Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit: 1. Sonntag in der Passionszeit, 17.02.2013

Predigt zu Lukas 22:31-34, verfasst von Sven Evers

 

 

„Ich habe für Dich gebeten, daß Dein Glaube nicht aufhöre."

Invokavit. Erster Sonntag in der Passionszeit. Dieser Zeit, die zu verstehen, die mitzugehen, in die einzutauchen uns oft so schwer fällt.

Passion. Leiden Jesu. Für uns, wie wir noch häufiger hören werden. Was heißt denn das eigentlich?

Heute aber erst der Beginn. Wir stehen am Anfang dieser Zeit, die Jesus in den Tod führen wird. In das Leben natürlich auch - das neue Leben, zu Ostern. Aber davon ahnen wir heute noch nichts. Davon ahnen wir nicht einmal am Karfreitag. Das neue österliche Leben - jedes Jahr wieder frisch und neu wie zum ersten Mal.

Heute aber wie gesagt: Beginn der Passionszeit.

Und dann dieses: Streit zwischen den Jüngern, wer denn der wichtigste unter ihnen sei. Als gäbe es nichts wichtigeres angesichts des Weges, der vor ihnen liegt.

Warum schaffen wir es nicht einmal angesichts von Leid und Tod, angesichts eines anstehenden Weges, auf dem sich alles, aber auch wirklich alles entscheidet, unsere persönlichen Eitelkeiten zur Seite zu stellen?

„Es geht doch nicht darum, wer oben ist und wer unten", sagt Jesus. „Es geht doch nicht darum, wer herrscht und wer dient. Das ist in den Augen der Welt wohl wichtig, ja. Aber unter Euch soll es doch gerade nicht so sein. Bin ich nicht für Euch wie ein Diener gewesen in der ganzen Zeit, die wir miteinande verbracht haben? Ist nicht das Dienen das, was viel mehr Freude, viel mehr Fülle, viel mehr Leben schenkt als die bloße Ausübung von Macht? Habt Ihr denn noch immer nicht verstanden, worum es geht? Im Himmelreich geht es nicht um Hierarchie. Im Himmelreich geht es nicht darum, den besten Platz zu kriegen oder besser oder größer oder wichtiger zu sein als andere - im Himmelreich geht es um das Leben, um Gott und um Euch Menschen."

Zugegeben: Gar nicht so leicht. Zu verstehen vielleicht - mit dem Kopf. Aber mit dem Herzen? Auch in der Kirche geht es ja immer wieder menschlich, allzu menschlich zu. Gerade was das Wichtig-Sein oder Oben-Sein und so angeht.

Aber davon ein ander Mal. Heute geht's anders weiter. Ich möchte Euch und Ihnen einen kurzen Abschnitt aus dem Lukasevangelium vorlesen. Er steht genau zwischen dem Streit der Jünger darum, wer denn der wichtigste unter ihnen ist, und dem Gebet Jesu im Garten Gethsemane, in dem Jesu Angst und Unsicherheit, seine Zweifel und Schwäche angesichts des Weges, der vor ihm liegt, so deutlich vor Augen gemalt werden. Ein kleiner Abschnitt nur.

31Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen.
32
Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. 33Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. 34Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.

Simon Petrus. Wir kennen ihn ja. Wir wissen, wie die Geschichte weiter geht. Natürlich wird er Jesus verleugnen. Will nicht in einen Topf geworfen werden mit denen, hinter denen die Autoritäten her sind. Da wird das eigene Hemd dann doch wichtiger als die Theologie. Lieber das Leben retten als bei seiner Überzeugung bleiben. Ich will nicht urteilen über ihn. Ich bin ganz sicher auch nicht der Glaubensheld schlechthin und zumindest nach eigener Einschätzung nicht zum Märtyrer geboren.

Auch Jesus verurteilt Petrus später nicht. Er blickt ihn liebend an. Traurig vielleicht, das ja - aber nicht: verurteilend. Er hat es vorher gewußt. Er kennt die menschliche Schwäche. Er kennt die menschliche Selbstüberschätzung. „Überschätze Dich nicht, Petrus" sagt er. „Du glaubst, Du bist stark - und bist doch voller Angst. Du glaubst, Du kannst Berge versetzen und weichst doch dann schon vor einem Maulwurfshügel zurück. Du hälst Dich für einen Siegertypen - und dabei bist Du doch ein ganz normaler Mensch. Danke Gott dafür! Gott braucht keine Siegertypen. Er braucht ganz normale Menschen. Stehe zu Deinen Schwächen. Habe den Mut, Dir ins Gesicht und ins Herz zu schauen und Dich so zu sehen, wie ich Dich sehe. So, wie Du bist. Sei nicht stärker als Du bist. Glaube. Vertraue. Und ich habe für Dich gebeten, daß Dein Glaube nicht aufhöre."

Staunend stehe ich vor diesen Worten Jesu. Da steht er vor den schwersten Schritten seines Lebens. Angst und Zweifel plagen ihn, machen ihm das Herz schwer. Die engsten Vertrauten werden ihn verlassen. Der eine verrät, der andere verleugnet. Doch er verschließt sich nicht in seinen Gedanken und Gefühlen. Er hat den Blick frei. Für Gott. Für Petrus.

Nicht selbstverständlich - finde ich.

Wie schnell drehe ich mich in Situationen der Angst oder des Zweifels oder auch nur der Belastung um mich selber. Mir geht es schlecht - ob nur subjektiv oder auch ganz objektiv. Ich habe Probleme - tatsächliche oder scheinbare. Und doch bleibe ich ganz schnell bei mir. Wie groß die Freiheit des Blickes Jesu, der selbst in der Tiefe noch auf andere schaut und sie Gott anbefiehlt!

Wie gerne würde ich an Jesu Stelle vielleicht die Worte Petri hören. Da ist einer, der bei mir bleiben wird. Auf ihn kann und will ich mich verlassen. Ich bin schwach. Er aber ist stark und wird mich halten. Wird mir Kraft geben. --- Aber dann: Wie enttäuscht, zutiefst und vielleicht gar heil-los enttäuscht wäre ich wohl, wenn ich sehen müßte, daß dieser andere sein Versprechen nicht hält. Das Band wäre zerschnitten. Endgültig. Die Freundschaft vorbei. Der andere aufgegeben. Verloren.

Und Petrus? Er will doch nur helfen. Er will doch nur Sicherheit geben und Zuversicht. Er macht keine leeren Versprechungen. Er meint ja, was er sagt. Er sieht Jesus, er ahnt vielleicht den Weg, der vor ihnen liegt. Er will da sein. Auf jeden Fall. Um jeden Preis. Aber: worauf wird er wirklich vertrauen, wenn es hart auf hart kommt? Wird er Stärke zeigen können, wenn die Angst kommt und die Zweifel? Wird er den Blick frei haben für andere, wenn er selber unter Druck steht?

Er wird es nicht. Wir wissen das, weil wir wissen, wie die Geschichte weiter ging. Jesus weiß es, weil er nicht nur das sieht, was vor Augen ist, sondern das Herz des Menschen anschaut. Petrus weiß es nicht. Und wahrscheinlich kann er es auch gar nicht wissen. Eine vorgestellte Situation ist ja immer eine andere als eine tatsächliche Situation.

Auch ich kann mir zwar vornehmen, mich so oder so zu verhalten, wenn dieses oder jenes passiert. Aber werde ich es dann wirklich tun, wenn es so weit ist? Sind nicht die Fragen, die ich eben an Petrus gestellt habe, genau jene, die ich auch mir selber immer wieder einmal stelle? Werde ich stark sein können in der Not? Werde ich anderen Halt geben können, wenn ich selber zu fallen drohe? Werde ich den Blick frei haben für andere, wenn mir um mich selber Angst und Bange ist?

 

Wie gut tut es mir zu wissen, daß Jesus für mich betet. Irgendwie eine ungewohnte Vorstellung.
Daß ich bete, das ist mir vertraut - wenn auch oftmals weniger und seltener als ich es mir wünsche.
Daß andere Menschen für mich beten oder ich für andere - das ist mir vertraut - wenn auch oftmals weniger und seltener als es Not täte.
Aber das Jesus für mich betet - das ist mir zugegebermaßen erst bei der Lektüre dieses Textes so wirklich bewußt geworden.

Es tut mir gut, das zu wissen. Mein Glaube, mein Vertrauen auf Gott hängt nicht an meinem Vorhaben. Er hängt nicht an meinem Willen oder meiner Kraft. Das auch, gewiß. Aber nicht letztendlich. Das Vertrauen, das ich in Gott setze, wenn um mich herum oder in mir alles zusammenbricht, wird gehalten von Jesu Gebet.

Er betet für mich, daß ich vertrauen kann, wenn mein Vertrauen zusammenbricht.
Er betet für mich, daß ich stark sein kann - nicht mit meiner Stärke, auf die ich mich so oft verlasse und die mich so oft verläßt, wenn es wirklich drauf ankommt, sondern mit seiner Stärke in mir.
Er betet für mich, daß ich bei ihm bleibe und aus dieser Gemeinschaft heraus dann weiter gebe, was ich empfange.
Und - wir wissen ja, wie die Geschichte mit Petrus weiter ging - : Er verstößt mich nicht, wenn ich mir selber angesichts meines Tuns nicht mehr in die Augen schauen mag. Er ist nicht enttäuscht, wenn ich vor Enttäuschung über mich selber in Scham versinke. Er kennt mich ja ohnehin. Ich war es, der sich über sich selber getäuscht hat. Ich werde enttäuscht. Das tut weh. Ich stelle mir vor, wie es in Petrus aussehen mag angesichts des Blickes Jesu nach dem Krähen des Hahns. Vor Scham im Boden versinken - das wäre vielleicht das passende, mag er sich gedacht haben.

Ent-Täuschung. Verschwinden der Täuschung. Über sich selber. Er hatte sich für stark gehalten und war doch schwach.
Er hatte sich für einen großen Anhänger Jesu gehalten und war doch gefangen in seiner Sorge um sich selber.
Er hatte gedacht: „Ich schaffe" das. Und wurde doch geschafft von den viel zu hohen Ansprüchen an sich selber.
Ent-Täuschung. Wohlgemerkt: Heilsame Enttäuschung. Jesus hat ihn nicht verleugnet, wie er Jesus verleugnet hat. Er hat ihn nicht verstoßen, wie er sich wohl selber verstoßen hätte, hätte er nur seine Maßstäbe an sich selber anlegen müssen.
Jesus hat seine Kirche auf ihn gebaut. Auf ihn, der so stark sein wollte und doch so schwach war.
Jesus hat für ihn gebetet, daß sein Vertrauen nicht aufhöre. Trotz dessen, was ihm widerfahren ist. Trotz ihm selber letztlich.

Herr, wie gerne möchte ich stark sein.
Im Leben und auch im Glauben und Vertrauen auf Dich.
Wie gerne möchte ich wie Petrus sagen können: Ich bleibe bei Dir, was auch immer geschieht.
Zu den Menschen, die mir am Herzen liegen. Zu Dir. Auch zu mir selber.
Und wie oft scheitere ich an mir selber.
Ich will stark sein - doch ich bin schwach.
Ich will Halt geben - doch ich brauche halt.
Ich will vertrauen - doch bin ich gefangen in meinen Zweifeln.
Herr, bete für mich, daß mein Vertrauen nicht aufhöre.
Halte mich.
Stärke mich.
Und zeige mir liebevoll die Wahrheit über mich selber.

Amen.

 



Landesjugendpfarrer Sven Evers
26121 Oldenburg
E-Mail: sven.evers@ejo.de

(zurück zum Seitenanfang)