist die Bestimmung des Himmels: Dass Gott sich verwundar macht, sich den Händen von Menschen ausliefert. Würden wir nur die Botschaft von Weihnachten kennen und noch nicht von der Bedeutung von Ostern gehört, könnten wir doch mit narürlicher Skepsis die Frage gestellt haben, wie weit Gott – in SEINEM Sohn Jesus Christus – gehen wollte. Wie weitgehend will er sich zum Menschen machen?

Er ist doch derjenige, „im Verhältnis zu dem etwas Größeres nicht gedacht werden kann“, wie es der alte Erzbischof Anselm von Canterbury vor 800 Jahren in seinem Gottesbeweis formuliert hat. Gott hätte tausend andere Wege wählen können als ausgerechnet den, dem Menschen als Mensch zu begegnen. Wie weit also wollte ER eigentlich den kleinen Jungen aus dem Stall von Bethlehem gehen lassen? Wann würde er um- und zum Reich Gottes zurückkehren wollen?

An jenem Tag bei dem Täufer Johannes sagt Jesus: „Ich kehre nicht um! Lass es jetzt geschehen, denn so erfüllen wir alles Gerechtigkeit.“ Und da taufte Johannes Jesus mit der Taufe der Menschen.

Taufe in der Kirche ist nicht bloß eine feine und hübsche Tradition oder etwas, was uns als Dänen zusammenhält. Das ist sie auch, aber in erster Linie ist es unendlich wichtig! Die Kindtaufe hat im Christentum eine ganz zentrale Stellung. Denn sie will ja gerade zu jedem einzelnen sagen, dass Gott zuerst da ist! Bevor wir überhaupt irgendwas wussten, bevor wir etwas zerstören konnten oder etwas leisten konnten, erhielten wir in der Kindtaufe das Geschenk, dass Gott unser Vater sein will und wir SEINE Kinder sein dürfen.

Und Jesu eigene Taufe sagt über Jesus: „Es ist richtig, was ihr im Weihnachtsevangelium von dem kleine Kind Gottes ahntet; was ihr dunkel saht und in den Berichten über seine großen Taten während seines Ganges auf Erden spürtet, und das, was ihr meintet, hinter der Kreuzigung von Ostern und der späteren Himmelfahrt auffassen zu können. Es ist richtig, sagt Jesus: „Ich gehöre mit in eure Familie – zu der alle ihr gehört, die in Freude, aber vielleicht öfter noch in Trauer lebt – alle ihr, die die Sonne beschien, aber auch alle ihr, die im Tal der Schatten wandern. Ich gehöre auch mit euch zusammen, wenn ihr nackt dasteht. Denn den, der zu mir kommt, werde ich nie verstoßen.“ So sagt Jesus zu uns, indem auch er sich taufen lässt.

Und Gott sagt, dass er selbst und dieser Zimmermannssohn aus Nazareth, der sich eben hat taufen lassen mit der Taufe von Menschen – dass sei eíns sind. Sie wollen dasselbe. Sie haben denselben Geist. Den Geist, der am Jordan in der Gestalt der Taube über dem Haupt Jesu schwebt. Denn das ist die Bestimmung des Himmels und der Wille der Liebe, dass Gott sich an Menschen bindet. Darum lässt Gott SEINE Stimme hören: „Das ist MEIN Sohn, MEIN lieber Sohn.“

Von da an erhält die Taufe eine neue Bedeutung für uns, die wir verwundbar sind. Und das sind wir alle, denn die Taufe ist keine Garantie für ein Leben ohne Zweifel und ohne Sorgen und ohne Unglück. Es gibt keine Garantien für ein langes Leben ohne Krankheit oder Unglück. Aber was immer geschieht, so sind wir nie mehr allein. Mit der Taufe Jesu soll niemand mehr von seiner Taufe gehen und sich nackt und allein fühlen.

Denn in der Taufe sind wir in einen neuen Zusammenhang gestellt. Die Taufe ist für uns eine Geburt in die Familie Gottes – eine Verwandtschaft, in der wir Jesus zum Bruder haben. Er wird immer mit uns sein. Er kleidet uns, ein Menschenleben zu führen, in dem auch wir für die Güte und die Liebe kämpfen sollen. Und kommt es dazu, dass wir über die anderen enttäuscht sind, über die Welt und über uns selbst – dann haben wir eine Wehr.

Und was ist diese Wehr, was ist unsere Waffe und womit sollen wir kämpfen in diesem blutigen Streit, der das Leben auch sein kann, rings von Feinden umgeben? Der Glaube! Denn der Glaube an das Leben, als von Gott gegeben, ist zugleich der Glaube an die Liebe. Unsere Raketen heißen Vergebung, denn Vergebung kann die schwersten Panzer auflösen und fortsprengen. Unsere leichten Handwaffen heißen Lächeln, Nachsicht und alltägliche Hilfsbereitschaft, und unsere Atom- und Brintbomben heißen: „Du sollst den Herren deinen Gott lieben, und du sollst dein Nächsten lieben wie dich selbst!“

Aber unsere Wehr ist der Glaube. Der Glaube daran, dass der Mensch von Gott geliebt und damit würdig ist, dieses Leben zu leben; der Glaube daran, dass Jesus an deiner Seite steht, und der Glaube an die Vergebung der Sünden. Und die Kampfuniform – das was wir als die Auserwählten, Heiligen und Geliebten Gottes amöegem sollen in dieser Welt – diese Uniform ist: innerliche Barmherzigkeit, Güte, Demut, Milde und Geduld. Aber vor allem – und ein für alle Mal – das Wasser der Taufe.

Denn Gottes Mantel der Liebe kann dich und jeden einzelnen verwundbaren und verwundeten Menschen beschützen. Wir sind in einen neuen Zusammenhang gestellt: es ist das Reich Jesu Christi, die Familie Gottes. Unter dem Mantel der Liebe Gottes – der uns in der Taufe geschenkt ist – brauchen wir nicht har zu sein oder uns nackt zu fühlen. Hier können wir freimütig glauben, was ER gesagt hat: „Du bis mein Kind, mein geliebtes Kind. Hier kannst du leben mit deiner Verantwortung und deiner Schuld und wissen, dass du nie allein bist – weder mit der Verantwortung noch mit der Schuld, noch mit irgendetwas sonst im Leben.“

Amen




Pastor Michael Wagner Brautsch
DK 6700 Darum v/Esbjerg
E-Mail: mwb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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