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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit: 1. Sonntag in der Passionszeit, 17.02.2013

Predigt zu Lukas 22:31-34, verfasst von Jürgen Jüngling

 

 

„Vom Wollen, vom Vollbringen und was der Glaube dazu sagt"

31 Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. 32 Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. 33 Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. 34 Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.

 

1. Was der Prolog für Goethes „Faust" oder was die Ouvertüre für die Oper ist, das ist der heutige Predigttext für die schon bald folgende Geschichte von der Verleugnung des Petrus, einen der bekanntesten Berichte aus dem gesamten Neuen Testament. Alles das, was diese Geschichte prägt und ausmacht, klingt thematisch hier bereits an: die nüchterne Vorhersage des Herrn „euch zu sieben wie den Weizen" oder das tröstliche Gebet in Richtung Petrus „dass dein Glaube nicht aufhöre" oder dessen großspuriges Versprechen „mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen" und schließlich die berühmte Ankündigung des Hahnenschreis einschließlich der Verleugnung. Und genau so - wir kennen es ja längst - wird es sich dann in der besagten Geschichte abspielen.

Ich behaupte einmal: Es gibt Erfahrungen in und mit dem eigenen Leben, die man nie und nimmer für mich möglich gehalten hätte, wenn sie einem nicht höchstselber in einer ganz bestimmten Lage widerfahren wären.. Und genau von einer solchen Erfahrung wird hier berichtet oder präziser noch: von der Weichenstellung zu einer solchen Erfahrung. Denn spätestens ab jetzt geht Petrus schnurgerade, fast automatisch und wie in Trance auf diesen Moment zu. Wir als Leser oder Hörer erahnen vielleicht noch, dass das nun folgende Geschehen so oder so oder vielleicht auch ganz anders seinen Lauf nehmen könnte. Doch Petrus bewegt sich bereits wie auf Schienen und nahezu unausweichlich auf den angekündigten Augenblick zu - schicksalhaft wie in einer antiken Tragödie.

 

2. Der Hahnenschrei - ähnlich dem Donnerschlag eines gewaltigen Gewitters! Gefahr liegt in der Luft, ist förmlich mit Händen zu greifen und damit natürlich auch die konkrete Gefährdung. An dieser Stelle bereits wird deutlich, wie Petrus - auf deutsch immerhin: der Fels! - auf das jämmerliche Ende seiner vermeintlichen Souveränität und Solidarität zusteuert. Es zeichnet sich ab, wie bald schon sein bislang so ungebrochenes Selbstbewusstsein zerbrochen und er selbst ein gebrochener Mann sein wird. Und wenn es dann passiert ist, was bleibt ihm da wohl übrig? Bleiben ihm überhaupt noch Möglichkeiten, Handlungsoptionen? Oder ist er dermaßen am Ende, dass er es nur noch dem anderen Jünger nachmachen kann - Strick und Schluss? Oder sich aus dem Staube machen mit der bitteren Selbsterkenntnis: Du hast auf ganzer Linie enttäuscht - deinen Herrn, deine Brüder und dich selbst?

Diese Szene des Versagens, die ist deshalb so ergreifend und berührend, weil sie keinem von uns ganz fremd ist. Und ich denke daran, wie oft ich in meinem langen Pfarrer-Leben in Gespräche verwickelt war, wo solche Grundsituationen von Enttäuschung und Versagen zur Sprache kamen: im Blick auf den Lebenspartner oder die Kinder, auf Kollegen oder Freunde, auch auf eigene Pläne und Vorstellungen. Der Hahnenschrei als Signal, der Hahnenschrei wie Donner und Blitz zugleich, wo ganz plötzlich auch der letzte Schleier fällt, wo ich nicht mehr ausweichen kann - weder vor der Wirklichkeit noch vor mir selbst .Das kann vielleicht ein Bild sein, das mich trifft, oder ein Wort, das den Nebel in meiner verfahrenen Lage wegpustet, vielleicht auch nur eine Erinnerung, die mich erschauern lässt - und das Ende all` meiner Selbstsicherheit ist da. Das, worauf ich mir etwas eingebildet habe, das stellt sich wirklich als Ein - Bildung heraus.

Ein Stück später berichtet der Evangelist Lukas ganz trocken: „Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn." (v60) Dieser so nüchterne Satz fährt einem heute noch in die Glieder. Erinnert er denn nicht an so manches, womit wir Gott enttäuscht haben? Wo wir es vielleicht auch noch so gut gemeint haben, doch letzten Endes dabei ganz gründlich gescheitert sind? Ich jedenfalls kann die darauf folgende Reaktion nur zu gut nachvollziehen: „Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich." (v62) Spätestens da galt es, der ganzen Wahrheit über sich selbst ins Auge zu sehen: So und keinen Deut anders bin ich. Spätestens jetzt ist es nicht mehr zu übersehen: Das eben war keine Panne, kein Ausrutscher. Nein: So und nicht anders bin ich. Dem gilt es, sich zu stellen. Ich habe wahr und wahrhaftig nicht nur die eine, die Schokoladenseite, die ich so gerne herzeige. Auch Dunkles und selbst Schuld gehören untrennbar zu mir. So bin ich nun einmal!

 

3. Und trotz alledem muss ich bei dem Hahnenschrei gleichzeitig an noch etwas ganz Anderes denken; immerhin bin ich auf dem Dorf groß geworden und weiß: Wenn der Hahn schreit, ist das Dunkel bald zu Ende, bricht ein neuer Tag an mit neuen Hoffnungen und neuen Chancen. Auch wenn die soeben begonnene Passionszeit gerade die dunkle Seite des Lebens in den Vordergrund stellt, so scheint doch hinter ihr ganz zart das Licht eines neuen Morgens auf. Das aber will uns bereits heute einstimmen auf die so ganz andere Melodie von Ostern. Selbstverständlich wissen wir, dass wir Stationen nicht einfach überspringen können oder dürfen. Auch Kirchenjahreszeit bleibt Kirchenjahreszeit, und das ist gut so. Aber auch in der dunkelsten Passion ist uns der tiefste Grund unseres Glaubens hoffentlich immer gegenwärtig: Nicht der Tod wird am Ende das letzte Wort haben, sondern das Leben wird sich als stärker erweisen. Nicht die Ferne Gottes und die Abgründe des Menschen bestimmen die Perspektive, sondern seine Zuwendung und Liebe uns gegenüber. Und wenn es in uns drinnen noch so finster aussehen mag, so wird das helle Licht des Ostermorgens stärker sein, stärker sogar als der Tod. Jesus hat in dem Prolog der Verleugnungsgeschichte dem Petrus ins Stammbuch geschrieben - Sie erinnern sich: „Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." (v32) Mit diesem Wort an ihn bekomme auch ich die Kraft, mich ganz neu zu öffnen, mich dem zuzuwenden, der mich und meine ganze Existenz umfangen und halten und tragen will. Und dann? Dann endlich komme ich zu neuer Luft, kann gründlich durchatmen, finde neuen Mumm und neuen Mut.

 

4. Petrus hatte beweisen wollen - mit all´ seiner Kraft, dass die Voraussage seines Meisters von der Verleugnung einfach nicht stimmen kann. Und dann, ausgerechnet dann, passierte genau das, wogegen er sich eben noch gestemmt hatte. Schicksalhaft! Später wird berichtet: „Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte." (v61) Das kann ja eigentlich nur bedeuten: Jetzt ist alles aus, zu spät, auf frischer Tat ertappt! Tatsächlich: So könnte es sein. So müsste es wohl auch sein, wenn nicht zuvor das ganz Andere laut geworden wäre: „Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." (v32)

Genau daran konnte Petrus eben auch denken, als Jesus sich umdrehte und ihn ansah. Und wenn er heute uns ansehen würde, wo und wie immer wir auch leben? Ich bin mir sicher: Dass er uns kennt, so wie den Petrus damals, dass er uns gründlich durch-schaut - alle unsere Vorsätze und Prinzipien, unsere frommen Wünsche und ebenso unsere Einbildungen, erst recht unsere Anmaßungen. Das alles durchschaut er und damit doch alles, was auf die Dauer nicht tragen kann, am wenigsten uns selbst. Deshalb erinnern wir uns immer neu an sein Versprechen gegenüber Petrus, und ich wiederhole es so gerne: Das ist über allen Raum und alle Zeit hinweg ebenso an uns gerichtet - „Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." (v32) Amen

 



Oberlandeskirchenrat i.R. Jürgen Jüngling
Kassel
E-Mail: juengling@webgum.de

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