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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum: 6. Sonntag nach der Passionszeit, 24.03.2013

Predigt zu Römer 8:35-39, verfasst von Reiner Kalmbach


Gottes grosses „Ja" über meinem Leben


Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.


Liebe Gemeinde,

wer gelegentlich oder regelmässig die Bibel liest, der wird immer wieder auf Abschnitte stossen, die scheinen wie geschaffen für ganz bestimmte Gelegenheiten oder Situationen. Ein Wort, eine Geschichte, die uns ganz konkret anspricht, jetzt und heute. Vielleicht sagt sie dem Nachbarn in der Kirchenbank nichts oder etwas ganz anderes, aber mich hat dieses Wort eben jetzt „getroffen"...

Das Wort das in diesem Gottesdienst zu uns sprechen möchte, gehört ohne Zweifel in eine solche Kategorie. Das Problem ist, dass wir heute den Palmsonntag feiern, den Einzug Jesu in Jerusalem. Und wir wissen: es ist für Jesus der Anfang vom Ende, das letzte Stück seines Weges unter den Menschen. Merkwürdig: eben noch Jubel und Freude, vielleicht sogar Siegestaumel..., und dann schon Dunkelheit, der scheinbare Sieg der Mächte dieser Welt über eine Wahnsinnsidee...

Ich wähle diesen Abschnitt gerne und immer wieder für Beerdigungen: wer an der Grenze des Fassbaren steht, wer auf keine seiner Fragen und Zweifel Antwort erhält, dem kann dieses Wort tatsächlich wirklichen Trost sprenden. Ich habe das so oft erlebt: wenn kein menschlicher Zuspruch mehr ankommt, wenn die Verzweiflung alles einhüllt wie ein dichter Morgennebel, dann kann das Wort Gottes Wunder bewirken, und jenes das wir jetzt hören werden ganz besonders...

Es steht im Brief des Apostels Paulus an die Römer, im 8. Kapitel, die Verse 35 bis 39

Textlesung

 

Die Frage aller Fragen

Wie steht Gott zu mir?

Mein Vater starb, als ich gerade erst fünf Jahre alt war. Da gab es auch einen kleinen Bruder, fast ein Baby noch. Meine Mutter, um uns durchzubringen, musste in der Fabrik arbeiten. Ja, das waren harte Zeiten, noch bevor das bundesdeutsche Wirtschaftwunder alles und alle einlullte. Wir verbrachten zwar viel Zeit mit unseren Grosseltern, aber in pädagogischen Fragen waren diese wohl nicht unbedingt eine grosse Hilfe. D.h. sie liessen mir so manches durchgehen. Ich entwickelte mich also zu einem ziemlichen „Lausbuben". Abends dann, wenn meine Mutter hundemüde an unseren Bettchen sass, versuchte sie mir ins „Gewissen" zu reden: „...du musst dich immer gut benehmen!, nicht die Oma ärgern, schau, der Opa ist doch krank..., und pass auf deinen kleinen Bruder auf...!, sonst ist der liebe Gott böse auf dich..."

Natürlich ist dieses Argument ein pädagogischer Krückstock, und heute wird wohl keine Mutter mehr darauf zurückgreifen. Aber ich muss zugeben, dass mich die Worte meiner Mutter beeindruckten: was Gott über mich dachte, war mir wichtig!, er sollte mir nicht zürnen, schliesslich war ja jetzt mein Vater bei ihm..., und der sah mich vom Himmel aus.

Wie steht Gott zu mir? Eigentlich fragen wir eher umgekehrt?, wie geht es uns mit Gott?, glauben wir an ihn..?, meistens denken wir gar nicht an ihn, er spielt in unserem Leben keine Rolle, manchmal, wenn es uns wirklich gut geht, vielleicht ein kleines „Danke, lieber Gott", oder wenn wir gerade noch einmal so „davon gekommen" sind, das obligatorische „Gott sei Dank!", aber wenn es uns schlecht geht, dann kann dieser Gott nicht schnell genug eingreifen...

Nein, Paulus reduziert alles auf die eine Frage. Dabei geht es hier nicht darum, ob ich jeden neuen Tag als Geschenk Gottes annehmen kann, also die Frage nach dem was Gott mir zukommen lässt, die „Gaben Gottes". Hier ist auch kein Platz für unsere Klagen: „...warum muss es mir so schlecht gehen...?", sondern: wie urteilt er über mich?, wie kann ich, mit meiner ganzen Lebensgeschichte, vor ihm bestehen?

Wenn ich jetzt ganz ernsthaft über diese Frage nachdenke, dann werde ich erkennen, dass sie über jeder Stunde meines Lebens steht. Meistens nehme ich sie nicht bewusst war. Der Alltag, die Sorgen, die Routine, wenn mein Leben mal wieder nach dem Autopiloten funktioniert, verhindert jegliche Tiefe meiner Gedanken. Das Leben plätschert so dahin, wie ein Bach im Sommer...

Aber es gibt, auch in meinem Leben, bestimmte Grenzsituationen, oft stehe ich ganz unerwartet, ganz unvorbereitet, mitten drin. Dann drängt sich diese Frage auf, alles reduziert sich auf sie, alles andere wird unwichtig, sie „hämmert" sich in mein Gewissen, bestimmt meine Gedanken. Die Fragen nach Besitz, Erfolg, Ansehen, usw. werden recht uninteressant, und es bleibt nur noch die Frage, wie Gott zu mir steht.


Oft - oder fast immer: der Schein trügt

Dieses Sprichwort spricht uns oft genug aus der Seele: da scheint einer im Glück zu schwimmen, führt eine Musterehe, er geniesst hohes Ansehen in seinem Beruf, bei den Nachbarn, sogar in der Gesellschaft..., er unterstützt grosszügig Vereine und hat auch etwas für die Kirchengemeinde übrig. Aber irgendwie spüre ich, dass er Welten von Gott entfernt ist, dass der Schein nichts über die Wirklichkeit aussagt, dass es hinter der wunderschönen und perfekten Fasade „stinkt". Mir fällt auf, dass seine Frau oft wochenlang nicht unter die Leute geht, und ahne, dass seine Ehe eben nicht in Ordnung ist, dass er mit dieser Fasade sein wirkliches Leben verdecken will, ein Leben in Dunkelheit, ein Leben das alle Energie, alle Anstrengung dafür aufwendet, diesen Schein zu wahren...

Oder: ein anderer scheint vom Pech verfolgt zu sein, die Ehe gescheitert, Kinder die ständig Kummer bereiten, Freunde die sich zurückgezogen haben..., seine Umgebung, also „wir", Gemeindeglieder, Nachbarn, Arbeitskollegen...vielleicht sogar Verwandte, haben den Stab über ihm gebrochen, „wir haben das ja längst kommen sehen...". Als ich ihn besuche, spüre ich ganz deutlich, dass Gott zu diesem Menschen steht, dass er über ihm sein „Ja" sagt, ich spüre, dass der Mann in diesem Ja seine Würde bewahrt - und letztlich auch sein Glück. Nichts von einer Fasade, er legt alles offen auf den Tisch, sein Leben, seine Vergangenheit, sein Jetzt..., und ich weiss, dass er seine Zukunft in Gottes Hände gelegt hat.

Im Grunde geht es nur um dieses kleine Detail: sagt Gott sein „Ja" zu mir?, spüre ich dieses Ja in meinem Leben?, oder ist da nichts....?


Trotz allem - geliebt - unglaublich!

Was ist dieses „Ja"?, wie können wir es erklären, spüren, wahrnehmen...?: es ist die Liebe!, die Gewissheit, dass über allem, über all dem was mir meine irdische Existens so schwer macht, eine Liebe steht, eine bedingungslose Liebe, eine Liebe die zur Tat geworden ist, eine Liebe die in einer Krippe begonnen hat, eine Liebe die sich auf den Weg machte, eine Liebe, die alle, denen sie auf diesem Weg begegnet ist, verändert hat. Augen, Ohren und Herzen öffneten sich, Menschen die sich längst selbst aufgegeben hatten, entdeckten ihre Würde wieder..., eine Liebe die diesen Weg bis zum (bitteren) Ende gegangen ist..., für mich!, auch ich stand am Rande dieses Weges, auch ich bin ihr (ihm) begegnet..., oder war es nicht umgekehrt?, er ist mir begegnet, er hat mich berührt, er hat mich angesprochen: „...willst du leben...?, dann komm mit mir, folge mir nach...!"

Dieses „Ja" steht nun über meinem Leben, ich kann es nicht „beweisen", ich kann niemandem sagen „hier, siehst du es..!?", deshalb ist das mit mir und in mir geschieht, „unglaublich". Aber es ist mir zur Gewissheit geworden, ich fühle mich von Gott angenommen, so wie ich bin, ich muss nichts vor ihm verbergen, ich kann auch gar nichts vor ihm verbergen..., er kennt mich, und somit auch meine Situation, meine Geschichte, meine Lügen und Ausreden, meine Hoffnungen, meine Stimmungen...


In diesem Sinne hatte die etwas schräge Pädagogik meiner Mutter doch auch eine gute Seite: mir war stets wichtig was Gott von mir denkt. Jetzt weiss ich es: er liebt mich und diese Liebe ist so stark, dass mir nichts passieren kann. Nichts kann mich ihr entreissen, keine Macht der Erde, keine Macht die aus und im Verborgenen mein Verderben betreibt..., es ist so, wie Paulus es in unserem Abschnitt bezeugt und ein paar Verse zuvor so formuliert: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?"

Ich habe das immer wieder erfahren, ganz besonders bei Schwerkranken oder Sterbenden: alles in Gottes Hände abgeben zu dürfen, ein ganzes Leben (man kann ja nichts mehr rückgängig machen, absolut nichts, weder Taten, noch Worte...), in der Gewissheit, dass der der für mich diesen steinigen Weg gegangen ist, bis zum bitteren Ende, der wird mir, wenn ich einst Rechenschaft ablegen muss, zur Seite stehen, er wird dafür sorgen, dass Gott-Vater noch einmal sein grosses „Ja" über mir ausspricht, wie ein Vater zu seinem Sohn...


Wir wissen nicht, was der morgige Tag, die nächste Woche, die nächste Zeit bringen wird. All unsere Planungen sind im Grunde vorläufig, der Ungewissheit unterworfen. Aber wir wissen, wer alles in seiner Hand hält. Christus sagt von denen, die zu ihm gehören: „Niemand wird sie aus meiner Hand reissen."

Damit, mit dieser Zusage, mit diesem „Ja", lässt sich gut leben (und sterben).


Amen.

 



Pfarrer der Evang. Kirche am Río de La Plata, Reiner Kalmbach
Allen (Argentinien – Patagonien)
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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